Deutscher Bundestag Drucksache 18/572 18. Wahlperiode 19.02.2014 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 17. Februar 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Harald Petzold (Havelland), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/415 – Erfahrungen mit dem „Aussteigerprogramm für Linksextremisten“ des Bundesamtes für Verfassungsschutz Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Im Oktober 2011 hat das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ein „Aussteigerprogramm “ für so genannte Linksextremisten und Linksextremistinnen gestartet . Dessen Betreuung stellt nach Meinung der Fragesteller einen übersichtlichen Arbeitsaufwand dar, wie die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. ein Jahr nach Programmbeginn gezeigt hatte (Bundestagsdrucksache 17/11412). Insgesamt hatte es lediglich 33 Kontaktaufnahmen gegeben, 19 davon gleich im ersten Monat. Drei Viertel dieser wenigen Anrufe waren nicht ernst gemeint – das dürften wohl Ulkanrufe , Fragen von Journalisten und Journalistinnen oder schlichtweg OffTopic -Querulanten gewesen sein. Nur in drei Fällen sei der „Ausstiegswille“ ernsthaft genug gewesen, um persönliche Gespräche folgen zu lassen. Dabei hat sich dann gezeigt, dass zwei der drei Anruferinnen und Anrufer gerade ein Ermittlungsverfahren am laufen hatten, jedoch gehört das Anbieten eines Strafnachlasses offiziell nicht zum Programm. Am Ende habe ein (in Zahlen: 1) junger Mann aus Bayern mit Hilfe des Verfassungsschutzes die autonome Szene verlassen. Dass die Unterstützung des BfV dabei kausal gewesen ist, geht aus der Antwort nicht hervor. Die Fragestellerin hatte sich schon zu Programmbeginn gedacht, dass Personen , die aus linken politischen Zusammenhängen aussteigen wollen, dazu nicht unbedingt auf die Hilfe des Inlandsgeheimdienstes angewiesen sind. Nach ihrer eigenen Erfahrung genügt es vielmehr, nicht mehr zum jeweiligen Gruppenplenum zu erscheinen und die 1.-Mai-Demo zu schwänzen. Die angekündigten Hilfsangebote des Geheimdienstes (Hilfe beim Umzug, Hilfe bei Vermittlung von Behördenkontakten, Hilfe bei der Arbeitsplatz- und Wohnungssuche usw.) scheinen für die Realisierung des „Ausstiegs“ des einen jungen Bayern nicht erforderlich gewesen zu sein. Im Wesentlichen, so die Bundesregierung in der genannten Drucksache, bestand die geheimdienstliche Unterstützung darin, „als Gesprächspartner“ zu dienen, worauf insbesondere Personen angewiesen seien, die „kaum über soziale Kontakte außerhalb der Drucksache 18/572 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Szene verfügen“ und Angst haben, nach einem Ausstieg keine Freunde mehr zu haben. Es mag für solche Menschen persönlich tragisch sein, dass sie dann ausgerechnet bei einem Mitarbeiter oder einer Mitarbeiterin des gehobenen technischen Dienstes des Inlandsgeheimdienstes, der gerade Telefondienst hat, Zuspruch suchen. Für solche Lagen gibt es aber nach Kenntnis der Fragestellerin geeignetere Hilfsangebote (z. B. Kummertelefone, Priester, Therapeutische Einrichtungen ). Der politische Kern des Programms liegt nach Auffassung der Fragestellerin nicht darin, tatsächlich „Ausstiegshilfe“ anzubieten. Es ist womöglich die Hoffnung damit verbunden, den einen oder anderen Informanten anzuwerben. Im Wesentlichen dürfte das Programm aber Ausdruck des „Extremismusansatzes “ sein, also der Gleichsetzung von Neofaschismus und Linksradikalismus als angeblich gleichermaßen die Demokratie gefährdende „Extreme“. Das verkennt unter anderem, dass Elemente neofaschistischer Politik, wie etwa Rassismus , bis weit in die „Mitte“ der Gesellschaft hineinreichen. Zudem vergibt der Verfassungsschutz nach Beobachtungen der Fragestellerin das Prädikat „linksextrem “ recht großzügig und häufig bereits aufgrund der entschiedenen Ablehnung von Kapitalismus, Faschismus und Krieg. 1. Hat auch im Jahr 2013 ein junger Mann oder eine junge Frau mit Hilfe des Verfassungsschutzes die linke Szene verlassen? Im Jahr 2013 gab es fünf Kontaktaufnahmen zum Aussteigerprogramm für Linksextremisten (AP LEX) des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), die in ernsthafte Informationsgespräche mündeten. Ob die Betroffenen danach ihren Ausstieg aus der linksextremistischen Szene vollzogen haben, ist der Bundesregierung nicht bekannt. 2. Wie viele Kontaktaufnahmen hat das Aussteigerprogramm jeweils insgesamt im Jahr 2012 und im Jahr 2013 verzeichnet? a) Wie viele Anruferinnen und Anrufer bzw. Personen, die sich per E-Mail gemeldet haben, wurden als grundsätzlich ausstiegswillig eingeschätzt? b) In wie vielen Fällen erfolgte der Erstkontakt nicht durch die ausstiegswilligen Personen selbst, sondern durch deren Umfeld bzw. Angehörige usw.? c) Wie viele Anruferinnen und Anrufer wurden als unernst (Ulkanrufe etc.) eingeschätzt (bitte jeweils Geschlecht, Alter und Bundesland angeben)? Im Jahr 2012 gab es 15 Kontaktaufnahmen, davon eine Kontaktaufnahme aus dem persönlichen Umfeld der ausstiegswilligen Person. Im Jahr 2013 gab es fünf Kontaktaufnahmen, davon eine Kontaktaufnahme aus dem persönlichen Umfeld der ausstiegswilligen Person. Im Jahr 2012 wurden zwei Anrufe als nicht ernsthaft eingestuft. Im Jahr 2013 wurden keine derartigen Anrufe verzeichnet. 3. Wie viele dieser ausstiegswilligen Personen waren zum Zeitpunkt ihrer Kontaktaufnahme mit Ermittlungsverfahren konfrontiert oder befanden sich in Haft? Drei ausstiegswillige Personen waren zum Zeitpunkt ihrer Kontaktaufnahme mit Ermittlungsverfahren konfrontiert. Davon befand sich eine Person in Haft. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/572 4. Welche Erfahrungen bei der weiteren Betreuung wurden hinsichtlich der grundsätzlich als ausstiegswillig eingeschätzten Personen gesammelt? Mit wie vielen der zunächst für ausstiegswillig gehaltenen Personen fanden wie viele Folgegespräche mit welchem Ergebnis statt? Im Rahmen der Bearbeitung des AP LEX ist die Erfahrung gemacht worden, dass Aussteigerprozesse komplexe Vorgänge sind, bei denen es in der Regel einer intensiven Zusammenarbeit mit anderen spezialisierten staatlichen und nichtstaatlichen Stellen bedarf. Auch fällt es Ausstiegswilligen häufig schwer, sich vollkommen von den jeweiligen Szeneangehörigen zu lösen, da sie zumeist kaum über andere soziale Kontakte außerhalb des linksextremistischen Spektrums verfügen. Im Jahr 2012 wurden in zwei der in der Antwort zu Frage 2 genannten 15 Fälle von Kontaktaufnahmen Folgegespräche geführt, von denen einer zu einem Ausstieg geführt hat. Bei den fünf Fällen aus dem Jahr 2013 ergaben sich keine Folgegespräche. 5. Wie viele Personen sind jeweils in den Jahren 2012 und 2013 tatsächlich mit Hilfe des Verfassungsschutzes „ausgestiegen“ (bitte hierzu jeweils Alter, Bundesland und Geschlecht sowie den Charakter bzw. die Ausrichtung der verlassenen Organisation bzw. Szene oder Subkultur angeben)? a) Wie viele Gespräche, und wie viele davon, von Angesicht zu Angesicht, gingen diesen Ausstiegen jeweils voraus? b) Was war nach Kenntnis der Bundesregierung bei den betreffenden Personen jeweils der Grund dafür, sich mit ihrem Ausstiegsbegehr ausgerechnet an den Inlandsgeheimdienst zu wenden, und worin bestand ihr Unterstützungsbedarf? In einem Fall aus dem Jahr 2012 ist eine Person mit Hilfe des Verfassungsschutzes aus der linksextremistischen Szene ausgestiegen. Wegen weiterer Einzelheiten zur Person wird auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 7 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. „Erfahrungen mit dem Aussteigerprogramm für Linksextremisten des Bundesamtes für Verfassungsschutz ein Jahr nach dem Start“ auf Bundestagsdrucksache 17/11412 vom 8. November 2012 verwiesen. 6. Hat sich die Unterstützung des Geheimdienstes dabei weiterhin daraufhin beschränkt, jungen Menschen, die fürchten, ihren kompletten Freundeskreis zu verlieren, als „Gesprächspartner“ zu dienen, oder gab es konkretere , auch materielle Unterstützungsmaßnahmen (diese bitte ggf. vollständig auflisten und allfällig entstandene Kosten aufschlüsseln)? Das AP LEX dient in erster Linie als Ansprechpartner für ausstiegswillige Personen aus dem linksextremistischen Spektrum und deren Angehörige, um sich mit diesen über die Probleme der Betroffenen auszutauschen bzw. ihnen Ratschläge für ihre weitere Lebensplanung zu geben. Über einen reinen Auslagenersatz hinaus, z. B. für Reisekosten, wurden an Ausstiegswillige des AP LEX keine materiellen Unterstützungsmaßnahmen geleistet . Drucksache 18/572 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333 7. Inwiefern hat sich die Konzeption des Aussteigerprogramms seit seiner Einführung geändert? Seit der Initiierung des AP LEX hat sich die Konzeption des Programms nicht geändert. 8. Beabsichtigt die Bundesregierung, das Programm weiterzuführen, und wenn ja, inwiefern sind konzeptionelle Änderungen vorgesehen? Ja. Nach Auffassung der Bundesregierung handelt es sich beim AP LEX trotz der zahlenmäßig überschaubaren Anzahl von ernsthaften Anrufern bzw. Ausstiegswilligen um eine sinnvolle Komponente einer mehrdimensionalen Bekämpfungsstrategie und zur Wiedereingliederung von ausstiegswilligen Linksextremisten in die Mehrheitsgesellschaft. Das Programm richtet sich hierbei vor allem an Personen, die sich im extremistischen Spektrum bewegen und sich nicht alleine aus diesem lösen können – aus welchen Gründen auch immer. Grundsätzlich wird seitens des AP LEX der zentrale Aspekt der „Hilfe zur Selbsthilfe“ verfolgt, so dass die Ausstiegswilligen mittels Hilfe der Betreuer des Aussteigerprogramms wieder in ein bürgerliches Leben integriert werden können. Die Erfahrung hat gezeigt, dass für die Kontakte die beratende Unterstützung deshalb besonders hilfreich war, da es ihnen oft an anderen Gesprächspartnern mangelt. Es sind derzeit keine konzeptionellen Änderungen des Programms vorgesehen.