Deutscher Bundestag Drucksache 18/67 18. Wahlperiode 20.11.2013 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/28 – Vermehrung und Freisetzung von Legionellen in kommunalen Kläranlagen und industriell-gewerblichen Vorreinigungsanlagen Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Als ein möglicher Auslöser der Legionellenerkrankung von 165 Menschen und für den legionellenbedingten Tod von drei Menschen in Warstein im August und im September 2013 wird die Vermehrung von Legionellen in der Abwasservorreinigungsanlage der Warsteiner Brauerei vermutet (siehe u. a. Onlineausgaben der FAZ vom 4. September 2013, DIE ZEIT vom 11. September 2013 und der Ruhr-Nachrichten vom 5. September 2013). Es wird angenommen, dass die hohen Abwassertemperaturen in Verbindung mit einem reichlich vorhandenen Nährstoffangebot (Hefen aus dem Brauprozess) sowohl die Vermehrung der Legionellen als auch der Amöben – als Wirt der Legionellen – begünstigt haben. Aus der Vorkläranlage der Brauerei soll sodann das amöben- und legionellenhaltige Brauereiabwasser in die kommunale Kläranlage von Warstein und von dort in den Westerbach gelangt sein. Zwei Kilometer unterhalb der Einleitung der kommunalen Kläranlage habe ein Industriebetrieb Kühlwasser aus der Wester entnommen. Durch das Rückkühlwerk sollen die Legionellen dann in die Atmosphäre emittiert worden sein. Nachdem bereits infolge des Legionellenausbruchs in Ulm im Jahr 2010 von Fachleuten eine schärfere Kontrolle von Rückkühlwerken angemahnt worden ist, wurde diese Forderung im Hinblick auf den Warsteiner Legionellenausbruch wiederholt (u. a. vom Hygienespezialisten Prof. Dr. Martin Exner) – offenbar weil seit dem Legionellenausbruch in Ulm keine entsprechenden Schritte unternommen worden sind. Vo r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Legionelleninfektionen durch Kläranlagen sind bisher nur bei Arbeiten im diDie Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom 18. November 2013 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. rekten Umfeld von Belebungsbecken mit hohen Legionellenkonzentrationen beschrieben worden (zwei Fälle in Finnland bei papierverarbeitenden Industrien). Es gibt bisher weltweit keine beschriebenen Legionelleninfektionen im weiteren Drucksache 18/67 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Umfeld von Kläranlagen. In den meisten Veröffentlichungen zu kommunalen Kläranlagen werden nur geringe Konzentrationen an Legionellen beschrieben. Nach bisher vorliegenden Erkenntnissen sind Infektionsquellen vor allem nicht regelmäßig gewartete aerosolerzeugende Wassersysteme, in denen Dampf oder Sprühnebel entstehen wie Kühl- und Klimaanlagen (Verdunstungskühlanlagen), Trinkwasserinstallationen, Schwimm- und Badebecken sowie Whirlpools. Kläranlagen stehen daher nicht im Fokus der Überlegungen zur Vermeidung von Legionellenausbrüchen. Infolge der Ereignisse von Ulm im Jahr 2010 hat das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) veranlasst, dass technische Richtlinien zu Errichtung und Betrieb von Verdunstungskühlanlagen erarbeitet werden. So wird derzeit bei der Kommission zur Reinhaltung der Luft eine technische Richtlinie zu Hygieneanforderungen an Verdunstungskühlanlagen erarbeitet , die beschreibt, wie beim Bau, Betrieb und Instandhaltung vorzugehen ist, um eine Vermehrung von Legionellen zu verhindern. Ein Gründruck wird für Ende des Jahres 2013 erwartet. Diese Richtlinie sieht u. a. regelmäßige Untersuchungen auf Legionellen im Kühlwasser vor. Werden nach dieser Richtlinie Legionellen nachgewiesen, müssen je nach Konzentration abgestufte Maßnahmen ergriffen werden. Bei sehr hohen Konzentrationen müssen direkt Maßnahmen zur Gefahrenabwehr erfolgen bis hin zur Außerbetriebnahme der Anlage . Darüber hinaus befinden sich technische Richtlinien zur Umweltmedizinischen Bewertung von Legionellen und anlagenbezogenen, schutzgutbezogenen, umweltmedizinisch relevanten Messparametern in Vorbereitung. Das BMU ist mit den für den Vollzug zuständigen Immissionsschutzbehörden im Gespräch, um nach Lösungen zu suchen, wie die Einhaltung und Überwachung der technischen Regeln sichergestellt werden kann. 1. Inwieweit liegen dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) und/oder dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) Informationen vor, die den obigen Vorgang, wie er in der Presse beschrieben worden ist, bestätigen, modifizieren oder gänzlich infrage stellen? Nach Angaben des Umweltbundesamtes wird beim Legionellenausbruch in Warstein als Infektionsquelle ein Rückkühlwerk (besser: Verdunstungskühlanlage ) angenommen, in dem auch der Ausbruchsstamm nachgewiesen wurde. Die Stilllegung dieser Verdunstungskühlanlage führte mit hoher Wahrscheinlichkeit nach bisherigen Erkenntnissen zu einer Beendigung des Ausbruchs. Nicht regelmäßig gewartete Verdunstungskühlanlagen bieten unter bestimmten Bedingungen gute Vermehrungsmöglichkeiten für Legionellen, so dass unabhängig von der Qualität des Rohwassers bei nicht regelmäßig gewarteten Anlagen mit dem Vorkommen von Legionellen in solchen Anlagen gerechnet werden muss. Daher ist die regelmäßige Wartung und deren Überwachung von Verdunstungskühlanlagen wichtig, damit Legionellenausbrüche wirkungsvoll verhindert werden. In Warstein ergab sich die besondere Situation, dass bereits das Rohwasser, das zur Kühlung aus dem Fluss entnommen wurde, relativ hohe Konzentrationen an Legionellen aufwies. Es wird vermutet, dass die Legionellen über den in der Presse beschriebenen Weg (Abwasser Warsteiner Brauerei, kommunale Kläranlage ) in den Fluss gelangt sind. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/67 2. Inwieweit liegen dem BMU und/oder dem BMG Informationen seitens der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) vor, welche Länder aufgrund der Ereignisse in Warstein bereits gezielt Untersuchungen in den Vorreinigungsanlagen der Lebensmittelbranche und verwandter Branchen mit vergleichsweise hohen Abwassertemperaturen und hohem Nährstoffangebot in Auftrag gegeben haben? Zu welchen Ergebnissen haben diese Untersuchungen ggf. geführt? 3. Inwieweit liegen dem BMU und/oder dem BMG Informationen seitens der LAWA vor, welche Länder aufgrund der Ereignisse in Warstein bereits gezielt Untersuchungen in den kommunalen Kläranlagen in Auftrag gegeben haben, in die die Abwässer aus den genannten Indirekteinleiterbranchen eingeleitet werden? Zu welchen Ergebnissen haben diese Untersuchungen ggf. geführt? Die Fragen 2 und 3 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Nach dem Kenntnisstand der Bundesregierung wurden die Vorkommnisse in Warstein vom Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Naturund Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen zum Anlass genommen , ein Monitoringprogramm durchzuführen und zu überprüfen, ob es besondere Konstellationen gibt, in denen ein Legionellenrisiko vorhanden ist. Das Monitoringprogramm umfasst 27 ausgewählte kommunale Kläranlagen. Daneben werden auf freiwilliger Basis durchgeführte Untersuchungen anderer Kläranlagenbetreiber ausgewertet. Das Monitoringprogramm wird noch fortgeführt. Ein abschließendes Ergebnis liegt noch nicht vor. Basierend auf den bisherigen Rückläufen kann ein flächendeckendes Legionellenproblem für kommunale Kläranlagen mit großer Wahrscheinlichkeit bereits heute ausgeschlossen werden . 4. Hält die Bundesregierung die bisherigen Aktivitäten der Länder zur Eruierung von Legionellenbefunden in indirekteinleitenden Betrieben mit vergleichsweise hohen Abwassertemperaturen und hohem organischen Nährstoffangebot sowie in kommunalen Kläranlagen für ausreichend? Welche Schritte hält die Bundesregierung ggf. für angemessen? Welche Gespräche laufen derzeit diesbezüglich zwischen der Bundesregierung , dem BMU und dem BMG mit der LAWA, mit anderen geeigneten Länderkoordinationsgremien und ggf. in Bund-Länder-Arbeitskreisen? Der Bundesregierung liegen bislang keine umfassenden Informationen vor, die es erlaubten, alle Aktivitäten zu beurteilen. Die Bundesregierung nutzt derzeit die bestehenden Bund-Länder-Gremien, sich auch über die Aktivitäten der Länder zu informieren. 5. Welche Informationen liegen dem BMU und/oder dem BMG in Hinblick darauf vor, wie die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA) sowie die Branchenverbände der Lebensmittelindustrie und anderer infrage kommenden Branchen auf die Legionellenbefunde in Warstein reagieren wollen, um die Vermehrung und Freisetzung von Legionellen und Amöben in kommunalen Kläranlagen bzw. in industriellen Vorreinigungsanlagen künftig zu verhindern? Die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA) geht nach Kenntnis der Bundesregierung davon aus, dass nach bisheri- gem Erkenntnisstand die hohen Legionellenbefunde der kommunalen Klär- Drucksache 18/67 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode anlage in Warstein auf die Zuleitung von mit Legionellen belastetem warmen Brauereiabwasser zurückzuführen sind. Vergleichende Untersuchungen in anderen kommunalen Kläranlagen und die jahrzehntelange Erfahrung mit diesem Verfahren der kommunalen Abwasserreinigung haben nach Auskunft der Vereinigung bisher keine Hinweise darauf gegeben, dass normale kommunale Kläranlagen Ausgangsorte für Legionelleninfektionen sind. Der Ruhrverband hat nach Auskunft innerhalb weniger Tage die auf dem Belebungsbecken vorhandene Oberflächenbelüftung durch eine Reinsauerstoffbegasung ersetzt und das Belebungsbecken zur Verhinderung von Aerosolausbreitung abgedeckt. Darüber hinaus wurde im Ablauf der Anlage eine UV-Desinfektion installiert. Diese Maßnahmen führten zu einer weitgehenden Reduktion der Legionellen im Ablauf. Informationen über das geplante Vorgehen in vergleichbaren Fällen liegen der Bundesregierung nicht vor. 6. Muss befürchtet werden, dass aufgrund des Klimawandels (höhere Sommertemperaturen , lang anhaltende Hitzeperioden) und aufgrund weitergehender Wassersparbemühungen in Industrie und Gewerbe die Abwassertemperaturen im Sommer auch in kommunalen Kläranlagen derart ansteigen , dass vermehrt mit einem Legionellenwachstum in den Belebtschlammbecken gerechnet werden muss? Wird die Bundesregierung diese Problematik ggf. in der Deutschen Klimaanpassungsstrategie berücksichtigen? Die Bundesregierung erwartet nicht, dass es aufgrund von Klimaveränderungen zu einem erhöhten Wachstum von Legionellen in kommunalen Kläranlagen kommt. 7. Inwieweit muss befürchtet werden, dass das Personal auf kommunalen Kläranlagen und auf industriellen Vorreinigungsanlagen durch Aerosolbildung der Gefahr einer Legionelleninfektion ausgesetzt ist, insbesondere dann, wenn Oberflächenbelüfter und andere aeorsolbildende Belüftungseinrichtungen eingesetzt werden? Welche Schritte werden seitens des BMU, des BMG sowie nach Kenntnis der Bundesregierung der Länder, der DWA und der Branchenverbände erwogen , um das auf „legionellenverdächtigen“ Anlagen tätige Personal ggf. vor Infektionen zu schützen? Tätigkeiten in Kläranlagen unterliegen der Biostoffverordnung. Konkrete Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten enthält die Technische Regel für biologische Arbeitsstoffe TRBA 220 „Sicherheit und Gesundheit bei Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen in abwassertechnischen Anlagen“. Dort wird als baulich-technische Maßnahme eine Minimierung der Aerosolbildung bei Oberflächenbelüftern durch Einhausung, Abdeckung oder Spritzschutzeinrichtungen genannt. Nach der technischen Regel ist Atemschutz zu tragen, wenn die inhalative Aufnahme biologischer Arbeitsstoffe in Form von Spritzern und Aerosolen durch technische und organisatorische Maßnahmen nicht verhindert werden kann. Die DWA geht davon aus, dass bei Beachtung der bestehenden Vorschriften das Betriebspersonal kommunaler Kläranlagen nach derzeitigem Stand der Erkenntnisse keinen besonderen gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt ist. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/67 8. Wird die Bundesregierung nach den Vorgängen in Warstein die branchenspezifischen Anhänge der Abwasserverordnung für die Lebensmittelindustrie und verwandter Branchen dahingehend überarbeiten, dass künftig in die „allgemeinen Anforderungen“ sowohl für direkt- als auch für indirekteinleitende Betriebe die Verhinderung einer Vermehrung und Freisetzung von Legionellen mit aufgenommen wird? Wenn nein, warum nicht? Belastbare Erkenntnisse aus Industriebereichen mit Abwasser, das ggf. die Vermehrung von Legionellen begünstigt (Temperatur, Nährstoffe) liegen nicht vor. Daher ist zurzeit nicht absehbar, ob und inwieweit Änderungen entsprechender Anhänge der Abwasserverordnung erforderlich werden. Die Beratungen in den betroffenen Bund-Länder-Gremien bleiben abzuwarten. 9. Was wird die Bundesregierung unternehmen, damit Rückkühlwerke und ähnliche Anlagen künftig so konsequent überwacht werden, dass die Bevölkerung im Immissionsbereich dieser Anlagen vor einer Infizierung mit Legionellen sicher geschützt ist? Hält die Bundesregierung die von Nordrhein-Westfalen gestartete Initiative des Bundesrates zu einer schärferen Kontrolle von Rückkühlwerken für ausreichend? Verdunstungskühlanlagen unterliegen dem Anwendungsbereich des BundesImmissionsschutzgesetzes (BImSchG). Bei nach dem BImSchG genehmigungsbedürftige Anlagen können auf der Grundlage des BImSchG und des untergesetzlichen Regelwerkes wie der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft bereits bei der Errichtung der Anlage und auch beim Betrieb entsprechende Maßnahmen zum Schutz vor und zur Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen von den zuständigen Landesbehörden gefordert werden. Bei der Mehrzahl der Anlagen handelt es sich allerdings um nicht genehmigungsbedürftige Anlagen. Bundeseinheitliche immissionsschutzrechtliche Anforderungen liegen für diese Anlagen nicht vor. Die Einhaltung der immissionsschutzrechtlichen Anforderungen liegt hier ausschließlich im Verantwortungsbereich des Betreibers. Es sollten die Möglichkeiten genutzt werden, auf die Betreiber, Planer und Anlagenbauer dieser Anlagen zuzugehen, um auf die umweltrelevanten Gefahren hinzuweisen und diese zu Maßnahmen zur Verhinderung der Entstehung von Legionellen aufzufordern. Dem BMU ist die Bundesratsinitiative von Nordrhein-Westfalen zu einer schärferen Kontrolle von Rückkühlwerken nicht bekannt. 10. Geht die Bundesregierung davon aus, dass bei der Vielzahl der anstehenden Legionellenuntersuchungen im Abwasserbereich die Kapazität von Laboreinrichtungen ausreicht, um in komplizierten Substraten – wie Belebtschlamm , Abwasser und Klärschlamm – Legionellen sicher zu detektieren ? Nach den derzeitigen Kenntnissen ist eine massenhafte Untersuchung von Belebtschlamm , Abwasser und Klärschlamm nicht angezeigt. Daher stellt sich die Frage nach der Laborkapazität nicht. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333