Deutscher Bundestag Drucksache 18/5043 18. Wahlperiode 29.05.2015 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Klaus Ernst, Sigrid Hupach, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/4797 – Der Kultursektor im Vertragswerk des Freihandelsabkommens CETA der Europäischen Union mit Kanada 1. Welche Bereiche des Kultursektors gehören nach Auffassung der Bundesregierung zu den audio-visuellen Dienstleistungen (bitte einzeln auflisten)? Audio-visuelle Dienstleistungen sind nach allgemeinem Verständnis Dienste, mit denen Bild und bzw. oder Ton bereitgestellt werden. Zu der Auslegung des Begriffs im Zusammenhang mit völkerrechtlichen Verpflichtungen nach dem General Agreement on Trade in Services (GATS) im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) äußert sich der Dispute Settlement Body der WTO in der Sache „China – Measures Affecting Trading Rights and Distribution Services for Certain Publications and Audiovisual Entertainment Products” (DS363) in dem Panel-Bericht WT/DS363/R in Nummer 7.1186 wie folgt: “We observe that the core meaning of the term ‘audiovisual’ means ‘pertaining to both hearing and vision. (…) This meaning suggests that the scope of ‘Audiovisual Services’ extends to activities in which content is sensed by the user through the faculties of hearing or vision. It would not appear to exclude any service from its scope on the basis of the medium on which the content may be coded, stored or transferred. This suggests that a service (…) which appears under the heading ‘Audiovisual Services’ (…) relates to such core services as producing, distributing, projecting or broadcasting content”. Die Bundesregierung teilt diese Auffassung. 2. Gehört der öffentlich-rechtliche Rundfunk nach Auffassung der Bundesregierung zu dem im Freihandelsabkommen der Europäischen Union (EU) Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom 21. Mai 2015 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. mit Kanada (CETA) verwendeten Begriff der audio-visuellen Dienstleistungen (bitte begründen)? Der Vorbehalt für Deutschland im Annex II zum CETA-Abkommen auf Seite 1576 für den Bereich „Recreational, cultural and sporting services“ macht deutlich, dass den audio-visuellen Dienstleistungen Tätigkeiten der Drucksache 18/5043 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Kategorie 961 (Motion picture, radio and television and other entertainment services) in der einschlägigen Zentralen Gütersystematik der Vereinten Nationen (Central Product Classification – CPC) in der Version, die vom Statistischen Büro der Vereinten Nationen in den „Statistical Papers Series M“, Nummer 77 im Jahr 1991 veröffentlicht wurde, zuzuordnen sind. In dieser Kategorie finden sich unter der Nummer 9613 auch „Radio and Television Services“. Daher steht außer Zweifel, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland zu den audio-visuellen Dienstleistungen gehört. 3. Von welchen Verpflichtungen des CETA-Vertrages ist der deutsche öffentlich -rechtliche Rundfunk betroffen? Aus dem CETA-Abkommen ergeben sich für den deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk keine unmittelbaren Verpflichtungen, weil das Abkommen Bindungswirkung lediglich zwischen den Vertragsparteien entfaltet. Verpflichtungen zur Marktöffnung im Bereich des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks sind in CETA nicht enthalten, weil dieser Bereich ausdrücklich von Verpflichtungen ausgeklammert wird (Seite 147, Artikel X.1 Nummer 3 des Kapitels „Investment“; Seite 188, Artikel X-01 Nummer 2b des Kapitels „Cross-Border Trade in Services“ enthalten Ausnahmen für audio-visuelle Dienstleistungen). In CETA ist zudem die Vergabe von öffentlichen Aufträgen über Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Rundfunk durch den für die EU geltenden Annex 7 zum Beschaffungskapitel, Seite 728 Nummer 1a Doppelbuchstabe ii ausdrücklich ausgenommen. 4. Gehört der Buchhandel nach Auffassung der Bundesregierung zu dem im CETA-Vertrag verwendeten Begriff der audio-visuellen Dienstleistungen (bitte begründen)? Nein, der Buchhandel wird nach allgemeinem Verständnis nicht den audio-visuellen Dienstleistungen zugerechnet: Nach der internationalen Klassifizierung von Dienstleistungen in der Zentralen Gütersystematik der Vereinten Nationen, Version 1991 ist der Buchhandel insbesondere der Nummer 62262 (Großhandel mit Büchern) und der Nummer 63253 (Einzelhandel mit Büchern) zugeordnet. 5. Von welchen Verpflichtungen des CETA-Vertrages sind der deutsche Buchhandel und insbesondere die Buchpreisbindung betroffen? Aus dem CETA-Abkommen ergeben sich keine unmittelbaren Verpflichtungen für den deutschen Buchhandel. Die Marktöffnungsverpflichtungen im CETAAbkommen , die den Handel mit Büchern innerhalb Deutschlands betreffen, entsprechen inhaltlich den bereits bestehenden Verpflichtungen gegenüber Kanada aus dem General Agreement on Trade in Services (GATS) im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO). CETA enthält keine Verpflichtungen, die das Gesetz über die Preisbindung für Bücher (Buchpreisbindungsgesetz) einschränken. 6. Wie ist nach Auffassung der Bundesregierung der Verzicht auf eine Definition audio-visueller Dienstleistungen im CETA-Vertrag zu rechtfertigen? Dem CETA-Abkommen liegt das gleiche Verständnis des Begriffs der audiovisuellen Dienstleistungen zugrunde, der auch dem General Agreement on Trade in Services (GATS) im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) zugrunde liegt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5043 7. Geht die Bundesregierung davon aus, dass der im CETA-Vertrag verwendete Begriff der audio-visuellen Dienstleistungen im Sinne der Zentralen Produktklassifikation der UN (Central Product Classification – CPC) zu verstehen ist (falls nein, bitte um Begründung)? Falls ja, welche Version der CPC ist für den CETA-Vertrag maßgeblich? Die Annexe I und II der EU auf Seite 1200 ff. des CETA-Abkommens enthalten Vorbehalte zu den in den Kapiteln „Investment“ und „Cross-Border Trade in Services“ festgelegten Marktöffnungsverpflichtungen. Zur Einordnung dieser Vorbehalte verweisen die Einleitungen zu beiden Annexen auf Seite 1202, Nummer 5 bzw. Seite 1489, Nummer 6, auf die Zentrale Gütersystematik der Vereinten Nationen in der Version, die vom Statistischen Büro der Vereinten Nationen in den „Statistical Papers Series M“, Nummer 77 im Jahr 1991 veröffentlicht wurde. Die Bestimmungen zu audio-visuellen Dienstleistungen im CETA-Abkommen setzen ebenfalls die Zentrale Gütersystematik in der genannten Version voraus. 8. Hält es die Bundesregierung für richtig, nur die vom Begriff der audiovisuellen Dienstleistungen erfasste Film-, Fernseh-, Radio-, Video- und Soundproduktion von Verpflichtungen des CETA-Vertrages auszunehmen , nicht jedoch die Textproduktion, und auch nicht die Verbreitung und Übertragung von Kulturinhalten jeglicher Art (bitte begründen)? Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass im CETA-Abkommen keine weiteren Marktöffnungsverpflichtungen für den Kulturbereich enthalten sind als im WTO-Dienstleistungsabkommen (GATS) aus dem Jahr 1995. Dies entspricht der Zielsetzung der Bundesregierung, für diesen Bereich keine zusätzlichen Marktöffnungsverpflichtungen zu vereinbaren. Die EU und Deutschland können in bilateralen CETA-Abkommen nicht hinter Marktöffnungsverpflichtungen zurückgehen, die bereits im WTO-Dienstleistungsabkommen (GATS) im Jahr 1995 im multilateralen Rahmen (auch gegenüber Kanada) übernommen wurden. 9. Worin besteht nach Auffassung der Bundesregierung der Unterschied zwischen audio-visuellen Dienstleistungen und „cultural industries“? Der Begriff „cultural industries“, wie er im CETA-Abkommen für die Reichweite der Verpflichtungen Kanadas Anwendung findet, umfasst nach der Definition auf Seite 455 des Abkommens neben den audio-visuellen Dienstleistungen auch den Bereich des Verlagswesens und den Buchhandel. Der Begriff der audio-visuellen Dienstleistungen umfasst diesen Bereich nicht, siehe Antwort zu Frage 4. 10. Weshalb hält es die Bundesregierung für angemessen, auf der EU-Seite nur die audio-visuellen Dienstleistungen von Verpflichtungen des CETAVertrages auszunehmen, während dem Vertragspartner Kanada eine weiter gefasste Definition des Kultursektors („cultural industries“) und entsprechend weiter gefasste Ausnahmen von Verpflichtungen des CETA-Vertrages zugestanden wird? Die Ausnahmen für die kanadische Seite für „cultural industries“ entsprechen der Verpflichtungslage Kanadas im WTO-Dienstleistungsabkommen (GATS). Umgekehrt wurden auch die Ausnahmeregeln für die EU und Deutschland in CETA vor dem Hintergrund der völkerrechtlichen Verpflichtungen im GATSAbkommen formuliert, die auch gegenüber Kanada bestehen. Die Bundesregie- Drucksache 18/5043 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode rung hält es für angemessen, internationale Verpflichtungen einzuhalten, zumal CETA die seit 20 Jahren geltende Rechtslage zum Ausmaß der entsprechenden Marktöffnungsverpflichtungen nicht ändert. 11. Aufgrund welcher konkreten Bestimmungen des CETA-Vertrages hält es die Bundesregierung für zuverlässig gesichert, dass die deutsche Filmförderung in keiner Weise von den Verpflichtungen des CETA-Vertrages tangiert wird? Im CETA-Abkommen ist – wie auch in anderen Handelsabkommen der EU – eine besondere Regelung vorgesehen, die Fördermaßnahmen im Dienstleistungsbereich erlaubt, auch wenn diese insoweit diskriminierend ausgestaltet sind, dass inländische Anbieter bevorzugt werden. Die spezielle Regelung für audio-visuelle Dienstleistungen ist in Artikel X.7 des Beihilfenkapitels in CETA auf Seite 144 enthalten. Danach findet das Abkommen keine Anwendung auf Subventionen oder staatliche Unterstützung für audio-visuelle Dienstleistungen. Daneben ist auch in den Kapiteln „Investment“ (vgl. Artikel X.14 Absatz 5b, Seite 163) und „Cross-Border Trade in Services“ (vgl. Artikel X-01 Absatz 2g, Seite 189) klargestellt, dass deren Marktöffnungsverpflichtungen auf Subventionen jeglicher Art keine Anwendung finden. 12. Sind die audio-visuellen Dienstleistungen der EU vollständig von den Bestimmungen des Investitionskapitels des CETA-Vertrages ausgenommen (bitte begründen)? Im Kapitel „Investment“ in CETA sind die audio-visuellen Dienstleistungen ausgenommen von den Verpflichtungen im Abschnitt zum Marktzugang (Section 2) und im Abschnitt zur Nichtdiskriminierung (Section 3), vgl. Seite 147, Artikel X.1 Nummer 3 des Kapitels. Kanadische Investoren in den EU-Mitgliedstaaten können daher weder für die Zulassung von Investitionen noch für den Schutz bereits erfolgter Investitionen im audio-visuellen Bereich etwaige Ungleichbehandlungen im Vergleich zu inländischen Unternehmen rügen. Dagegen können unangemessene Beeinträchtigungen getätigter Investitionen im audio-visuellen Bereich unter Verletzung der Artikel X.9 (Treatment of Investors and Covered Investments), X.10 (Compensation for Losses), X.11 (Expropriation ) und Artikel 12 (Transfers) gerügt werden. Der durch diese Bestimmungen gewährte völkerrechtliche Schutz geht jedoch nach Ansicht der Bundesregierung nicht über den durch deutsches materielles Recht gewährten Schutz hinaus. Diesbezügliche Verletzungen können durch Anrufung von Schiedsgerichten im Wege des Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahrens (Investor-State Dispute Settlement, Section 6) geltend gemacht werden. 13. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass staatliche Subventionen für den Kulturbereich von den Bestimmungen des CETA-Investitionskapitels betroffen sind (bitte begründen)? Die Bundesregierung kann ausschließen, dass staatliche Subventionen zur Förderung der kulturellen Vielfalt durch das CETA-Abkommen untersagt oder eingeschränkt würden. Die Marktöffnungsverpflichtungen in den Kapiteln zu Investitionen (vgl. Artikel X.14 Absatz 5b, Seite 163) und Dienstleistungen (vgl. Artikel X-01 Absatz 2g) finden auf Subventionen keine Anwendung. Daneben gibt es – wie in der Antwort zu Frage 11 ausgeführt – eine spezielle Beihilferegelung für audio-visuelle Dienstleistungen. Kanadische Investoren im Kultur- bereich können daher nach CETA insbesondere nicht erfolgreich rügen, dass sie Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/5043 für ihr Unternehmen anders als deutsche Unternehmen keine Subventionen erhalten haben. 14. Weshalb hat die Bundesregierung veranlasst, dass im Annex II des CETAVertrages die gemäß CPC 96 definierten Kulturbereiche (CETA, S. 1576) zwar von den Regelungen beispielsweise über den Marktzugang, die Inländerbehandlung und die Meistbegünstigung ausgenommen sind, nicht jedoch von den Abschnitten über die billige und gerechte Behandlung und den Enteignungsschutz im Investitionskapitel? Der Vorbehalt im CETA-Abkommen im Annex II für den Kulturbereich entspricht in seinem Anwendungsbereich den in der Antwort zu Frage 12 genannten Ausnahmebestimmungen für audio-visuelle Dienstleistungen. Auf diese Antwort wird verwiesen. Die Regelungen zur fairen und gerechten Behandlung (Artikel X.9) sowie zum Schutz vor Enteignung (Artikel X.11) betreffen Fragen des Investitionsschutzes. Dieser kanadischen Investoren in Deutschland gewährte völkerrechtliche Schutz geht nach Ansicht der Bundesregierung nicht über den durch deutsches materielles Recht gewährten Schutz hinaus und kann im Wege des InvestorStaat -Streitbeilegungsverfahrens (ISDS) geltend gemacht werden. Unabhängig hiervon setzt sich die Bundesregierung dafür ein, in CETA nochmals zu bekräftigen, dass die Kultur- und Medienvielfalt in der EU und den EU-Mitgliedstaaten gewahrt bleibt. 15. Ist nach Auffassung der Bundesregierung für die EU zuverlässig gesichert, dass sämtliche Bereiche kulturellen Schaffens von sämtlichen Verpflichtungen des CETA-Vertrages ausgenommen sind (bitte begründen)? Zunächst wird auf die Antworten zu den Fragen 8, 10 und 14 verwiesen. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Forderung, „sämtliche Bereiche kulturellen Schaffens von sämtlichen Verpflichtungen des CETA-Vertrages“ auszunehmen, schon mangels Bestimmtheit nicht umsetzbar wäre, da die Vertragsparteien ein dafür erforderliches gemeinsames Verständnis von dem Begriff „sämtliche Bereiche kulturellen Schaffens“ bislang nicht entwickelt haben. Einer abschließenden Definition des deutschen Kulturbegriffs steht bereits die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entgegen. CETA umfasst, ungeachtet der nötigen Absicherungen für den Kultursektor in Deutschland, auch Bestimmungen, die dazu geeignet erscheinen, die Situation deutscher und europäischer Kulturschaffender in Kanada zu verbessern. Hierzu zählen etwa Bestimmungen , die dazu dienen, Vergütungsansprüche für Urheber künstlerischer Werke in Kanada besser abzusichern. Auch völkerrechtliche Verpflichtungen zur Gewährleistung eines funktionierenden wettbewerbsrechtlichen Rahmens in Kanada können möglicherweise dem Interesse auch deutscher Kulturschaffender entsprechen. Kanada weist als Mitinitiator der UNESCO-Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt und auch von seiner wirtschaftlichen, rechtlichen und gesellschaftlichen Prägung her für die Bereiche Kultur und Medien eine geringes Risikopotenzial auf. Kanada vertritt selbst die „exception culturelle“ und steht unserem europäischen Kulturfördermodell nahe. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333