Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 14. September 2016 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 18/9634 18. Wahlperiode 15.09.2016 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Luise Amtsberg, Beate Walter-Rosenheimer, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/9492 – Grenzkontrollen, Zurückweisungen und Zurückschiebungen durch die Bundespolizei bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die Einreise von geflüchteten Menschen nach Deutschland steht oftmals im Widerspruch zum Auftrag der Bundespolizei die Grenzen zu kontrollieren und ggf. Zurückweisungen und Zurückschiebungen durchzuführen. Die Bundespolizei ist angehalten im Rahmen der geltenden gesetzlichen Regelungen Einreise und Aufenthalt zu kontrollieren. In einer Vielzahl von Medienberichten (beispielsweise „Kontroverse um den Umgang mit jungen Flüchtlinge, www.welt.de/ politik/deutschland/article155160897/Kontroverse-ueber-Umgang-mit-jungen- Fluechtlingen.html) und insbesondere auch im Rahmen des parlamentarischen Fragerechts (beispielsweise Schriftliche Fragen 18 auf Bundestagsdrucksache 18/7985, 18 auf Bundestagsdrucksache 18/8020 und 103 auf Bundestagsdrucksache 18/8281 der Abgeordneten Luise Amtsberg und Beate Walter-Rosenheimer ) wurde die Thematik der Zurückweisungen und Zurückschiebungen immer wieder aufgegriffen. Ungeklärt ist aber die Frage, wie diese Zurückweisungen und Zurückschiebungen konkret ablaufen und auf welche Weise die einschlägigen rechtlichen Garantien gewährleistet werden. Von besonderer Bedeutung ist aufgrund ihres besonderen Schutzbedarfes die Situation von minderjährigen Geflüchteten, insbesondere den unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten. Ohne Unterstützung durch einen gesetzlichen Vertreter stehen sie den Einreiseprozeduren und anstehenden Asylverfahren allein gegenüber. Insbesondere für Minderjährige sind die Konsequenzen und Folgen von Aussagen und Handlungen nicht immer abschätzbar. Umso wichtiger ist es aus Sicht der Fragesteller, dass es klare Richtlinien und Verhaltensweisen für die Bundespolizei im Umgang und bei der Information von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen gibt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/9634 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 1. Welche Rechtsgrundlage ist nach Auffassung der Bundesregierung für die Durchführung von Zurückweisungen und Zurückschiebungen unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge einschlägig? Die Zurückweisung (Einreiseverweigerung) von Personen an der Grenze erfolgt auf der Grundlage von Artikel 14 des Schengener Grenzkodexes (SGK) in Verbindung mit § 15 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG), wenn im Rahmen der Grenzkontrolle festgestellt wird, dass die Einreisevoraussetzungen gemäß Artikel 6 SGK nicht erfüllt sind. Die Zurückschiebung erfolgt auf der Grundlage von § 57 AufenthG, wenn der Betroffene in Verbindung mit der unerlaubten Einreise angetroffen wird. Bei Asylsuchenden erfolgen derzeit keine Zurückweisungen und Zurückschiebungen, es sei denn, im Rahmen des Dublin-Verfahrens erfolgt eine Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat. 2. Wie wird bei der Zurückweisung und Zurückschiebung das Kindeswohl gemäß Artikel 3 Absatz 1 der UN-Kinderrechtskonvention vorrangig berücksichtigt ? Bei der Zurückweisung und der Zurückschiebung unbegleiteter ausländischer Minderjähriger wird den internationalen Schutzvorschriften und damit auch der vorrangigen Berücksichtigung des Kindeswohls nach Artikel 3 Absatz 1 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes vollumfänglich Rechnung getragen . Die internationalen Schutzvorschriften werden insbesondere in den Regelungen des Sozialgesetzbuches VIII (SGB VIII) konkretisiert. Die Grenzbehörde informiert deshalb unverzüglich nach der unbegleiteten Einreise und einer anstehenden Zurückschiebung von Minderjährigen das örtlich zuständige Jugendamt, um die vorläufige Inobhutnahme gemäß § 42a Absatz 1 SGB VIII zu gewährleisten . Die Inobhutnahme durch das Jugendamt steht einer etwaigen Zurückschiebungsentscheidung durch die Grenzbehörde nicht entgegen. Unabhängig davon, ob eine Einreise erfolgte (Zurückschiebung) oder nicht (Zurückweisung ), vergewissert sich die Grenzbehörde, dass die Minderjährigen den gesetzlichen Vertretern, einem Mitglied der Familie oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung bzw. einer behördlichen Stelle im Zielstaat übergeben werden können. Dies ist zwingende Voraussetzung vor einer etwaigen Zurückschiebung oder Zurückweisung. Die zuständigen Behörden des Zielstaates werden rechtzeitig über die deutsche Auslandsvertretung oder unmittelbar über die nationalen Kontaktstellen über die persönlichen Daten der Minderjährigen, Angaben zu der Person oder der aufnehmenden Stelle, die die Minderjährigen in Obhut nimmt und die genaue Reiseverbindung (sofern erforderlich) informiert. Liegen diese Kriterien nicht vor bzw. kann die Einhaltung dieser Kriterien nicht garantiert werden, werden die aufenthaltsverhindernden bzw. -beendenden Maßnahmen nicht vollzogen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9634 3. Wird das Vorgehen der Bundespolizei bei Zurückweisungen und Zurückschiebungen unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge durch eine Polizeidienstvorschrift oder Dienstanweisung geregelt? Wenn ja, wann und durch wen wurde diese Polizeidienstvorschrift oder Dienstanweisung erarbeitet, und wie werden die Inhalte an die Mitarbeitenden der Bundespolizei vermittelt? Wenn nein, warum nicht, und inwiefern plant die Bundesregierung, eine entsprechende Vorlage zu erarbeiten bzw. erarbeiten zu lassen? Die Regelungen über die Behandlung von Minderjährigen sind Bestandteil der grenzpolizeilichen Weisungslage. Diese hat das Bundesministerium des Innern unter Beteiligung der Bundespolizei fortgeschrieben und zuletzt im März 2015 in Kraft gesetzt. Die Vermittlung der Inhalte erfolgt im Rahmen der behördlichen Aus- und Fortbildung. 4. Welche Bedeutung hat die im Jahr 1995 herausgegebene Polizeidienstvorschrift 382 für die Praxis der Bundespolizei? Gelten die dort genannten Verfahrensgrundsätze auch bei der Behandlung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen? Die Verfahrensgrundsätze der Polizeidienstvorschrift (PDV) 382 gelten auch beim Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Ausländern. 5. Nach welchen Kriterien wird entschieden, ob ein unbegleiteter Minderjähriger zurückgewiesen bzw. zurückgeschoben wird? Zu den Voraussetzungen für eine Zurückweisung oder Zurückschiebung wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Minderjährige werden zudem nur zurückgewiesen oder zurückgeschoben, sofern keine Abschiebungsverbote oder Abschiebungshindernisse vorliegen. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen . 6. In welchem Verfahrensschritt wird das örtlich zuständige Jugendamt eingeschaltet , bzw. in welchen Fallkonstellationen wird das örtlich zuständige Jugendamt nicht eingeschaltet? Welche Rolle hat das Jugendamt bei der Frage, ob ein unbegleiteter Minderjähriger zurückgewiesen oder zurückgeschoben wird? Das örtlich zuständige Jugendamt wird durch die Grenzbehörde unverzüglich nach einer Einreise von unbegleiteten Minderjährigen informiert, um eine vorläufige Inobhutnahme zu gewährleisten. Die vorläufige Inobhutnahme, die nachfolgende Inobhutnahme, die Suche nach Verwandten im In- und Ausland, die bedarfsgerechte Unterbringung oder auch die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters zur Personensorge/eines Vormunds erfolgen insbesondere nach den §§ 42a und 42 SGB VIII. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/9634 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 7. Wie und durch wen werden die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge über die Möglichkeit eines Schutzersuchens, die rechtlichen Konsequenzen eines Asylgesuchs bzw. der Nichtäußerung eines Asylgesuchs sowie über eine mögliche Zurückschiebung bzw. Zurückweisung informiert? Geschieht dies in altersgerechter Sprache? Wenn ja, gibt es hierzu Material bzw. Hilfestellungen für Beamte für die Information der Minderjährigen? Wenn nein, warum nicht? Die Grenzbehörde hat Drittstaatsangehörige vor der Anordnung der Zurückweisung oder Zurückschiebung im Verwaltungsverfahren anzuhören. Dabei sind ihnen die beabsichtigte Maßnahme, die maßgeblichen Entscheidungsgründe, der Zielstaat und der Reiseweg bekannt zu geben. Die Anhörung erfolgt jeweils in einer für die Drittstaatsangehörigen verständlichen Sprache unter Hinzuziehung von Sprachmittlern oder unter Nutzung mehrsprachiger Vordrucke. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Belehrung über die Möglichkeit zur Äußerung eines Schutzersuchens besteht nicht. Im Übrigen erfolgt bei einem Schutzersuchen eines Minderjährigen die Übergabe an das zuständige Jugendamt. 8. Welchen Zugang zu einem gesetzlichen Vertreter wird unbegleiteten Minderjährigen im Falle einer drohenden Zurückweisung bzw. Zurückschiebung gewährt? Wer übernimmt die rechtliche Vertretung im Falle einer Zurückweisung oder Zurückschiebung? Der Zugang zu gesetzlichen Vertretern erfolgt im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen , insbesondere des Sozial- und Aufenthaltsrechts. Die rechtliche Vertretung unbegleiteter Minderjähriger wird durch das zuständige Jugendamt (§§ 42 Absatz 2 Satz 4, 42a Absatz 3 SGB VIII) bzw. durch den für das Kind bestellten Vormund gewährleistet. 9. Welchen Handlungsspielraum im Umgang mit Zurückschiebungen und Zurückweisungen haben die einzelnen Bundespolizeidirektionen bzw. die einzelnen Bundespolizeiinspektionen? Die Entscheidung über die Zurückweisung oder die Zurückschiebung unbegleiteter Minderjähriger obliegt den Bundespolizeidirektionen. Zu den Voraussetzungen für eine Zurückweisung oder Zurückschiebung wird auf die Antwort zu den Fragen 1 und 5 verwiesen. Ein über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus gehender Handlungsspielraum besteht nicht. 10. Welche Schulungen oder Trainingsmaßnahmen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen bietet die Bundespolizei ihren Mitarbeitenden an? In den Laufbahnausbildungen der Bundespolizei werden neben dem Themenfeld „Besondere Bestimmungen zum Einschreiten gegen Minderjährige und Heranwachsende “ die gesetzlichen und praktischen Besonderheiten im Umgang mit minderjährigen Ausländern vermittelt. Dabei werden in Ergänzung zu der bestehenden Weisungslage insbesondere die völker- und unionsrechtlichen sowie nationalen Rechtsnormen vermittelt. Hierzu zählen insbesondere folgende Rechtsvorschriften : Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/9634 Haager Minderjährigen-Schutzabkommen, UN-Kinderrechtskonvention, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Schengener Grenzkodex, Entschließung des Rates der Europäischen Union vom 26. Juni 1997 über unbegleitete minderjährige Drittstaatsangehörige (Entschließung 97/C 221/03 des Rates), Schlussfolgerungen des Rates zu unbegleiteten Minderjährigen vom 3. Juni 2010 (10669/10). Im Rahmen der zentralen Fortbildung wird dieses Themenfeld in verschiedenen Seminaren im Zusammenhang mit dem Aufenthalts-, Asyl-, Flüchtlings- und Europarecht für Führungskräfte, Spezialisten und Multiplikatoren behandelt. Die weitere Vermittlung der Inhalte erfolgt im Rahmen der dienststelleninternen Fortbildung , jeweils unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten und aktueller Anlässe. 11. Inwiefern wird in der Aus- und Fortbildung der Bundespolizei die sich aus Artikel 3 Absatz 1 der UN-Kinderrechtskonvention und Artikel 24 Absatz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ergebende vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls thematisiert? Gibt es hierfür spezielle Aus- und Fortbildungsmodule, die auch die Situation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen berücksichtigen? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht? Es wird auf die Antwort zu Frage 10 verwiesen. 12. Führt die Bundesregierung Alterseinschätzungen bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen im Kontext von Zurückweisungen und Zurückschiebungen durch? Wenn ja, mit welchen Methoden, und warum kommen diese Methoden zur Anwendung? Bestehen bei der Grenzbehörde Zweifel, ob Drittstaatsangehörige das 18. Lebensjahr vollendet haben, nimmt die Bundespolizei vor der Einleitung weiterer Maßnahmen grundsätzlich die notwendigen und geeigneten Maßnahmen zur Feststellung des Alters vor. Vorrangig werden Anfragen bei anderen, insbesondere ausländischen Behörden oder anderen Stellen veranlasst. Fehlt es an geeigneten Urkunden, anderen Belegen oder sonstigen Erkenntnissen, kann die Grenzbehörde im Einzelfall Maßnahmen zur Altersfeststellung auf Grundlage von § 49 AufenthG ergreifen oder veranlassen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/9634 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 13. In wie vielen Fällen wurden in den Jahren 2015 und 2016 (Januar bis Juli) Alterseinschätzungen durch Beamte der Bundespolizei bzw. im Auftrag der Bundespolizei durchgeführt (bitte nach Bundespolizeidirektion, Jahr/Monat und Methode aufschlüsseln)? In wie vielen Fällen wurde Minderjährigkeit, in wie vielen Fällen Volljährigkeit festgestellt (bitte nach Bundespolizeidirektion, Jahr/Monat und Methode aufschlüsseln)? Diese Angaben werden statistisch nicht erfasst. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 12 verwiesen. 14. Welche Qualifikationen und Trainings durchlaufen die zuständigen Bundespolizistinnen und Bundespolizisten, um im Rahmen von Kontrollen ggf. eine Einschätzung des Alters bei nichtvorliegenden oder möglicherweise gefälschten Passpapieren durchführen zu können? Ungeachtet der fehlenden Zuständigkeit der Bundespolizei für die forensische Altersfeststellung wird die Thematik innerhalb der Aus- und Fortbildung, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Thematik „Erkennungsdienstliche Maßnahmen“ behandelt. Zudem besteht für die Angehörigen der Bundespolizei ein umfangreiches Fortbildungsangebot, das die erforderlichen Maßnahmen der Urkundenuntersuchung und der Polizeilichen Identitätsüberprüfung (PIP, Bild-Bild-Vergleich , Merkmalsanalyse usw.) bei der Feststellung ge- oder verfälschter Grenzübertrittsdokumente beinhaltet. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333