Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 12. November 2015 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 18/6719 18. Wahlperiode 16.11.2015 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Katrin Kunert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/6508 – Leistungen nach den Härterichtlinien des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes im Vergleich zum Bundesentschädigungsgesetz V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die in den 1950er und 1960er Jahren vorherrschende Anerkennungspraxis für NS-Opfer in Verbindung mit der Schließung des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) im Jahr 1969 haben dazu geführt, dass zahlreiche Opfer des Naziregimes nicht als Verfolgte anerkannt worden sind und deswegen keine Leistungen nach dem BEG erhalten. Das gilt beispielsweise für viele Homosexuelle, Opfer der Wehrmachtsjustiz, Zwangssterilisierte, „Euthanasie“-Geschädigte, Sinti und Roma, sogenannte Asoziale, Zeugen Jehovas usw. Sie alle waren Opfer massiver politischer, häufig rassistisch motivierter Verfolgung. Als solche wurden sie aber meist erst ab den 1980er Jahren in einem schrittweisen Prozess anerkannt. Weil sie zu diesem Zeitpunkt aber keine Anträge nach dem BEG mehr stellen konnten, sind sie bis heute entschädigungsrechtlich schlechter gestellt als jene Verfolgten, die bereits im Jahr 1969 als solche anerkannt waren. Für die Betroffenen wirkt sich das als Fortsetzung ihrer bereits im „Dritten Reich“ erfahrenen Diskriminierung aus. Die genannten Opfergruppen erhalten heute allenfalls Leistungen nach den Härterichtlinien des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes (AKG-HL), die aber deutlich unter den Leistungen des BEG liegen. Sie sehen in der Regel nur eine Einmalzahlung in Höhe von rund 2 500 Euro vor, für die Opfergruppe der Zwangssterilisierten außerdem eine laufende Beihilfe von derzeit 320 Euro monatlich sowie in besonderen Ausnahmefällen zusätzliche Leistungen in unterschiedlicher Höhe. Hingegen beträgt die durchschnittliche Lebensschadensrente nach dem BEG rund 955 Euro pro Monat, der Durchschnitt aller BEG-Entschädigungsrenten 651 Euro (Bundesministerium der Finanzen Dok. 2014/0826938). Entschädigungszahlungen für Freiheitsentziehungen, Schäden an Eigentum und Vermögen, Nachteile beim beruflichen Fortkommen usw., die das BEG vorsah, sind in den AKG-Härterichtlinien so gut wie gar nicht enthalten. Terminologisch unterscheiden die Regelungen „Verfolgte“ (BEG) und „Opfer“ (AKG-Härterichtlinien) faschistischer Unrechtshandlungen. Die Fragesteller können allerdings nicht erkennen, dass es begründet wäre, Berechtigten nach den AKG-Härterichtlinien im Vergleich zu BEG-Berechtigten pauschal ein weniger schweres Verfolgungsschicksal zu unterstellen. Somit stellt sich die Frage, Drucksache 18/6719 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode wie es gerechtfertigt wird, ersteren geringere Entschädigungszahlungen zu gewähren . V o r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Diese Kleine Anfrage vergleicht sehr unterschiedliche Leistungen für Opfer des NS-Unrechts. Das im Oktober 1953 in Kraft getretene Bundesentschädigungsgesetz (BEG) sieht einen Ausgleich für einen näher zu bestimmenden Schaden vor, der durch NS-Unrechtsmaßnahmen verursacht wurde. Nach Ablauf der gesetzlichen Schlussfrist zum Jahresende 1969 konnten keine Anträge auf die gesetzlichen Entschädigungsansprüche mehr gestellt werden. Ab 1980 wurden für NS-Verfolgte im Sinne des § 1 BEG, die keine gesetzlichen Ansprüche geltend machen konnten, außergesetzliche Leistungen nach Härterichtlinien der Bundesregierung gewährt. Gesetzliche Ansprüche nach dem BEG und die außergesetzlichen Leistungen zum Ausgleich von besonderen Härten, wie die Artikel-2-Vereinbarung mit der Jewish Claims Conference (JCC) aus dem Jahr 1992, unterscheiden sich grundlegend . Während das BEG einen gesetzlichen Anspruch auf Entschädigung für verfolgungsspezifische Schäden begründet, sehen die außergesetzlichen Härteregelungen freiwillige Leistungen unter Beachtung des Gleichbehandlungsgebotes des Artikel 3 GG auf der Grundlage des Haushaltsgesetzes vor. Die gesetzlichen Ansprüche richten sich in der Höhe nach dem durch die Verfolgung verursachten Schaden. Die außergesetzlichen Leistungen hingegen sind zumeist als pauschale Beihilfe zum Lebensunterhalt ausgestaltet, die bei Vorliegen eines bestimmten Verfolgungsschicksals gewährt werden kann. Eine Gleichbehandlung der in der Kleinen Anfrage angesprochenen Opfergruppen muss also an anderen Opfergruppen ausgerichtet werden, die ebenfalls keine gesetzlichen Entschädigungsansprüche hatten. Hier sind z. B. die jüdischen NS-Verfolgten zu sehen , die eine Inhaftierung oder ein vergleichbares Verfolgungsschicksal erlitten haben und heute eine außergesetzliche Leistung nach der Artikel-2-Vereinbarung erhalten. Sie können durch eine monatliche Beihilfe in Höhe von 320 Euro unterstützt werden. Hinterbliebene, die kein eigenes Verfolgungsschicksal erlitten haben , können nach dieser Regelung nicht berücksichtigt werden. 1. Wie viele Personen haben bislang insgesamt einmalige Leistungen nach den AKG-Härterichtlinien erhalten, und in welcher Gesamthöhe? Nach den Richtlinien der Bundesregierung über Härteleistungen an Opfer von nationalsozialistischen Unrechtsmaßnahmen im Rahmen des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes (AKG-Härterichtlinien), vom 19. März 1988, erhielten bis zum Stichtag 31. Dezember 2014 6 303 Personen einmalige Leistungen in einer Gesamthöhe von 14 522 999,84 Euro. 2. Wie viele Personen beziehen gegenwärtig laufende Leistungen nach § 4 der AKG-Härterichtlinien, und in welche Opfergruppen schlüsselt sich dieser Personenkreis auf? Nach Angaben der zuständigen Bundesfinanzdirektion West beziehen gegenwärtig 181 Personen laufende Leistungen nach § 4 der AKG-Härterichtlinie. Davon sind 179 Personen Zwangssterilisierte und 2 Personen Euthanasiegeschädigte. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/6719 3. Wie viele Personen erhalten gegenwärtig ergänzende laufende Leistungen in besonderen Notlagen nach § 6 der AKG-Härterichtlinien? 89 Personen erhalten gegenwärtig ergänzende laufende Leistungen nach § 6 AKG-Härterichtlinie. a) Wie schlüsselt sich dieser Personenkreis auf in die in § 6 der AKG-Härterichtlinien genannten vier Konstellationen (KZ-Haft ab neun Monaten, Freiheitsentziehung in einem Gefängnis oder einer Euthanasie-Anstalt ab 18 Monaten, Verstecktleben ab 30 Monaten oder Zwangssterilisation)? 5 Personen erhalten ergänzende laufende Leistungen wegen KZ-Haft. 9 Personen erhalten ergänzende laufende Leistungen wegen Freiheitsentziehung im Gefängnis oder Euthanasie-Anstalten. 75 Personen erhalten ergänzende laufende Leistungen wegen Zwangssterilisation . b) Wie hoch ist die Gesamtsumme der gegenwärtig ausgezahlten ergänzenden laufenden Leistungen pro Monat? Die Gesamtsumme der gegenwärtig ausgezahlten monatlichen Leistungen beträgt 39 292 Euro. c) Wie hoch ist die durchschnittliche monatliche Summe der gewährten Leistungen pro Person? Die durchschnittliche monatliche Summe pro Person beträgt 441,48 Euro. 4. Welche Gesamtsumme an wie viele Leistungsbezieher nach dem BEG wurden bis zum heutigen Zeitpunkt ausgezahlt, und welche Gesamtsumme an wie viele Leistungsbezieher nach den AKG-Härterichtlinien? Bis zum 31. Dezember 2014 hat die Bundesregierung Mittel in Höhe von 47,523 Mrd. Euro für BEG-Leistungsempfänger ausgezahlt. In Durchführung der AKG-Härterichtlinien wurden bis zum 31. Dezember 2014 132 264 298,50 Euro gezahlt. Hierin enthalten sind auch einmalige Leistungen an Zwangssterilisierte aufgrund eines Erlasses des Bundesministeriums der Finanzen aus dem Jahr 1980. Die Gesamtzahl der Leistungsberechtigten wird in beiden Fällen statistisch nicht erfasst. 5. Wie begründet die Bundesregierung, dass in § 6 AKG-Härterichtlinien die Gewährung von ergänzenden laufenden Leistungen nur für solche Personen vorgesehen ist, die mindestens neun Monate in einem Konzentrationslager waren bzw. mindestens 30 Monate lang unter menschenunwürdigen oder besonders erschwerten Bedingungen versteckt waren, angesichts der Tatsache, dass für jüdische Opfer solche Befristungen in dem Artikel-2-Abkommen zur Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus nicht vorgesehen sind? Inwiefern erwägt die Bundesregierung, auf diese Fristen auch in den AKG-Härterichtlinien zu verzichten? Ergänzende laufende Leistungen als weitergehende Hilfen sind für besondere Ausnahmefälle vorgesehen, in denen außergewöhnliche Umstände vorliegen. Drucksache 18/6719 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Hierbei sind insbesondere die Art und die Schwere der Unrechtsbehandlung zu berücksichtigen. Die Verwaltungspraxis wird zurzeit überprüft. 6. Wie ist in der Vergangenheit nach Kenntnis der Bundesregierung bei Anträgen den AKG-Härterichtlinien damit umgegangen worden, dass manche Sterilisationen formell mit dem Einverständnis der Betroffenen erfolgten, diese aber faktisch gezwungen wurden, ihr – scheinbares – Einverständnis zu erklären (z. B. in KZ-Haft)? Ein solcher Sachverhalt ist von der zuständigen Bundesfinanzdirektion West nicht erfasst. 7. Hat die Bundesregierung Grund, davon auszugehen, dass der Personenkreis der BEG-Berechtigten durchweg ein schlimmeres Verfolgungsschicksal erlitten hat, als der Personenkreis der (nur) nach den AKG-Härterichtlinien Berechtigten (falls ja, bitte erläutern)? Gesetzliche Ansprüche nach dem BEG und die außergesetzlichen Leistungen nach den AKG-Härterichtlinien unterscheiden sich grundlegend, es wird insoweit auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. 8. Sieht die Bundesregierung eine ungerechtfertigte finanzielle Schlechterbehandlung zwischen den NS-Opfern, die laufende Leistungen nach den AKG-Härterichtlinien erhalten, und jenen, die Zahlungen nach dem BEG erhalten (bitte begründen)? Die Leistungen nach den AKG-Härterichtlinien wurden seit deren Inkrafttreten mehrfach erhöht und verbessert. Sie fügen sich damit in den allgemeinen Rahmen der Entschädigungsleistungen ein. Die Bundesregierung ist sich dabei bewusst, dass sich erlittenes Unrecht durch keinerlei Geldleistung wiedergutmachen lässt. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. 9. Sieht die Bundesregierung eine ungerechtfertigte finanzielle Schlechterstellung in dem Umstand, dass Hinterbliebenen von NS-Verfolgten, die getötet oder in den Tod getrieben wurden bzw. an den Folgen der Misshandlungen verstorben sind, vom BEG Leistungen zugesprochen wurden, Hinterbliebenen von Opfergruppen, wie von Euthanasie-Opfern, Deserteuren, Homosexuellen usw., solche Leistungen aber in der Regel nicht zustehen (abgesehen von den Ausnahmen unter § 7 Absatz 3 der AKG-Härterichtlinien? Wenn ja, welchen Bedarf sieht sie gegebenenfalls für den Ausgleich einer solchen Schlechterstellung (bitte begründen)? Einmalige oder laufende Leistungen können nach den AKG-Härterichtlinien grundsätzlich nur Menschen erhalten, die selbst unmittelbar den NS-Unrechtsmaßnahmen ausgesetzt waren. Die AKG-Härterichtlinien stehen insoweit im Einklang mit den entsprechenden, dem BEG nachfolgenden Regelungen für jüdische Opfer des Nationalsozialismus. Die Bundesregierung hält daher an der in den Entschädigungsgesetzen festgelegten Unterscheidung zwischen mittelbarer und unmittelbarer Betroffenheit fest. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333