Deutscher Bundestag Drucksache 18/66 18. Wahlperiode 20.11.2013 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/29 – Vermehrung und Freisetzung von Legionellen aus Kühltürmen von Kraftwerken Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r In der Literatur wird die Freisetzung von Legionellen aus Kühltürmen von Kraftwerken beschrieben. Verschiedentlich wurden – vor allem in Frankreich – Legionellenausbrüche in Verbindung mit der Emission von Legionellen aus Kühltürmen in Verbindung gebracht (siehe Informationsblatt für Betreiber von Verdunstungsrückkühlwerken – VRKW – des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit sowie Bundestagsdrucksache 16/7689). Der Energiekonzern Vattenfall Europa Sales GmbH musste Anfang September 2013 einen Probelauf des neuen Steinkohlekraftwerks Hamburg-Moorburg abbrechen und dort einen Hybridkühlturm außer Betrieb nehmen, weil im Kühlwasser Legionellen entdeckt wurden (siehe www.klimaretter.info vom 4. September 2013). Um die Vermehrung und Freisetzung von Legionellen aus Kühltürmen zu verhindern , werden u. a. chlorhaltige Desinfektionsmittel eingesetzt. Bei der Arbeitsgemeinschaft der Wasserwerke Bodensee–Rhein (AWBR) ist es zu Irritationen über die Emission von Desinfektionsmitteln aus dem Kühlwasserkreislauf im schweizerischen Atomkraftwerk (AKW) Leibstadt gekommen, etwa über die Ableitung des hochkonzentrierten Reinigungswassers in den Rhein und die fehlenden Informationen im Vorfeld über Umfang, Zeitpunkt und mögliche Auswirkungen der Maßnahmen auf die Wasserbeschaffenheit des Rheins seitens der AKW-Betreiber (siehe AWBR-Jahresberichte 2011 und 2012). 1. Welche Informationen liegen dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) und/oder dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) über die Vermehrung und Freisetzung von Legionellen aus den Kühltürmen deutscher und ausländischer Kraftwerke vor? Gibt es repräsentative Messungen über die Konzentration von Legionellen Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom 18. November 2013 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. im Immissionsbereich von Kühltürmen? In Verdunstungskühlanlagen kann es prinzipiell zur Vermehrung und zum Austrag von Legionellen kommen, insbesondere wenn die Anlagen nicht fachge- Drucksache 18/66 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode recht betrieben, gewartet und überprüft werden. Solche Anlagen sind auch bei mehreren Legionellen-Ausbrüchen als Infektionsquelle identifiziert worden. Große Naturzugkühltürme von Kraftwerken wurden bisher nicht als Infektionsquelle beschrieben, obwohl Legionellen in solchen Kühltürmen nachgewiesen werden können (Anmerkung: „cooling towers“ in der englischsprachigen Literatur bezieht sich nicht nur auf große Kühltürme, sondern wird oft auch für Verdunstungskühlanlagen verwendet). Einzelne Messungen im Umfeld von Naturzugkühltürmen haben bisher in den meisten Fällen keinen Legionellennachweis und nur in wenigen Proben den Nachweis ganz geringer Legionellenkonzentrationen ergeben. Da es bisher kein standardisiertes Messverfahren zum Nachweis von Legionellen in Luftproben gibt, wurden noch keine repräsentativen Messungen durchgeführt. Das Umweltbundesamt (UBA) ist dabei, im Rahmen eines UFOPLAN-Vorhabens (UFOPLAN = Forschungsrahmen und Umweltforschungsplan) (Laufzeit 2012 bis 2014) ein Verfahren zum Nachweis von Legionellen in Luftproben zu entwickeln , mit dem dann umfangreiche und valide Messungen in der Umgebung von Verdunstungskühlanlagen möglich werden. 2. Welche Desinfektions- und Konditionierungsmittel werden nach Kenntnis der Bundesregierung in den Kühlwasserkreisläufen deutscher Kraftwerke eingesetzt? Zur Vermeidung von Biofilmen kann im Bedarfsfall in deutschen Kraftwerken unter Beachtung des Anhangs 31 der Abwasserverordnung das Kühlzusatzwasser durch Stoßbehandlung behandelt werden. Meistens wird dazu Natriumhypochlorit verwendet. In Abhängigkeit von der Art und Menge des Kühlwassers können auch andere Stoffe eingesetzt werden. Einen Überblick über die in deutschen Kraftwerken eingesetzten Desinfektions- und Konditionierungsmittel gibt die nachstehende Tabelle: Konditionierungs- und Zusatzmittel (u. a. Mikrobizide) für Kühlsysteme Ziel Mittel Beispiele Eigenschaften Härtestabilisierung Polyphosphate Stabilisierung der Restcarbonathärte ; nicht hydrolysestabil Phosphororganische Verbindungen Polyol-Phosphorsäureester, Aminoalkylphosphonate, Phosphonocarbonsäuren, Phosphinocarbonsäuren Stabilisierung der Gesamthärte; abbau- und hydrolysestabil Polycarboxylate Polyacrylate, Polymethacrylate, Polymaleinate Dispergiermittel Polycarboxylate Polyacrylate, sulfonierte Copolymere, Polyacrylamide Vermeidung von Ablagerungen ; abbau- und hydrolysestabil schwachschäumende Tenside Polyalkylenglykole Korrosionsinhibierung Zinkionen, Phosphat, Phosphonate, Triazole Ausbildung von Schutzschichten Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/66 Weitergehende Informationen können dem UBA-Text 70/02 „Einsatz umweltverträglicher Chemikalien in der Kühlwasserkonditionierung“ (ISSN 0722- 186X) entnommen werden. 3. Liegen der Bundesregierung bzw. der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR), der Internationalen Kommission zum Schutz der Elbe (IKSE) oder der Internationalen Kommission zum Schutz der Oder (IKSO) Informationen vor, welche Desinfektions- und Konditionierungsmittel ● in Kühlwasserkreisläufen im Elbeeinzugsgebiet der Tschechischen Republik, ● in Kühlwasserkreisläufen im polnischen Odereinzugsgebiet, ● in den Kühlwasserkreisläufen der Kraftwerke im schweizerischen Rheineinzugsgebiet sowie ● in den Kühlwasserkreisläufen der französischen Kraftwerke am Oberrhein und an der Mosel eingesetzt werden? Zu Bioziden in Kühlsystemen hat die IKSR bereits im Jahr 2002 den Fachbericht Nr. 132 erarbeitet, der auf der IKSR-Internetseite verfügbar ist www.iksr.org/index.php?id=190&tx_ttnews%5Btt_news%5D=334&cHash=3 e24504f404e9a14182de809b4edad84. Aufgrund der Emissionen aus dem Atomkraftwerk Leibstadt befasst sich derzeit eine IKSR-Arbeitsgruppe mit dem Biozideinsatz bei der Legionellenbekämpfung in Kraftwerken. Zu den anderen genannten Flussgebietskommissionen liegen keine Informationen vor. Das Thema spielt in den dortigen Diskussionen keine Rolle. 4. Falls der Bundesregierung zu Frage 3 keine Informationen vorliegen, wird sie sich dann über die IKSR, die IKSE und die IKSO dafür einsetzen, dass diese Daten zeitnah erhoben werden? Die Bundesregierung sieht – von den Arbeiten in der IKSR abgesehen – keine Notwendigkeit, diese Daten zeitnah in den internationalen Flussgebietskommissionen erheben zu lassen. 5. Sind durch die im angrenzenden Ausland eingesetzten Kühlwasserdesinfektions - und -konditionierungsmittel Gefährdungen der Gewässerökologie und/oder der Trinkwassergewinnung zu befürchten? Da der Bundesregierung keine spezifischen Erkenntnisse über die in Kraftwerkskühlsystemen eingesetzten Desinfektions- und Konditionierungsmittel im Ausland vorliegen, kann auch keine Beurteilung der Gefährdung vorgenommen werden. Alle Anrainerstaaten – mit Ausnahme der Schweiz – sind Mitglied der Konditionierungs- und Zusatzmittel (u. a. Mikrobizide) für Kühlsysteme Mikrobizide biozide Wirkstoffe Hypochlorit, Chlordioxid, Hypobromit, Ozon, Wasserstoffperoxid, organische Biozide Vermeidung von Biofilmen (Biofouling) EU und müssen im Rahmen der Genehmigung von Anlagen die besten verfüg- Drucksache 18/66 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode baren Techniken (BVT), die im BVT-Merkblatt „Industrielle Kühlsysteme“ beschrieben werden, zugrundelegen. 6. Kann bezüglich der deutschen Kraftwerke ausgeschlossen werden, dass trotz des Einhaltens der Anforderungen aus dem branchenspezifischen Anhang zur Abwasserverordnung eine Gefährdung der Gewässerökologie und/oder der Trinkwassergewinnung durch die Desinfektions- bzw. Konditionierungsmittel eintritt? Freisetzungen von Kühlwasserdesinfektions- und konditionierungsmitteln können bei deutschen (wie auch bei ausländischen Anlagen) nie ganz ausgeschlossen werden. Bei einem ordnungsgemäßen Betrieb solcher Anlagen sind jedoch keine Gefährdungen der Gewässerökologie oder des Trinkwassers zu erwarten. 7. Muss nach den Freisetzungsereignissen in Leibstadt und der Kritik der AWBR der entsprechende Anhang zur Abwasserverordnung überarbeitet werden? Das AKW-Leibstadt unterliegt nicht dem deutschen Anlagen-Rechtsregime. Bei Anwendung der Abwasserverordnung und der Anforderungen des Anhangs 31 in Leibstadt kann davon ausgegangen werden, dass es nicht zu diesem „Vorfall“ gekommen wäre. Daher sieht die Bundesregierung keine Notwendigkeit den Anhang 31 der Abwasserverordnung zu überarbeiten. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333