Deutscher Bundestag Drucksache 18/930 18. Wahlperiode 26.03.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Diana Golze, Kerstin Kassner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/745 – Begleitschreiben zum Zuwendungsbescheid im Rahmen der Bundesprogramme zur Extremismusprävention Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die „Demokratie-“ bzw. „Extremismuserklärung“, wie sie von der damaligen Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Kristina Schröder, eingeführt wurde, hat zu heftigen politischen Diskussionen und auch juristischen Auseinandersetzungen geführt. Mit dieser Erklärung wurden Projekte aus den Bundesprogrammen „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“, „Initiative Demokratie stärken“ und „Zusammenhalt durch Teilhabe“ dazu verpflichtet , sich zur „freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland“ zu bekennen und dafür Sorge zu tragen, dass durch die Wahl von Projektpartnern „nicht der Anschein erweckt werden darf, dass eine Unterstützung extremistischer Strukturen durch die Gewährung materieller oder immaterieller Leistungen Vorschub geleistet wird“ (erste und bis zum Jahr 2012 gültige Fassung der „Demokratieerklärung“). Vor allem der zweite, sich auf mögliche Partner beziehende Teil der Erklärung, wurde von den Demokratieprojekten als Aufforderung zur Ausspähung ihrer Kooperationspartner gewertet . Nach einer juristischen Prüfung wurde dieser Teil im Jahr 2012 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) neu gefasst . Die Kritik an der Erklärung bezog sich vor allem auf das darin enthaltene Misstrauen gegenüber Projekten, die sich in häufig schwierigen Lagen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus einsetzen , denen aber ein potenzielle Nähe zu „Extremisten“ unterstellt wurde, womit sie nach ihrer eigenen Einschätzung in ein politisches Zwielicht gerückt wurden . Die neue Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig trat ihr Amt u. a. mit der Ankündigung an, die Extremismuserklärung abzuschaffen (vgl. www.spiegel -online.de vom 21. Dezember 2013 „Familienministerium: Schwesig will Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 24. März 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Extremismusklausel abschaffen“). Tatsächlich wurde die Erklärung im Januar 2014 zugunsten einer entsprechenden Ausführung im Zuwendungsbescheid an die Projekte kassiert. Inhaltlich bleibt es jedoch bei der kritisierten Aufforderung an die Projekte, Gewähr für die demokratiepolitische Unbedenklichkeit Drucksache 18/930 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode ihrer Projektpartnerinnen und -partner zu übernehmen. Damit bleibt auch nach Ansicht der betroffenen Projekte „ein Misstrauen gegenüber den Projektträgern und deren Partnern […] bestehen“ (http://demokratiebrauchtuns.de/blog/ extremismusklausel-heist-jetzt-begleitschreiben/#more-813). 1. Welche inhaltlichen Veränderungen jenseits der geforderten Unterschrift ergeben sich nach Auffassung der Bundesregierung bei der Ersetzung der Demokratieerklärung zum entsprechenden Passus im Begleitschreiben zum Zuwendungsbescheid? 2. Werden die Projekte im Rahmen der Bundesprogramme „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“, „Initiative Demokratie stärken“ und „Zusammenhalt durch Teilhabe“ dafür Gewähr übernehmen müssen, dass keine Mittel an Personen oder Organisationen gehen dürfen, bei denen nach Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz oder der Bundesregierung die Möglichkeit einer Betätigung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung besteht, und wie unterscheidet sich diese Verpflichtung von der bisherigen inhaltlichen Praxis der Demokratieerklärung? 3. Sieht die Bundesregierung das Begleitschreiben als rechtlich verbindlich für das Handeln der Projekte an, und wo liegt nach Ansicht der Bundesregierung der Unterschied zur Unterschrift unter der Demokratieerklärung? Die Fragen 1 bis 3 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Mit dem jetzigen Verfahren, im Rahmen der Förderung von zivilem Engagement gegen Extremismus dem Zuwendungsbescheid ein rechtlich verbindliches Begleitschreiben beizufügen, kehrt die Bundesregierung zu dem Verfahren zurück, wie es bis vor der Einführung der Demokratieerklärung anerkannte Praxis gewesen ist. Der Deutsche Bundestag hat mehrfach betont, dass die Förderung von Toleranz und Demokratie sowie Extremismusprävention und -bekämpfung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, woraus sich zugleich ergibt, dass Organisationen oder Personen, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung betätigen , keine direkte oder indirekte Förderung zuteil werden darf. Das Begleitschreiben dient den Trägern als Hilfestellung, um negative förderrechtliche Konsequenzen auszuschließen, die daraus resultieren können, dass entsprechende Organisationen oder Personen mit der Durchführung eines Projekts bzw. der inhaltlichen Mitwirkung an der Durchführung eines Projekts beauftragt werden . 4. Kann sich nach Rechtsauffassung der Bundesregierung eine Pflicht zur Rückzahlung von Fördermitteln ergeben, wenn der Projektträger mit Personen oder Gruppen kooperiert, die nach Einschätzung der Bundesregierung „extremistisch“ sind? Ja. 5. Auf welchen Quellen beruht die Einschätzung der Bundesregierung, welche Personen oder Gruppen „extremistisch“ sind? 6. Welche Maßnahmen soll der Träger nach Ansicht der Bundesregierung ergreifen , um zu ermitteln, ob die von ihm ausgewählten Partner nach Auffassung der Bundesregierung „extremistisch“ oder „Verdachtsfälle“ sind? Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/930 Die Fragen 5 und 6 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Bei Personen oder Gruppen, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung betätigen, können Anhaltspunkte insbesondere die Berichte des Bundesamts für Verfassungsschutz oder die der Verfassungsschutzämter der Länder sein. Die Zuwendungsempfänger sind angehalten, darauf zu achten, dass Personen oder Organisationen, von denen ihnen bekannt ist oder bei denen sie damit rechnen , dass sich diese Personen oder Organisationen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung betätigen, nicht mit der Durchführung eines Projekts bzw. der inhaltlichen Mitwirkung an der Durchführung eines Projekts beauftragt werden. Bei Unklarheiten oder Zweifeln können sich die Zuwendungsempfänger der Bundesprogramme „TOLERANZ FÖRDERN – KOMPETENZ STÄRKEN “ und „Initiative Demokratie Stärken“ im Übrigen an die Regiestelle beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) bzw. das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wenden. Im Bundesprogramm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ können sich die Zuwendungsempfänger an die Regiestelle bei der Bundeszentrale für politische Bildung bzw. das Bundesministerium des Innern (BMI) wenden. 7. Wie begegnet die Bundesregierung der Einschätzung, dass mit dem Zuwendungsbescheid gegenüber den Projekten das gleiche demokratiepolitische Misstrauen zum Ausdruck gebracht wird, wie es der Demokratieerklärung zu Eigen war? Das Begleitschreiben ist kein Ausdruck irgendeines Misstrauens, sondern es ist eine Hilfestellung für die Zuwendungsempfänger. Damit wird erreicht, dass die Empfänger staatlicher Fördermittel weiterhin ihrer Verantwortung bei der Auswahl ihrer Kooperationspartner gerecht werden, so dass niemand mit Steuermitteln unterstützt wird, der sich nicht auf dem Boden des Grundgesetzes bewegt. Dieses Verfahren hat sich bereits in der Vergangenheit bewährt und wird akzeptiert . 8. Welche konkreten Kenntnisse hat die Bundesregierung von Unterwanderungsversuchen der Projekte durch vermeintliche Extremisten, und auf welchen Erfahrungen beruht der Satz im Zuwendungsbescheid: „Unterwanderungsversuche von geförderten Initiativen durch solche Personen oder Gruppen muss wirksam begegnet werden“ (Zuwendungsbescheid des BMFSFJ vom 31. Januar 2014)? 9. Welche konkreten Unterwanderungsversuche von vermeintlichen Extremisten gab es nach Kenntnissen der Bundesregierung im Rahmen der Bundesprogramme „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“, „Initiative Demokratie stärken“ und „Zusammenhalt durch Teilhabe“ (bitte alle Fälle unter Nennung des geförderten Projekts nach Jahren auflisten)? 10. Auf welche Fälle bezieht sich der Satz im Zuwendungsbescheid: „In der Vergangenheit kam es zu entsprechenden Konsequenzen z. B. dergestalt, dass Mittel, die Trägern mit extremistischem Hintergrund zugewendet worden waren, zurückgefordert wurden.“ (Zuwendungsbescheid des BMFSFJ vom 31. Januar 2014, bitte alle Fälle von finanziellen Rückforderungen aus diesem Grund geordnet nach Projekten und Jahr aufführen)? Die Fragen 8 bis 10 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Drucksache 18/930 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Träger, die aus Mitteln von hier in Rede stehenden Bundesprogrammen gefördert wurden, haben immer wieder darauf verwiesen, dass Personen oder Gruppierungen , bei denen nach Kenntnissen der Träger Anhaltspunkte auf verfassungsfeindliche Bestrebungen bestanden, versucht haben, als Projektpartner an den Programmen zu partizipieren. Dies betraf insbesondere islamistische Organisationen , ausländische nationalistische Gruppen wie die Grauen Wölfe sowie Personen mit Verbindungen zur rechtsextremen Szene. Wie in der Antwort zu den Fragen 5 und 6 ausgeführt, können sich Träger bei Unklarheiten oder Zweifeln bei den Regiestellen der Bundesprogramme Rat einholen. So konnte in zwei Fällen aufgrund konkreter Nachfragen von Trägern eine Zusammenarbeit aufgrund der extremistischen Ausrichtung verhindert werden. Darüber hinaus wurden Projekte vorzeitig beendet bzw. Fördermittel widerrufen , weil sich nach erfolgter Bewilligung herausstellte, dass gegen diese Träger oder in den Projekten tätige Akteure Bedenken bestanden: Träger: Muslimische Jugend Deutschland e. V. (MJD) Projekt TA'RUF – Kennenlernen! Geplante Projektlaufzeit: 15. Juni 2002 bis 31. Dezember 2004, beendet am 11. November 2003 (Programm „entimon – Gemeinsam gegen Gewalt und Rechtsextremismus “) Einstellung der Förderung nach Bekanntwerden des Sachverhalts. 1. Lokaler Aktionsplan Wiesbaden, Einzelprojekt Träger: Verein Türkischer Jugend- und Kulturbund Biebrich e. V. Projekt „Vielfalt tut gut – IFTAR CADIRI – Fastenbrechen WiesbadenBiebrich 2010“ Projektlaufzeit: 3. September 2010 bis 4. September 2010 (Programm VIELFALT TUT GUT.) Rückforderung der Projektmittel i. H. v. insgesamt 3 000 Euro. 2. Träger: Manne e. V. Projekt „Gratwanderung – Präventive Jugendarbeit“ Projektlaufzeit: 1. Juli 2011 bis 28. Februar 2014 (Programm „Zusammenhalt durch Teilhabe“) Rückforderung von Projektmitteln i. H. v. insgesamt 7 200 Euro. Im Übrigen wird auf die Antwort zu den Fragen 1 bis 3 verwiesen. 11. Welche anderen Modellprojekte des Bundes außerhalb der Programme „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“, „Initiative Demokratie stärken“ und „Zusammenhalt durch Teilhabe“ werden zu einer demokratiepolitischen Prüfung ihrer Projektpartner im Sinne des angeführten Zuwendungsbescheids aufgefordert (bitte alle in Frage kommenden Modellprojekte des Bundes mit der entsprechenden Formulierung aus dem Zuwendungsbescheid auflisten)? Das Begleitschreiben findet nur in den in der Frage aufgeführten Programmen Anwendung. Auf die Antworten zu den Fragen 1 bis 3 sowie 5 und 6 wird ver- wiesen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/930 12. Haben bereits Projektträger Widerspruch gegen die neuen Zuwendungsbescheide eingelegt, der mit der Ablehnung der genannten Hinweise begründet wurde, und wenn ja, wie viele, und wie wurde über die Widersprüche entschieden? Nein. Bisher hat kein Projektträger Widerspruch gegen die neuen Zuwendungsbescheide eingelegt. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333