Deutscher Bundestag Drucksache 18/60 18. Wahlperiode 18.11.2013 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Azize Tank, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/25 – Entscheidung des UN-Antirassismus-Ausschusses im Fall Thilo Sarrazin Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r In der Fragestunde des Deutschen Bundestages vom 24. April 2013 wollte die Abgeordnete Sevim Dağdelen wissen, welche konkreten Schlussfolgerungen die Bundesregierung aus der Entscheidung des UN-Antirassismus-Ausschusses (CERD) vom 4. April 2013 (CERD/C/ 82/D/48/2010) zieht, wonach Deutschland im Falle Thilo Sarrazins seine Bevölkerung nicht ausreichend vor rassistischen Äußerungen geschützt habe, etwa in Bezug auf die Gesetzeslage, die Strafverfolgung, die Schulung der Richterschaft und von Strafverfolgungsbehörden , ein breiteres Verständnis von Rassismus u. a., und inwieweit sich die Bundesregierung mit den Bundesländern abspreche, um zu wirksamen Maßnahmen zu kommen, die in der Länderkompetenz liegen. Darauf antwortete die Bundesregierung, sie nähme die Verpflichtungen aus dem Übereinkommen sehr ernst (Plenarprotokoll 17/236, Anlage 31) und sie würde daher die Entscheidung des Ausschusses sorgfältig prüfen, was angesichts der Komplexität der zugrunde liegenden Fragen noch einige Zeit in Anspruch nehmen würde. Dabei würde auch die vom Ausschuss aufgeworfene Frage eine Rolle spielen, ob Änderungsbedarf im deutschen Strafrecht im Hinblick auf eine strafrechtliche Sanktionierung von rassistischen Äußerungen besteht. Zudem würde die Bundesregierung selbstverständlich die Entscheidung in die deutsche Sprache übersetzen, veröffentlichen und die Information aller zuständigen Stellen und Behörden – auch in den Ländern – sicherstellen. Hintergrund der CERD-Rüge war eine Strafanzeige des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg e. V. (TBB) wegen Beleidigung und Volksverhetzung, der aufgrund des Interviews des Bundesbankers und ehemaligen Finanzsenators Thilo Sarrazin in der Zeitschrift „Lettre International“ im Herbst 2009 bei der Berliner Staatsanwaltschaft gestellt wurde. Im Jahr 2009 wurde das Verfahren von der Berliner Staatsanwaltschaft eingestellt. Die Begründung für die Einstellung war, dass seine Äußerungen nicht einer Aufstachelung zum Rassenhass gleichkamen und nicht den öffentlichen Frieden stören konnten sowie außerDie Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Justiz vom 14. November 2013 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. dem von der Meinungsfreiheit gedeckt seien. In seiner Pressemitteilung zur CERD-Rüge erklärt das Deutsche Institut für Menschenrechte e. V.: „Der Ausschuss hat keinen Zweifel daran gelassen, dass Drucksache 18/60 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode die Aussagen Sarrazins in dem Interview rassistisch waren. Überdies hätten sie nach der Anti-Rassismus-Konvention auch sanktioniert werden müssen. Der Ausschuss ist insbesondere zu der Auffassung gelangt, dass die Aussagen Sarrazins rassistisches Gedankengut beinhalten, die den Betroffenen ihren Achtungsanspruch als Menschen absprechen und ihnen in verallgemeinernder Weise negative Eigenschaften zuschreiben. Die Entscheidung des Ausschusses hat über den Einzelfall hinaus Bedeutung: Gesetzeslage und Praxis im Bereich der Strafverfolgung von rassistischen Äußerungen sind im Lichte der Entscheidung auf den Prüfstand zu stellen, um die von solchen Äußerungen unmittelbar Betroffenen wirksam zu schützen und die Menschenwürde als Grundlage unseres Gemeinwesens zu verteidigen.“ (www.institut-fuer-menschenrechte.de). In einer Verbalnote an den CERD stellt die Bundesregierung Änderungen der Gesetzgebung gegen Rassismus in Aussicht (www.migazin.de). „Die Bundesregierung prüft aktuell die deutsche Gesetzgebung zur Strafbarkeit rassistischer Äußerungen im Lichte der Äußerungen des Ausschusses“, heißt es darin nach Presseinformationen vom 13. Juli 2013. Zudem sei die Berliner Staatsanwaltschaft gebeten worden, „jede Möglichkeit zu prüfen, die Entscheidung zur Verfahrenseinstellung zu überdenken“ (www.tagesspiegel.de). Vo r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die Bundesregierung hat im Laufe des Jahres 2013 bereits mehrere parlamentarische Anfragen zur Rüge des CERD beantwortet und betont, dass sie die in der Äußerung des CERD enthaltenen Ausführungen ernst nimmt. Ebenfalls hat sie unterstrichen, welch hohen Wert sie der Bekämpfung jeglicher Formen von Rassismus beimisst. So belegt etwa der seit dem Jahr 2008 bestehende Nationale Aktionsplan gegen Rassismus, der in Konsultation mit Nichtregierungsorganisationen entwickelt wurde, das kontinuierliche Engagement der Bundesregierung. Parallel existiert seit dem Jahr 2007 der Nationale Integrationsplan, der im Jahr 2012 zum Nationalen Aktionsplan Integration weiterentwickelt wurde. Er fasst Integrationsinitiativen des Bundes, der Länder und der Kommunen zusammen und beinhaltet Maßnahmen des Bundes und der Länder sowie Beiträge der Kommunen und Selbstverpflichtungen nichtstaatlicher Organisationen und Akteure. Ein weiteres Beispiel ist das im Jahr 2000 von den Bundesministerien des Innern und der Justiz gegründete Bündnis für Demokratie und Toleranz, das dazu dienen soll, zivilgesellschaftliches Engagement zu vernetzen und öffentlich zu machen. Das Bundesprogramm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ unterstützt Initiativen , Organisationen und Netzwerke auf kommunaler, überregionaler und landesweiter Ebene, die die Demokratie stärken und ein Zeichen gegen Rechtsextremismus , Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus setzen. Die Bundesregierung führt darüber hinaus, z. B. im Forum gegen Rassismus, einen regelmäßigen und intensiven Dialog über die Bekämpfung von Rassismus in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen. Die Maßnahmen der Bundesregierung zur Bekämpfung von Rassismus werden regelmäßig evaluiert und fortentwickelt. Dies vorausgeschickt, beantwortet die Bundesregierung die Fragen wie folgt: 1. Wie beurteilt die Bundesregierung die Rüge Deutschlands durch den AntiRassismus -Ausschuss der Vereinten Nationen (CERD) vom April 2013 wegen der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Thilo Sarrazin wegen Volksverletzung und Beleidigung und die darin enthaltene Feststellung, Deutschland habe mit der Einstellung des Verfahrens gegen das UN-Über- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/60 einkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung verstoßen ? Die Bundesregierung nimmt sowohl die Verpflichtungen aus dem Übereinkommen als auch die Mitteilungen des CERD sehr ernst. Die Bundesregierung verurteilt die von Thilo Sarrazin getätigten Äußerungen. Gleichwohl darf die fundamentale Bedeutung der Meinungsfreiheit in einem demokratischen Rechtsstaat nicht aus dem Blick geraten. Ausführungen dazu finden sich in der abweichenden Meinung der CERD-Mitglieds Carlos Manuel Vazquez. Dort wird darauf hingewiesen, dass das Handeln der Bundesrepublik Deutschland (deren Strafverfolgungsbehörden gegen Thilo Sarrazin wegen Volksverhetzung ermittelt hatten) sich weder willkürlich noch als Rechtsverweigerung darstellt – was grundsätzlich jedoch Voraussetzung für die Feststellung einer Konventionsverletzung gewesen wäre (a. a. O., Rn. 3). Die Bundesregierung nimmt die Rüge dennoch zum Anlass kritischer Prüfung der in Deutschland geltenden Rechtslage, wobei zu berücksichtigen ist, dass verschiedene Rechtsgüter betroffen sind. 2. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Kritik des CERD, die Bevölkerung Deutschlands werde nicht ausreichend vor rassistischen Äußerungen geschützt , da Deutschland seinen menschenrechtlichen Schutzpflichten aus der Antirassismus-Konvention nicht nachgekommen ist? Die Bundesregierung ist sich der Tatsache bewusst, dass der in § 130 Absatz 1 des Strafgesetzbuchs (StGB) eröffnete Bezug zur Störung des öffentlichen Friedens erklärungsbedürftig ist und vom CERD kritisiert wird. Allerdings weist die Bundesregierung auf Folgendes hin: Die Charakterisierung als „geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören“, dient dazu, missbilligenswerte Äußerungen, die mit allen gesellschaftlichen Mitteln bekämpft werden sollten, von denjenigen zu unterscheiden, auf die auch strafrechtlich reagiert werden muss. Dies entspricht dem der deutschen Strafrechtsordnung zugrunde liegenden Prinzip, dass in einem Rechtsstaat das Strafrecht immer das „äußerste Mittel“ (Ultima Ratio) sein muss. Ein zentrales Element bei der Bestimmung der Strafwürdigkeit ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit, auf dessen Bedeutung in einer demokratischen Gesellschaft bereits in der Antwort zu Frage 1 verwiesen wurde. Das sich eröffnende Spannungsfeld und die damit einhergehenden komplexen Abwägungsfragen sind bei der Prüfung der einschlägigen strafrechtlichen Bestimmungen zu beachten. 3. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Einschätzung von Dr. Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte e. V. (DIMR), der den Umgang der Justiz als typisch für den Umgang mit dem Thema Rassismus bezeichnet und ausführt: „Wenn sich Äußerungen gegen eine große Anzahl von Personen richten, wird regelmäßig davon ausgegangen, dass es ihnen an Intensität fehlt, um beleidigenden Charakter zu haben. Dann spielt es auch keine Rolle mehr, ob Äußerungen rassistisch sind“, und welche Schlussfolgerungen zieht sie hieraus (www.tagesspiegel.de)? Sollte mit der Einschätzung nahegelegt werden, dass die deutsche Justiz generell unzureichend auf rassistische Vorkommnisse reagiert, weist die Bundesregierung diese Wertung mit Nachdruck zurück. Der Beleidigungstatbestand des § 185 StGB wird definiert als Kundgabe eigener Missachtung oder Nichtachtung, die dem Betroffenen die Menschenwürde ab- spricht und ihn dadurch in seinem Achtungsanspruch verletzt. Die Menschenwürde aber kommt nicht dem Kollektiv als solchem, sondern allein den indivi- Drucksache 18/60 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode duellen Gruppenmitgliedern zu. Um Opfer einer Kollektivbeleidigung werden zu können, müssen die potentiell Betroffenen deswegen hinreichend individualisierbar sein. Im Zentrum der Überlegungen zur Strafbarkeit wegen Kollektivbeleidigung steht damit nicht die Frage nach der Intensität der Äußerung, sondern die nach der Individualisierung der Mitglieder eines Kollektivs. Nicht immer sind Gruppenbezeichnungen als hinreichend konkret einzustufen, weswegen abschätzige Äußerungen gegenüber einem Kollektiv seltener nach § 185 StGB bestraft werden können als solche gegenüber Einzelpersonen. 4. Hat die Bundesregierung dem CERD die innerhalb von 90 Tagen angeforderte Stellungnahme zu der Rüge übermittelt? Wenn ja, wie lautet diese, und wurde sie dem TBB als Beschwerdeführer übermittelt? Wenn nein, warum nicht? Wann gedenkt die Bundesregierung ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung nachzukommen? Die Bundesregierung hat mit Verbalnote vom 1. Juli 2013 dem CERD fristgerecht eine erste Stellungnahme übersandt. Darin wird mitgeteilt, dass sowohl die zuständigen Stellen der Länder als auch die Berliner Staatsanwaltschaft eine deutsche Übersetzung der Mitteilung erhalten haben, wobei die Staatsanwaltschaft aufgefordert wurde, ihre Verfahrensentscheidung im Lichte der Mitteilungsgründe zu überprüfen. Schließlich weist die Bundesregierung darauf hin, dass sie die einschlägige strafrechtliche Gesetzgebung einer Prüfung unterzieht und das Komitee über relevante Entwicklungen informieren wird. Die Bundesregierung ist gemäß Artikel 14 Absatz 6 Buchstabe b der Konvention und Rule 94 Absatz 2 Satz 1 der Rules of Procedure of the Committee on the Elimination of Racial Discrimination verpflichtet, ihre Stellungnahme dem Komitee zukommen zu lassen. Gegenüber dem Beschwerdeführer trifft sie eine solche Pflicht nicht. Es ist Sache des CERD-Sekretariats, schriftliche Stellungnahmen an die Parteien zu übermitteln (Rule 94 Absatz 4 der Rules of Procedure ). Dieses Prozedere ist sowohl in nationalen als auch internationalen prozessförmigen Auseinandersetzungen üblich. Die Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, hat im Übrigen bereits am 14. Mai 2013 in einem Treffen mit dem Bundesvorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Deutschland die Mitteilung des Ausschusses und mögliche Konsequenzen erörtert. Ihre Stellungnahme gegenüber dem Ausschuss hat die Bundesregierung der Türkischen Gemeinde in Deutschland am 10. Juli 2013 übermittelt. 5. Inwieweit teilt die Bundesregierung angesichts der Tatsache, dass Rassismus gerade nicht allein ein Problem von Neonazis bzw. der extremen Rechten ist, die Kritik von Dr. Hendrik Cremer vom DIMR, dass „bisher meist nur Personen wegen rassistischer Äußerungen verurteilt [wurden], die eindeutig dem rechtsextremen Umfeld angehörten. Der Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft wird unter Umständen nicht als solcher gesehen“ (www. tagesspiegel. de), und welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus? Rassistische Äußerungen und die diesen zugrunde liegenden Denkmuster sind in allen Segmenten der Gesellschaft anzutreffen. Die Bundesregierung ist sich der Tatsache bewusst, dass der am rechten Rand anzutreffende unverhohlene Rassismus leichter zu identifizieren ist als latente Formen. Umso wichtiger ist es Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/60 der Bundesregierung, das sämtliche Schichten der Bevölkerung für Ursachen und Erscheinungsformen von Rassismus zu sensibilisieren und rassistische Äußerungen und Handlungen bekämpft werden. Es handelt sich hierbei nach Überzeugung der Bundesregierung um eine gesamtgesellschaftliche Daueraufgabe. 6. Plant die Bundesregierung vor dem Hintergrund der CERD-Rüge Veränderungen in der Tatbestandsbeschreibung der Straftaten Volksverhetzung nach § 130 bzw. Beleidigung nach § 185 des Strafgesetzbuches (StGB), damit in Zukunft den Empfehlungen des UN-Antirassismus-Ausschusses entsprochen und jegliche rassistische Äußerung strafrechtlich verfolgt werden können, nachdem die Staatsanwaltschaft auch die Strafanzeigen wegen der weiteren, nach Auffassung der Fragesteller umfassenden rassistischen Äußerungen Thilo Sarrazins in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ nicht verfolgt hat und in dem Fall sogar die Berliner Generalstaatsanwaltschaft , das Kammergericht und das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidung bestätigt haben? Auf die Antwort zu den Fragen 1 und 2 wird verwiesen. 7. Welche konkreten Maßnahmen plant die Bundesregierung im Zuge ihrer sorgfältigen Prüfung, die sie laut Antwort auf die Mündliche Frage der Abgeordneten Sevim Dağdelen (Plenarprotokoll 17/236) vornehmen wollte, beispielsweise bezüglich der auch vom Ausschuss aufgeworfenen Frage, ob Änderungsbedarf im deutschen Strafrecht im Hinblick auf die strafrechtliche Sanktionierung von rassistischen Äußerungen besteht? Auf die Antwort zu den Fragen 1 und 2 wird verwiesen. 8. Inwieweit ist die Bundesregierung ihrer Pflicht zur Veröffentlichung der Entscheidung des UN-Antirassismus-Ausschusses vom 4. April 2013 nachgekommen? Ist eine Übersetzung erfolgt, und unter welcher Webadresse ist diese öffentlich nachlesbar? Die deutschen Übersetzungen der Mitteilung des CERD sowie der Abweichenden Meinung des Ausschussmitglieds Carlos Manuel Vazquez wurden erstellt und gemeinsam mit der jeweiligen englischen Originalfassung auf der Website des Bundesministeriums der Justiz veröffentlicht. Die Dokumente sind abrufbar unter der Rubrik: bmj.de/Ministerium/Öffentliches Recht/Menschenrechte/Vereinte Nationen/Beschwerdeverfahren/ Dokumente bzw. unter dem folgenden Link: www.bmj.de/DE/Recht/ OeffentlichesRecht/Menschenrechte/VereinteNationen/_doc/ Beschwerdeverfahren_doc.html?nn=1695012. 9. Durch welche konkreten Maßnahmen ist die Bundesregierung der Empfehlung des CERD gefolgt und hat die Entscheidung des Ausschusses breit bekannt gegeben, auch unter Staatsanwälten und Justizorganen? 10. An welche zuständigen Stellen hat die Bundesregierung, wie sie mitteilte, „den Ländern die Entscheidung zur Verbreitung übermittelt“? Die Fragen 9 und 10 werden aufgrund ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Drucksache 18/60 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Die deutschen Übersetzungen der Mitteilung und der Abweichenden Meinung wurden mit Schreiben vom 28. Mai 2013 an alle Justizverwaltungen der Länder, die für die Weiterleitung an die Gerichte und Staatsanwaltschaften zuständig sind, sowie an das Bundesministerium des Innern und das Auswärtige Amt übersandt . Die Übersetzung wurde darüber hinaus in der Europäischen Grundrechte Zeitschrift (Heft 10-12, EuGRZ 2013, S. 266; auf S. 262 findet sich hier auch eine Anmerkung von Prof. Dr. Christian Tomuschat) und auf der Website des Deutschen Instituts für Menschenrechte e. V. (www.institut-fuer-menschenrechte.de) veröffentlicht. 11. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung getroffen, um, nach der Weiterleitung der Entscheidung des CERD an die Länder, eine aktive Auseinandersetzung durch Staatsanwaltschaft und Richterschaft zu gewährleisten und die Justiz für zeitgenössische Formen des Rassismus zu sensibilisieren? Sämtlichen Richterinnen/Richtern und Staatsanwältinnen/Staatsanwälten in Deutschland steht das Schulungsprogramm der Deutschen Richterakademie (DRA) offen. Die DRA ist eine von Bund und Ländern gemeinsam getragene Einrichtung, die der überregionalen Fortbildung der genannten Berufsgruppen dient. Für das Jahr 2014 beinhaltet ihr Programm eine große Bandbreite von Tagungen, die eine Sensibilisierung für zeitgenössische Formen des Rassismus zum Ziel haben. So wird unter anderem in einer Tagung zur interkulturellen Kompetenz das Bewusstsein für die Besonderheiten anderer Kulturen geschärft, in einer interdisziplinären Tagung zum Jugendstraf- und Familienrecht werden die Themen Fremdenfeindlichkeit und Homophobie behandelt, und in einer Tagung zum Rechtsextremismus die Teilnehmer zu den modernen und unterschiedlichen Erscheinungsformen des Phänomens geschult. 12. Wurde das Forum gegen Rassismus in den Prozess der Umsetzung der Empfehlungen des CERD einbezogen? Wenn nicht, warum nicht? 13. Wann hat das Forum gegen Rassismus, das im Jahr 1998 im Zuge des „Europäischen Jahres gegen Rassismus“ (im Jahr 1997) als Gesprächsforum zwischen staatlichen Stellen, wie der Bundesregierung und Nichtregierungsorganisationen (NGO), ins Leben gerufen wurde, in den letzten drei Jahren mit welcher Tagesordnung getagt (bitte nach konkretem Datum mit entsprechender Tagesordnung auflisten)? Die Fragen 12 und 13 werden aufgrund ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Die Bundesregierung tauscht sich im Forum gegen Rassismus (FgR) mit Nichtregierungsorganisationen regelmäßig zu Fragen der Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aus. Das FgR wurde im Jahr 1998 im Anschluss an das Europäische Jahr gegen Rassismus gegründet und dient seither seinen Teilnehmern als Dialogplattform zu den im Zusammenhang mit Rassismus stehenden Aspekten und Fragen. Das FgR besitzt aufgrund des von allen Teilnehmern einvernehmlich anerkannten Charakters und seiner Struktur eines dialogischen Austauschs keine Exekutiv- oder formale Beratungsfunktion. Daher ist eine Einbeziehung in Umsetzungen von Empfehlungen nationaler oder internationaler Gremien nicht vorgesehen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/60 In den letzten drei Jahren tagte das FgR mit folgenden inhaltlichen Schwerpunkten (ausgenommen organisatorische und die Geschäftsführung des Forums betreffende Tagesordnungspunkte): ● 3. März 2010 Ausblick auf Regierungshandeln und auf die Umsetzung des Koalitionsvertrages , Bundesprogramme- Sachstand und Ausblick, Sachstand Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus, Vortrag mit anschließender Diskussion zu dem Thema: „Antimuslimischer Rassismus – Vorurteilsstrukturen und Mobilisierungskontexte am Beispiel des Mediums Internet“. ● 7. Oktober 2010 Bundesprogramme: Aktueller Stand der Bundesprogramme gegen Rechts- und Linksextremismus, Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts durch demokratische Teilhabe – Zu aktuellen Förderangeboten des Bundes zur Stärkung der ostdeutschen Zivilgesellschaft, Diskussion Begriff „Rasse“, (neue) Schwerpunkte der Arbeit der Antidiskriminierungsstelle (ADS), Aktuelle Entwicklungen in der Integrationspolitik. ● 22. Februar 2011 FgR-Workshop vom 10. Dezember 2010, Die Situation der Roma und Sinti in Deutschland und Europa – Diskriminierung und Ausgrenzung – Vortrag und Diskussion, Informationen zu: Sachstand Expertenkreis Antisemitismus; Sachstand EU-Rahmenbeschluss. ● 7. September 2011 Durban III – Nichtteilnahme Deutschlands, Schutz vor Diskriminierungen bei der Fußball-EM in Polen/Ukraine, Optionsmodell Staatsangehörigkeit. ● 6. März 2012 Darstellung der Maßnahmen der Bundesregierung zur Aufarbeitung „NSU“ und Stellungnahme der zivilgesellschaftlichen Initiativen, zwei Kurzvorträge: Konzepte gegen rechtsextreme Erscheinungsformen im Sport – Handlungsfelder der Deutschen Sportjugend (DSJ) im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), insbesondere der Koordinierungsstelle Fanprojekte (KOS) im Vorfeld der Fußball -Europameisterschaft 2012, Information zur Position der Bundesregierung in internationalen Gremien zur Rassismusbekämpfung. ● 20. September 2012 Sogenanntes Racial profiling/Urteil VG Koblenz vom 28. Februar 2012, Weitere Informationen zu Maßnahmen der Bundesregierung zur Aufarbeitung „NSU“, Antisemitismusbericht des unabhängigen Expertenkreises. ● 7. März 2013 Pressemitteilung des Zentralrats der Sinti und Roma „Appell an den Bundespräsidenten “, Universal Periodic Review (UPR)-Verfahren 2013 durch den VNMenschenrechtsrat , Vorträge und Diskussion „Rechtspopulistische Parteien im Wahlkampf“. 14. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Fragesteller, dass die Rüge an der Behandlung rassistischer Äußerungen durch die Strafjustiz in Deutschland aber auch der Bundesregierung Veranlassung dazu bieten müsste, in öffentlichen Stellungnahmen keine Äußerungen zu machen, die Drucksache 18/60 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode als rassistische Diskriminierung von Zuwanderern oder Flüchtlingen im Sinne des CERD verstanden werden können? Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass generell in öffentlichen Stellungnahmen Äußerungen zu vermeiden sind, die als rassistische Diskriminierung von Zuwanderern oder Flüchtlingen im Sinne des CERD verstanden werden können. Die zentrale Rolle der Meinungsfreiheit als Garant einer freien und produktiven öffentlichen Debatte ist auch in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen . 15. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Fragesteller, dass die Äußerungen des Bundesministers des Innern, Dr. Hans-Peter Friedrich, zum angeblichen „Missbrauch des Freizügigkeitsrechts“ und die Vorhersage, dass die Migration aus Bulgarien und Rumänen „für unsere Sozialsysteme völlig unbeherrschbar [wird] wenn sich überall in Europa Menschen auf den Weg nach Deutschland machen, weil es hier höhere Sozialleistungen gibt“ (www.rp-online.de), dazu angetan ist, weitere Vorurteile gegen Einwanderinnen und Einwanderer zu erzeugen (bitte begründen)? Die Bundesregierung teilt die Einschätzung der Fragesteller nicht, dass die zitierte Äußerung des Bundesministers des Innern, Dr. Hans-Peter Friedrich, aus der „Rheinischen Post“ vom 5. Juni 2013 dazu angetan ist, Vorurteile insbesondere gegen Zuziehende aus den neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu erzeugen. Es ist essentieller Bestandteil einer Debatte in einer pluralistischen Gesellschaft, über aktuelle Ereignisse und Entwicklungen auch pointiert zu diskutieren . Im Übrigen hat Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich immer deutlich gemacht, dass der überwiegende Teil der Zuwandernden aus den neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Voraussetzungen für die Ausübung des europäischen Freizügigkeitsrechts erfüllt und nach Deutschland kommt, um hier beispielsweise eine Beschäftigung oder ein Studium aufzunehmen. 16. Welche Konsequenzen bzw. Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den in Frage 15 zitierten Äußerungen des Bundesinnenministers vor dem Hintergrund, dass laut Rheinisch-Westfälischem Institut für Wirtschaftsforschung e. V. 80 Prozent der Menschen, die seit Beginn der Mitgliedschaft in der Europäischen Union im Jahr 2007 aus Bulgarien und Rumänien nach Deutschland gekommen sind, einer Erwerbsarbeit nachgehen – davon 22 Prozent als Hochqualifizierte und 46 Prozent als Qualifizierte – (www.berlin-institut.org) und die Arbeitslosigkeit unter Bulgaren und Rumänen mit 9,6 Prozent deutlich niedriger ausfällt als unter allen Ausländern (16,4 Prozent), also lediglich 0,4 Prozent aller Arbeitslosen ausmacht (Bundestagsdrucksache 17/13322)? Der Befund, dass ein großer Anteil der aus Bulgarien und Rumänien Zugezogenen in Deutschland einer Erwerbsarbeit nachgeht, widerspricht – anders als durch die Fragestellung nahe gelegt – ebenso wenig der in Frage 15 zitierten Äußerung von Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich wie die Berechnung , dass die Arbeitslosenquote unter Bulgaren und Rumänen in Deutschland mit Stand vom 31. Dezember 2012 bei 9,6 Prozent lag (vgl. Antwort der Bundesregierung vom 26. April 2013 – Bundestagsdrucksache 17/13332 – zu Frage 4 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/12895). Wie in der Antwort zu Frage 15 dargestellt, erfüllt der überwiegende Teil der aus den neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union nach Deutschland Zuwandernden die Voraussetzungen des europäischen Freizügigkeitsrechts. Die Zu- zugszahlen haben sich allerdings in den vergangenen Jahren stark erhöht und Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/60 werden voraussichtlich auch auf absehbare Zeit deutlich steigen. Damit dürfte auch die Zahl derjenigen Personen weiter zunehmen, die die Voraussetzungen für die Ausübung des Freizügigkeitsrechts nicht erfüllen. Die zitierte Aussage von Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich bezog sich insbesondere auf mögliche künftige Entwicklungen. Dazu hat bereits der öffentliche Appell des Deutschen Städtetages vom Januar 2013 deutlich gemacht, dass diese Formen der Zuwanderung zu wachsenden Belastungen für die Systeme der kommunalen Daseinsvorsorge und für die Sozialsysteme führen werden. Im Übrigen steht die in der Frage zitierte Angabe, wonach 80 Prozent der seit 2007 aus Rumänien und Bulgarien Zugezogenen einer Erwerbsarbeit nachgingen , in Zweifel. Denn setzt man die sich zum Jahresende 2012 aus dem Ausländerzentralregister (AZR) ergebenden Zahlen mit den einschlägigen Beschäftigungszahlen der Bundesagentur für Arbeit in Beziehung, so ergibt sich eine erheblich geringere Quote von Erwerbstätigen (vgl. in diesem Zusammenhang die Antworten der Bundesregierung vom 26. April 2013 – Bundestagsdrucksache 17/13332 – zu den Fragen 2 und 4 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/12895). 17. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung bezüglich der in Frage 15 wiedergegebenen Einschätzung von Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich vor dem Hintergrund ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/13322, in der sie einräumen musste, dass es sich bei der Migration aus Rumänien und Bulgarien nicht in erster Linie um sogenannte Armutsmigration handelt? Der Befund, dass es sich bei der bis zum 31. Dezember 2012 statistisch erfassten Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien nicht in erster Linie um so genannte Armutsmigration gehandelt hat (vgl. Antwort der Bundesregierung vom 26. April 2013 – Bundestagsdrucksache 17/13332 – zu Frage 4 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/12895), steht – anders als durch die Fragestellung nahe gelegt – nicht im Widerspruch zu der in Frage 15 zitierten Äußerung von Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich. Eine Reihe von Kommunen und Städten sieht sich jedoch durch wachsende Probleme mit Zuziehenden aus den neuen Mitgliedstaaten belastet. Verschiedene deutsche Großstädte berichten über zunehmende Belastungen, insbesondere in den Bereichen medizinische Versorgung, Beschulung und Durchsetzung der Schulpflicht, Wohnsituation oder Unterbringung von Obdachlosen. Angesichts des Umstandes, dass der Zuzug aus den neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union weiter zunehmen wird, ist nicht damit zu rechnen, dass sich diese Probleme in Zukunft verringern. 18. Inwieweit ist die Bundesregierung nach wie vor der in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage (Bundestagsdrucksache 17/9531) zu Frage 4 geäußerten Auffassung bezogen auf die Ermittlungen zur Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU), „die ermittelnden Landespolizeien [hätten] damals keine wirklich belastbaren Hinweise, die auf Taten einer rechtsextremen Gruppierung hindeuteten“, mit der sie die Aussage von Stefan Hebel, politischer Autor der „Frankfurter Rundschau“, wonach „Polizisten, die dem türkischen Opfer mehr misstrauen als den Tätern; Behörden, die von ‚Döner-Morden‘ reden und die Spuren nach rechts ignorieren ; Politiker, die (wie vor ein paar Jahren Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel) von ‚Flüchtlingsbekämpfung‘ reden […] jenseits aller schönen Worte von Integration und friedlichem Zusammenleben dem rechten Rand Drucksache 18/60 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode das Material für seine verlogene Legitimation“ liefern, für nicht zutreffend hielt? Die Frage, ob Ermittlungsbehörden in Deutschland fehlerhaft mit vorliegenden Hinweisen auf rechtsextremistische Hintergründe der NSU-Mordserie umgegangen sind, wurde unter anderem intensiv im Rahmen des 2. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode (NSU-Untersuchungsausschuss) behandelt. Dieser kommt im Abschlussbericht vom 22. August 2013 zu dem Ergebnis, dass keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass irgendeine Behörde in Deutschland vor dem 4. November 2011 Kenntnis von der Verantwortung des NSU für die schrecklichen Mordtaten und die sonst ihm zugeschriebenen Straftaten hatte oder gar in diese verstrickt war. Gleichwohl stellt der NSU-Untersuchungsausschuss fest, dass schwere Organisationsmängel bei Behörden von Bund und Ländern sowie Fehlleistungen einzelner Behördenmitarbeiter und -mitarbeiterinnen zum Misserfolg der Strafverfolgungsbehörden und Verfassungsschutzämter beigetragen haben. Die Bundesregierung hat den NSU-Untersuchungsausschuss von Beginn an vorbehaltlos bei seiner Aufklärungsarbeit unterstützt und arbeitet bereits seit Bekanntwerden des NSU gemeinsam mit den Landesregierungen daran, unter anderem durch eine strukturell und organisatorisch veränderte Bekämpfung des Rechtsextremismus, dass sich Vergleichbares in Deutschland nicht wiederholen kann. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333