Deutscher Bundestag Drucksache 18/878 18. Wahlperiode 20.03.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Kathrin Vogler, Cornelia Möhring, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der DIE LINKE. – Drucksache 18/698 – Mögliche Nichtumsetzung des Bundesratsbeschlusses zur „Pille danach“ Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Mit dem Referentenentwurf vom 12. Juni 2013 hat die Bundesregierung eine turnusmäßige Verordnung zur Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung und der Verordnung über apothekenpflichtige und freiverkäufliche Arzneimittel auf den Weg gebracht. Diese Verordnung ist nach § 48 Absatz 2 Satz 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG) im Bundesrat zustimmungspflichtig und sollte ursprünglich Ende des Jahres 2013 in Kraft treten. Über die Verordnung hat nach § 48 Absatz 2 Satz 1 AMG das Bundesministerium für Gesundheit Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie herzustellen. Am 8. November 2013 hat der Bundesrat beschlossen, der Verordnung nur dann zuzustimmen, wenn unter anderem Notfallkontrazeptiva („Pille danach“) mit bis zu 1,5 mg Levonorgestrel (LNG) pro abgeteilter Arzneiform zur einmaligen Einnahme von der Rezeptpflicht ausgenommen werden (Bundesratsdrucksache 705/13). Nach § 48 Absatz 2 Satz 2 AMG sind vor der Verordnungsänderung durch die Bundesregierung Sachverständige anzuhören. Der dafür eingerichtete Sachverständigenausschuss im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hatte über Notfallkontrazeptiva mit Levonorgestrel bereits im Jahr 2003 beraten und die Rezeptfreiheit empfohlen. Der zu diesem Zeitpunkt amtierende Bundesminister für Gesundheit, Daniel Bahr, hatte nach dem Bundesratsbeschluss den Ausschuss erneut um eine Einschätzung gebeten. Am 14. Januar 2014 hat er seine Empfehlung bekräftigt. Es ist jetzt an der Bundesregierung, die Verordnung mit der Maßgabe des Bundesrates durch Verkündung im Bundesanzeiger in Kraft zu setzen. Das Bundesministerium für Gesundheit sowie die Fraktion der CDU/CSU haben sich trotz allem weiterhin gegen die Rezeptfreiheit der „Pille danach“ mit Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 18. März 2014 übermittelt und ergänzende Antwort vom 3. April 2014. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. LNG ausgesprochen (vgl. die von der Fraktion DIE LINKE. initiierte Bundestagsdebatte am 14. Februar 2014). Die einzige Möglichkeit der Bundesregierung, die Rezeptfreiheit der „Pille danach “ mit LNG nicht herzustellen, besteht darin, die Verkündung der Verord- Drucksache 18/878 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode nung als Ganzes einfach zu unterlassen. Damit entfielen auch die anderen vorgesehenen Regelungen. § 48 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 AMG regelt klar und abschließend die Kriterien für die Rezeptpflicht von Arzneimitteln. Maßgeblich sind für Humanarzneimittel nach Buchstabe a die unmittelbare oder mittelbare Gesundheitsgefährdung auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch, wenn sie ohne ärztliche bzw. zahnärztliche Überwachung angewendet werden sowie nach Buchstabe b eine erhebliche Missbrauchsgefahr, sofern dadurch die Gesundheit unmittelbar oder mittelbar gefährdet werden kann. Vo r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g In Deutschland sind Notfallkontrazeptiva mit den Wirkstoffen Levonorgestrel (LNG) und Ulipristalacetat am Markt verfügbar. Für eine auf nationaler Ebene vorzunehmende Entlassung aus der Verschreibungspflicht kommen derzeit nur entsprechende Arzneimittel mit dem Wirkstoff LNG in Betracht, weil Notfallkontrazeptiva mit dem Wirkstoff Ulipristalacetat von der Europäischen Kommission zugelassen wurden und eine Empfehlung zur Entlassung dieser Arzneimittel aus der Verschreibungspflicht nur durch die Europäische Kommission erfolgen kann. Auf EU-Ebene (EU = Europäische Union) liegt zwar ein Antrag auf Entlassung von Notfallkontrazeptiva mit dem Wirkstoff Ulipristalacetat vor, jedoch ist nach derzeit vorliegenden Informationen mit einer Entscheidung in dem Verfahren frühestens im Sommer des Jahres 2014 zu rechnen. Der Bundesrat hatte am 8. November 2013 beschlossen, sowohl der Verordnung zur Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung als auch der Verordnung zur Umsetzung der Regelungen der Europäischen Union über die Anerkennung von in anderen Mitgliedstaaten ausgestellten ärztlichen oder zahnärztlichen Verschreibungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten nur dann zuzustimmen, wenn (u. a.) jeweils LNG-Notfallkontrazeptiva aus der Verschreibungspflicht entlassen werden. 1. Wäre zur Verkündung der Verordnung gemäß § 48 Absatz 2 Satz 1 AMG das Einvernehmen mit dem Bundeswirtschaftsministerium herzustellen, und wurde dieses Einvernehmen auch bezüglich der möglichen Nichtverkündung hergestellt? § 48 Absatz 2 AMG ermächtigt das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) zum Erlass von Rechtsverordnungen im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. Die gesetzlich vorgeschriebene Einvernehmensregelung eines in der Ermächtigungsnorm genannten Bundesministeriums legt als formelle Anforderung dem Verordnungsgeber ausdrücklich die Beteiligungspflicht für den Erlass einer Rechtsverordnung auf. Dies gilt nicht für den Verzicht auf den Erlass. 2. Welche Position nimmt diesbezüglich das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ein? Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) ist zwar aufgrund von § 48 AMG kein Einvernehmensressort, wird aber vom BMG bei der Beantwortung von an die Bundesregierung gerichteten Fragen und Anfragen zu Notfallkontrazeptiva gemäß § 19 und § 62 Absatz 1 i. V. m. § 45 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) beteiligt. Als für das Schwangerschaftskonfliktgesetz zuständige Ressort führt das BMFSFJ u. a. in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/878 Aufklärung umfangreiche Maßnahmen durch mit dem Ziel einer zielgruppenspezifischen Information und Aufklärung zu allen Methoden der Empfängnisverhütung einschließlich der Methoden zur Nachverhütung. 3. Wie gedenkt die Bundesregierung, mit dem genannten Bundesratsbeschluss vom 8. November 2013 umzugehen (bitte Zeithorizont angeben)? Die Bundesregierung prüft derzeit das weitere Vorgehen im Hinblick auf die vom Bundesrat zu den Verordnungen gefassten Maßgabebeschlüsse vom 8. November 2013. 4. Unter welchen Voraussetzungen kann die Bundesregierung die Verkündung einer zustimmungspflichtigen Verordnung (hier Arzneimittelverschreibungsverordnung – AMVV) nach Maßgabe des Beschlusses des Bundesrates unterlassen ? Nach § 48 Absatz 2 AMG obliegt der Erlass der AMVV dem zuständigen BMG, das die Verantwortung für die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Verordnung sowie deren Zweckmäßigkeit trägt. § 65 Nummer 1 Satz 3 i. V. m. Nummer 3 GGO (Folgerungen aus dem Beschluss des Bundesrates) regelt das Verfahren für den Umgang mit Maßgabebeschlüssen des Bundesrates. 5. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung den Voten des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht bei, dessen Anhörung gesetzlich für das Verordnungsgebungsverfahren vorgesehen ist und dessen Mitglieder von der Bundesregierung selbst benannt wurden? Der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht berät das BMG (bzw. das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft – BMEL) im Hinblick auf fachliche Aspekte zu möglichen Änderungen der Arzneimittelverschreibungsverordnung . Seine Voten sind für das jeweils zuständige Ressort nicht bindend . 6. Welche Folgen hat die mögliche Nichtverkündung der durch den Bundesrat geänderten Verordnung? Die Nichtverkündung der beiden durch den Bundesrat am 8. November 2013 geänderten Verordnungen (Verordnung zur Umsetzung der Regelungen der Europäischen Union (EU) über die Anerkennung von in anderen Mitgliedstaaten ausgestellten ärztlichen oder zahnärztlichen Verschreibungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie die Verordnung zur Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung und der Verordnung über apothekenpflichtige und freiverkäufliche Arzneimittel) zieht zunächst nach sich, dass die insofern vorgesehenen Regelungen nicht in Kraft treten. Unter den Regelungen befinden sich Maßnahmen zur Erleichterung der Anerkennung von in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten ärztlichen Verschreibungen . Damit hatte die Bundesregierung eine Umsetzung von Artikel 11 der Richtlinie 2011/24/EU vom 9. März 2011 über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung und der Durchführungsrichtlinie 2012/52/EU vom 20. Dezember 2012 in deutsches Recht beab- sichtigt. Insofern verzögert sich aufgrund der durch den Maßgabebeschluss des Bundesrats notwendigen Prüfung die Umsetzung dieser Richtlinien. Drucksache 18/878 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 7. Plant die Bundesregierung, erneut einen Verordnungsentwurf zur Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung vorzulegen, der keine Entlassung von LNG von der Verschreibungspflicht beinhaltet? Auf die Antwort zu Frage 3 wird verwiesen. 8. Welche EU-Bestimmungen sind aufgrund der Nichtverkündung der genannten Verordnungsänderung nicht in Kraft getreten (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. Februar 2014), und welche Sanktionen sind darauffolgend angedroht oder in die Wege geleitet worden? Durch die Durchführungsrichtlinie 2012/52/EU der Kommission vom 20. Dezember 2012 sind die Vorgaben zur einheitlichen Durchführung von Artikel 11 Absatz 2 der Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung in Bezug auf die Anerkennung von in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten ärztlichen und zahnärztlichen Verschreibungen festgelegt worden. Die Umsetzungsfrist der durch die Durchführungsrichtlinie 2012/52/EU vorgegebenen Voraussetzungen für die Anerkennung von in anderen Mitgliedstaaten ausgestellten ärztlichen und zahnärztlichen Verschreibungen ist am 25. Oktober 2013 verstrichen. Die Europäische Kommission hat mit Mahnschreiben vom 27. Januar 2014 ein Vertragsverletzungsverfahren gemäß Artikel 258 AEUV wegen Nichtmitteilung der Maßnahmen zur Umsetzung der Durchführungsrichtlinie gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet. Nach Ablauf der am 27. März 2014 endenden Anhörungsfrist kann die Kommission als nächste Stufe hin zu einem Klageverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine mit Gründen versehene Stellungnahme an Deutschland richten, mit der sie ihren Vorwurf der Vertragsverletzung feststellt. 9. Welche Informationen hat die Bundesregierung über Bemühungen, auf europäischer Ebene die Rezeptfreiheit für Ulipristal zur Notfallkontrazeption herzustellen, und welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus? Im Jahr 2013 wurde vom pharmazeutischen Unternehmer des im zentralen Verfahren zugelassenen Arzneimittels ellaOne® (Wirkstoff Ulipristal zur Notfallkontrazeption ) bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) ein Änderungsantrag gestellt mit dem Ziel, ellaOne® in der EU aus der Verschreibungspflicht zu entlassen. Das Verfahren befindet sich zur Zeit im Beratungsstadium im zuständigen Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP), der den Antrag bewertet und am Ende des Verfahrens ein wissenschaftliches Gutachten erstellt und eine Empfehlung abgeben wird. Der Ausgang des Verfahrens ist zurzeit nicht absehbar. Schlussfolgerungen können derzeit nicht gezogen werden. 10. Inwieweit können nach Ansicht der Bundesregierung andere als die in § 48 Absatz 2 Nummer 3 AMG genannten Kriterien bei Entscheidungen über die Verschreibungspflicht herangezogen werden? Entscheidungen über Regelungen zur Verschreibungspflicht von Arzneimitteln sind vor dem Hintergrund und in Abwägung aller in § 48 AMG genannten Kriterien zu treffen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/878 11. Inwieweit darf es nach Ansicht der Bundesregierung gemäß dem Arzneimittelgesetz bei der Entscheidung über die Rezeptpflicht eine Rolle spielen , ob das betreffende Arzneimittel indikationsbezogen als Mittel erster Wahl angesehen wird? Nach dem Arzneimittelgesetz sollen nur die mit dem einzelnen Wirkstoff verbundenen Risiken über die Einstufung zur Verkaufsabgrenzung entscheiden. 12. Bewertet die Bundesregierung Ulipristal in Übereinstimmung mit dem Bundesverband der Frauenärzte als „neue Standard-Methode“ (www.bvf.de/ pdf/fachinfo/130205_final_EC_update_18_5.2.2013[1].pdf ), oder stimmt sie eher etwa dem Arzneimitteltelegramm zu, das Ulipristal als „Mittel der Reserve“ (www.arznei-telegramm.de/db/wkstxt.php3?&knr=029411/ 4078 17&art=mono&nummer=Ulipristalazetat&ord=uaw) bewertet (bitte begründen)? Im Rahmen von Zulassungs- und anderen Verfahren wird das Nutzen-RisikoVerhältnis von Arzneimitteln für die jeweils beanspruchten Anwendungsgebiete bewertet. Eine darüber hinausgehende Einstufung erfolgt nicht. 13. Welchen Stellenwert haben für die Beurteilung der Bundesregierung die in der EU-Switch-Guideline (Europäische Kommission (2006) A GUIDELINE ON CHANGING THE CLASSIFICATION FOR THE SUPPLY OF A MEDICINAL PRODUCT FOR HUMAN USE) genannten Kriterien für die Verschreibungspflicht? Die EU-Switch-Guideline bietet für Entscheidungen zur Verschreibungspflicht von Arzneimitteln wertvolle fachliche Anhaltspunkte, die zur abschließenden Entscheidungsfindung beitragen können. 14. Welche der in der EU-Switch-Guideline genannten Kriterien rechtfertigen nach Ansicht der Bundesregierung die Verschreibungspflicht für LNGhaltige Notfallkontrazeptiva? Aus der Sicht der Bundesregierung können insbesondere verschiedene, unter Kriterium 1 diskutierte Aspekte für eine Aufrechterhaltung der Verschreibungspflicht für LNG-Notfallkontrazeptiva sprechen. 15. Welches der im AMG genannten Kriterien findet für die Bundesregierung bei der Entscheidung über die mögliche Nichtumsetzung einer Entlassung von LNG zur Notfallkontrazeption Anwendung (bitte begründen)? Im Hinblick auf die Entlassung von LNG-Notfallkontrazeptiva aus der Verschreibungspflicht sind für die Bundesregierung die Regelungen des § 48 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe a und b AMG ausschlaggebend, weil bei allen Regelungen zur Verschreibungspflicht die Arzneimittelsicherheit und damit die Gesundheit der Patientinnen und Patienten im Vordergrund steht. 16. Welche Argumente hat der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht bei der Verabschiedung seines Votums in seiner Sitzung am 14. Januar 2014 gewürdigt, und in welchen Punkten kommt die Bundesregierung zu einer anderen fachlichen Auffassung (bitte jeweils begründen )? Drucksache 18/878 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Das Protokoll der 71. Sitzung des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht nach § 53 Absatz 2 AMG vom 14. Januar 2014 ist auf der Webseite des BfArM unter www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Gremien/ Verschreibungspflicht/Protokolle/71Sitzung/top6.html einsehbar. Aus dem Protokoll geht hervor, dass in der Sitzung des Sachverständigenausschusses seitens einzelner Sachverständiger unterschiedliche Nachfragen gestellt wurden und dass die Diskussion verschiedene Aspekte der Thematik teilweise kontrovers beleuchtete. Das Votum zur Entlassung von LNG zur Notfallkontrazeption aus der Verschreibungspflicht erfolgte mehrheitlich, also nicht einstimmig. Von einer fachlichen Stellungnahme der Bundesregierung zu Meinungsäußerungen einzelner Sachverständiger wird insofern abgesehen. 17. In welchen Fällen sind die Bundesregierung oder nach ihrer Kenntnis der Bundesrat einem Votum des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht in den letzten zehn Jahren nicht gefolgt, und inwiefern hält die Bundesregierung diese Fälle für sachlich und rechtlich vergleichbar mit der Entscheidung um LNG-haltige Notfallkontrazeptiva? Folgende Voten des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht (SVA) hat das BMG während der letzten zehn Jahre nicht umgesetzt: a) Votum des SVA mit dem Ziel der Entlassung von calcipotriolhaltigen Arznei- mitteln aus der Verschreibungspflicht vom 1. Juli 2008, b) Votum des SVA mit dem Ziel der Entlassung von ipratropiumbromidhaltigen Arzneimitteln zur intranasalen Anwendung aus der Verschreibungspflicht vom 30. Juni 2009, c) Votum des SVA mit dem Ziel der partiellen packungsgrößenabhängigen Unterstellung von nicht verschreibungspflichtigen Analgetika unter die Verschreibungspflicht vom 12. Januar 2010 bzw. vom 26. Juni 2012, d) Votum des SVA mit dem Ziel der Entlassung von desloratadinhaltigen Arzneimitteln aus der Verschreibungspflicht vom 25. Juni 2013. Auch in diesen Fällen haben meist Erwägungen zur Patientensicherheit und zur Arzneimittelsicherheit oder aber regulatorische Bedenken aufgrund einer Festlegung der Verkaufsabgrenzung für gleichartige Arzneimittel in zentralen Zulassungsverfahren den Ausschlag gegeben, das Votum des Sachverständigenausschusses nicht umzusetzen. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 24 verwiesen. Weiterhin hatte das BMG im Rahmen der Dreizehnten Verordnung zur Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung entgegen einem Votum des SVA zunächst vorgesehen, den Wirkstoff Racecadotril nicht aus der Verschreibungspflicht zu entlassen. Der Bundesrat hat am 1. Februar 2013 jedoch beschlossen , dieser Verordnung nur unter der Bedingung zuzustimmen, dass Arzneimittel mit dem Wirkstoff Racecadotril aus der Verschreibungspflicht entlassen werden. Das BMG hat die Maßgabe des Bundesrates akzeptiert und diese Verordnung verkündet.* Ferner hat der Bundesrat im Rahmen der Sitzung vom 8. November 2013 entgegen den Voten des SVA (für Sumatriptan vom 13. Januar 2009 und vom 26. Juni 2012, für Zolmitriptan vom 27. Februar 2012) der Entlassung von Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Sumatriptan und Zolmitriptan nicht zugestimmt. Zu den Erwägungen des Bundesrates wird auf die Bundesratsdrucksache 705/13 (Beschluss ) verwiesen.* * Korrektur wurde entsprechend dem Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 3. April 2014 vorgenommen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/878 Folgende Voten des SVA hat das BMEL während der letzten zehn Jahre nicht umgesetzt: a) Beibehaltung der Verschreibungspflicht für parenterale Ernährungslösungen im Human- und Veterinärbereich entgegen dem Votum des SVA vom 16. Januar 2007, b) Beibehaltung der Verschreibungspflicht für praziquantelhaltige Arzneimittel (Entwurmungsmittel) zur Anwendung bei Zierfischen entgegen dem Votum des SVA vom 16. Januar 2007, c) Beibehaltung der Verschreibungspflicht für Zubereitungen aus Imidacloprid und Permethrin (Antiparasitika) entgegen dem Votum des SVA vom 13. Januar 2009. Die Voten des SVA vom 14. Januar 2014 werden derzeit geprüft. 18. Welche Bedeutung hat nach Ansicht der Bundesregierung eine ärztliche Überwachung bei der Einnahme einer einzigen Tablette entsprechend den zugelassenen Anwendungsempfehlungen, und welche Kriterien sind nach Kenntnis der Bundesregierung Gegenstand einer solchen ärztlichen Überwachung ? Die allgemeine Bedeutung der ärztlichen Überwachung einer Arzneimitteltherapie ist nicht abhängig von der Frage der ein- oder mehrmaligen Einnahme eines Arzneimittels, sondern beruht vielmehr auf anderen Kriterien wie z. B. der notwendigen Differentialdiagnostik, der Schwere der zu behandelnden Erkrankung , der notwendigen Abwägung alternativer Therapieoptionen, des anzunehmenden Therapierisikos sowie nicht zuletzt des Beratungsbedarfs der zu behandelnden Person. 19. Inwiefern spielt nach Ansicht der Bundesregierung eine ärztliche Überwachung der Anwendung von LNG zur Notfallkontrazeption für das Kriterium nach § 48 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe b AMG eine Rolle? Die ärztliche Überwachung der Anwendung eines Arzneimittels ist grundsätzlich geeignet, um ein mögliches Missbrauchspotenzial zu reduzieren. 20. Sind nach Ansicht der Bundesregierung Apothekerinnen und Apotheker als Arzneimittelfachleute ebenso wie Ärztinnen und Ärzte qualifiziert, die erforderliche Beratung für eine sachgerechte und bestimmungsgemäße Anwendung von Notfallkontrazeptiva zu leisten? Apothekerinnen und Apotheker sind aufgrund ihrer pharmazeutischen Ausbildung in der Lage, Arzneimittel herzustellen, zu analysieren, zu bewerten und abzugeben . Sie sind als Arzneimittelexperten vor allem mit der Wirkungsweise und dem Nebenwirkungsprofil unterschiedlichster Arzneimittel vertraut. Diese Ausbildung, verbunden mit speziellen Fortbildungen, befähigt sie auch zu einer ihrer Qualifikation entsprechenden Beratung für eine sachgerechte und bestimmungsgemäße Anwendung von Arzneimitteln. Die Approbationsordnung für Ärzte sieht in § 1 vor, dass die ärztliche Ausbildung grundlegende Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten in allen Fächern vermittelt, die für eine umfassende Gesundheitsversorgung der Bevölkerung erforderlich sind. Die ärztliche Ausbildung soll dabei u. a. das Grundlagenwissen nicht nur über die Körperfunktionen, sondern auch über die geistig-seelischen Eigenschaften des Menschen, das Grundlagenwissen über die Krankheiten und den kranken Menschen, die für das ärztliche Handeln erforderlichen allgemei- Drucksache 18/878 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode nen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten in Diagnostik, Therapie, Gesundheitsförderung , Prävention und Rehabilitation sowie auch Grundkenntnisse der Einflüsse von Familie, Gesellschaft und Umwelt auf die Gesundheit beinhalten. Die Ausbildung eines jeden Arztes und einer jeden Ärztin umfasst darüber hinaus im präklinischen Hauptfach Physiologie die komplexen Abläufe des weiblichen Zyklus und der Reproduktion sowie im klinischen Hauptfach „Frauenheilkunde, Geburtshilfe“ die speziellen Aspekte der gynäkologischen Endokrinologie, der Reproduktionsmedizin und der Schwangerenbetreuung. Ärzte und Ärztinnen sind daher im Allgemeinen aufgrund ihrer Ausbildung befähigt , Mädchen und Frauen in einer Notfallsituation umfassend zu beraten und über Methoden der Kontrazeption und im Kontext mit einem ungeschützten Geschlechtsverkehr auch über die Gefahren sexuell übertragbarer Erkrankungen umfassend aufzuklären. 21. Ist die Abgabe und Beratung zu LNG-haltigen Notfallkontrazeptiva im Rahmen des Apothekenbereitschaftsdienstes nach Ansicht der Bundesregierung ein Hindernis für die Rezeptfreiheit? Falls ja, welche Rückschlüsse zieht die Bundesregierung bezüglich der Abgabe anderer rezeptpflichtiger und nichtrezeptpflichtiger Arzneimittel daraus? Die in diesen Notfallsituationen erforderliche Beratungsleistung, die u. a. Fragen zum Zeitpunkt des ungeschützten Geschlechtsverkehrs und der letzten Menstruation und zum ansonsten angewendeten Verhütungsverfahren sowie zur persönlichen Situation (beispielsweise Gewicht) umfassen muss, erfordert die Sicherstellung der Vertraulichkeit im Apothekennotdienst, die sowohl während der regulären Öffnungszeiten als auch während des Bereitschaftsdienstes (beispielsweise nachts an der „Apothekenklappe“) gewährleistet sein muss. Da es sich im Falle der Abgabe LNG-haltiger Notfallkontrazeptiva um Arzneimittel handelt, die in einer besonderen Notfallsituation zum Einsatz kommen, muss die erforderliche Beratung – im Gegensatz zu anderen Arzneimitteln – intime Fragen zur persönlichen Lebensführung und zum Sexualverhalten beinhalten. Insofern sind generelle Rückschlüsse bezüglich der Abgabe von anderen Arzneimitteln im Apothekennotdienst nicht möglich. 22. Welche seltenen (weniger als 1 pro 1 000 Anwendungen), schwerwiegenden Nebenwirkungen können nach Erkenntnissen der Bundesregierung bei bestimmungsgemäßem Gebrauch von LNG zur Notfallkontrazeption auftreten? Die schwerwiegenden Nebenwirkungen bei der Anwendung von LNG-Notfallkontrazeptiva beziehen sich gemäß der aktuellen Produktinformation von PiDaNa auf thromboembolische Ereignisse. 23. Welche seltenen (weniger als 1 pro 1 000 Anwendungen), schwerwiegenden Nebenwirkungen können nach Erkenntnissen der Bundesregierung bei bestimmungsgemäßem Gebrauch von nichtrezeptpflichtigen Schmerzmitteln (Paracetamol, Diclofenac, Acetylsalicylsäure, Naproxen etc.), ggf. auch in Kombinationsmitteln (etwa Erkältungsmitteln) auftreten? Bei bestimmungsgemäßem Gebrauch folgender nicht verschreibungspflichtiger Schmerzmittel Paracetamol, Diclofenac, Acetylsalicylsäure, Naproxen können folgende seltene schwerwiegende Nebenwirkungen auftreten: Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/878 Anaphylaktischer (allergischer) Schock, schwere Hautreaktionen, Asthma, Leberschädigungen, Magengeschwüre, gastrointestinale oder zerebrale Blutungen . Die o. g. Nebenwirkungen der Einzelwirkstoffe betreffen auch Kombinationsarzneimittel . In der Regel erweitert sich die Anzahl der möglichen Nebenwirkungen durch die weiteren Wirkstoffe der Kombination. Sofern Kombinationspartner gleiche Nebenwirkungen hervorrufen, kann ein verstärktes Auftreten der entsprechenden Nebenwirkung resultieren. 24. Beabsichtigt die Bundesregierung, gegebenenfalls die Verschreibungspflicht für die genannten Arzneimittel einzuführen? Das Robert Koch-Institut untersucht im Auftrag des BMG den Gebrauch von nichtverschreibungspflichtigen Analgetika und das dazu vorhandene Informationsbedürfnis der Bevölkerung. Sobald die Studienergebnisse vorliegen, wird die Bundesregierung sie eingehend prüfen. 25. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die anwendungsbezogene Häufigkeit von venösen thromboembolischen Ereignissen und Fehlbildungen im Zusammenhang mit der bestimmungsgemäßen Anwendung von LNG zur Notfallkontrazeption vor? Nach Markteinführung der Arzneimittel zur LNG-Notfallkontrazeption wurden einzelne Fälle thromboembolischer Ereignisse berichtet (relative Häufigkeit: 1/5 000 000 exponierter Frauen). Diese Berichtsrate liegt deutlich unterhalb der Inzidenz für entsprechende Fälle in der Normalbevölkerung (5 bis 10 Fälle/ 100 000 Frauen, 15 bis 44 Jahre). In Spontanberichten des BfArM (UAW-Datenbank) wurden seit dem Jahr 1998 hierzu zwei Fälle gemeldet: In beiden Fällen wurde über die zusätzliche Anwendung von Kontrazeptiva als potenziell thrombogene Begleitmedikation berichtet . In einem Fall wurde ein Gerinnungsdefekt festgestellt, die Lungenembolie trat allerdings einen Monat nach Beginn der Anwendung eines hormonalen Kontrazeptivums auf. Ein kausaler Zusammenhang mit der Anwendung der LNG-Notfallkontrazeption kann zwar nicht ausgeschlossen, aber wegen der Begleitmedikation (kombinierte orale Kontrazeptiva) nicht als wahrscheinlich eingeschätzt werden. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333