Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 31. Mai 2016 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 18/8654 18. Wahlperiode 02.06.2016 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/8328 – Umsetzung des EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Im Einklang mit dem im November 2015 aufgestellten EU-Türkei-Aktionsplan schlossen die Mitglieder des Europäischen Rates am 17. und 18 März 2016 ein Abkommen mit der Türkei, um die „irreguläre Migration aus der Türkei in die EU“ zu begrenzen bzw. zu unterbinden (www.consilium.europa.eu/de/press/ press-releases/2016/03/18-eu-turkey-statement/). Maßgeblicher Inhalt dieses Abkommens ist es, sämtliche Flüchtlinge in die Türkei zurückzuschieben, die ab dem 20. März 2016 von der Türkei aus nach Griechenland gelangen oder noch in türkischen Hoheitsgewässern aufgegriffen werden. In Bezug auf syrische Flüchtlinge soll gelten, dass für jeden in die Türkei abgeschobenen syrischen Schutzsuchenden ein anderer, bereits in der Türkei aufhältiger syrischer Flüchtling in die EU einreisen darf – jedoch nur im Rahmen eines begrenzten Kontingentes. Dieses umfasst zunächst 18 000 Plätze und kann einmalig um 54 000 auf insgesamt 72 000 Plätze erweitert werden, es handelt sich dabei um eine Umwidmung von längst beschlossenen, aber noch nicht umgesetzten Aufnahme- bzw. Verteilungsplänen der EU. Zudem gilt diese Regel nur für solche Flüchtlinge, die zum Stichtag 29. November 2015 in der Türkei registriert worden waren (www.statewatch.org/news/2016/apr/eu-council-EU- Turkey-Standard-operating-procedures-resettlement-7462-16.pdf). Die anderen zurückgeschobenen Flüchtlinge sollen entweder in der Türkei um Asyl nachsuchen oder in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Im Gegenzug erklärte sich die EU dazu bereit, der Türkei bis zum Jahr 2018 insgesamt 6 Mrd. Euro an finanzieller Unterstützung zu zahlen, die nach offiziellen Angaben für die Versorgung und Unterbringung der Flüchtlinge in der Türkei und für die Förderung weiterer „Projekte für Personen, die vorübergehenden Schutz genießen“ (www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/ 2016/03/18-eu-turkey-statement/) eingesetzt werden sollen. Im Anschluss an diese Zusage sollte eine erste Liste konkreter Projekte für Flüchtlinge, insbesondere Projekte in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Infrastruktur, Lebensmittelversorgung und sonstige Lebenshaltungskosten, gemeinsam bestimmt werden. Des Weiteren wurden der Türkei bis Juni 2016 die Wiederaufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen mit einer Öffnung der Kapitel 17 und 33 sowie Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/8654 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode eine visumfreie Einreise in die EU für türkische Staatsangehörige zugesagt, wenn die 72 Kriterien einer entsprechenden Visa-Roadmap erfüllt sind. Diverse Nichtregierungsorganisationen und Stimmen aus der Politik haben Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit des Abkommens mit europäischem und internationalem Recht geäußert. Bereits Anfang März 2016 zeigte sich der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, Filippo Grandi, mit Blick auf das anstehende Abkommen, „tief besorgt“ über jede Vereinbarung, die „das pauschale Zurückschicken von einem Land in ein anderes beinhaltet, ohne Anwendung des Asylrechts und internationalen Rechts“ (www.tagesschau.de/ ausland/tuerkei-un-fluechtlinge-101.html). Auch der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte (UNHCR), Said Raad al-Hussein, forderte die EU auf, das geplante Flüchtlingsabkommen mit der Türkei zu überdenken. Er äußerte insbesondere Bedenken wegen der möglichen „kollektiven und willkürlichen Abschiebungen“ von Flüchtlingen aus Griechenland in die Türkei. Solche Abschiebungen seien illegal und Einreisebeschränkungen ohne Feststellung der Umstände jedes Einzelnen stellten eine Verletzung internationalen und europäischen Rechts dar (www.tagesschau.de/ausland/tuerkei-un-fluechtlinge- 101.html). Selbst die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner stellte in diesem Zusammenhang in Frage, „ob wir unsere Werte letztendlich über Bord werfen“. Pro Asyl bezeichnete das Abkommen nach seinem Zustandekommen als „flüchtlingsfeindlichen Deal“ (www.proasyl.de/news/ abschiebungen-und-haftlager-der-eu-tuerkei-deal-und-seine-verheerenden-folgen /). Der Direktor des deutschen Büros von Human Rights Watch, Wenzel Michalski , warf der EU Anfang April 2016 in einem Interview vor, sie gehe „sehenden Auges illegal vor, was die Türkei betrifft“. Sowohl die EU als auch die Türkei würden Menschenrechte mit Füßen treten (www.tagesschau.de/ ausland/lesbos-michalski-101.html). Bereits am 4. April 2016 begann die Umsetzung des Abkommens mit der Abschiebung von 202 Flüchtlingen in die Türkei, die vorgeblich keinen Antrag auf Asyl gestellt hatten oder sich zur freiwilligen Ausreise bereit erklärt hätten. Danach gerieten die Rückschiebungen nach Medienberichten jedoch ins Stocken, unter anderem weil die Schutzsuchenden vermehrt in Griechenland Asyl beantragten , um ihrer Abschiebung in die Türkei zu entgehen. Am Freitag der ersten Woche nach Inkrafttreten des Abkommens erfolgten schließlich noch weitere Abschiebungen, sowohl im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens als auch im Rahmen eines zwischen Griechenland und der Türkei bestehenden Rückführungsabkommens . Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 325 Schutzsuchende in die Türkei verbracht und im Gegenzug 74 syrische Flüchtlinge von der EU aufgenommen (www.zeit.de/politik/ausland/2016-04/eu-tuerkei-abkommenfluechtlinge -rueckfuehrung-asylpolitik). Im Rahmen der NATO-Mission in der Ägäis zur Überwachung der Flüchtlingsbewegungen werden nicht nur in Kooperation mit der europäischen Grenzschutzagentur Frontex Informationen über die örtlichen Schleusernetzwerke und Fluchtbewegungen gesammelt, sondern auch die in griechischen oder türkischen Hoheitsgewässern aufgefundenen Boote mit Schutzsuchenden der zuständigen Küstenwache gemeldet, damit diese aufgegriffen und entweder in die Türkei oder nach Griechenland verbracht werden können. Um die Umsetzung des EU-Türkei-Abkommens auf nationaler Ebene rechtlich zu ermöglichen, hat das griechische Parlament am 8. April 2016 asylrechtliche Änderungen verabschiedet. Die ebenfalls zur Umsetzung erforderlichen Änderungen der Gesetzeslage in der Türkei stehen noch aus. Eine erste Analyse der griechischen Gesetzesänderungen (www.asylumineurope.org/news/04-04- 2016/greece-asylum-reform-wake-eu-turkey-deal) durch die Asylum Information Database (AIDA) hat ergeben, dass diese neue Regelung unter anderem legalisiert, dass neuankommende Flüchtlinge in den sogenannten hotspots von gravierenden Freiheitsbeschränkungen betroffen sind („subject to a restriction on the freedom of movement“). Diese gelten während der Zeit ihrer Aufnahme Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8654 und Registrierung („during the reception and registration procedure“) oder sogar während ihres gesamten Asylverfahren („their entire asylum procedure can be conducted within the Centre“). Zudem können laut der Analyse Asylgesuche unter anderem dann als unzulässig zurückgewiesen werden, wenn der Schutzsuchende auf einen sogenannten ersten Asylstaat („first country of asylum“) oder einen sicheren Drittstaat verwiesen werden kann („safe third country“). In diesem Zusammenhang sind die Schutzstandards für Asylsuchende herabgesetzt worden („the guarantees applicable to the ‚first country of asylum‘ concept have been lowered by the new law“). So können künftig Asylgesuche von Flüchtlingen als unzulässig abgewiesen werden, wenn sie in der Türkei einen gewissen Schutzstatus erhalten haben. Dies ist unbeschadet dessen möglich, ob die Türkei objektiv die Kriterien eines sicheren Drittstaates erfüllt („asylum applications by persons who benefit from temporary protection in Turkey can be dismissed as inadmissable even if the country does not satisfy the criteris of a ‚safe third countryʻ“). Abgesehen von den rechtlichen Voraussetzungen bestehen auch praktische Probleme und Hindernisse bei der Umsetzung des EU-Türkei-Abkommens, insbesondere was die Durchführung von Asylverfahren inklusive gerichtlicher Überprüfungen in Griechenland betrifft. Es herrscht vor allem ein Mangel an geschultem Personal, um die Asylbegehren zu bearbeiten (www.zeit.de/ politik/ausland/2016-04/lesbos-fluechtlinge-tuerkei-griechenland-asyl), aber auch an Dolmetscherinnen und Dolmetschern. Am 12. April 2016 teilte die griechische Regierungssprecherin Olga Gerovasili mit, dass die ersten Asyl-Sachbearbeiter auf den Ägäis-Inseln ihre Arbeit aufgenommen hätten und in zwei Wochen mit ersten Ergebnissen zu rechnen sei (www.europeonline-magazine. eu/athen-entscheidung-ueber-erste-asylantraege-in-zwei-wochen_449532.html). 1. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass jedem Flüchtling, der in Griechenland ein Asylgesuch äußert, sowohl eine inhaltliche Asylprüfung als auch eine gerichtliche Überprüfung der Behördenentscheidung zusteht ? Jeder Asylsuchende, der einen Antrag auf internationalen Schutz in Griechenland stellt, hat nach näherer Maßgabe der unionsrechtlichen und griechischen Vorschriften sowohl Anspruch auf eine Überprüfung seines Asylantrags als auch das Recht auf einen gerichtlichen Rechtsbehelf. Eine inhaltliche Prüfung ist dabei nicht in allen Fällen vorgesehen. Insofern geht die Bundesregierung davon aus, dass den Fragestellern die einschlägigen Vorschriften insbesondere der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 bekannt sind. a) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung bezüglich des vorgesehenen oder tatsächlichen zeitlichen Rahmens der Asylprüfungen inklusive einer gerichtlichen Überprüfung der Asylbescheide (bitte Dauer angeben oder nach Möglichkeit schätzen und dabei zwischen dem Behördenverfahren und dem gerichtlichen Überprüfungsverfahren differenzieren)? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. b) In welchem Maß und auf welche Art und Weise ist nach Kenntnis der Bundesregierung für die Flüchtlinge in den sogenannten hotspots (wie z. B. Moria) der Zugang zu einer rechtlichen Beratung und zur Gerichtsbarkeit gewährleistet? Das griechische Asylgesetz vom 3. April 2016 enthält mehrere Garantien, die sowohl den Zugang von Organisationen, die die Ausländer informieren und beraten, das Recht der Kommunikation mit UNHCR oder jeder anderen Organisation, die Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/8654 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode rechtliche, medizinische oder psychologische Beratung leistet, als auch den Anspruch , auf eigene Kosten einen Rechtsanwalt zu konsultieren (Artikel 38, 41, 44 des griechischen Asylgesetzes), umfassen. Die Einlegung des Widerspruchs ist innerhalb von fünf Tagen nach Zustellung der Entscheidung der 1. Instanz möglich. Bei den Anhörungen im Widerspruchsverfahren sind Anwälte teilweise zugegen. Der Bundesregierung liegen darüber hinaus keine Erkenntnisse vor, dass die Garantien in den Hotspots nicht eingehalten werden. Wie viele Rechtsberater bzw. Rechtsanwälte stehen den Flüchtlingen dort zur Verfügung, um bei Widerspruchsverfahren zu helfen? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. Inwiefern haben die Flüchtlinge einen Anspruch auf eine kostenlose Rechtsberatung bei Klagen gegen Widerspruchsbescheide? Eine kostenlose rechtliche Beratung soll zunächst durch den UNHCR erfolgen. Die griechische Regierung plant die Erstellung einer Liste mit zugelassen Rechtsanwälten , die den Schutzsuchenden durch die griechische Asylbehörde zur Verfügung gestellt werden soll. 2. Inwiefern und durch welche konkreten Mechanismen bzw. welche konkrete Unterstützung durch Deutschland und andere EU-Mitgliedstaaten ist nach Kenntnis der Bundesregierung gewährleistet, dass Schutzsuchenden in Griechenland sowohl ein behördliches Asylverfahren als auch dessen gerichtliche Überprüfung möglich ist? Die Bundesregierung unterstützt im Rahmen der EU-Türkei Erklärung das Asylverfahren in Griechenland für Schutzsuchende maßgeblich durch das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office: EASO). Im Zuge dieser praktischen Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten im Asylbereich entsendet die Bundesregierung Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Die Experten des BAMF arbeiten im Rahmen der EASO-Mission eng mit ihren griechischen Kollegen vor Ort zusammen, um ein effektives Asylverfahren durch die griechischen Behörden zu gewährleisten. Die Entscheidung über den einzelnen Asylantrag obliegt ausschließlich griechischen Asylentscheidern. EASO ist in beratender und unterstützender Funktion tätig, bereitet einzelne Asylanträge vor und stärkt die griechische Asylbehörde personell, inhaltlich und materiell. Die Antragsteller haben die Möglichkeit gegen die Asylentscheidung Widerspruch einzulegen, bzw. bei ablehnender Widerspruchsentscheidung Klage einzureichen. a) Welche maßgeblichen Strukturen und Inhalte hat das in Griechenland durchgeführte Asylverfahren nach Kenntnis der Bundesregierung (falls möglich im Vergleich zum deutschen Asylsystem umreißen)? Das neue griechische Asylverfahrensgesetz wurde am 1. April 2016 verabschiedet und setzt die Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 um. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/8654 b) Wie viele deutsche Fach- und Hilfskräfte sind nach Kenntnis der Bundesregierung vor Ort, in welchen Bereich sind sie für voraussichtlich welchen Zeitraum für welche konkreten Tätigkeiten eingesetzt, welche Kosten entstehen durch ihren Einsatz, und von wem werden diese Kosten in welcher Höhe getragen? Derzeit (Stand: 19. Mai 2016) sind im Rahmen des EASO-Einsatzes sieben Mitarbeiter des BAMF vor Ort, die mit der Durchführung von Interviews und Vorbereitung der Asylentscheidung befasst sind. Daneben ist ein Mitarbeiter des BAMF vor Ort zur Unterstützung im Bereich Relocation. Die Einsätze dauern in der Regel sechs Wochen, können aber auch verlängert werden. Die Kosten des vor Ort-Einsatzes werden von EASO übernommen. Zur Höhe der Kosten liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. c) Inwiefern werden die von Deutschland entsandten Hilfskräfte über die Verfahren und ihre Aufgaben in Griechenland informiert, wie lange dauert ihre Vorbereitungszeit, und was beinhaltet die entsprechende Vorbereitung ? Die entsandten Fachkräfte des BAMF absolvieren in Griechenland eine zweitägige Schulung im griechischen Asyl- und Asylverfahrensrecht und erhalten Schulungsunterlagen . d) Wie viele sonstige europäischen Fach- und Hilfskräfte sind nach Kenntnis der Bundesregierung vor Ort, in welchen Bereich sind sie für voraussichtlich welchen Zeitraum für welche konkrete Tätigkeiten eingesetzt, welche Kosten entstehen durch ihren Einsatz, und von wem werden diese Kosten in welcher Höhe getragen? Nach Kenntnis der Bunderegierung sind derzeit (Stand: 16. Mai 2016) 106 Mitarbeiter aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union für EASO vor Ort im Einsatz, davon sind 76 Mitarbeiter im Rahmen der Asylverfahrensbearbeitung in den Hotspots eingesetzt. Zusätzlich sind 75 Dolmetscher über EASO vor Ort im Einsatz, wovon 67 für die Asylverfahrensbearbeitung zur Verfügung stehen. Die Kosten werden von EASO übernommen. Zur Höhe der Kosten liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. 3. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den Aussagen des Direktors des deutschen Büros von Human Rights Watch, Wenzel Michalski, der beklagt, dass die hotspots „im Prinzip zu Gefangenenlagern geworden“ seien, zu denen es „keinen Zugang für Menschenrechtler und Journalisten“ gibt, und dass Asylsuchende dort Informationen zum griechischen Asylsystem nur auf Griechisch bekämen – eine Sprache, die sie nicht verstehen, so dass das „Recht hier mit Füßen getreten“ werde (www.tagesschau.de/ausland/ lesbos-michalski-101.html)? Punktuell erhalten auch Menschenrechtsgruppen Zugang zu den Hotspots. Am 9./10. Mai 2016 hat beispielsweise die Nichtregierungsorganistion Human Rights Watch den Hotspot Moria auf Lesbos besucht. Der UNHCR hat dagegen regelmäßig Zugang zu den Hotspots und den Asylsuchenden. Der Flüchtlingsschutz steht im Zentrum der Arbeit von UNHCR. Erklärtes Ziel ist es, die höchstmöglichen internationalen Standards im Flüchtlingsschutz gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention zu bewahren und zu fördern. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/8654 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Asylsuchende bekommen in den Hotspots mittlerweile Information in ihren Landessprachen . Interviews mit Asylsuchenden werden mit Hilfe von vor Ort tätigen Dolmetschern geführt. 4. Wie beurteilt die Bundesregierung die Vereinbarkeit von EU-Recht mit der massiven Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Flüchtlinge in den hotspots für unbestimmte Zeit während ihrer Asylverfahren, ohne dass es für diese Beschränkung einen konkreten, der betroffenen Person anzulastenden Grund (wie z. B. Fluchtgefahr) gibt (vgl. hierzu auch dpa-Meldung vom 19. April 2016, 13:35 Uhr)? a) Inwiefern wären vergleichbare Regelungen in Deutschland rechtlich zulässig ? b) Welche Umstände und internationalen bzw. europäischen Rechtsgrundlagen rechtfertigen es nach Auffassung der Bundesregierung, Flüchtlinge während ihrer Registrierung und während ihres Asylverfahrens in geschlossenen Lagern unterzubringen und sie am Verlassen derselben zu hindern? Die Fragen 4 bis 4b werden gemeinsam beantwortet. Unter bestimmten Voraussetzungen kann nach der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 eine Inhaftnahme von Antragsstellern i. S. d. Richtlinie erfolgen. Diese Voraussetzungen zu prüfen und umzusetzen, obliegt den griechischen Stellen. 5. Wie schätzt die Bundesregierung das Risiko ein, dass die Unterbringungskapazitäten der hotspots an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen, wenn sich die Asylprüfungen über mehrere Wochen hinziehen und stetig weitere Flüchtlinge in Griechenland ankommen? Welche Maßnahmen werden zur Vermeidung einer solchen Kapazitätsüberschreitung nach Kenntnis der Bundesregierung in Betracht gezogen oder wären hierzu geeignet und erforderlich? Der zuständige griechische Integrationsminister hat mitgeteilt, dass alle fünf Hotspots (Lesbos, Chios, Samos, Kos, Leros) operativ sind und die Basisversorgung sichergestellt ist. Die Anzahl der Migranten, die von der Türkei auf die ostägäischen Inseln kommen , hat sich in den vergangenen Wochen zudem kontinuierlich verringert. Mit zunehmender Dauer der Asylverfahren in Griechenland steigt aber auch das Risiko überfüllter Aufnahmezentren; aus diesem Grund ist der von der griechischen Regierung in Aussicht gestellte weitere Kapazitätsaufbau auf den Inseln notwendig. Insofern kommt auch der zeitnahen Umsetzung der EU-Türkei-Erklärung besondere Bedeutung zu. Die Aufnahmeeinrichtungen in Lesbos, Chios und Samos sind nach griechischen Regierungsangaben überbelegt. Die Anzahl der täglichen Neuankünfte ist indes seit einigen Wochen geringer als vor Abschluss des Abkommens. Eine wesentliche Veränderung der Situation in den Hotspots ist derzeit nicht zu beobachten. In den Einrichtungen auf den übrigen einschlägigen Inseln liegen die Kapazitäten dagegen über der Anzahl der Schutzsuchenden, so dass die Kapazitätsgrenzen dort gegenwärtig nicht erreicht werden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/8654 6. Inwiefern vertritt die Bundesregierung die Auffassung, dass bei jedem einzelnen Asylbegehren individuell geprüft werden muss, ob für die betroffene Person im konkreten Einzelfall die Türkei einen sicheren Herkunfts- bzw. sicheren Drittstaat darstellt (bitte Position darstellen und begründen)? Inwiefern sind nach Erkenntnissen der Bundesregierung derzeit in Griechenland solche Prüfungen gewährleistet? Die rechtlichen Maßstäbe für die Prüfung von Schutzbegehren ergeben sich grundsätzlich aus der Richtlinie 2011/95/EU. Das Asylverfahren sowie die Kriterien für die Einstufung eines anderen Staates als sicheren Dritt- oder Herkunftsstaat werden durch die Richtlinie 2013/32/EU geregelt. Die Anwendung obliegt den griechischen Behörden. Die Bundesregierung hat keinen Anlass daran zu zweifeln, dass die europäischen Vorgaben von Griechenland eingehalten werden. 7. Wie sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Asylverfahren für Schutzsuchende in der Türkei ausgestaltet, welche unterschiedlichen Verfahren gibt es für unterschiedliche Flüchtlingsgruppen, welchen Status und welche damit verbundenen Rechte können die jeweiligen Gruppen auf welcher Rechtsgrundlage jeweils erhalten, und welche Rechte haben die Schutzsuchenden während des Verfahrens (in Bezug auf Unterbringung und Versorgung, aber auch auf Abschiebungsschutz während des Verfahrens und effektiven Zugang zum Verfahren; bitte zu allen Fragen so konkret wie möglich antworten und dabei insbesondere auch zwischen syrischen und nichtsyrischen Flüchtlingen differenzieren)? Rechtsgrundlage für das türkische Asylverfahren ist das Gesetz für Ausländer und Internationalen Schutz vom 4. April 2013 (Gesetz Nr. 6458, im folgenden türk. AuslG), die Verordnung zum türk. AuslG vom 17. März 2016 und die Verordnung zum vorübergehenden Schutz vom 22. Oktober 2014. Es bestehen unterschiedliche Rechtsgrundlagen für europäische Schutzsuchende (§ 61 türk AuslG), Schutzsuchende aus nichteuropäischen Staaten (§ 62 türk AuslG) und syrische Staatsangehörige (§ 91 ff türk AuslG i. V. m. Verordnung zum vorübergehenden Schutz). Für die Dauer des Verfahrens ist der Aufenthalt gestattet, es besteht Zugang zur staatlichen medizinischen Versorgung. Am 25. April 2016 hat die Türkei gegenüber der EU erklärt, auch nicht-syrischen Flüchtlingen, die aus Griechenland in die Türkei rückgeführt werden, den Zugang zum internationalen Schutzverfahren zu gewähren. Sofern internationaler Schutz nicht gewährt wird, werden die Voraussetzungen der subsidiären Schutzgewährung geprüft. Werden internationaler und subsidiärer Schutz abgelehnt, können aufenthaltsbeendende Maßnahmen eingeleitet werden, sofern nicht Abschiebungshindernisse für den Herkunftsstaat vorliegen oder der Herkunftsstaat sich der Rückübernahme widersetzt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/8654 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode a) Inwiefern besteht nach Kenntnis der Bundesregierung für syrische Flüchtlinge in der Türkei die Möglichkeit, effektiven Schutz zu erhalten, und welche Rechte haben sie vor, während und nach ihrem Asylverfahren, auch vor dem Hintergrund der zuletzt bekanntgewordenen Massenabschiebungen an der türkisch-syrischen Grenze (www.amnesty.de/2016/ 4/1/tuerkei-schiebt-massenhaft-syrische-fluechtlinge-ab?destination= suche%3Fwords%3DT%25C3%25BCrkei%26search_x%3D0%26search _y%3D0%26search%3DSuchen%26form_id%3Dai_search_form_block, bitte ausführen und entsprechend differenzieren)? Syrische Flüchtlinge werden von der Türkei außerhalb des regulären Asylverfahrens (§§ 61 ff. türk. AuslG) aufgenommen und erhalten ohne individuelle Prüfung ihrer Schutzbedürftigkeit vorübergehenden Schutz gemäß der Verordnung zum vorübergehenden Schutz vom 22. Oktober 2014. Durch diesen Schutzstatus ist ihnen der Aufenthalt in der Türkei gestattet, sie erhalten Zugang zu staatlicher medizinischer Versorgung und reglementierten Zugang zum Arbeitsmarkt. Zu Abschiebungen an der syrisch-türkischen Grenze unter Verletzung des Non-Refoulment -Gebots liegen der Bundesregierung keine belastbaren Erkenntnisse vor. b) Inwiefern besteht nach Kenntnis der Bundesregierung für nichtsyrische Flüchtlinge in der Türkei die Möglichkeit, effektiven Schutz zu erhalten, und welche Rechte haben sie während des Verfahrens (bitte ausführen und ggf. zwischen den entsprechenden Flüchtlingsgruppen differenzieren )? Nichtsyrische Flüchtlinge können internationalen Schutz beantragen und den Status des „conditional refugee“ erhalten. Im Ablehnungsfall werden die Voraussetzung zur subsidiären Schutzgewährung (§ 63 türk AuslG) geprüft. Es sind keine belastbaren Erkenntnisse vorhanden, dass die Türkei die gesetzlich normierten Standards in ihren Asylverfahren nicht einhält. c) Inwiefern ist dieser Schutz nach Auffassung der Bundesregierung nach internationalen und europäischen Standards ausreichend, insbesondere auch, um die Türkei im Einzelfall als einen „ersten“ oder „sicheren“ Drittstaat im Sinne der EU-Verfahrensrichtlinie anzusehen (bitte begründen)? Die türkischen Asylbestimmungen sind in Umsetzung der GFK formuliert. Es liegen keine belastbaren Erkenntnisse vor, dass die gesetzlichen Standards nicht ausreichend wären. Zu den Schutzrechten im Einzelnen wird im Übrigen auf die Antwort der Bundesregierung vom 20. Mai 2016 zu Frage 11c der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache 18/8205) verwiesen. 8. Inwieweit wird nach Kenntnis der Bundesregierung an den ursprünglichen Plänen der türkischen Regierung festgehalten, nichtsyrische Flüchtlinge nach Möglichkeit in ihre Herkunftsländer abzuschieben (vgl. AFP-Meldung vom 9. März 2016, 8:23), und inwieweit verstoßen diese Pläne nach Auffassung der Bundesregierung gegen das in der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Zurückweisungsverbot (bitte jeweils konkret mit Bezug auf die jeweilige internationale und EU-Rechtslage beantworten)? Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Türkei zu ihrer Zusage steht, wonach in die Türkei zurückgeführte Menschen im Einklang mit national- und völkerrechtlichen Standards behandelt werden. Nach Angaben der türkischen Regierung hat es seit Beginn des Jahres 2016 vermehrt Fälle von freiwilliger Rückkehr aus der Türkei nach Syrien gegeben. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/8654 9. Inwieweit und aus welchen Quellen ist die Bundesregierung über das Asylsystem in der Türkei und die dort vermeintlich geltenden Schutzstandards für Flüchtlinge informiert? Die Bundesregierung verfolgt aufmerksam die Entwicklung in der Türkei zum Ausländer- und Flüchtlingsrecht, insbesondere mit Blick auf allgemein zugängliche Gesetze, Verordnungen und Ausführungsbestimmungen. Es besteht regelmäßiger Austausch mit Regierungsorganen, UNHCR und Nichtregierungsorganisationen . 10. Was sind nach Kenntnis oder Einschätzung der Bundesregierung die maßgeblichen Mechanismen und Rechtsgrundlagen zur Gewährleistung des Flüchtlingsschutzes in der Türkei? Die maßgeblichen Bestimmungen sind das Gesetz für Ausländer und Internationalen Schutz vom 4. April 2013, die dazu erlassene Durchführungsverordnung vom 17. März 2016 sowie die Verordnung zum vorübergehenden Schutz vom 22. Oktober 2014. 11. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus Berichten von türkischen Menschenrechtsanwälten und -aktivisten über gravierende Mängel bei der Umsetzung dieser Rechtsgrundlagen und über erhebliche Mängel im Asylsystem (vgl. zu allen nachfolgenden Unterfragen auch: www.law.ox. ac.uk/research-subject-groups/centre-criminology/centreborder-criminologies/ blog/2016/03/turkey-safe-third), insbesondere im Hinblick auf a) die Zustände und Vorfälle im Rückführungslager Askale, insbesondere auch im Dezember 2015 (unabhängige Organisationen berichteten von zahlreichen Verstößen gegen Menschenrechte und asylrechtliche Garantien , Folter und körperliche Misshandlung durch Polizeikräfte sowie illegale Abschiebungen, der Fall liegt der zuständigen türkischen Behörde vor); b) die mangelnde Umsetzung des im Jahr 2013 neu eingeführten und 2014 in Kraft getretenen „Gesetzes über Ausländer und internationalen Schutz“ (http://madde14.org/english/index.php?title=Law_of_Foreigners_and_ International_Protection); Die Fragen 11a und 11b werden gemeinsam beantwortet: Die Bundesregierung erkennt die erheblichen Anstrengungen der türkischen Regierung durch die Aufnahme von bis zu 3 Millionen Flüchtlingen an. Sie nimmt die Berichte von Nichtregierungsorganisationen ernst und steht dazu in engem Austausch mit der Europäischen Kommission, dem UNHCR und der türkischen Regierung. Über gravierende Mängel im türkischen Asylsystem und in den Rückführungszentren und den berichteten Vorfall in Askale liegen keine belastbaren Erkenntnisse vor. Der Bundesregierung ist bekannt, dass es noch bis Anfang 2016 eine große Zahl nicht abschließend bearbeiteter Anträge auf internationalen Schutz gab. c) die mangelnden Kapazitäten und Erfahrungswerte bzw. der mangelnden Expertise der seit dem Jahr 2013 neu eingerichteten Generaldirektion für Migrationsfragen (Directorate General of Migration Management: www. goc.gov.tr/main/Eng_3); Die Türkei hat sich durch intensive Migrationsbewegungen und der Aufnahme von bis zu 3 Millionen Flüchtlingen in ein Transit- und Aufnahmeland verwandelt . Zeitgleich erfolgte der Aufbau der neuen Generaldirektion für Migrations- Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/8654 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode fragen einschließlich der lokalen Behörden in allen Provinzen. Die administrative und personelle Ausstattung dieser Behörden in den dem Flüchtlingsstrom angemessenem Umfang hat erhebliche Zeit in Anspruch genommen. d) zu den Mängeln im juristischen Bereich bzw. im Hinblick auf die gerichtliche Auseinandersetzung mit Asylbegehren, die daraus resultieren, dass Richter, Anwälte und andere juristische Fachkräfte erst seit Einführung des neuen Asylgesetzes („Gesetz über Ausländer und internationalen Schutz“) 2013 entsprechend geschult und vorbereitet werden? Hierzu liegen der Bundesregierung keine belastbaren Erkenntnisse vor. 12. Falls die Bundesregierung zu den obigen Fragen zum türkischen Asylsystem keine genauen Kenntnisse haben sollte, wie wäre das damit zu vereinbaren, dass sie sich für das EU-Türkei-Abkommen eingesetzt hat, welches im Kern vorsieht, dass alle Schutzsuchenden in die Türkei zurückverbracht werden sollen, was nach internationalem Recht verlangt, dass die zurückgewiesenen Schutzsuchenden in der Türkei eine reale Chance auf ein faires Prüfverfahren haben und in dieser Zeit auch menschenwürdig untergebracht und versorgt werden müssen (bitte ausführlich begründen)? Die EU-Türkei-Erklärung vom 18. März 2016 betont ausdrücklich die Behandlung aller Schutzsuchenden und Migranten in Übereinstimmung mit europäischem Recht und Völkerrecht. Die Türkei hat in Schreiben an die Europäische Kommission vom 12. April 2016 bezüglich der in die Türkei zurückgeführten syrischen Staatsangehörigen und vom 24. April 2016 bezüglich der übrigen Staatsangehörigen die schriftliche Zusicherung der Gewährung des internationalen Schutzes und des Einhaltens der völkerrechtlichen Verpflichtungen bestätigt. 13. Welche Schritte muss die Türkei aus der Sicht der Bundesregierung bzw. nach Kenntnis der Bundesregierung aus Sicht der Europäischen Kommission (bitte differenzieren) noch in rechtlicher und in praktischer Hinsicht (bitte differenzieren) vornehmen, um als „sicherer Drittstaat“ oder „erster Asylstaat“ (bitte differenzieren) im Sinne des EU-Rechts angesehen werden zu können (bitte ausführen)? Die Bundesregierung geht vor dem Hintergrund der völkerrechtlichen Bindung der Türkei an die Europäische Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der rechtlichen Gewährleistung des türkischen Ausländergesetzes und des Gesetzes zum internationalen Schutz, der Zusagen der türkischen Regierung sowie der jüngsten Rechtsänderungen davon aus, dass die Türkei die Anforderungen an einen sicheren Drittstaat gemäß Artikel 38 Richtlinie 2013/32/EU erfüllt. Nach der Kenntnis der Bundesregierung entspricht dies auch der Auffassung der Europäischen Kommission . Gleiches gilt auf Grund des Verweises in Artikel 35 auf Artikel 38 der Richtlinie 2013/32/EU für die Einstufung als erster Asylstaat. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 11 – Drucksache 18/8654 14. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus Berichten darüber , dass (vgl. zu allen nachfolgenden Unterfragen: www.proasyl.de/news/ prekaere-zustaende-inhaftierung-abschiebung-wie-unsicher-die-tuerkei-fuerfluechtlinge -ist/) a) bei der ersten Abschiebung im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens auch 13 Asylsuchende gewesen sein sollen, deren Bitte um Asyl von den Behörden „vergessen“ worden sein sollen (nach einer AFP-Meldung vom 5. April 2016 sollen nach Angaben des UNHCR 13 Afghanen ihre Asylgesuche in dem „Durcheinander“ auf der Insel Chios nicht haben äußern können), b) UNHCR-Bedienstete keinen Zugang zu den Abgeschobenen erhalten bzw. bekommen haben sollen, Die Fragen 14a und 14b werden gemeinsam beantwortet. Zu diesem Einzelfall liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. Grundsätzlich gilt, dass sich die griechische Regierung auf die Einhaltung der einschlägigen europarechtlichen und internationalen Standards verpflichtet hat und jedem einzelnen Schutzsuchenden die Möglichkeit einräumt, einen Asylantrag in Griechenland zu stellen. c) weitere Mitglieder der türkischen Regierung (der Innen- und der Europaminister ) Abschiebungen von nichtsyrischen Flüchtlingen angekündigt haben sollen? Die Bundesregierung steht zu den im Zusammenhang mit der Umsetzung der EU- Türkei-Erklärung auftretenden Fragen im engen Austausch mit der Europäischen Kommission und der türkischen Regierung. 15. Wenn, wie die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Schriftliche Frage 18 (Bundestagsdrucksache 18/8052, Seite 13) ausführt, gerade einmal 274 000 der rund drei Millionen Flüchtlinge in der Türkei in regulären bzw. staatlichen Flüchtlingscamps untergebracht sind und somit niemand – auch die Bundesregierung nicht – belastbare Kenntnisse zur Situation von neun Zehntel aller Flüchtlinge in der Türkei hat, wie lässt sich dann beurteilen, ob und inwiefern sämtlichen Flüchtlingen in der Türkei ausreichend Schutz, Unterkunft und ein faires Asylverfahren zukommt? Inwiefern kann auf dieser Grundlage die Beurteilung vorgenommen werden, ob die Türkei für Flüchtlinge in der Theorie und in der Praxis ein sicherer Drittstaat ist? Es wird auf die Antwort der Bundesregierung zu den Fragen 11 und 14 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 18/8205 vom 19. April 2016 verwiesen. 16. Nach welchem Verteilungsschlüssel bzw. Verteilungssystem wird im Rahmen des „Eins-für-eins“-Programmes vorgegangen? Wie gestaltet sich die konkrete Identifikation jener Personen, denen die Aufnahme in die EU gewährt wird? 18 000 Plätze verteilen sich nach den in der Vereinbarung vom 20. Juli 2015 zur Verfügung gestellten Anteilen der Mitgliedstaaten, für Deutschland beläuft sich dieser auf 1 600 Personen. Für weitere 54 000 Personen ist die Verteilung gemäß dem Beschluss des Rates 215/1601 vom 22. September 2016 maßgeblich. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/8654 – 12 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Die deutsche Quote beträgt hier 13 500 Personen. Für ein sich anschließendes Programm zur freiwilligen Aufnahme aus humanitären Gründen sind noch keine Quotenfestlegungen erfolgt. Die Verteilung innerhalb Deutschlands erfolgt nach dem Königsteiner Schlüssel. Das Verfahren richtet sich nach den zwischen den Mitgliedstaaten und der Türkei gemeinsam beschlossenen Verfahrensrichtlinien. Die türkische Migrationsbehörde Directorate General for Migration Management (DGMM) übermittelt UN- HCR Listen von Personen, die die vereinbarten UNHCR Resettlementkategorien erfüllen. UNHCR überprüft die Fälle anhand der Kriterien und schlägt diese den Mitgliedstaaten zur Aufnahme vor. 17. Wie beurteilt die Bundesregierung den Umstand, dass die Zahl der im Rahmen des „Eins-für-eins“-Programms aus der Türkei aufzunehmenden syrischen Flüchtlinge auf ein Gesamtkontingent von zunächst 72 000 Personen beschränkt ist und dass Aufnahmen im Rahmen von zwei von der EU längst beschlossenen Aufnahme- bzw. Umverteilungsprogrammen auf das mit der Türkei vereinbarte Aufnahmekontingent angerechnet werden können, so dass für die EU-Mitgliedstaaten durch das EU-Türkei-Abkommen keinerlei neue Aufnahmepflichten entstanden sind, wie in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 17./18. März 2016 ausdrücklich festgehalten wurde? Die Erklärung vom 18. März mit der Türkei dient nicht in erster Linie der Erweiterung von Aufnahmekontingenten, sondern der Bekämpfung von Schleuserkriminalität und irregulärer Zuwanderung. Die Erklärung sieht aber ebenfalls vor, dass, sobald die irregulären Grenzüberquerungen zwischen der Türkei und der EU enden oder zumindest ihre Zahl erheblich und nachhaltig zurückgegangen ist, eine Regelung für die freiwillige Aufnahme aus humanitären Gründen aktiviert wird. Die EU-Mitgliedstaaten werden einen freiwilligen Beitrag zu dieser Regelung leisten. 18. Inwiefern ist es zutreffend, dass sich die Bundesregierung für die mittlerweile vereinbarte Regelung eingesetzt hat, dass enge Familienangehörige von anerkannten Flüchtlingen beim „Eins-für-Eins“-Programm angerechnet werden können? Inwieweit wäre eine solche Einbeziehung in das Kontingent damit vereinbar, dass in diesen Fällen ohnehin ein durchsetzbarer Anspruch auf Familiennachzug unabhängig von humanitären Aufnahmeprogrammen besteht und die Türkei damit im Ergebnis in diesen Fällen überhaupt nicht zusätzlich entlastet wird? Die Bundesregierung hat sich dafür eingesetzt, dass Personen mit engen familiären Bindungen zu einem Mitgliedstaat über das in der Antwort zu Frage 16 beschriebene Verfahren grundsätzlich für eine Aufnahme im sogenannten 1:1 Mechanismus in Betracht kommen können. Primärziel der EU-Türkei-Erklärung vom 18. März 2016 ist (siehe auch Antwort zu Frage 17), das Geschäftsmodell der Schleuser zu zerschlagen und Schutzsuchenden einen legalen Zugangsweg zu eröffnen. Die Aufnahme von engen Familienangehörigen, die unter Umständen keinen oder einen zeitlich erst später realisierbaren Anspruch auf Familiennachzug im Rahmen des sogenannten 1:1 Mechanismus haben, steht diesem Ziel nicht entgegen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 13 – Drucksache 18/8654 19. Wie soll mit Schutzsuchenden verfahren werden, die von den im Rahmen der NATO-Mission in der Ägäis eingesetzten deutschen Schiffen aus Seenot geborgen werden, und inwiefern wird dabei deren Recht auf ein faires individuelles Asylverfahren inklusive einer gerichtlichen Überprüfung gewährleistet und durchgesetzt (vgl. hierzu auch: www.tagesschau.de/inland/marineeinsatz -bundestag-101.html)? a) Haben Schiffe der Deutschen Marine im Rahmen dieses Einsatzes bereits Menschen aus Seenot gerettet, und wenn ja, in welchen Hoheitsgewässern , und wohin wurden sie gebracht? Die Fragen 19 und 19a werden gemeinsam beantwortet. Nein, es wurden bislang im Rahmen der NATO-Aktivität keine Menschen aus Seenot gerettet. b) Welche Anweisungen haben die Kapitäne der Schiffe der Deutschen Marine , wie sie mit aus Seenot Geretteten umgehen sollen, sofern diese in griechischen Hoheitsgewässern aufgegriffen wurden und den Wunsch äußern , in der Europäischen Union Schutz zu beantragen? Auf der Grundlage des geltenden Völkerrechts sind aus Seenot Gerettete an einen sicheren Ort zu verbringen. Die Schiffe der deutschen Marine kommen dieser Verpflichtung nach. Die Türkei hat sich zur Aufnahme von aus der Türkei kommenden in Seenot Geretteten grundsätzlich bereit erklärt. Aus der Türkei kommende aus Seenot gerettete Personen sollen in Abstimmung mit den türkischen Behörden grundsätzlich in die Türkei zurückgeführt werden. Nach Anbordnahme sollen alle geretteten Personen nach ihrer Nationalität/Herkunft befragt werden. Bei aus Seenot geretteten Personen, die aus der Türkei stammen und Schutz vor Verfolgung in der Türkei suchen, erfolgt eine Einzelfallprüfung , wenn hierfür nachvollziehbare Gründe geltend gemacht werden. 20. Ist die Bundesregierung immer noch der Auffassung (vgl. Plenarprotokoll 18/154, S. 15194, Anlage 18), dass es zur Wahrung des Zurückweisungsverbots nach Aufgriff von Schutzsuchenden auf einem deutschen NATO-Schiff genügen soll darauf hinzuweisen, dass die Türkei ebenfalls völkerrechtlich an das Zurückweisungsverbot gebunden ist, um unmittelbare Zurückschiebungen in die Türkei ohne Einzelfallprüfung zu rechtfertigen, oder gibt es nicht zuletzt eine EU-rechtliche Verpflichtung, die Sicherheit von Schutzsuchenden in der Türkei in einem einzelfallbezogenen, rechtsstaatlichen Verfahren inklusive einer unabhängigen gerichtlichen Überprüfung zu klären (vgl. hierzu auch www.tagesschau.de/inland/marine-einsatz-bundestag-101.html)? Im Rahmen der NATO-Aktivität werden keine Schutzsuchenden aufgegriffen. Die schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage 28 der Abgeordneten Ulla Jelpke, Fraktion DIE LINKE. auf die in der Frage Bezug genommen wird, bezieht sich auf in Seenot geratene Flüchtlinge, die aus der Türkei kommen. Die Bundesregierung hält an der dort geäußerten Auffassung fest (vgl. Plenarprotokoll 18/154, S. 15194, Anlage 18). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/8654 – 14 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 21. Wurde mittlerweile, wie angekündigt, eine Liste von forderungswürdigen Programmen für Schutzsuchende in der Türkei ausgearbeitet, und wenn ja, welche Projekte finden sich auf dieser Liste, und welche Gelder sind in welchem Zeitraum für welche Projekte eingeplant? Die Bedarfsanalyse der EU-Türkei-Flüchtlingsfazilität ist derzeit in Abstimmung zwischen der Europäischen Union und der Türkei. Sie soll in den nächsten Wochen finalisiert werden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333