Deutscher Bundestag Drucksache 18/5076 18. Wahlperiode 08.06.2015 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Markus Tressel, Christian Kühn (Tübingen), Peter Meiwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/4986 – Baurechtliche Zulässigkeit von Ferienwohnungen in Wohngebieten Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Urlaub in der Ferienwohnung ist innerhalb Deutschlands die zweitbeliebteste Urlaubsform. Private und gewerbliche Ferienwohnungen tragen in den traditionellen Urlaubsregionen einen großen Anteil der Beherbergungsleistung. In vielen Tourismusorten gibt es mehr Ferienwohnungen und Ferienhäuser als Hotelzimmer, bundesweit sind es 300 000. In strukturschwachen ländlichen Gebieten, abseits der touristischen Hotspots, sind Ferienwohnungen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Eigentümer, die Dienstleister vor Ort und damit auch für die Kommunen. Gleichwohl kommt es immer wieder zu Konflikten mit regulären Bewohnerinnen und Bewohnern dieser Wohngebiete. Auch sie haben ein berechtigtes Interesse an einer ruhigen und stabilen Wohnumgebung. Zusätzlich behindern unverhältnismäßig viele Ferienwohnungen eine stabile und gemischte Entwicklung der örtlichen Wohnungsmärkte. Die kommunalen Bauämter stehen derzeit aufgrund sich widersprechender Urteile des Oberverwaltungsgerichts Greifswald (vom 19. Februar 2014, AZ 3 L 212/12) und des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg (vom 18. September 2014, AZ 1 KN 123/12) vor erheblichen Rechtsanwendungsproblemen im Zusammenhang mit der Genehmigung von Ferienhäusern und Ferienwohnungen sowie bei der Bauplanung. Problematisch ist vor allem die daraus folgende Unsicherheit beim Umgang mit bestehenden Ferienwohnungen und deren künftige Nutzungsmöglichkeiten. Ungeklärt sind im Wesentlichen zwei Fragen. Erstens: Sind Ferienwohnungen in reinen und allgemeinen Wohngebieten nach §§ 3 und 4 der Baunutzungsverordnung (BauNVO) zulässig? Und zweitens: Ist eine Mischung von Hauptwohnungen und Ferienwohnungen in von der Gemeinde durch Bebauungsplan festgelegten Sondergebieten zulässig ? Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit vom 5. Juni 2015 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Einige Bauämter verweigern die Genehmigung oder verbieten die Nutzung, andere nicht. Eine einheitliche Rechtsanwendung ist nur durch höchstrichterliche Rechtsprechung oder eine bundeseinheitliche Regelung zu erwarten. Inzwischen befasst sich eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit der Thematik. Drucksache 18/5076 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Vo r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Nach der Rechtsprechung insbesondere des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Greifswald (Urteil vom 19. Februar 2014 – 3 L 212/12; vgl. auch OVG Lüneburg , Urteil vom 15. Januar 2015 – 1 KN 61/14) sind Ferienwohnungen in Sondergebieten, die der Erholung dienen (§ 10 der Baunutzungsverordnung – BauNVO), nicht aber in den Baugebieten nach den §§ 2 ff. BauNVO bauplanungsrechtlich zulässig. Diese Rechtsauffassung scheint in einem Widerspruch zur möglicherweise anderen städtebaulichen Praxis insbesondere in touristisch geprägten Gemeinden in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein zu stehen. Hinzu kommt, dass in der Praxis unterschiedliche und vielfach gegenläufige Interessen bestehen: So stehen die Interessen der Ferienwohnungsbetreiber häufig denen benachbarter Grundstücksoder Wohnungseigentümer gegenüber, die sich durch Feriengäste gestört fühlen. Touristisch geprägte Gemeinden haben vielfach ein Interesse am Erhalt der gewachsenen touristischen Strukturen. Zugleich besteht aber – insbesondere in Gemeinden mit angespannten Wohnungsmärkten – ein Interesse daran, dass dem Wohnungsmarkt nicht oder nicht übermäßig (Dauer-)Wohnraum durch den Betrieb von Ferienwohnungen entzogen wird. Für den Vollzug des Bauplanungsrechts sind die Länder zuständig, aber auch die Bundesregierung ist an einer befriedigenden Handhabung in der Praxis interessiert . Das federführende Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) hat sich daher an der zu diesem Zweck von der Fachkommission Städtebau der Bauministerkonferenz, in der der Bund als Gast vertreten ist, eingesetzten Arbeitsgruppe beteiligt. 1. Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung bezüglich der baurechtlichen Zulässigkeit von Ferienwohnungen in Wohngebieten der verschiedenen Typen nach der BauNVO? Für die verbindliche Auslegung des Bauplanungsrechts ist die Rechtsprechung zuständig. Die Bundesregierung neigt der Auffassung zu, dass Ferienwohnungen in den Baugebieten nach §§ 2 bis 7 BauNVO als Ausnahme – jedenfalls in Form des (nicht störenden) Gewerbebetriebs – zugelassen werden können: Es liegen hier keine Anhaltspunkte dafür vor, dass bei Verabschiedung der ersten Fassung der BauNVO im Jahr 1962 oder danach beabsichtigt war, dass Ferienwohnungen in den einzelnen Baugebieten unzulässig sein sollten. § 22 Absatz 1 Satz 4 des Baugesetzbuchs (BauGB) setzt – zusätzlich zu Beherbergungsbetrieben – die Zulässigkeit von Wohngebäuden mit Fremdenbeherbergung voraus, ohne diese Zulässigkeit an einen bestimmten Baugebietstyp zu knüpfen. Zudem wäre es ein befremdliches Ergebnis, wenn eine wahrscheinlich seit Jahrzehnten bestehende städtebauliche Praxis (vgl. auch Reidt/von Landwüst, UPR 2015, 12 [13]) von vornherein rechtswidrig gewesen sein sollte. Auch die Existenz eines Zweckentfremdungsverbot-Gesetzes wie in Berlin (Gesetz über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum [ZwVbG] vom 29. November 2013 [GVBl. Berlin S. 626]) spricht gegen die Annahme, dass Ferienwohnungen bauplanungsrechtlich in den Baugebieten nach §§ 2 ff. BauNVO unzulässig sein sollten ; denn jedenfalls soweit solche Gesetze vor allem auch auf die Verhinderung von Ferienwohnungen zielen, hätte es ihrer andernfalls gar nicht bedurft. Die Bundesregierung weist darauf hin, dass höchstrichterliche Rechtsprechung dazu nicht vorliegt und bedauert, dass im Hinblick auf die abweichende OVGRechtsprechung keine revisionsgerichtliche Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht herbeigeführt wurde. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5076 2. Plant die Bundesregierung baurechtliche Änderungen, um die oben dargestellten Widersprüche aus der Rechtsanwendung und der Rechtsprechung aufzulösen? Wenn ja, welche, und mit welchem Zeitplan? Wenn nein, warum nicht? In Ermangelung einer revisionsgerichtlichen Klärung prüft die Bundesregierung eine Änderung der BauNVO im Zusammenhang mit der anstehenden Städtebaurechtsnovelle zur Umsetzung der geänderten UVP-Richtlinie (UVP = Umweltverträglichkeitsprüfung ). Vorrangiges Ziel ist dabei die Herstellung von Rechtssicherheit . In der vorliegenden rechtlichen Gemengelage ist dabei zu beachten, dass durch eine etwaige Änderung der BauNVO keine unbeabsichtigten Wirkungen für solche Länder verursacht werden, in denen Behörden und Gerichte womöglich seit jeher von der grundsätzlichen Zulassungsfähigkeit von Ferienwohnungen ausgegangen sind. Dem sind sich auch die Länder bewusst, zumal in den einzelnen Ländern wohl auch unterschiedliche Problem- und Interessenlagen bestehen. Das BMUB hat daher eine Länderumfrage gestartet, mit der die Länder gebeten werden, Auskunft zu ihrer bisherigen Verwaltungspraxis in Bezug auf Ferienwohnungen zu geben. Auf dieser Grundlage könnte dann – ein entsprechender Konsens der Länder vorausgesetzt – im Rahmen der anstehenden Städtebaurechtsnovelle ein Regelungsvorschlag unterbreitet werden. Dieser würde – wie bei Städtebaurechtsnovellen üblich – auch in einem Planspiel auf seine Praxistauglichkeit hin untersucht werden, was angesichts der konfliktreichen Ausgangslage von besonderer Zweckmäßigkeit sein dürfte. 3. Inwiefern steht die Bundesregierung im Dialog mit den Bundesländern, um mit diesen ein gemeinsames Vorgehen zu eruieren? Wenn ja, welcher Zeitplan und welche Zwischenschritte liegen dem zugrunde ? Wenn nein, warum nicht? Am 29. April 2015 hat der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Florian Pronold, auf Einladung des Landtagsabgeordneten Holger Heymann an der Inselkonferenz in Hannover teilgenommen, bei der die Thematik auch mit Vertretern aus den betroffenen Kommunen erörtert wurde. Der Inselkonferenz ging eine Reihe von Gesprächen mit Mitgliedern des Deutschen Bundestages aus den betroffenen Regionen voraus. Auf Arbeitsebene hat sich das BMUB als Gast an der im November 2014 von der Fachkommission Städtebau der Bauministerkonferenz eingerichteten Arbeitsgruppe (vgl. Vorbemerkung der Bundesregierung) beteiligt. Endgültige Ergebnisse liegen noch nicht vor. Im Übrigen entspricht es einer bewährten Tradition, dass die Novellen des Städtebaurechts in engem Kontakt mit Ländern und kommunalen Spitzenverbänden erarbeitet werden. 4. Zu welchem Ergebnis ist die Arbeitsgruppe der Fachkommission Städtebau am 12. und 13. März 2015 bezüglich der Mischung von Ferienwohnen und Dauerwohnen gekommen, und was beinhaltet entsprechend die Handlungsempfehlung ? Die Arbeitsgruppe der Fachkommission Städtebau hat sich auf ihrer letzten Sit- zung am 28. Januar 2015 darauf verständigt, der Fachkommission Städtebau für deren nachfolgende Sitzung eine Handlungsempfehlung zur Beschlussfassung Drucksache 18/5076 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode vorzulegen, nach der bei Neuplanungen die Berücksichtigung der Grundsätze des Urteils des OVG Lüneburg vom 18. September 2014 – 1 KN 123/12 – empfohlen wird. In diesem Urteil hat das OVG Lüneburg klargestellt, dass in einem (sonstigen) Sondergebiet „Kurgebiet/Gebiet für Fremdenbeherbergung“ (vgl. § 11 BauNVO) Ferienwohnungen und Dauerwohnungen als Regelnutzung nebeneinander zugelassen werden können. An der Zulässigkeit einer solchen Festsetzung hatte es nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Juli 2013 – 4 CN 7.12 – zunächst teilweise Zweifel gegeben. Diese Handlungsempfehlung wurde auf der Sitzung der Fachkommission Städtebau am 12. und 13. März 2015 nicht abschließend diskutiert. 5. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung dem Ferienhausmarkt, gerade in ländlichen Regionen, bei? Der Ferienhausmarkt ist bedeutsam für den Beherbergungsmarkt in Deutschland . In vielen Tourismusorten gibt es mehr Ferienwohnungen und -häuser als Hotelzimmer. Besonders im ländlichen Raum ist Urlaub in Ferienwohnungen oder -häusern für Eigentümer und alle Branchen, die direkt oder indirekt vom Tourismus profitieren, ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Nach Schätzungen des Deutschen Tourismusverbandes e. V. (DTV) und des Deutschen Ferienhausverbandes e. V. (DFV) existieren deutschlandweit etwa 300 000 Ferienwohnungen ; 56 000 Objekte sind vom DTV zertifiziert. 6. Welche Informationen liegen der Bundesregierung darüber vor, a) in welchen Bundesländern es bisher bereits zur Untersagung von Vermietungen kam, und b) wie diese Untersagungen begründet wurden? Der Vollzug des Städtebaurechts ist nach der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung den Ländern und Kommunen zugewiesen. Die vom BMUB durchgeführte Länderumfrage (vgl. die Antwort zu Frage 2) ist noch nicht abgeschlossen . 7. Mit welchen wirtschaftlichen Nachteilen für die Tourismusbranche im Deutschlandtourismus rechnet die Bundesregierung für den Fall, dass es in den nächsten Jahren bei der widersprüchlichen Rechtslage und Rechtsanwendung bleibt? Sollte sich aufgrund der Rechtsprechung insbesondere der Oberverwaltungsgerichte Greifswald und Lüneburg ohne ein Tätigwerden des Gesetzgebers langfristig eine widersprüchliche Rechtsanwendung ergeben, ist zu befürchten, dass sich insbesondere in Orten mit einem hohen Ferienhausanteil das Angebot verringert , wichtige Einnahmequellen für Einheimische entfallen, Gastronomie und Einzelhandel durch den Ausfall von Gästen mit massiven Umsatzeinbußen rechnen müssen, Gemeinden weniger Einnahmen aus Steuern und Kurtaxe verzeichnen und das Image betroffener Urlaubsorte und -regionen leidet. Gesamtherstellung: H. 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