Deutscher Bundestag Drucksache 18/568 18. Wahlperiode 19.02.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/427 – Umsatzsteuerbetrug im Strom- und Gashandel Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Am 20. Dezember 2013 hat die „Süddeutsche Zeitung“ ausführlich über behördliche Verdachtsmomente bezüglich umfangreicher Umsatzsteuerbetrügereien im Strom- und Gashandel berichtet („Die Strom-Mafia“, S. 17 vom 20. Dezember 2013). Auch staatliche bzw. teilstaatliche Unternehmen sollen möglicherweise Teil so genannter Umsatzsteuerkarusselle gewesen sein. Gleichzeitig findet auf Ebene der Europäischen Union (EU) ein von der Europäischen Kommission angestoßener Prozess zur Reform der gemeinschaftlichen Mehrwertsteuervorschriften statt. Dieser soll die Steuer unter anderem weniger betrugsanfällig machen. Umsatzsteuerbetrug im Strom und Gashandel 1. Welche Kenntnisse haben Bundesbehörden von Umsatzsteuerbetrug im Strom- und Gashandel, und waren diese Kenntnisse der Anlass, für den Bereich der Strom- und Gaslieferungen das Reverse-Charge-Verfahren einzuführen ? Wenn keine konkreten Kenntnisse vorhanden sind, aufgrund welcher Indizien wurde das Reverse-Charge-Verfahren für den Bereich Strom- und Gaslieferungen eingeführt? Der Bundesregierung liegen Informationen sowohl aus den Ländern als auch von den einschlägigen Wirtschaftsverbänden vor, dass es bei der Lieferung von Gas über das Erdgasnetz und von Elektrizität durch im Inland ansässige Unternehmer an Unternehmer zu Steuerausfällen kommt. Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 17. Februar 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Drucksache 18/568 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 2. Sind Bundesbehörden in Untersuchungen bezüglich Umsatzsteuerbetrugs im Strom- und Gashandel eingebunden bzw. betreiben eigene Untersuchungen , und wenn ja, welche Behörden sind involviert? Für die Kontrolle und Erhebung der Umsatzsteuer sind nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes (Artikel 108) die Länder zuständig. Dementsprechend sind Bundesbehörden nicht in Untersuchungen bezüglich Umsatzsteuerbetrugs im Strom- und Gashandel eingebunden oder betreiben eigene Untersuchungen in dem Bereich. Die beim Bundeszentralamt für Steuern angesiedelte Zentrale Stelle zur Koordinierung der Prüfungsmaßnahmen der Länder im Bereich der Umsatzsteuer koordiniert in Absprache mit dem jeweils zuständigen Bundesland Prüfungsmaßnahmen in Fällen, in denen mehrere Bundesländer oder andere EU-Mitgliedstaaten eingebunden werden müssen. 3. Wie viele Verdachtsfälle auf Umsatzsteuerbetrug im Bereich Strom- und Gashandel sind der Bundesregierung bekannt, und in welchen Bundesländern befinden sich diese? Da die Länder für die Kontrolle und Erhebung der Umsatzsteuer nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes (Artikel 108) zuständig sind, liegen der Bundesregierung keine Informationen über die Anzahl der Verdachtsfälle vor. 4. Wie hoch waren die erstatteten Vorsteuerbeträge im Bereich Strom- und Gashandel in den Jahren von 2004 bis 2013? Aus den amtlichen Umsatzsteuerstatistiken auf Basis der Voranmeldungen ergeben sich für die Branchen Elektrizitätsverteilung und -handel und Gasverteilung und -handel durch Rohrleitungen für die Jahre 2004 bis 2011 die in der nachfolgenden Tabelle dargestellten Vorsteuerbeträge. Die dargestellten Vorsteuerbeträge wurden zum Großteil mit Umsatzsteuer verrechnet . Statistische Daten für die Jahre nach 2011 liegen nicht vor. Jahr Abziehbare Vorsteuerbeträge insgesamt davon Vorsteuerbeträge aus Rechnungen von anderen Unternehmen Leistungen im Sinne des § 13b UStG Fälle Mio. Euro Fälle Mio. Euro Fälle Mio. Euro 2004 747 8 949 746 8 501 100 12 2005 795 6 797 793 5 787 158 990 2006 872 8 528 870 7 255 172 1 230 2007 990 12 453 990 10 284 223 2 120 2008 1 014 16 010 1 014 13 143 284 2 787 2009 1 212 19 432 1 211 15 807 303 3 529 2010 1 401 18 277 1 397 14 576 357 3 517 2011 1 528 22 734 1 526 16 211 404 6 396 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/568 5. Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen der Vorsteuerabzug verweigert wurde bzw. erstattete Vorsteuerbeträge zurückgefordert wurden, weil es einen Verdacht auf bzw. nachgewiesenen Umsatzsteuerbetrug gab? Da die Länder für die Kontrolle und Erhebung der Umsatzsteuer nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes (Artikel 108) zuständig sind, liegen der Bundesregierung hierzu keine Informationen vor. 6. Gibt es diesbezüglich Schadensabschätzungen (für einzelne Jahre), und falls ja, in welcher Höhe? Schätzungen zu den Steuerausfällen durch Umsatzsteuerbetrug im Strom- und Gashandel liegen der Bundesregierung nicht vor. 7. Hatten bzw. haben nach Kenntnis der Bundesregierung diese Karussellgeschäfte Einfluss auf die Preisbildung im Großhandel, oder kam es zu Engpässen im Leitungsnetz, die Re-Dispatch-Maßnahmen nach sich zogen? Hierzu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. 8. Sind der Bundesregierung Verdachtsmomente für Umsatzsteuerbetrugsgeschäfte an der Leipziger Strombörse bekannt, und wenn ja, zu welchem Zeitpunkt wurde die Bundesregierung informiert? Der Bundesregierung sind keine Verdachtsmomente für Umsatzsteuerbetrugsgeschäfte an der Leipziger Strombörse bekannt. Auf die Zuständigkeit der Länder für die Kontrolle und Erhebung der Umsatzsteuer nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes (Artikel 108) wird hingewiesen. 9. Sind nach Kenntnis der Bundesregierung staatliche oder teilstaatliche Unternehmen Gegenstand von Ermittlungen zu Umsatzsteuerbetrugsfällen im Strom- und Gashandel? Wenn ja, wie viele staatliche oder teilstaatliche Unternehmen sind betroffen ? Da die Länder für die Kontrolle und Erhebung der Umsatzsteuer nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes (Artikel 108) zuständig sind, liegen der Bundesregierung hierzu keine Informationen vor. 10. Hatten bzw. haben nach Kenntnis der Bundesregierung die Karussellgeschäfte im Strom- und Gashandel Einfluss auf die Planungen zum Leitungsausbau ? Hierzu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. 11. Warum hat die Bundesregierung erst im Jahr 2013 auf die Warnung vom Jahresende 2010 des Bundeszentralamts für Steuern vor einer drohenden Betrugswelle im Strom- und Gashandel (www.bundesnetzagentur.de/ SharedDocs/Downloads/DE/Sachgebiete/Energie/Unternehmen_ Institutionen/HandelundVertrieb/Umsatzsteuerpflichten/InfoBlatt UmsatzsteuerStromGas_pdf. pdf?__blob=publicationFile&v=3) reagiert, und das Reverse-Charge-Verfahren für Strom- und Gaslieferungen eingeführt ? Drucksache 18/568 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode In welcher Höhe schätzt die Bundesregierung die im Zeitraum seit Veröffentlichung der Warnung angefallenen Steuerausfälle durch Umsatzsteuerkarussellgeschäfte im Strom- und Gashandel, und was wurde im Zeitraum seit Veröffentlichung der Warnung im Jahr 2010 bis zur Einführung des Reverse-Charge-Verfahrens im Jahr 2013 unternommen, um Steuerausfälle durch Umsatzsteuerkarussellgeschäfte bei der Lieferung von Strom- und Gas zu vermeiden? Nachdem die ersten Vermutungen vorlagen, dass es beim Handel mit Elektrizität und Gas zu Unregelmäßigkeiten im Bereich der Umsatzsteuer kommen könnte, hat die Zentrale Koordinierungsstelle beim Bundeszentralamt für Steuern ihre Ansprechpartner in den Ländern mittels eines sog. Newletters hierüber unterrichtet . Es gab zudem Kontakte zu einschlägigen Wirtschaftsverbänden mit dem Ziel, dort vorhandene Informationen zur Verhinderung von Hinterziehungsfällen im Bereich der Umsatzsteuer zu nutzen. Mit Schreiben vom 5. Juni 2012 beantragte Deutschland bei der Europäischen Kommission gemäß Artikel 395 der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL) die Ermächtigung, eine gesetzliche Regelung einführen zu können, wonach bei Lieferungen von Elektrizität und Gas im zwischenunternehmerischen Bereich der Leistungsempfänger Steuerschuldner wird. Voraussetzung für einen solchen Antrag ist, dass der antragstellende Mitgliedstaat festgestellt hat, dass betrügerische Aktivitäten zur Schädigung des Steueraufkommens stattgefunden haben. Bloße Vermutungen über betrügerische Handlungen reichen in dem Fall nicht aus. Der Antrag Deutschlands wurde von der Europäischen Kommission am 6. Dezember 2012 abgelehnt. Der erneute Antrag Deutschlands auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vom 18. Februar 2013 hat sich mit den auf EU-Ebene wieder aufgenommenen Verhandlungen zur Änderung der MwStSystRL bezüglich der fakultativen und zeitweiligen Anwendung der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft (Reverse-Charge-Verfahren) auf Lieferungen bestimmter betrugsanfälliger Gegenstände und Dienstleistungen überschnitten. Nach Artikel 199a Buchstabe e MwStSystRL in der Fassung von Artikel 1 Nummer 2 Buchstabe b der Richtlinie 2013/43/EU vom 22. Juli 2013 (ABl. EU 2013 Nr. L 201 vom 26. Juli 2013, S. 4) haben die Mitgliedstaaten seit August 2013 die Möglichkeit, bei Lieferungen von Elektrizität und Gas an Wiederverkäufer den Leistungsempfänger zum Steuerschuldner zu bestimmen. Bis zum Inkrafttreten der nationalen Regelung am 1. September 2013 wurden alle bestehenden Maßnahmen im Bereich der Umsatzsteuerkontrolle auch für diesen Wirtschaftsbereich konsequent angewandt . Zur Höhe der seit Ende 2010 angefallenen Steuerausfälle liegen keine Schätzungen vor. 12. Hat das Urteil vom Bundesfinanzhof (BFH – VR 37/10) vom 22. August 2013 Folgen für die Regelung zur Wiederverkäufereigenschaft bei Stromund Gaslieferungen, die das Bundesministerium der Finanzen ebenfalls an einer 10-Prozent-Grenze festmachen will (Abschnitt 13b.3a Absatz 2 i. V. m. Abschnitt 3g.1 Absatz 2 und 3 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses – UStAE)? Das BFH-Urteil vom 22. August 2013 (VR 37/10) hat keine Folgen für die Regelung zur Wiederverkäufereigenschaft bei Strom- und Gaslieferungen. 13. Sind durch den umsatzsteuerlichen Karussellbetrug im Strom- und Gashandel neben den umsatzsteuerlichen Ausfällen auch Mindereinnahmen bei anderen Steuerarten aufgetreten (wenn ja, bitte Höhe angeben, und nach Steuerart aufschlüsseln)? Hierzu liegen der Bundesregierung keine Daten vor. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/568 Umsatzsteuerbetrug und Betrugsbekämpfung in der Bundesrepublik Deutschland 14. Hat die Bundesregierung konkrete Hinweise, dass in der Bundesrepublik Deutschland aktuell bestimmte Branchen außerhalb des Reverse-ChargeVerfahrens für Umsatzsteuerkarussellbetrugsgeschäfte genutzt werden, und wenn ja, welche? Aufgrund vorliegender Informationen der Länder muss davon ausgegangen werden, dass gegenwärtig Lieferungen von bestimmten Edelmetallen und unedlen Metallen für betrügerische Zwecke in Form von Umsatzsteuer-Karussellgeschäften genutzt werden. 15. Plant die Bundesregierung aktuell eine Ausweitung des Reverse-ChargeVerfahrens auf andere Branchen, und wenn ja, auf welche? Sobald die Bundesregierung endgültig über weitere Ausweitungen zum ReserveCharge -Verfahren entschieden hat, wird dem Gesetzgeber umgehend vorgelegt. 16. Wie viele abgeschlossene Verfahren zu Umsatzsteuerkarussellgeschäften sind der Bundesregierung seit dem Jahr 2005 bekannt, und wie hoch waren die bestandskräftigen Steuermehreinnahmen aus diesen Verfahren (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? Hierzu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. Auf die Antwort zu Frage 5 wird hingewiesen. 17. Welche anderen Formen des Umsatzsteuerbetrugs außerhalb der Karussellgeschäfte treten in der Bundesrepublik Deutschland auf? Können diese Formen des Umsatzsteuerbetrugs durch das ReverseCharge -Verfahren verhindert werden? Neben den Karussellgeschäften sind als andere Formen des Umsatzsteuerbetrugs z. B. normale Umsatzverkürzungen, Anwendung des unzutreffenden Steuersatzes , nicht zutreffende Behandlung eines Umsatzes als umsatzsteuerfrei oder Ohne-Rechnung-Geschäfte bekannt. Diese Formen des Umsatzsteuerbetrugs können durch eine Erweiterung der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers (Reverse-Charge-Verfahren) nicht verhindert werden. 18. Wird die Bundesregierung die Anregungen und die Kritik des Bundesrechnungshofs zum Umsatzsteuervollzug in bestimmten Bereichen (Bundestagsdrucksache 18/111, S. 52 ff.) aufnehmen und geeignete Maßnahmen zur Sicherung des Steueraufkommens treffen (wenn ja, bitte Maßnahmen benennen, und wenn nein, bitte begründen)? Nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes (Artikel 108) sind die Länder für die Kontrolle und Erhebung der Umsatzsteuer und damit auch den Umsatzsteuervollzug zuständig. Die Bundesregierung wird die Anregungen und die Kritik des Bundesrechnungshofes zum Umsatzsteuervollzug in bestimmten Branchen (Bundestagsdrucksache 18/111, S. 52 ff.) zum Anlass nehmen und mit den Ländern erörtern, ob und gegebenenfalls durch welche Maßnahmen in den vom Bundesrechnungshof aufgeführten Bereichen der Steuervollzug weiter optimiert werden kann. Drucksache 18/568 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 19. Wie hoch waren die steuerbehördlichen Niederschlagungen von Umsatzsteuerforderungen in den Jahren von 2010 bis 2013 (bitte pro Kalenderjahr angeben)? In den Jahren 2010 bis 2012 wurden folgende Umsatzsteuerbeträge niedergeschlagen : Für das Jahr 2013 liegen die für die Erstellung der Jahresstatistik erforderlichen Angaben der Länder noch nicht vor. 20. Wie viele Umsatzsteuernachschauen fanden in den Jahren von 2010 bis 2013 statt, und wie hoch waren die umsatzsteuerlichen Mehrergebnisse aus den Umsatzsteuernachschauen (bitte pro Kalenderjahr angeben)? Für das Jahr 2013 liegen die für Erstellung der Jahresstatistik erforderlichen Angaben der Länder noch nicht vor. Umsatzsteuer-Nachschauen werden nicht zum Zweck der Erzielung von umsatzsteuerlichen Mehrergebnissen durchgeführt. Vielmehr werden im Rahmen einer Umsatzsteuer-Nachschau einzelne steuerlich erhebliche Sachverhalte unangekündigt nachgeschaut, wie z. B. einzelne Eingangs- und Ausgangsrechnungen , Verwendungsverhältnisse, die tatsächliche Existenz von Unternehmen. Deshalb werden Mehrergebnisse aus Umsatzsteuer-Nachschauen statistisch nicht erfasst. 21. Wie viele Umsatzsteuersonderprüfungen fanden in den Jahren von 2010 bis 2013 statt, und wie hoch waren die umsatzsteuerlichen Mehr- oder Minderergebnisse aus den Umsatzsteuersonderprüfungen (bitte pro Kalenderjahr angeben)? Für das Jahr 2013 liegen die für die Erstellung der Jahresstatistik erforderlichen Angaben der Länder noch nicht vor. Niederschlagung insgesamt (in 1 000 €) hiervon Niederschlagung aufgrund von Insolvenzverfahren (in 1 000 €) 2010 2 905 881 1 283 734 2011 3 487 042 1 414 848 2012 2 723 610 1 451 811 Jahr Anzahl der durchgeführten Umsatzsteuer-Nachschauen 2010 76 657 2011 77 974 2012 81 064 Anzahl der durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfungen Festgestellte Mehrergebnisse (in 1 000 Euro) 2010 96 138 1 916 250 2011 93 144 1 994 502 2012 91 198 2 361 735 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/568 22. Wie hoch waren die bestandskräftigen umsatzsteuerlichen Mehreinnahmen , die durch die Arbeit der Steuerfahndung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren von 2010 bis 2013 generiert wurden? Welchen Anteil an den bestandskräftigen Mehreinnahmen durch die Steuerfahndung machen diese umsatzsteuerlichen Nachforderungen aus? In den Jahren 2010 bis 2012 wurden folgende Mehreinnahmen durch die Steuerfahndung erzielt: Für das Jahr 2013 liegen die für die Erstellung der Jahresstatistik erforderlichen Angaben der Länder noch nicht vor. 23. Welche nationalen und internationalen Datenbanken mit umsatzsteuerlich relevanten Daten werden von deutschen Steuerbehörden genutzt? Hält die Bundesregierung diese Datenbanken und die Anzahl der Datenbanken für praxistauglich, um Betrug wirksam zu bekämpfen? EU-Ebene Für den Bereich der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs existieren nach dem Kenntnisstand der Bundesregierung keine Datenbanken auf EU-Ebene. Bundesebene ● Datenbank „USEG“ (Umsatzsteuer EG) In der Datenbank erfolgt die Speicherung der Daten, die im Rahmen des innergemeinschaftlichen Kontrollverfahrens über das europäische MehrwertsteuerInformationsaustauschsystems (MIAS) gemäß unionsrechtlicher Vorgaben durch jeden der EU-Mitgliedstaaten vorzuhalten sind. Die zuständigen Bediensteten der Landesfinanzbehörden können über das Verfahren „USLO“ (Umsatzsteuer Länder Online) Daten aus dem innergemeinschaftlichen Kontrollverfahren abrufen, die in der Datenbank „USEG“ gespeichert sind, und über dieses Verfahren zugleich auch Daten abrufen, die von den anderen EU-Mitgliedstaaten in ihren Datenbanken für Zwecke des innergemeinschaftlichen Kontrollverfahrens im Rahmen von MIAS zentral vorgehalten werden. ● Datenbank „ZAUBER“ (Zentrale Datenbank zur Speicherung und Auswertung von Umsatzsteuer-Betrugsfällen und Entwicklung von Risikoprofilen) In der Datenbank erfolgt die bundesweite Erfassung von Betrugsfällen im Bereich der Umsatzsteuer. ● Verfahren „LUNA“ (Länderumfassende Namensauskunft) Durch dieses Onlineverfahren wird eine bundesweite Abfrage bestimmter umsatzsteuerlich relevanter Daten, die von den Landesfinanzbehörden vorgehalten werden, ermöglicht. So kann beispielsweise durch Abfrage im Grunddatenbestand der Länder über die steuerlich erfassten Unternehmer eine mehrfache umsatzsteuerliche Registrierung zu Betrugszwecken verhindert werden. Jahr Mehreinnahmen (gesamt) durch die Steuerfahndung (in Euro) Umsatzsteuerliche Mehreinnahmen durch die Steuerfahndung (in Euro) Anteil der umsatzsteuerlichen Mehreinnahmen an den Mehreinnahmen (gesamt) (in Prozent) 2010 1 745 719 863 702 326 151 40,23 2011 2 228 589 755 984 022 577 44,15 2012 3 079 559 861 2 047 591 861 66,49 Drucksache 18/568 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode ● Datenbank „ISI“ (Informations-System der Informationszentrale für steuerliche Auslandsbeziehungen) In der Datenbank werden Informationen über ausländische Rechtssubjekte (etwa bloße Briefkastenfirma) erfasst. Da für die Betrugsbekämpfung im Bereich der Umsatzsteuer bestimmte Informationen zu Ein- und Ausfuhren, die im Rahmen der Zollabwicklungen von der Zollverwaltung in der Datenbank „ATLAS“ (Automatisiertes Tarif- und Lokales Zoll-Abwicklungs-System) gespeichert werden, Relevanz haben, wird gegenwärtig an der Einrichtung eines Online-Zugriffs der Steuerverwaltung auf die entsprechenden Daten gearbeitet (Verfahren OZEAN – Online-Zugriff der Finanzverwaltung auf Ein-/Ausfuhr-Daten). Gegenwärtig können die zuständigen Bediensteten der Steuerverwaltung elektronisch über das Bundeszentralamt für Steuern entsprechende Anfragen zu den in der Datenbank „ATLAS“ gespeicherten Daten stellen. Länderebene Neben den o. g. Datenbanken stellen die Landesfinanzbehörden ihren Bediensteten weitere auch in Datenbanken hinterlegte Informationen, die für die automationsgestützte Durchführung des Besteuerungsverfahrens auch betreffend der Umsatzsteuer erforderlich sind, zur Verfügung. Insgesamt sind die Datenbanken ein hilfreiches Instrument zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs. 24. Wie viele Amtshilfeersuchen im Bereich der Umsatzsteuer wurden aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union an deutsche Finanzbehörden in den Jahren von 2010 bis 2013 gestellt, und wie lang war die durchschnittliche Bearbeitungsdauer dieser Amtshilfeersuchen (bitte pro Kalenderjahr angeben)? Wie viele dieser Amtshilfeersuchen wurden erst nach mehr als drei Monaten beantwortet? Die Anzahl der im Bereich der Umsatzsteuer aus anderen EU-Mitgliedstaaten gestellten Amtshilfeersuchen an deutsche Finanzbehörden in den Kalenderjahren 2010 bis 2013, die durchschnittliche Bearbeitungsdauer sowie die Anzahl der Amtshilfeersuchen, die erst nach mehr als drei Monaten beantwortet wurden , ergeben sich aus der nachstehenden Tabelle: Da die endgültigen Daten für das Kalenderjahr 2013 im Hinblick auf die DreiMonatsfrist erst ab dem 1. April 2014 ermittelt werden können, wurde für das Kalenderjahr 2013 der Datenbestand zum 10. Februar 2014 berücksichtigt. 25. Wie viele Amtshilfeersuchen im Bereich der Umsatzsteuer stellten deut- Jahr Anzahl der USt-Amtshilfe- ersuchen durchschnittliche Bearbeitungsdauer in Monaten Anzahl der Amtshilfeersuchen , die erst nach mehr als drei Monaten beantwortet worden sind 2010 8 649 3,91 2 765 2011 8 988 3,40 2 392 2012 10 686 3,07 2 889 2013 11 082 2,39 3 288 sche Finanzbehörden an andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/568 in den Jahren von 2010 bis 2013, und wie lang war die durchschnittliche Bearbeitungsdauer dieser Amtshilfeersuchen? Wie viele dieser Amtshilfeersuchen wurden erst nach mehr als drei Monaten beantwortet (bitte die Fragen pro Mitgliedsland der Europäischen Union und Kalenderjahr angeben)? Die Anzahl der von deutschen Finanzbehörden im Bereich der Umsatzsteuer gestellten Amtshilfeersuchen an Finanzbehörden anderer EU-Mitgliedstaaten in den Jahren 2010 bis 2013, die durchschnittliche Bearbeitungsdauer sowie die Anzahl der Amtshilfeersuchen, die erst nach mehr als drei Monaten beantwortet wurden, ergeben sich aus der nachstehenden Tabelle: 2010 2011 2012 2013 A nz ah l d er A m ts hi lfe er su ch en D ur ch sc hn itt lic he B ea rb ei tu ng s- da ue r i n M on at en A nz ah l d er A m ts hi lfe er su ch en , d ie na ch d re i M on at en b ea nt w or te t w or de n si nd A nz ah l d er A m ts hi lfe er su ch en D ur ch sc hn itt lic he B ea rb ei tu ng sd au er in M on at en A nz ah l d er A m ts hi lfe er su ch en , d ie na ch d re i M on at en b ea nt w or te t w or de n si nd A nz ah l d er A m ts hi lfe er su ch en D ur ch sc hn itt lic he B ea rb ei tu ng sd au er in M on at en A nz ah l d er A m ts hi lfe er su ch en , d ie na ch d re i M on at en b ea nt w or te t w or de n si nd A nz ah l d er A m ts hi lfe er su ch en D ur ch sc hn itt lic he B ea rb ei tu ng sd au er in M on at en A nz ah l d er A m ts hi lfe er su ch en , d ie na ch d re i M on at en b ea nt w or te t w or de n si nd AT 361 3,84 94 344 4,00 102 381 2,82 88 292 2,25 77 BE 300 5,21 118 257 5,16 135 355 4,12 128 228 3,12 106 BG 42 2,23 4 60 1,92 9 77 2,17 15 90 2,37 21 CY 33 3,03 11 49 4,41 15 41 3,52 19 50 3,37 25 CZ 213 6,02 159 193 4,13 91 247 3,88 96 227 3,63 99 DK 225 5,90 115 215 3,81 75 178 3,18 55 78 2,35 29 EE 28 2,60 9 16 2,44 2 33 2,11 3 36 1,44 2 EL 77 13,10 65 35 12,70 18 47 11,55 40 39 5,59 32 ES 346 3,68 140 302 3,34 109 312 2,83 84 194 2,63 57 FI 31 1,58 1 28 1,60 0 34 2,05 2 321 1,52 1 FR 499 4,24 211 501 6,42 252 507 4,83 246 15 2,69 116 HR – – – – – – – – – 3 3,50 2 HU 111 5,36 76 96 6,83 76 121 6,59 88 199 5,00 156 IE 18 8,46 11 19 9,28 11 33 6,52 18 27 3,16 11 IT 742 11,82 542 681 8,56 445 848 7,24 580 574 4,22 347 LT 31 4,62 52 38 2,32 4 42 2,62 5 62 2,69 22 LU 111 2,41 23 126 1,83 10 123 2,32 29 48 3,05 25 LV 32 3,95 5 45 2,36 3 67 1,79 7 45 1,88 8 MT 8 2,09 3 15 2,04 1 22 2,02 1 22 2,32 6 NL 636 4,71 250 746 4,29 269 826 3,52 243 544 2,54 164 PL 493 2,77 65 334 2,67 56 525 2,86 103 535 2,91 191 PT 60 5,93 33 51 4,22 25 31 4,14 11 44 2,69 18 RO 181 10,07 114 175 8,25 123 196 6,74 119 199 3,66 118 SE 92 3,10 25 91 2,77 18 79 3,02 21 52 1,75 11 SI 45 1,51 2 44 1,58 0 52 1,84 0 34 1,31 3 SK 70 3,73 29 74 5,60 34 102 6,16 72 115 7,46 110 UK 314 2,28 38 307 3,03 53 290 3,45 71 200 2,86 58 Total 5 099 4,78 2 195 4 842 4,44 1 936 5 569 4,00 2 144 4 273 3,04 1 815 Drucksache 18/568 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Da die endgültigen Daten für das Kalenderjahr 2013 im Hinblick auf die DreiMonatsfrist erst ab dem 1. April 2014 ermittelt werden können, wurde für das Kalenderjahr 2013 der Datenbestand zum 10. Februar 2014 berücksichtigt. Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung auf Ebene der Europäischen Union 26. Hält die Bundesregierung Berechnungen für die Europäische Kommission für plausibel, nach denen die Mehrwertsteuerlücke im Jahr 2011 in der Europäischen Union insgesamt etwa 193 Mrd. Euro und in der Bundesrepublik Deutschland etwa 27 Mrd. Euro betragen haben soll (CPB Netherlands Bureau for Economic Policy Analysis 2013: Study to quantify an analyse the VAT Gap in the EU-27 Member States), und falls nein, welche Annahmen hält die Bundesregierung für plausibel? Der „VAT gap“ setzt sich aus einer Vielzahl von einzelnen Faktoren zusammen, deren Quantifizierung nicht möglich ist. Daher sind die Berechnungen zum „VAT gap“ nicht geeignet, als Entscheidungshilfe insbesondere für weitere Maßnahmen zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs verwendet zu werden. 27. Wie beurteilt die Bundesregierung den bürokratischen Aufwand der aktuellen Praxis einer selektiven und in den Mitgliedstaaten unterschiedlichen Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens? Es liegt in der Natur der Sache, dass Maßnahmen zur Betrugsbekämpfung mit bürokratischem Aufwand für Unternehmen und Verwaltungen verbunden sein können. Aus Sicht der Bundesregierung gilt es, eine Balance zwischen den berechtigten Belangen der Unternehmer und dem öffentlichen Interesse an einer Sicherung des Mehrwertsteueraufkommens zu finden. Die gegenwärtige Praxis beim Reverse-Charge-Verfahren trägt der politischen Realität Rechnung (vgl. auch Antwort zu Frage 28). 28. Unterstützt die Bundesregierung die Initiative der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, in der Europäischen Union einen Systemwechsel bei der Umsatzsteuer hin zu einer allgemeinen Reverse-Charge-Regelung zu vereinbaren (www. spiegel.de/wirtschaft/soziales/walter-borjans-nrwfinanzminister -ueber-umsatzsteuerbetrug-a-914951.html)? Wenn nein, wie begründet die Bundesregierung ihre Haltung? Wenn ja, setzt sich die Bundesregierung im Ministerrat und im Europäischen Rat aktiv für einen Systemwechsel ein, und wie beurteilt die Bundesregierung die Chancen dieser Initiative? Eine entsprechende Initiative der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen ist der Bundesregierung nicht bekannt. Ungeachtet dessen setzt die Einführung eines generellen Reverse-Charge-Verfahrens eine Änderung der MehrwertsteuerSystemrichtlinie voraus. Hierzu bedarf es eines Vorschlags der Europäischen Kommission und einer einstimmigen Entscheidung im Rat. Die Bundesregierung hatte sich insbesondere unter deutscher Ratspräsidentschaft 2007 für die Einführung eines generellen Reverse-Charge-Verfahrens eingesetzt. Aufgrund massiver politischer Vorbehalte einer Reihe von Mitgliedstaaten war und ist dies nicht durchsetzbar. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 11 – Drucksache 18/568 29. Wie oft stand das Thema Umsatzsteuerbetrug in den Jahren von 2009 bis 2013 im Rat für Wirtschaft und Finanzen (EcoFin) der Europäischen Union und im Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs auf der Tagesordnung (bitte Datum und Inhalt der Tagesordnung angeben)? Fragen zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs werden auf europäischer Ebene regelmäßig sowohl im Ecofin-Rat als auch im Europäischen Rat erörtert. Zu beachten ist, dass Aspekte der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs nicht nur bei Rechtsakten von Bedeutung sind, die sich ausweislich ihres Titels mit diesem Thema beschäftigen. Der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs muss vielmehr in allen umsatzsteuerlichen Rechtsakten Rechnung getragen werden. Insoweit verweist die Bundesregierung auf die Tagesordnungen und Niederschriften des Ecofin-Rates (www.consilium.europa.eu/press/council-meetings? lang=de) und Schlussfolgerungen des Europäischen Rats (www.europeancouncil .europa.eu/council-meetings/conclusions?lang=de) sowie auf die ex anteund ex post-Berichterstattung der Bundesregierung. 30. Inwiefern unterstützt die Bundesregierung die Pläne der Europäischen Kommission zur Einführung einer einheitlichen Mehrwertsteuererklärung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union? Die Bundesregierung verweist hierzu auf die Einwände des Bundesrates (Bundesratsdrucksache 735/13), die sie maßgeblich zu berücksichtigen hat (§ 5 Absatz 2 Satz 1 des Gesetzes über die Zusammenarbeit vob Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union – EUZBLG) und dessen Bedenken sie teilt. 31. Welche Maßnahmen sind nach Meinung der Bundesregierung geeignet, um Umsatzsteuerbetrug in der Europäischen Union effizient zu bekämpfen ? Die Bundesregierung befürwortet Verbesserungen am bestehenden System. Der vorrangige Einsatz der Mehrwertsteuer zur Erzielung von Einnahmen und die damit verbundene Reduzierung von Ausnahmen, Optionen und Sonderregelungen könnte die Betrugsanfälligkeit der Mehrwertsteuer erheblich reduzieren. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333