Deutscher Bundestag Drucksache 17/9278 17. Wahlperiode 10. 04. 2012 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katja Keul, Volker Beck (Köln), Agnes Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 17/9097 – Bewaffneter Schutz von Handelsschiffen unter deutscher Flagge Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Im Sommer 2011 kündigte der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundes- minister für Wirtschaft und Technologie (BMWi), Hans-Joachim Otto, an, dass die Bundesregierung plane, ein Zertifizierungsverfahren für den Einsatz privater Sicherheitsfirmen an Bord von Handelsschiffen auf den Weg zu brin- gen. Die Kapazitäten von Bundeswehr und Bundespolizei reichten nicht aus, um allen Handelsschiffen unter deutscher Flagge, die die Seewege rund um das Horn von Afrika befahren, geeigneten Schutz zukommen zu lassen, so die Begründung. In einer Pressemitteilung gab das BMWi am 16. Dezember 2011 bekannt, dass die Zertifizierung gemeinsam durch das Bundesamt für Wirt- schaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) und die Bundespolizei durchgeführt werden solle. Darüber hinaus soll durch das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), das auch die Gefahrenabwehrpläne für Seeschiffe ge- nehmige, der Einsatz der zertifizierten Sicherheitskräfte überprüft werden. Ein entsprechender Gesetzentwurf solle bis Ostern 2012 vorliegen. Weiterhin schwelt auch die Diskussion um die Rolle der Bundespolizei beim Einsatz gegen die internationale Piraterie. Während die Bundesregierung sie lediglich für die Durchführung eines Teils des angestrebten Zertifizierungs- verfahrens vorgesehen hat, griff zuletzt Anfang Februar Bernhard Witthaut, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, in einer Pressemitteilung eine For- derung des Verbands Deutscher Reeder wieder auf und erklärte die Bundes- polizei zur einzigen behördlichen „Organisation, die aus überzeugenden Grün- den für den Begleitschutz an Bord von Schiffen infrage kommt“. Im Rahmen der Atalanta-Operation werden staatliche Schutzteams (Vessel Protection Detachments – VPD) zum Schutz vor allem von Schiffen des World Food Programme (WFP) eingesetzt. Bisher wurden diese VPD nur in enger Verbindung zu Begleitschiffen der Operation eingesetzt. Nun sollen ver- mehrt sogenannte Autonomous Vessel Protection Detachments (AVPD) einge- Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie vom 5. April 2012 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. setzt werden, die unabhängig von Einsatzschiffen den Schutz von Schiffen ge- währleisten sollen. Die Niederlande stellen seit Januar 2012 solche AVPD im Rahmen der EU-Operation Atalanta zur Verfügung. Darüber hinaus bilden EU-Einsatzkräfte im Rahmen der Atalanta-Operation auch VPD der Somalia- Mission der Afrikanischen Union (AMISOM) in Mombasa aus. Drucksache 17/9278 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode 1. Welche in Deutschland niedergelassenen Bewachungsunternehmen bieten derzeit nach Kenntnis der Bundesregierung maritime Sicherheitsdienstleis- tungen an? Bislang bieten nur wenige in Deutschland niedergelassene Unternehmen mari- time Sicherheitsdienstleistungen an. Hierzu gehören nach Auskunft u. a. von SAMI (Security Association for the Maritime Industry): EDLS Executive Defense & Leadership Systems GmbH, Safe Seas Consult GmbH, Result Group GmbH, Condor Schutz- und Sicherheitsdienst GmbH, Ibs – Internatio- nale Bodygard- und Sicherheitsagentur e.K. und ISN International Security Network GmbH. Agiz UG und Control Risks Group Limited besitzen Nieder- lassungen in Deutschland, haben aber ihren Hauptsitz in anderen Ländern. a) In welchem rechtlichen Rahmen und in welchem Umfang können der- zeit solche maritimen Sicherheitsdienstleistungen angeboten werden? Nach der geltenden Rechtslage können maritime Sicherheitsdienstleistungen auf Seeschiffen erbracht werden. Für die gewerbsmäßige Erbringung von Be- wachungsaufgaben ist eine Erlaubnis nach § 34a der Gewerbeordnung erfor- derlich. § 34a der Gewerbeordnung und die Bewachungsverordnung regeln die Voraussetzungen für die Erlaubniserteilung und die Anforderungen an Bewa- chungsunternehmen. Die Durchführung von Bewachungsaufgaben mit Waffen im Sinne des Waffengesetzes erfolgt auf der Grundlage des § 28 des Waffenge- setzes. b) In welchem Umfang und gegenüber welchem Adressatenkreis werden zurzeit, nach Kenntnis der Bundesregierung, solche maritimen Dienst- leistungen erbracht? Laut Auskünften des Verbandes Deutscher Reeder (VDR) setzen inzwischen viele Reeder als zusätzliche Maßnahme zum Schutz gegen Piraterie auf beson- ders gefährdeten Schiffen private Sicherheitsfirmen zum Schutz der Besatzun- gen ein. Genaue Zahlen – auch hinsichtlich der Frage, unter welcher Flagge die durch private Sicherheitsfirmen geschützten Schiffe fahren – sind der Bundes- regierung nicht bekannt. Der Einsatz von privaten Sicherheitskräften kann eine sinnvolle Ergänzung zu anderen Maßnahmen, insbesondere der Einhaltung der Best Management Practices sein, um die Sicherheit der Besatzung und eines Schiffes vor Piraterieangriffen zu erhöhen. 2. Welche Staaten zertifizieren und lizenzieren zurzeit private Sicherheits- unternehmen, die maritime Dienstleitungen erbringen, und nach welchen Kriterien plant die Bundesregierung solche Zertifizierungen und Lizenzen für den Einsatz solcher Sicherheitsdienste an Bord von Schiffen unter deut- scher Flagge anzuerkennen? Bislang gibt es unter anderen in den USA, Dänemark, Großbritannien, Nor- wegen und Liberia rechtliche Regelungen für den Einsatz von bewaffneten pri- vaten Sicherheitsdiensten an Bord von Schiffen unter der jeweiligen Flagge. Staatliche Zertifizierungs- bzw. Lizensierungssysteme speziell für maritime Sicherheitsdienstleister in anderen Staaten sind der Bundesregierung nicht be- kannt. Die Bundesregierung prüft derzeit, ob und unter welchen Voraussetzungen, im Rahmen des geplanten Zulassungsverfahrens für Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen auch staatliche Zulassungen und Lizenzen aus anderen Staaten an- erkannt werden sollen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9278 3. Inwiefern ist die geplante Zulassungserfordernis einer Zertifizierung für die Arbeit privater Sicherheitsdienste an Bord von Schiffen unter deutscher Flagge mit den Bestimmungen des europäischen Binnenmarktes verein- bar? Das geplante Zulassungsverfahren für Bewachungsunternehmen auf See- schiffen ist mit den Bestimmungen des europäischen Binnenmarktes vereinbar. 4. Welchen Mehrbedarf an Personalmitteln erwartet die Bundesregierung im Rahmen des Zertifizierungsverfahrens bei deutschen Behörden (bitte nach Behörden, Einstufung und Tätigkeit aufschlüsseln)? Ist hierfür eine kostendeckende Gebühr geplant? Im Diskussionsentwurf des BMWi wird ein Erfüllungsaufwand im BAFA i. H. v. 6 Planstellen (1 A 15, 1 A 13g, 2 A 11, 1 A 8, 1 A 7) benannt. Im BMWi ist für die Ausübung der Rechts- und Fachaufsicht 1 Stelle (A 14) zusätzlich eingeplant. Der Mehrbedarf für BMI und Bundespolizei wird derzeit im Gesetzgebungs- verfahren noch geprüft. Dieser Mehrbedarf soll über die Einnahme der Gebühren gedeckt werden. Eine begleitende Entwurfsfassung zur Änderung der Gewerbeordnung sieht gemäß § 31 Absatz 2 Nummer 5 eine Gebührenerhebung mit dem Ziel der Kosten- deckung vor. 5. Steht eine Zertifizierung gemäß dem von der Bundesregierung geplanten Zertifizierungsverfahren auch für Sicherheitsunternehmen mit Sitz im Ausland zur Verfügung? Wenn ja, plant die Bundesregierung auf Schiffen unter deutscher Flagge nur den Einsatz solcher ausländischer Sicherheitsunternehmen zu gestat- ten, die nach dem einzuführenden Verfahren zertifiziert wurden? Wenn nein, nach welchen Kriterien plant die Bundesregierung den Einsatz ausländischer Sicherheitsunternehmen zum Schutz von Schiffen unter deutscher Flagge zuzulassen? Die Zulassung durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle wird sowohl von Unternehmen mit Sitz im Inland wie von Unternehmen mit Sitz im Ausland beantragt werden können. Die Bundesregierung beabsichtigt zudem, die See-Eigensicherungsverordnung zu ändern. Danach sollen Reeder, die be- absichtigen, private bewaffnete Sicherheitskräfte an Bord von Schiffen unter deutscher Flagge einzusetzen, sich einen entsprechenden Zusatz zum Gefahren- abwehrplan für das Schiff vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie genehmigen lassen. Zulässig soll ausschließlich der Einsatz von bewaffneten Sicherheitskräften sein, die vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkon- trolle zugelassen worden sind. 6. Wann wird nach den derzeitigen Plänen der Bundesregierung die erste Schulung im Rahmen des geplanten Zertifizierungsverfahrens beginnen, wann können die ersten zertifizierten privaten Sicherheitsteams auf Schif- fen unter deutscher Flagge eingesetzt werden, und wann rechnet die Bun- desregierung damit, dass von deutschen Behörden die ersten Anerkennun- gen für ausländische Sicherheitsdienste ausgestellt werden? Das geplante Zulassungsverfahren, das sich an den Empfehlungen der Interna- tional Maritime Organization orientieren wird, basiert auf einer unternehmens- Drucksache 17/9278 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode bezogenen Prüfung. Das Bewachungsunternehmen muss im Rahmen des Zu- lassungsverfahrens nachweisen, wie es sicherstellt, dass nur fachlich und per- sönlich geeignete Personen eingesetzt werden. In einer Rechtsverordnung sol- len unter anderem Anforderungen an die Qualifikationen dieser Personen festgelegt werden. Im Rahmen des Zulassungsverfahrens selbst werden keine konkret zu besuchenden Schulungen vorgeschrieben werden. Nach derzeitiger Planung soll das Gesetzgebungsverfahren bis Ende 2012 abgeschlossen wer- den. Im Anschluss daran kann das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkont- rolle auf Antrag Zulassungen erteilen. 7. Welche Bewaffnung ist nach derzeitiger Rechtslage für private Sicherheits- dienste an Bord von Handelsschiffen unter deutscher Flagge möglich? Sind Ausnahmegenehmigungen, wie sie für Sicherheitsdienste, die zum Schutz von Atomkraftwerken abgestellt sind, gelten, auch für private Sicherheitsdienste an Bord von Handelsschiffen unter deutscher Flagge denkbar? Wenn ja, welche Behörden können eine solche Ausnahmegenehmigung er- teilen? Vom Grundsatz her ist eine Bewaffnung mit allen dem Waffengesetz unterlie- genden Waffen möglich, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ertei- lung einer Erlaubnis vorliegen. Für die Ausstattung mit Waffen nach Anhang 2 Abschnitt 1 zum Waffengesetz (verbotene Waffen) wäre eine Ausnahmegeneh- migung des Bundeskriminalamtes erforderlich. Der Einsatz von Waffen, die unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen, wird nicht erlaubt. 8. Plant die Bundesregierung im Zuge des Zertifizierungsverfahrens für pri- vate Sicherheitsfirmen, das Waffenrecht oder die Regelungen für das Ver- bringen von Waffen zu verändern, so dass leichter Ausnahmegenehmigun- gen für das Mitführen und den Gebrauch von Waffen auf Schiffen erteilt werden können? Die Bundesregierung plant keine Änderung des Waffenrechts. Sie weist in die- sem Zusammenhang darauf hin, dass die Bestimmungen für das Verbringen von Feuerwaffen ausschließlich das Gebiet der Europäischen Union betreffen und insoweit auch kein Regelungsbedarf besteht. 9. Wie sieht die Bundesregierung die aktuelle Rechtslage hinsichtlich der haf- tungsrechtlichen Verantwortlichkeit von Kapitän und privatem Sicherheits- unternehmen bei der Tätigkeit der privaten Sicherheitsteams an Bord und ihren Folgen (Tötung und Verletzung von – vermeintlichen – Piraten, Zer- störung und Beschädigung von Eigentum von (vermeintlichen) Piraten, etc.)? Plant die Bundesregierung für diesen Fall neue gesetzliche Regelungen? Die Letztentscheidungsbefugnis an Bord hat nach Völkerrecht sowie nach § 106 des Seemannsgesetzes (SeemG) der Kapitän. Gemäß § 106 Absatz 2 SeemG ist der Kapitän verpflichtet, für die Erhaltung der Ordnung und Sicher- heit an Bord zu sorgen. Er ist berechtigt, die dazu notwendigen Maßnahmen zu treffen. Droht Menschen oder dem Schiff eine unmittelbare Gefahr, kann der Kapitän die zur Abwendung der Gefahr gegebenen Anordnungen notfalls mit den erforderlichen Zwangsmitteln durchsetzen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/9278 Nach § 109 Absatz 1 des Seemannsgesetzes müssen die Besatzungsmitglieder den Kapitän dabei unterstützen. Diese Verpflichtung haben ebenfalls die an Bord befindlichen privaten Sicherheitskräfte. Ob dem Kapitän eine schuldhafte Pflichtverletzung, etwa durch Überschreitung seiner Befugnisse oder eine falsche Einschätzung der Lage, vorgeworfen wer- den kann, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls, wobei die Bera- tung durch die privaten bewaffneten Sicherheitskräfte von wesentlicher Bedeu- tung sein wird und bei Piratenangriffen die besondere Notwehrlage berücksich- tigt werden muss. Die Bundesregierung sieht vor diesem Hintergrund keinen Regelungsbedarf. 10. Wie sieht die Bundesregierung die aktuelle Rechtslage bezüglich der Ver- antwortlichkeit der Schiffsführung eines Handelsschiffes unter deutscher Flagge gegenüber Schiffbrüchigen, wenn bei einem Zwischenfall zwi- schen einem Handelsschiff und Piraten das Piratenschiff zerstört oder fahruntauglich wird? Plant die Bundesregierung für diesen Fall neue gesetzliche Regelungen? Nach Artikel 98 Absatz 1 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Natio- nen vom 10. Dezember 1982 ist jeder Kapitän zur Hilfeleistung gegenüber Schiffbrüchigen verpflichtet. Aus welchem Grund die Lebensgefahr entstanden ist, spielt keine Rolle. Nach deutschem Recht muss gemäß § 2 Absatz 1 der Verordnung über die Sicherheit der Seefahrt, der Schiffsführer oder ein sonst für die Sicherheit Verantwortlicher eines zur Hilfeleistung fähigen Schiffes den in Seenot geratenen Menschen mit größter Geschwindigkeit zur Hilfe eilen und ihnen oder dem betreffenden Such- und Rettungsdienst nach Möglichkeit Kenntnis geben. Nichtbefolgung dieses Gebots kann gemäß § 323c des Straf- gesetzbuchs strafrechtlich geahndet werden. Weitere Regelungen, die den Kapitänen auf Schiffen unter deutscher Flagge zusätzliche Pflichten auferlegt, sind nicht erforderlich. 11. Wie sieht die Bundesregierung die aktuelle Rechtslage in Bezug auf den Verbleib und die Verbringung von Piraten, wenn bei einem Zwischenfall zwischen einem Handelsschiff unter deutscher Flagge und Piraten, Pira- ten an Bord des Handelsschiffes festgenommen werden, oder das Han- delsschiff Piraten, die durch diesen Zwischenfall schiffbrüchig wurden, an Bord aufnimmt? Plant die Bundesregierung für diesen Fall neue gesetzliche Regelungen? Wenn der Besatzung oder dem Schiff eine unmittelbare Gefahr droht, wie z. B. durch Aufnahme von an Bord überwältigten oder schiffbrüchigen Piraten, hat der Kapitän nach § 106 Absatz 3 SeemG die Befugnis, diese vorübergehend festzunehmen. Die Festnahme kann, falls erforderlich, solange aufrechterhalten werden, bis die mutmaßlichen Piraten im nächsten Hafen den Strafverfolgungs- behörden übergeben werden können. 12. Inwiefern wird eine menschenrechtliche Schulung als Bedingung für den Erhalt einer Zertifizierung erforderlich sein? Auf die Antwort zu Frage 6 wird verwiesen. Drucksache 17/9278 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode 13. Inwiefern sieht die Bundesregierung den Schutz von Handelsschiffen un- ter deutscher Flagge beziehungsweise von in Deutschland niedergelasse- nen Reedereien als hoheitliche Aufgabe an? Die Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist eine anerkannte Auf- gabe des Staates. Ein einfachgesetzlich geregelter Anspruch auf Schutzmaß- nahmen für Schiffe unter deutscher Flagge, die sich in internationalen Gewäs- sern befinden, besteht nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat offen gelassen, ob der Schutz der deutschen Handelsflotte in ihrem Bestehen wegen Artikel 27 des Grundgesetzes einen Belang von Verfassungsrang darstellt (BVerfGE 92, 26 (43)). Soweit dem Grundgesetz im Einzelfall eine Pflicht des Staates zum Schutz von Grundrechtspositionen entnommen werden kann, wäre zu beachten, dass dem Gesetzgeber und den anderen Zweigen der Staatsgewalt bei der Wahrnehmung von Schutzpflichten ein erheblicher Einschätzungs- und Gestal- tungsspielraum zukommt. Ein Anspruch auf einen bestimmten Schutzumfang oder ein bestimmtes staatliches Handeln lässt sich aus dem Grundgesetz nicht ableiten. 14. Inwiefern gehört die Bekämpfung der Piraterie auf Hoher See zu den Ausbildungsinhalten der Bundeswehr und der Bundespolizei? Für die Bundeswehr ergibt sich im Rahmen der Beteiligung an der EU-ge- führten Operation Atalanta u. a. die Aufgabe, Schutz für die vom Welt- ernährungsprogramm oder der Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) gecharterten Schiffe, unter anderem durch die Präsenz von bewaff- neten Kräften an Bord dieser Schiffe zu gewähren. Zum Schutz der entspre- chenden Schiffe, insbesondere der Schiffe des Welternährungsprogramms, sind in der Operation Atalanta militärische Schutz-Teams, sogenannte Vessel Pro- tection Detachments (VPD), zur Einschiffung auf Handelsschiffen vorgesehen. Deutsche Marineeinheiten in der Operation Atalanta verfügen regelmäßig über solche VPD. Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr werden durch eine ent- sprechende Ausbildung auf diese Aufgabe vorbereitet. Bei der Bundespolizei gibt es für die Bekämpfung der Piraterie keine gesonder- ten Ausbildungsinhalte. 15. Wie viele Polizistinnen und Polizisten der Bundespolizei haben eine Aus- bildung erhalten, die sie zu Einsätzen auf Handelsschiffen zur Bekämp- fung der Piraterie befähigt? Es gibt keine besondere Ausbildung von Polizeivollzugsbeamtinnen und -be- amte zu Einsätzen für den Begleitschutz von Handelsschiffen. 16. Ab welchem Zeitpunkt plant die Bundesregierung deutsche Einsatzkräfte als sogenannte AVPD im Rahmen der EU-Operation Atalanta einzuset- zen? Die Bundesregierung plant, sich mit deutschen Autonomous Vessel Protection Detachments (AVPD) an der Operation Atalanta zu beteiligen. Nachdem die EU-Operationsführung das Operationskonzept für AVPD jüngst vorgelegt hat, befinden sich die entsprechenden operativen, rechtlichen und alle weiteren Details zum Einsatz deutscher AVPD gegenwärtig in der Abstimmung zwischen den im Bundesministerium der Verteidigung und dessen nachgeordnetem Be- reich zuständigen Stellen. Konkrete Aussagen über den Zeitpunkt des Einsatzes von DEU AVPD können daher gegenwärtig noch nicht getroffen werden. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/9278 a) Inwiefern müssen Soldatinnen und Soldaten zum Einsatz in einem AVPD andere Ausbildungsvoraussetzungen erfüllen als zu einem Ein- satz in einem VPD? Auf die Antworten zu den Fragen 16 und 16e wird verwiesen. b) Plant die Bundesregierung auch Angehörige der Bundespolizei so auszubilden, dass sie als VPD/AVPD eingesetzt werden können? Nein. c) In welchem Umfang sollen diese AVPD eingesetzt werden? Deutsche AVPD aus dem Zuständigkeitsbereich des BMVg werden im Rahmen der EU-geführten Operation Atalanta eingesetzt werden. Darüber hinaus wird auf die Antwort zu Frage 16 verwiesen. d) In welchem Umfang wurden bisher VPD durch die deutsche Bundes- wehr ausgebildet? Jedes Vessel Protection Detachment (VPD) der Deutschen Marine besteht aus 12 Soldatinnen und Soldaten. Diese Teams setzen sich vorwiegend aus Solda- tinnen und Soldaten in der Laufbahn der Mannschaften mit dementsprechend vergleichsweise kurzen Verpflichtungszeiten zusammen. In Vorbereitung auf einen Einsatz im Rahmen der Operation Atalanta wurden bislang insgesamt 14 dieser VPD ausgebildet und eingesetzt. Zwei VPD befinden sich derzeit in der Ausbildung. Dies entspricht einem Gesamtumfang von 192 Soldatinnen und Soldaten. Gleichwohl entspricht die Anzahl der bislang Ausgebildeten nicht dem tatsächlichen Gegenwert an einsetzbaren VPD, da aufgrund zwischenzeit- licher Entlassungen aus dem Dienstverhältnis, Versetzungen, Beförderungen zu höheren Dienstgraden u. Ä. das Personal nicht mehr vollumfänglich für eine Verwendung in einem VPD zur Verfügung steht. Der Umfang der Ausbildung der VPD orientiert sich deshalb weiterhin an dem Ziel, dauerhaft ein VPD abstellen zu können. Bei einer Kontingentdauer von vier Monaten werden drei VPD pro Jahr benötigt, um ein VPD pro Einsatzkon- tingent durchhaltefähig zur Verfügung stellen zu können. Darüber hinaus wäre die Bereitstellung zusätzlicher VPD in geringer Anzahl zeitlich begrenzt mög- lich. Dies würde jedoch andere Einsatzverpflichtungen der Marineschutzkräfte bei UNIFIL oder ISAF einschränken. Insgesamt werden ca. 50 Soldatinnen und Soldaten pro Jahr ausgebildet. Eine gleichzeitige Gestellung eines AVPD und eines VPD ist nicht vorgesehen. e) Plant die Bundesregierung hinsichtlich des angestrebten Einsatzes deutscher AVPD den Ausbildungsumfang für deutsche VPD zu erhö- hen? Wenn ja, in welchem Maße? Die grundlegende Ausbildung für AVPD entspricht der eines VPD, jedoch soll aufgrund des abgesetzten Wirkens des AVPD sowohl die Kohäsionsausbildung als auch die Teamausbildung intensiviert werden. Um die sanitätsdienstliche und notfallmedizinische Versorgungsmöglichkeit des AVPD zu erhöhen, wird zusätzlich zum Rettungsassistenten ein entsprechend ausgebildeter Sanitätsoffi- zier mit Fachkunde Rettungsmedizin integraler Bestandteil des AVPD. Ausge- wählte Mitglieder des AVPD erhalten bedarfsabhängig weitere sanitätsdienst- liche Ausbildungsanteile. Drucksache 17/9278 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode f) Welche Inhalte werden bei der Ausbildung von Soldatinnen und Sol- daten zu VPD vermittelt? VPD werden grundlegend und umfassend auf ihre Aufgabe vorbereitet. Dazu gehören u. a. Ausbildungen zur sicheren Handhabung der mitgeführten Waffen wie z. B. Schießausbildung von einer sich bewegenden Plattform aber auch Handlungstraining zur Anwendung der Einsatzregeln (Rules of Engagement) zur Operation Atalanta. Darüber hinaus erhalten die VPD Einweisungen in die Bedienung der zu nutzenden Fernmeldemittel, in die verschiedenen Methoden zum Transport von Mensch und Material von und an Bord sowie den Lehrgang „Überleben auf See“. Gleichfalls umfasst die Ausbildung auch allgemeine Ein- weisungen für den generellen Dienst an Bord eines Schiffes, wie z. B. eine Grundeinweisung in die „Kenntnisse Handelsschifffahrt (Grundlagen in Theo- rie und Praxis)“. Zur Schulung der interkulturellen Kompetenz der Teammit- glieder erhalten die VPD gleichfalls Unterrichte zur Landeskunde sowie zu politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten im Einsatzgebiet. g) Welche rechtlichen Grundlagen sind für den Einsatz deutscher AVPD hinsichtlich der Einschiffung, der Tätigkeit an Bord und der Ausschif- fung einschlägig? Die rechtlichen Rahmenbedingungen des Einsatzes von deutschen AVPD an der Operation Atalanta ergeben sich aus dem Völker-, Europa- und Verfas- sungsrecht, insbesondere aus den einschlägigen Resolutionen des Sicherheits- rates der Vereinten Nationen betreffend die Situation in Somalia, den Artikel 100 ff. des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen von 1982, der Gemeinsamen Aktion einschließlich diese abändernden Beschlüssen des Rates der Europäischen Union über die Operation Atalanta und dem jeweiligen An- trag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- scher Streitkräfte an der Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias einschließlich der entsprechenden Zustimmung des Deut- schen Bundestages. Hinsichtlich der Rechtsstellung von deutschen AVPD gel- ten insbesondere die zwischen der EU und Dschibuti, Somalia und den Seychellen geschlossenen Abkommen über die Rechtsstellung der EU-geführ- ten Einsatzkräfte im Rahmen der Operation Atalanta bzw. die von Kenia abge- gebene Erklärung zur Rechtsstellung der EU-geführten Einsatzkräfte sowie die gegenüber der EU bzw. Deutschland abgegebenen Flaggenstaatserklärungen zur Einschiffung von VPD bzw. AVPD. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 16 verwiesen. h) Wie beurteilt die Bundesregierung für den zukünftigen Einsatz von VPD und AVPD die Auswirkungen des Falls der italienischen Solda- ten, die als VPD an Bord eines italienischen Handelsschiffes indische Fischer getötet haben, die sie fälschlicherweise für Piraten hielten? Der genannte Vorgang geschah außerhalb der EU-geführten Operation Atalanta. Der Bundesregierung liegen daher keine ausreichenden Erkenntnisse dazu vor. 17. Inwiefern plant die Bundesregierung, im Rahmen eines geänderten Ope- rationsplans für die EUNAVFOR-Operation Atalanta (EUNAVFOR = European Union Naval Force Somalia) mit deutschen Einsatzkräften bzw. dem Einsatzverband Atalanta zur Verfügung gestellten militärischen Fähigkeiten gegen an der somalischen Küste identifizierte Piratenlogistik militärisch vorzugehen? Die Bundesregierung hat im Rat am 23. März 2012 dem Beschluss des Rates der Europäischen Union zur Verlängerung und landseitigen Ausweitung des Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/9278 EU-Mandats der Operation ATALANTA zugestimmt und beabsichtigt, darauf aufbauend ein Bundestagsmandat für diesen erweiterten Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland zu beantragen. Die Bundesregierung beab- sichtigt, wie bislang in vollem Umfang an der Umsetzung der im Rahmen von ATALANTA beschlossenen Handlungsoptionen mitzuwirken. 18. Wann wird voraussichtlich die EU-Mission zum Aufbau regionaler mari- timer Kapazitäten in den Staaten am Horn von Afrika und im westin- dischen Ozean (RMCB – Regional Maritime Capacity Building) vom Rat der Europäischen Union beschlossen werden? Die Planungsarbeiten an der Mission werden fortgesetzt. Unter der Vorausset- zung, dass das Operationskonzept voraussichtlich im April und der Operations- plan voraussichtlich im Juni 2012 verabschiedet werden können, kommt auch ein Missionsbeginn ab Juni/Juli 2012 in Frage. 19. Welches Personal im Bereich des Küstenschutzes bzw. der Unterstützung im Bereich Justiz beabsichtigt die Bundesregierung im Rahmen der EU- Mission RMCB einzusetzen? Grundsätzlich in Frage kommen sekundierte zivile Experten, Polizeibeamte, aber auch Bundeswehrangehörige. Die konkrete Entscheidung wird anhand der ausgeschriebenen Profile zu fällen sein. 20. Für welche Art von Schiffstransporten werden nach Kenntnis der Bun- desregierung Truppen der AMISOM in Mombasa zu VPD durch Einsatz- kräfte aus EU-Staaten ausgebildet? Inwiefern sind oder waren deutsche Einsatzkräfte an einer solchen Aus- bildung beteiligt, bzw. plant die Bundesregierung, deutsche Soldatinnen und Soldaten daran zu beteiligen? In Ergänzung zu den durch Atalanta durchgeführten Eskortaufträgen für durch AMISOM gecharterte Schiffe wurden im November 2011 sowie im Januar und März 2012 Soldaten der AMISOM, u. a. aus Uganda, zu VPD ausgebildet. In Abstimmung zwischen der Operationsführung Atalanta, dem UN Support Of- fice for AMISOM (UNSOA) und der Operationsführung AMISOM sind damit die Voraussetzungen dafür geschaffen worden, dass AMISOM mit eigenen Kräften den Schutz für eigene logistische Transporte sicherstellen kann. Die Ausbildung von Soldaten der AMISOM wurde im Rahmen Atalanta u. a. durch französische und estnische Soldaten während Hafenaufenthalten in Mombasa (KEN) durchgeführt. Deutschland hat sich nicht an der entsprechenden Ausbil- dung beteiligt und plant gegenwärtig keine solche Beteiligung. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333