Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 19. Februar 2016 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 18/7642 18. Wahlperiode 23.02.2016 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/7479 – Straftaten in der Silvesternacht 2015/2016 V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r In der Nacht vom 31. Dezember 2015 auf den 1. Januar 2016 kam es in mehreren Städten Deutschlands zu teilweise massiven Übergriffen von Gruppen junger Männer auf Frauen. Zum jetzigen Zeitpunkt wird über Hunderte von Sexualund Eigentumsdelikten berichtet. Die Vorkommnisse sind in der politischen Diskussion rasch unter dem Gesichtspunkt einer zukünftigen Verschärfung der Asyl-, Ausländer- bzw. Auslieferungsgesetze betrachtet worden. Ausschlaggebend dafür waren Berichte über ein „nordafrikanisches“ bzw. „arabisches“ Erscheinungsbild der mutmaßlichen Täter. Eine empirische Auswertung der Tatverdächtigen gibt es aber bis heute nicht und kann es auch nicht geben, weil die Ermittlungen noch andauern. Die Fragesteller treten entschieden dafür ein, sexuelle Übergriffe zurückzuweisen und sowohl gesellschaftlich als auch polizeilich und strafrechtlich zu bekämpfen . Sie lehnen aber eine Ethnisierung dieses Deliktes, wie jeglicher Kriminalitätsform , ab. Bei sexueller Nötigung ist allenfalls das Geschlecht von Tatverdächtigen relevant. Eine Relevanz des ethnischen oder nationalen Hintergrundes der Tatverdächtigen können die Fragesteller allenfalls dann erkennen, wenn es um die Fahndung nach konkreten Personen geht. Sie halten eine Versachlichung der Debatte über die Vorkommnisse in der Silvesternacht für dringend erforderlich. Dazu muss zunächst einmal eine Übersicht über die tatsächlichen Ereignisse gewonnen werden. Hierzu gibt es laut „Süddeutscher Zeitung“ vom 23. Januar 2016 einen Lagebericht des Bundeskriminalamtes (BKA), der ausführt, dass es Eigentums- und Sexualstraftaten nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch in einer Reihe anderer Bundesländer gegeben hat. Dabei gebe es weder Erkenntnisse zu Verabredungen unter den Tätern noch zu Organisierter Kriminalität. Der Lagebericht verdeutlicht laut „Süddeutscher Zeitung“ auch die Problematik , die sich aus der Anforderung ergibt, den Migrationshintergrund der Tatverdächtigen anzugeben. So wird mal von „arabischem Erscheinungsbild“, mal von „nordafrikanischem/arabischem/südeuropäischem/osteuropäischem Aussehen“ oder allgemein von „ausländischem Erscheinungsbild“ gesprochen, „ohne zu erläutern, worin dieser Augenschein besteht oder wodurch vom Aussehen der Person auf seine Nationalität zu schließen war.“ Die Fragesteller weisen darauf Drucksache 18/7642 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode hin, dass ihrer Kenntnis nach zuletzt die Nazis versucht haben, durch „rassekundliche “ Untersuchungen von äußeren Merkmalen auf Ethnie oder Nationalität (bzw. im Nazijargon „Rasse“) von Individuen zu schließen. Das ist weder wissenschaftlich haltbar noch politisch wünschenswert. V o r b e me r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Das Bundeskriminalamt BKA erhielt den Auftrag zur Durchführung einer ersten „Lageerhebung zu den polizeilich relevanten Ereignissen in der Silvesternacht 2015/2016“ (im Folgenden nur noch „Lageerhebung“) aus den Gremien der Innenministerkonferenz (IMK). Die Lageerhebung wurde auf Grundlage der im Rahmen einer eingesetzten Bund-Länder-Projektgruppe erhobenen Zulieferungen der Länder zusammengestellt, innerhalb der Arbeitsgruppe (AG) Kripo abgestimmt und am 19. Januar 2016 der Arbeitskreis (AK) II Geschäftsstelle übermittelt . Die Erhebung umfasst ausschließlich Taten im Zeitraum 31. Dezember 2015, 18:00 Uhr, bis 1. Januar 2016, 6:00 Uhr. Als Erhebungsstichtag wurde der 13. Januar 2016 gewählt. Im Rahmen der Abstimmung in den Gremien der IMK wurde die Lageerhebung gemäß der Verschlusssachenanweisung als „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch“ (VS-NfD) eingestuft. Eine Veröffentlichung der Lageerhebung steht unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Länder, da die in ihr verarbeiteten Daten dem Veröffentlichungsvorbehalt der IMK unterliegen. Aus diesem Grunde werden bei der nachfolgenden Beantwortung der Kleinen Anfrage diejenigen Aussagen, die auf der VS-NfD eingestuften Lageerhebung beruhen, in einer gesonderten Anlage übermittelt, welche VS-NfD eingestuft ist. 1. Ist die Bundesregierung bereit, dem Deutschen Bundestag den erwähnten Lagebericht des BKA zu übermitteln (bitte begründen, wenn nicht)? Die Bundesregierung hat die Lageerhebung mit Schreiben vom 28. Januar 2016 an den Innenausschuss des Deutschen Bundestages versandt. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. 2. Wie lautete der Auftrag an das BKA bei der Erstellung des Lageberichts? Welche Kriterien wurden dabei genannt, und wie wurden diese definiert? Die Beantwortung dieser Frage ist der Bundesregierung in dem für die Öffentlichkeit einsehbaren Teil der Beantwortung aus Geheimhaltungsgründen nicht möglich. Die Antwort der Bundesregierung auf die betroffene Frage muss als „VS-Nur für den Dienstgebrauch“1 eingestuft werden. Hinsichtlich der Begründung der Einstufung als VS- Nur für den Dienstgebrauch wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. 3. Welche grundlegenden Erkenntnisse und ggf. Schlussfolgerungen enthält der BKA-Lagebericht? 4. In welchen Bundesländern wurden in Bezug auf die Nacht vom 31. Dezember 2015 auf den 1. Januar 2016 wie viele und welche Delikte angezeigt, (bitte mindestens nach Sexual- und Eigentumsdelikten aufgliedern)? 1 Das Bundesministerium des Innern hat die Antwort als „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft. Die Anlage ist im Parlamentssekretariat des Deutschen Bundestages hinterlegt und kann dort von Berechtigten eingesehen werden. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/7642 Falls hierin Mehrfacherfassungen enthalten sind: Um wie viele Opfer von angezeigten Sexual- und Eigentumsdelikten geht es dabei? 5. Inwiefern unterscheidet sich die Zahl oder die Art der Tatausführung dieser Delikte im jeweiligen Bundesland von Zahl und Tatausführung zu vergleichbaren Anlässen in der Vergangenheit (Silvester, Karneval und andere Großereignisse )? Welche weiteren relevanten Singularitäten der Kriminalitätslage in der Silvesternacht 2015/2016 ergeben sich aus dem Lagebericht? 6. Wann wurden die jeweiligen Anzeigen zu Straftaten in der Silvesternacht gestellt (bitte angeben, an welchem Tag in welchem Bundesland wie viele Anzeigen hinsichtlich Eigentums- sowie Sexualdelikten eingingen)? a) Wie viele der anzeigenden Opfer sind Frauen, wie viele Männer? b) Wie detailliert waren diese Anzeigen, was Beschreibung des Tathergangs, der Tatumstände und mutmaßlicher Täter betrifft? c) In welchem Umfang wurden die Anzeigen direkt persönlich in Polizeidienststellen aufgegeben, bzw. in wie vielen Fällen gingen die Anzeigen über das Internet ein? Wie viele wurden anonym aufgegeben? Die Fragen 3 bis 6 werden gemeinsam beantwortet. Auf die Antwort zu Frage 2 wird verwiesen. 7. Inwiefern ist auch bei den Opfern ein möglicher Migrationshintergrund erfasst worden, und welche näheren Angaben dazu kann die Bundesregierung machen? Bei der Anzeigenaufnahme wird üblicherweise lediglich die Staatsangehörigkeit des Zeugen/der Zeugin polizeilich erfasst, nicht aber ein eventueller Migrationshintergrund . 8. Ergeben sich nach Einschätzung der Bundesregierung Hinweise auf einen überregionalen Zusammenhang der Straftaten in den verschiedenen Orten, auf Verabredungen der Täter oder gar auf Formen der Organisierten Kriminalität ? Es wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. 9. Wie viele Anzeigen enthalten Angaben zu den Tatverdächtigen, und um welche Erkenntnisse handelt es sich dabei? Insofern hierbei von „Migrationshintergründen“ usw. im Sinne der Fragen 7 und 8 die Rede ist: Inwieweit geht die Bundesregierung davon aus, dass diese Zuschreibungen verlässlich sind? Inwiefern kann sie ausschließen, dass Personen, bei denen von Seiten des Opfers oder der Polizei ein „Migrationshintergrund“, „ausländisches Aussehen “ und dergleichen vermutet wird, tatsächlich deutsche Staatsbürger sind, deren Familien unter Umständen schon seit mehreren Generationen in Deutschland leben? Dem BKA ist nicht bekannt, in wie vielen Anzeigen Angaben zu Tatverdächtigen enthalten sind. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 14 verwiesen. Drucksache 18/7642 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 10. In wie vielen Fällen sind Tatverdächtige mittlerweile identifiziert, und welche Maßnahmen wurden gegen sie ergriffen (bitte mindestens nach Sexualund Eigentumsdelikten aufgliedern)? Dem BKA liegen hierzu noch keine belastbaren Zahlen vor. Die Erhebungen hierzu dauern, unabhängig von Täternationalitäten, noch an. 11. Sofern die Täter in Gruppen vorgingen: Wie groß waren diese Gruppen nach Kenntnis oder Einschätzungen der Bundesregierung? 12. Von wie vielen Tätern gehen die Sicherheitsbehörden nach Kenntnis der Bundesregierung insgesamt aus (bitte möglichst pro Bundesland sowie mindestens nach Sexual- und Eigentumsdelikten aufgliedern und in Nordrhein -Westfalen zusätzlich Köln hervorheben)? 13. Welche Rückschlüsse zieht die Bundesregierung aus dem Lagebericht? Die Fragen 11 bis 13 werden gemeinsam beantwortet. Es wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. 14. Inwiefern enthält der Lagebericht Angaben zu möglichen Migrationshintergründen von Tatverdächtigen, und welche Hilfestellungen sind gegeben worden, einen solchen Hintergrund zu identifizieren? Sofern die Bundesländer Angaben zu möglichen Migrationshintergründen der Tatverdächtigen zur Berichterstellung an das BKA zugeliefert haben, wurden diese auch entsprechend in den Bericht mit aufgenommen. Bei den nicht identifizierten Tatverdächtigen muss beachtet werden, dass sich diese Angaben ausschließlich auf die Aussagen der anzeigenden Opfer bzw. Zeugen beziehen können. In den Strafanzeigen werden die Zeugenaussagen durch die Polizei zumeist wörtlich übernommen, um die Aussage nicht zu verfälschen. Bei den identifizierten Tatverdächtigen wird die Staatsangehörigkeit bzw. der Aufenthaltsstatus – soweit feststellbar – von der Polizei erhoben und erfasst. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. 15. Ist der Begriff „Antanzdiebstahl“ definiert, und wenn ja, wie? Eine allgemeingültige Definition bzw. eine Legaldefinition existiert für den Begriff nicht. 16. Welche verlässlichen Methoden gibt es nach Einschätzung bzw. Kenntnis der Bundesregierung, allein vom Ansehen einer Person Rückschlüsse auf deren Nationalität, Ethnie, Staatsbürgerschaft oder etwaigen Migrationshintergrund zu ziehen? Der Bundesregierung sind hierzu keine verlässlichen Methoden bekannt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/7642 17. Bis in welche Generation hinein ist es nach Einschätzung der Bundesregierung sinnvoll oder legitim, Migrationshintergründe anzugeben? Inwiefern gilt dies für alle Herkunftsregionen oder nur für bestimmte (bitte angeben für welche Herkunftsregionen)? Im Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes werden zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund – unabhängig vom Herkunftsland – Personen bis zur zweiten Generation gezählt, d. h. neben den seit 1950 aus dem Ausland Zugewanderten selbst (1. Generation) auch deren nach der Zuwanderung in Deutschland geborenen Kinder (2. Generation). Ausländerinnen und Ausländer werden definitionsgemäß immer zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund gezählt, unabhängig davon, zu welcher Zuwanderergeneration sie gehören. 18. Welchen zusätzlichen Nutzen zur Kriminalitätsprävention und -bekämpfung hat, abgesehen von konkreten Personenfahndungen, eine Aufschlüsselung von Tatverdächtigen nach Kriterien wie Ethnie, Staatsbürgerschaft, Aufenthaltsstatus und dergleichen? Die ethnische Herkunft einer Person wird regelmäßig weder bei der Bundespolizei noch beim BKA erfasst. Erfasst werden stattdessen die Staatsangehörigkeit und der ausländerrechtliche Status. Dies ist u. a. zur Sicherstellung des Strafverfolgungsanspruchs z. B. in einem Ermittlungsverfahren wegen unerlaubter Einreise oder unerlaubtem Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen im Einzelfall erforderlich . Außerdem können die Informationen für die Erstellung einer qualifizierten Phänomenanalyse wertvoll sein, für welche i. d. R. alle verfügbaren Informationen erhoben werden. Diese können im weiteren Verlauf, insbesondere bei der Erarbeitung von Handlungserfordernissen und wirksamen Bekämpfungsansätzen eine Rolle spielen, beispielsweise durch eine gezielte Fokussierung von Präventionsmaßnahmen auf Täter, Opfer und/oder Tatsituation. 19. Inwiefern ist eine Beschreibung wie „nordafrikanisches/arabisches/südeuropäisches /osteuropäisches Aussehen“ nach Einschätzung der Bundesregierung sinnvoll oder zielführend zur Ermittlung von Tatverdächtigen oder der Aufklärung von Straftaten? Welche gängigen Definitionen bzw. Beschreibungen eines nordafrikanischen , arabischen, südeuropäischen und osteuropäischen Aussehens gibt es nach ihrer Kenntnis? Eine Beschreibung aufgrund von Aussagen der anzeigenden Opfer bzw. Zeugen kann im Einzelfall als Ermittlungs- und Fahndungsansatz dienen. Gängige Definitionen zu den genannten Begriffen existieren weder bei der Bundespolizei noch beim BKA. 20. Wodurch ergibt sich nach Kenntnis der Bundesregierung ein „augenscheinlicher Migrationshintergrund“ sowie ein „ausländisches Erscheinungsbild“ (bitte Kriterien nennen), und inwiefern ist ein solcher Begriff innerhalb der Polizei klar umschrieben und definiert? Auf die Antwort zu den Fragen 14 und 19 wird verwiesen. Drucksache 18/7642 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 21. Wie ist nach Einschätzung der Bundesregierung der Begriff „Migrationshintergrund “ definiert? Nach der Mikrozensusdefinition des Statistischen Bundesamtes gehört zu den Personen mit Migrationshintergrund die ausländische Bevölkerung – unabhängig davon, ob sie im Inland oder im Ausland geboren wurde – sowie alle Zugewanderten unabhängig von ihrer Nationalität. Daneben zählen zu den Personen mit Migrationshintergrund auch die in Deutschland geborenen eingebürgerten Ausländer sowie eine Reihe von in Deutschland Geborenen mit deutscher Staatsangehörigkeit , bei denen sich der Migrationshintergrund aus dem Migrationsstatus der Eltern ableitet. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333