Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 2. Juni 2016 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 18/8674 18. Wahlperiode 06.06.2016 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Martina Renner, Frank Tempel, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/8471 – Anerkennung politisch rechts oder rassistisch motivierter Tötungsdelikte seit dem Jahr 1990 V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Das Landgericht Limburg verurteilte am 26. Juni 2015 zwei Männer wegen Mordes an dem 55-jährigen Charles W. zu Haftstrafen zwischen zehn und zwölf Jahren. Charles W. kam im Jahr 1972 als Flüchtling aus Ruanda nach Deutschland und wurde am 23. Oktober 2014 in einer Unterkunft für Wohnungslose aus rassistischen Motiven getötet. Zeugenaussagen zufolge hatten die Angreifer Charles W. rassistisch beschimpft und ihn dann tödlich verletzt (vgl. Nassauische Neue Presse „Alkohol und Rassismus“ vom 13. Juni 2015, www.nnp.de/ lokales/limburg_und_umgebung/Alkohol-und-Rassismus;art680,1443929). Das Landgericht Limburg ging in seinem Urteil von „Fremdenfeindlichkeit“ als Tatmotiv und Mordmerkmal aus. Die Täter hätten zwar keiner rechtsradikalen Organisation angehört, hätten sich aber von ihren rechtsradikalen Ansichten bei dem Angriff leiten lassen, stellte das Gericht in der mündlichen Urteilsbegründung fest (vgl. Nassauische Neue Presse „Mord aus Hass: Hohe Haftstrafen für rechtsradikale Täter“ vom 24. Juni 2015, www.nnp.de/lokales/limburg_und_ umgebung/Mord-aus-Hass-Hohe-Haftstrafen-fuer-rechtsradikale-Taeter;art68 0,1462450). Legt man die Kriterien für die Erfassung von Straf- und Gewalttaten nach dem Katalogsystem PMK-rechts (PMK: politisch motivierte Kriminalität ) zugrunde, hätte der Mord an Charles W. im Verfassungsschutzbericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz für das Jahr 2014 als PMK-rechts Tötungsdelikt genannt werden müssen, da sowohl Polizei als auch Staatsanwaltschaft unmittelbar nach der Tat und der Festnahme von einem fremdenfeindlich motivierten Tötungsdelikt ausgegangen waren (vgl. Hessischer Rundfunk „Polizei vermutet fremdenfeindliches Motiv“ vom 29. Oktober 2014, www.hr-online. de/website/rubriken/nachrichten/indexhessen34938.jsp?rubrik=36090&key= standard_document_53408781). Der Verfassungsschutzbericht 2014 des Bundesamtes für Verfassungsschutz weist allerdings in der Kategorie „PMK-rechts Tötungsdelikte“ kein vollendetes Tötungsdelikt für das Jahr 2014 aus. Die Bundesregierung erkennt 75 Todesopfer rechter Gewalt seit dem Jahr 1990 an. Demgegenüber gehen Recherchen für „Der Tagesspiegel“ und „ZEIT ONLINE“ von mindestens 156 politisch rechts und rassistisch motivierten Tötungsdelikten seit dem Jahr 1990 aus (vgl. ZEIT ONLINE „156 Schicksale“ Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/8674 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode vom 30. Juni 2015, www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-09/todesopferrechte -gewalt). Die Amadeu Antonio Stiftung und antifaschistische Initiativen gehen sogar von mindestens 178 Todesopfern rechter Gewalt seit dem Jahr 1990 aus (vgl. Opferfonds CURA: „Todesopfer rechter Gewalt seit 1990“, www. opferfonds-cura.de/zahlen-und-fakten/todesopfer- rechter-gewalt/). Die Initiativen und spezialisierten Opferberatungsstellen für Opfer rechter Gewalt fordern schon seit langem eine unabhängige Überprüfung der Diskrepanz zwischen den Todesopfer-Zahlen von Initiativen und Medien einerseits und der offiziellen Anerkennungspraxis andererseits. Im Juni 2015 hatte die Landesregierung Brandenburg das Ergebnis einer unabhängigen Untersuchung von 24 so genannten Altfällen durch das Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien e. V. (MMZ) in Potsdam bekannt gegeben und neun weitere Tötungsdelikte aus dem Zeitraum der Jahre 1990 bis 2008 als politisch rechts motiviert anerkannt (vgl. Abschlussbericht des Forschungsprojekts „Überprüfung umstrittener Altfälle rechtsextremer und rassistischer Gewalt im Land Brandenburg seit 1990“, www.mmz-potsdam.de/files/MMZ-Potsdam/Bilder_Veranstaltungen/ MMZ%20Forschungsbericht%20Studie%20Todesopfer%20rechtsextremer% 20und%20rassistischer%20Gewalt%20in%20Brandenburg%2029062015.pdf). Damit ist das Land Brandenburg das erste Bundesland, das die so genannten Altfälle durch eine unabhängige Institution überprüfen ließ, während Sachsen und Sachsen-Anhalt in den vergangenen Jahren retroaktive Anerkennungen durch Überprüfungen von Innen- und Justizministerien vornahmen. 1. Hat die Bundesregierung Kenntnis, wann und in welchem Gremium bzw. in welchen Gremien der Innenministerkonferenz (IMK) die Ergebnisse des Forschungsprojekts „Überprüfung umstrittener Altfälle rechtsextremer und rassistischer Gewalt im Land Brandenburg seit 1990“ des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien e. V. vorgestellt wurden? Der Arbeitskreis Innere Sicherheit der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (AK II) hat im Rahmen einer Telefonkonferenz am 13. Juli 2015 das Forschungsprojekt sowie die Ergebnisse hierzu mündlich erörtert . 2. Welche Bundesländer bzw. deren Vertreterinnen und Vertreter bei der IMK wenden sich nach Kenntnis der Bundesregierung gegen eine Überprüfung umstrittener Altfälle von Tötungsdelikten mit mutmaßlichem rechtsextremem oder rassistischem Hintergrund durch unabhängige wissenschaftliche und zivilgesellschaftliche Einrichtungen? Bis auf die Länder Brandenburg und Berlin haben die Länder die Altfallüberprüfung durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Polizei durchgeführt. 3. Welche Bundesländer bzw. deren Vertreterinnen und Vertreter bei der IMK befürworten nach Kenntnis der Bundesregierung eine Überprüfung umstrittener Altfälle von Tötungsdelikten mit mutmaßlichem rechtsextremem oder rassistischem Hintergrund durch unabhängige wissenschaftliche und zivilgesellschaftliche Einrichtungen? Die Länder Brandenburg und Berlin haben in die Altfallüberprüfung Einrichtungen im Sinne der Fragestellung einbezogen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8674 4. Aus welchen Gründen haben das Bundesministerium des Innern und die IMK bislang keine Überprüfung aller auf dokumentierten umstrittenen Altfälle von Tötungsdelikten (vgl. www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-09/ todesopfer-rechte-gewalt sowie www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/ 2010-09/verdachtsfaelle-toetungsdelikt-rechter-hintergrund) mit mutmaßlichem rechtsextremem bzw. rassistischem Hintergrund nach dem Vorbild des Forschungsprojekts „Überprüfung umstrittener Altfälle rechtsextremer und rassistischer Gewalt im Land Brandenburg seit 1990“ des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien e. V. angeregt und beschlossen ? Die Zuständigkeit für die Ermittlungen in den genannten Fällen obliegt den Ländern . Die Konzeption zur Fallanalyse wurde von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) beschlossen. Auch über eine etwaige Änderung dieser Konzeption müsste daher die IMK entscheiden. 5. Waren die 22 für die „ZEIT ONLINE“ recherchierten Fälle, bei denen der Verdacht auf ein rechtes Tötungsdelikt besteht, Gegenstand der Untersuchung der Arbeitsgruppe (AG) Fallanalyse im Gemeinsamen Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum Rechts – GETZ-R – (vgl. „Erstochen, erschlagen , verbrannt – 22 Verdachtsfälle“, ZEIT ONLINE vom 30. Juni 2015, www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-09/verdachtsfaelle-toetungs delikt-rechter-hintergrund)? In der ersten Phase der Altfallprüfung der AG Fallanalyse wurden ungeklärte versuchte und vollendete Tötungsdelikte nach den §§ 211, 212 des Strafgesetzbuchs aus den Jahren 1990 bis 2011 untersucht, in denen kein Tatverdächtiger ermittelt werden konnte. Darüber hinaus wurde in diese Phase auch die von Journalisten der Zeitungen DER TAGESSPIEGEL und DIE ZEIT für den Zeitraum seit 1990 recherchierte Liste von 137 Todesopfern rechter Gewalt („Opferliste“) mit einbezogen . Die 22 in der Fragestellung genannten Fälle weisen entweder auf einen Tatverdächtigen hin oder liegen außerhalb des Untersuchungszeitraums der AG Fallanalyse . Die Fälle des in der „ZEIT-Auflistung“ genannten Ingo B. und Holger Urbaniak sind in den Datenabgleich der Altfallprüfung der AG Fallanalyse im GETZ-R mit einbezogen worden. Der Fall des Ingo B. wurde durch das Land Berlin als Sonderfall mit dem Anliegen gemeldet, ihn in den Datenabgleich mit einzubeziehen. Der Fall des Holger Urbaniak wurde durch das Land Brandenburg als Teil der „Opferliste“ per Sonder-meldung an das Bundeskriminalamt (BKA) gemeldet und daher in den Datenabgleich einbezogen. 6. Ist die Überarbeitung des Evaluierungsberichtes der AG Fallanalyse im GETZ-R im Hinblick auf die Ergebnisse des Forschungsprojekts „Überprüfung umstrittener Altfälle rechtsextremer und rassistischer Gewalt im Land Brandenburg seit 1990“ des Moses Mendelssohn Zentrums für europäischjüdische Studien e. V. abgeschlossen und wenn ja, mit welchem Ergebnis? Die Überarbeitung des Evaluierungsberichtes der AG Fallanalyse im GETZ-R im Hinblick auf die Ergebnisse des Forschungsprojekts „Überprüfung umstrittener Altfälle rechtsextremer und rassistischer Gewalt im Land Brandenburg seit 1990“ des Moses Mendelssohn Zentrums ist noch nicht abgeschlossen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/8674 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 7. Falls die Überprüfung noch nicht abgeschlossen ist, wann ist damit zu rechnen ? Über die Konzeption und zeitliche Planung der Fallanalyse entscheidet die IMK. Insoweit wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. Ein konkreter Zeitpunkt kann von der Bundesregierung daher nicht genannt werden. 8. Welche Schlussfolgerungen für das weitere Vorgehen haben die IMK und ihre Gremien aus dem Evaluierungsbericht der AG Fallanalyse gezogen? Der Bundesregierung liegen keine entsprechenden Schlussfolgerungen der IMK und ihrer Gremien vor. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333