Deutscher Bundestag Drucksache 18/927 18. Wahlperiode 26.03.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/743 – Todesopfer unter Flüchtlingen in die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Union im Jahr 2013 Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die Debatten über die Flüchtlings- und Grenzpolitik der Europäischen Union (EU) wurden im vergangenen Jahr von zwei Ereignissen überschattet, bei denen innerhalb weniger Tage hunderte Flüchtlinge in der Nähe der italienischen Insel Lampedusa ertrunken sind. Nicht nur vor Lampedusa, auch in der griechischen Ägäis ertrinken Menschen, die mit Booten und Schiffen versuchen, in die EU zu gelangen. An den Grenzen Marokkos zu den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla werden Migrantinnen und Migranten durch Einsatz von Schusswaffen und Gummigeschossen schwer verletzt oder getötet. Eine neue und extrem gefährliche Route besteht zwischen Ägypten und Griechenland bzw. Italien . Sie wird unter anderem von syrischen Flüchtlingen benutzt, die keine Möglichkeit haben, als Schutzsuchende legal und sicher in die EU einzureisen. Vo r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die Bundesregierung ist angesichts der schrecklichen Unglücke z. B. vor der Küste der italienischen Insel Lampedusa, bei denen zahlreiche Flüchtlinge zu Schaden gekommen sind oder gar ihr Leben verloren haben, tief betroffen. Es müssen daher auch zukünftig alle verfügbaren Mittel genutzt werden, um derartige Risiken zu minimieren. Die mit Migration und Flucht verbundenen Herausforderungen sind allerdings gewaltig und haben sehr vielschichtige Dimensionen . Kein Land der Europäischen Union (EU) kann sie allein meistern. Deshalb stimmt sich die Bundesregierung in der Flüchtlings- und Migrationspolitik eng mit den anderen Mitgliedstaaten der EU ab. Schleusungen erfolgen teilweise unter menschenunwürdigen und -verachtenden Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 24. März 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. sowie lebensbedrohlichen Bedingungen. Schleuser nutzen dabei oft bewusst die Notlage von Personen in ihren Heimatländern aus reinem Profitstreben und zur Gewinnmaximierung aus. Die Bundesregierung verurteilt das Handeln von Schleuserbanden. Drucksache 18/927 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 1. Wie viele Personen sind nach Kenntnis der Bundesregierung im Jahr 2013 a) an den Landesgrenzen, Küsten, Seehäfen, Flughäfen bzw. im Grenzgebiet der Bundesrepublik Deutschland, und b) an den Grenzen der EU tot aufgefunden worden (bitte nach Datum und Ort des Auffindens, Nationalität des Opfers und Todesart bzw. Umständen des Todes aufschlüsseln)? Hierzu liegen der Bundesregierung keine amtlichen Erkenntnisse vor. 2. Wie viele Personen sind nach Kenntnis der Bundesregierung im Jahr 2013 mit körperlichen Verletzungen durch Erfrierungen, Unterkühlungen, Hunger /Durst o. Ä. aufgegriffen worden, die sie sich im Zuge ihres ggf. unerlaubten Grenzübertritts a) in die Bundesrepublik Deutschland oder b) in der EU zugezogen hatten (bitte nach Datum und Ort, Nationalität des Opfers, Körperverletzungsart aufschlüsseln)? Hierzu liegen der Bundesregierung keine amtlichen Erkenntnisse vor. 3. Wie viele Personen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung im Jahr 2013 im Zuge ihres ggf. unerlaubten Grenzübertritts a) durch Bundespolizei oder Zollbeamte in Deutschland, und b) durch Bundespolizei- oder Zollbeamte an den Außengrenzen der EU durch die Anwendung unmittelbaren Zwangs bzw. im Zuge einer entsprechenden Nacheile körperlich verletzt? c) Wie viele Ermittlungs- und Disziplinarverfahren wurden diesbezüglich eingeleitet und mit welchem Ergebnis abgeschlossen (bitte aufschlüsseln )? Keine. 4. Wie viele Personen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung im Jahr 2013 a) in der Bundesrepublik Deutschland und Auf die Antwort zu Frage 2a wird verwiesen. Datum Ort Transportmittel Anzahl und Nationalität Todesart Verletzungsart 15. Mai 2013 Deutsch-Tschechische Grenze (BAB 17 – Rastplatz „Am Heidenholz“) LKW 2 (vermutlich) syrische Staatsangehörige Schwächeanfall Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/927 b) in der EU im Zuge ihrer ggf. unerlaubten Grenzübertritte durch Privatpersonen verletzt bzw. getötet (bitte nach Datum und Ort, Nationalität des Opfers und Todes- bzw. Verletzungsart aufschlüsseln)? Hierzu liegen der Bundesregierung keine amtlichen Erkenntnisse vor. c) Wie viele Ermittlungsverfahren wurden diesbezüglich eingeleitet und mit welchem Ergebnis abgeschlossen (bitte aufschlüsseln)? Gegen den Lkw-Fahrer (siehe Antwort zu Frage 2a) wurde ein Ermittlungsverfahren gemäß § 96 Absatz 2 Nummer 5 des Aufenthaltsgesetzes eingeleitet. Er wurde am 13. November 2013 durch das Amtsgericht Pirna zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, die auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurden. 5. Wie viele Personen sind nach Kenntnis der Bundesregierung im Jahr 2013 a) in der Bundesrepublik Deutschland und Auf die Antwort zu Frage 2a wird verwiesen. b) in der EU tot aufgefunden worden, nachdem sie im Zuge ihres Versuchs der ggf. unerlaubten Einreise in die Bundesrepublik Deutschland bzw. EU in ihrem Transportmittel Sauerstoffmangel, Hunger, Durst, Kälte, Überhitzung o. Ä. ausgesetzt waren (bitte nach Datum und Ort, Nationalität der Opfer, Transportmittel und Todesart aufschlüsseln) oder sind verletzt aufgefunden worden , nachdem sie im Zuge ihres Versuchs der ggf. unerlaubten Einreise in die Bundesrepublik Deutschland bzw. EU in ihrem Transportmittel Sauerstoffmangel , Hunger, Durst, Kälte, Überhitzung o. Ä. ausgesetzt waren (bitte nach Datum und Ort, Nationalität der Opfer, Transportmittel und Verletzungsart aufschlüsseln)? Hierzu liegen der Bundesregierung keine amtlichen Erkenntnisse vor. 6. Falls zu den jeweils vorangegangenen Fragen 1 bis 5, insbesondere in Hinblick auf die EU-Außengrenzen, keine auf amtlichen Daten basierende Antwort gegeben werden kann, a) welche Daten und sonstigen Erkenntnisse liegen der Bundesregierung dazu ansonsten vor, z. B. aus den Berichten der bei der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (FRONTEX) eingesetzten Bundesbeamten oder entsprechende Daten, mit denen etwa Einrichtungen wie das „Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration “ (GASIM) arbeiten, Durch die Berichterstattung der im Rahmen von FRONTEX-Operationen eingesetzten Beamten der Bundespolizei sowie der Grenzpolizeilichen Verbindungsbeamten wurde das Bundespolizeipräsidium über nachfolgende Sachverhalte informiert : Am 21. Januar 2013 beabsichtigte nach Auskunft der griechischen Polizei eine Gruppe von 18 Personen den Fluss Evros mithilfe von zwei Schleusern von der Türkei nach Griechenland zu überqueren. Danach wollte ein Schleuser mit einem Boot, auf dem sich neun zu schleusende Personen befanden, den Fluss überqueren. Auf der Mitte des Flusses soll das Boot aus ungeklärten Gründen Drucksache 18/927 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode gekentert sein. Dabei soll ein Jugendlicher im Alter von 16 Jahren gestorben sein. Der Schleuser soll danach zurück an das türkische Ufer geschwommen sein und sich zusammen mit dem anderen Schleuser und den verbliebenen Personen auf türkischem Hoheitsgebiet entfernt haben. Bei den Personen soll es sich um syrische Staatsangehörige gehandelt haben. Entsprechend einem FRONTEX-Einzelbericht informierte die griechische Polizei darüber, dass ein Lokführer am 4. Februar 2013 die Polizeistation an der griechisch-türkischen Landgrenze in Ferres darüber informierte, dass er an der Strecke zwischen Alexandropoulis und Dikea einen leblosen Körper neben den Gleisen gesehen habe. Im Rahmen der nachfolgenden Überprüfungen soll eine männlichen Leiche, die schon stark zersetzt war, aufgefunden worden sein. Die griechischen Behörden gehen davon aus, dass es sich bei dem Toten um einen Migranten gehandelt haben soll. Weitergehende Informationen zu dem Sachverhalt liegen nicht vor. Am 28. Oktober 2013 soll an der bulgarisch-mazedonischen Grenze, in der Umgebung des Dorfes Ranentsi, eine männliche Leiche aufgefunden worden sein. Aufgrund der bei der Leiche gefundenen Papiere konnte festgestellt werden, dass es sich um einen 36-jährigen syrischen Staatsangehörigen gehandelt haben soll. Er führte demnach von der bulgarischen Flüchtlingsagentur ausgestellte Asylbewerberdokumente mit sich. Die Person soll danach im bulgarischen Flüchtlingszentrum Pastrogor (bulgarisch-türkische Grenze) registriert gewesen sein. Den Ermittlungen zufolge soll er Teil einer Gruppe gewesen sein, welche versucht haben soll, die bulgarisch-mazedonische Grenze im unwegsamen Gelände zu Fuß zu überqueren. Die Autopsie soll keine Zeichen von Gewalteinwirkung ergeben haben, Todesursache soll demnach ein Herzinfarkt gewesen sein. Gemäß Auskunft der spanischen Behörden sollen an allen Küsten Spaniens im Jahr 2013 insgesamt 13 Immigranten tot aufgefunden worden sein. Am 13. Dezember 2013 soll durch Grenzpolizeibeamte des Postens Tsarevo in der Nähe der bulgarisch-türkischen Grenze eine tote männliche Person, offensichtlich afrikanischer Herkunft, aufgefunden worden sein. Das Alter der Person soll dabei auf 25 bis 30 Jahre geschätzt worden sein, wobei bei der Leiche nach diesen Angaben keinerlei Identitätsdokumente gefunden wurden. Die dortigen Behörden gehen davon aus, dass der Mann vermutlich einer Gruppe angehörte, die unerlaubt nach Bulgarien einreisen wollte und sich im unwegsamen Gelände verirrt hatte. Als Todesursache soll Hirnblutung durch Erfrieren festgestellt worden sein. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1b verwiesen. Nach Kenntnis der Bundesregierung wurden im Jahr 2013 ca. 37 000 Personen in ca. 680 Fällen allein im Rahmen FRONTEX-koordinierter Einsätze aus Seenot gerettet. b) welche Daten von internationalen Organisationen oder Nichtregierungsorganisationen hat die Bundesregierung zur Kenntnis genommen, und welche Schlüsse zieht sie daraus, Der Bundespolizei sind u. a. die Berichte des UNHCR zur Situation an der griechisch -türkischen Grenze und der Lage in den bulgarischen Aufnahmeeinrichtungen bekannt. Zur Abwehr von Gefahren für Leib und Leben von Menschen hat das Bundespolizeipräsidium die Beamten, die im Rahmen von FRONTEXOperationen an den EU-Außengrenzen eingesetzt sind, in besonderer Weise sensibilisiert , eventuelle Rechtsverletzungen oder die Missachtung der Menschenrechte durch andere Beteiligte an den gemeinsamen Operationen zu melden. Im zurückliegenden Zeitraum wurden keine entsprechenden Beobachtungen seitens der eingesetzten Beamten gemeldet. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/927 c) welche Gründe kann die Bundesregierung angeben, dass solche Daten weder bei ihr noch bei FRONTEX systematisch erhoben werden, wo es sich doch in der Deutung der Bundesregierung bzw. FRONTEX bei diesen Toten auch um Opfer der Schleuserkriminalität handelt, die als Begründung für eine effektivere Ausgestaltung des Grenzschutzes regelmäßig herangezogen werden? Aus Sicht der Bundesregierung besteht grundsätzlich kein Bedarf an einer systematischen Erhebung der angefragten Daten. Da jeder bekannt gewordene Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweiligen Zuständigkeiten grundsätzlich aufgeklärt wird, ist ein Mehrwert einer derartigen Statistik nicht erkennbar. Die Daten wurden nicht als Begründung im Sinne der Fragestellung herangezogen. Im Übrigen wird auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 6c der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache 17/12308) vom 7. Februar 2013) verwiesen. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333