Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 14. September 2016 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 18/9649 18. Wahlperiode 16.09.2016 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Dr. André Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/9503 – Entschädigungsrechtliche Anerkennung von „Zwangsgermanisierten“ als NS-Opfer V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Während der Nazi-Herrschaft wurden Zehntausende von Kindern im besetzten Europa gewaltsam ihren Eltern weggenommen, sofern sie als „rassebiologisch wertvoll“ galten. Andere Kinder wurden aus Kinderheimen in den besetzten Ländern ins Reichsgebiet gebracht. Ein hoher Prozentsatz der Betroffenen hatte nach dem Krieg keine Chance mehr, zu den leiblichen Eltern zurückzukehren. Viele Betroffene haben gar erst im hohen Alter erfahren, dass ihre vermeintlichen Eltern – in der Regel überzeugte Nazis – lediglich Pflegeeltern waren. Die Folgen für die damals betroffenen Kinder sind gravierend. Einige von ihnen wurden von Pflegeeltern oder Betreuungspersonal misshandelt. Insbesondere jene, die nicht zu ihren leiblichen Eltern zurückkonnten, leiden bis heute unter dem sprichwörtlichen Raub ihrer Identität. Die Überlebenden berichten über Verlustängste, Schwierigkeiten, dauerhafte Partnerschaften einzugehen, und seelische Traumata (vgl. z. B. „Blond, blauäugig, entführt“, Deutschlandfunk, 8. August 2016, sowie die Ausstellung „geraubte Kinder – vergessene Opfer“, www.geraubte.de). Trotz des Unrechts, das diesen Menschen durch die Nazis angetan wurde, sind sie bis heute nicht als NS-Opfer anerkannt und haben keine Entschädigung als Verfolgte von NS-Unrecht erhalten. Aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller ist dies geradezu eine weitere Ungerechtigkeit, die ihnen, diesmal von der Bundesrepublik Deutschland, angetan wird. Die Bundesregierung hat im Februar 2013 in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache 17/12433) klargestellt, dass sie keine spezielle Wiedergutmachungsleistung für Fälle von „Zwangsgermanisierung “ plane, und darauf verwiesen, die Betroffenen könnten „unter Umständen“ Ansprüche nach dem Bundesversorgungsgesetz stellen. Dieses Gesetz dient allerdings im Wesentlichen der Versorgung der Opfer von Kampfhandlungen bzw. Kriegsdienst. Die Entführung der Kinder stellte aber in der Regel keine militärische Maßnahme dar, sondern beruhte originär auf den rassistischen Ideologien der Nazis. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/9649 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Anders als die Bundesregierung hat das Land Nordrhein-Westfalen mittlerweile in wenigstens einem den Fragestellerinnen und Fragestellern bekannten Fall dem Opfer einer Zwangsgermanisierung eine Entschädigung gewährt. Im den Fragestellern vorliegenden Sachbericht des Härtefonds NRW wird ausgeführt, dass der Betroffene, der mittlerweile 83-jährige Karl Vitovec de Gereben, „sogar mehr als während seines Berufslebens unter der gefühlten Entwurzelung zu leiden“ habe. „Besonders erbost ihn hierbei die aus seiner Sicht mangelnde Gleichberechtigung mit anderen Opfergruppen.“ Der Sachbericht empfiehlt die Auszahlung einer Entschädigung, denn dies stelle „die letzte verbleibende Möglichkeit dar, auch ihm die Anerkennung als Opfer spezifisch nationalsozialistischen Unrechts zuteilwerden zu lassen“. Die Abgeordnete Ulla Jelpke hat dem Bundesministerium der Finanzen diesen Vorgang per E-Mail am 8. Juli 2016 zukommen lassen. Die Fragestellerinnen und Fragesteller hoffen, dass auch die Bundesregierung nun zu einer Neubewertung kommen möge. Es liegt auf der Hand, dass die entführten und zwangsgermanisierten Kinder Opfer der NS-Rassenpolitik geworden sind. Sie sollten deswegen auch als NS-Opfer anerkannt werden und eine Entschädigung erhalten. Das ist ihnen Deutschland schuldig. V o r b e me r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die entschädigungsrechtliche Anerkennung von „Zwangsgermanisierten“ als NS-Opfer war bereits Gegenstand einer Kleinen Anfrage im Jahr 2013. Auf die Antwort der Bundesregierung vom 21. Februar 2013 auf Bundestagsdrucksache 17/12433 wird verwiesen. 1. Hat die Bundesregierung die genannte Entscheidung des NRW-Härtefonds sowie den zugehörigen Sachbericht mittlerweile zur Kenntnis genommen, und nimmt sie ihn zum Anlass, ihre eigene Haltung bzgl. einer Entschädigung für die betroffene Opfergruppe zu überprüfen (bitte ggf. ausführen und begründen)? Der Bundesregierung ist die angesprochene Einzelfallentscheidung aus Billigkeitsgründen nach den Richtlinien des Härtefonds des Landes Nordrhein-Westfalen bekannt. Das Land hat auf Grund landesrechtlicher Vorschriften in eigener Zuständigkeit in einem Einzelfall Leistungen gewährt. Nach der einschlägigen Richtlinie des Landes sind Leistungen nach Entschädigungs- oder Wiedergutmachungsregelungen des Bundes vorrangig geltend zu machen. Diese Entscheidung führt nicht zu einer Änderung der Haltung der Bundesregierung. Die Bundesregierung hält den Ansatz kollektiven Gedenkens zur Würdigung der Betroffenen und Anerkennung ihres Schicksals sowie zur gesellschaftlichen Aufarbeitung für angemessen. So hat auch der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages im Rahmen eines Petitionsverfahrens nach gründlicher Abwägung empfohlen, Entschädigungsforderungen einzelner Betroffener nicht zu unterstützen. Er hat jedoch angeregt, an das Schicksal dieser Menschen durch Projekte zu erinnern und sie damit zu würdigen. Der Deutsche Bundestag hat in seiner Sitzung am 22. Mai 2014 der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses zugestimmt. Die Bundesregierung respektiert diese Entscheidung und setzt die Anregung durch Projekte der Erinnerungskultur um. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9649 2. Ist der Hinweis der Bundesregierung auf das Bundesversorgungsgesetz so zu verstehen, dass sie die Entführungen von Kindern und ihre Zwangsgermanisierung als militärische Maßnahme bzw. als unmittelbare Kriegseinwirkung betrachtet? Wenn ja, wie ist das in Übereinstimmung zu bringen mit ihrer Einschätzung als „Ausdruck der rassistischen Volkstumspolitik der Nationalsozialisten“ (Antwort zu Frage 1 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/12433), und ist sie sich darüber im Klaren, dass eine solche Einschätzung im Widerspruch steht zur Einschätzung als NS-typisches Unrecht (auf die Antwort zu Frage 3 der Kleinen Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/12433 und auf die Tatsache, dass die Bezeichnung seines Schicksals als „Kriegsfolgenschicksal“ bei dem Betroffenen für große Empörung sorgte, wird verwiesen)? Wenn nein, wie ist der Hinweis dann gemeint? Die verbrecherischen angesprochenen Maßnahmen werden nicht als militärische Maßnahme bzw. als unmittelbare Kriegseinwirkung betrachtet. Der Hinweis auf das Bundesversorgungsgesetz erfolgte vor dem Hintergrund des in der Kleinen Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/12268 in der Vorbemerkung der Fragesteller enthaltenen Passus: „Die älteren unter den betroffenen Kindern – die Zahl ist auch hier nicht bekannt – mussten gegen Ende des Krieges Kriegsdienst im Rahmen des Volkssturms oder der Wehrmacht leisten, einige gerieten dabei in Kriegsgefangenschaft .“ Für Betroffene, die im Rahmen ihres Kriegsdienstes gesundheitliche Schädigungen erlitten haben, kommen Ansprüche nach dem Bundesversorgungsgesetz in Betracht. 3. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Entführungen und Zwangsgermanisierungen von Kindern als Ausdruck der rassistischen Volkstumspolitik der Nazis als NS-Unrecht anzusehen ist, und wenn ja, warum sperrt sie sich dann dagegen, diese NS-Opfer auch entschädigungsrechtlich als solche zu behandeln, und wenn nein, warum nicht? Es wird auf die Antwort zu Frage 1 der Kleinen Anfrage vom 12. Februar 2013 auf Bundestagsdrucksache 17/12433 und auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 4. Ist sich die Bundesregierung darüber im Klaren, dass die Betroffenen dezidiert ihre Anerkennung als NS-Opfer wünschen und einen Verweis auf Leistungen „im Rahmen der allgemeinen Sozialgesetze“ angesichts ihres NS-typischen Verfolgungsschicksals nicht für angemessen halten, und wenn ja, welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus? Es wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 5. Ist der Bundesregierung bewusst, dass die Verweigerung einer Entschädigung bei vielen Betroffenen auf Unverständnis stößt und Verbitterung hervorruft , und wenn ja, welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus? Es wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/9649 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 6. Was spricht aus Sicht der Bundesregierung dagegen, bestehende Regelungen zur Entschädigung von NS-Opfern dahingehend zu erweitern, dass auch die Opfer der „Zwangsgermanisierungen“ darin eingebunden würden, wie zum Beispiel den sog. Wiedergutmachungs-Dispositions-Fonds oder die Härteleistungen zugunsten von Opfern nationalsozialistischer Unrechtsmaßnahmen (Härterichtlinien des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes)? Was spricht gegen die (Neu-)Einführung eines Härtefonds, der jene NS-Verfolgten entschädigt, denen bislang Entschädigung verwehrt wird (bitte sowohl politische als auch rechtliche Einwände anführen)? Es wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 7. Inwiefern hat sich die Bundesregierung seit Beantwortung der Kleinen Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/12433 mit der angesprochenen Thematik befasst? Die Bundesregierung handelt in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Deutschen Bundestages. 8. Hat die Bundesregierung seither aktiv nach weiteren Informationen zum Schicksal der Betroffenen und ihrem Wunsch nach Anerkennung gesucht oder solche Informationen entgegengenommen, und wenn ja, welcher Art waren diese Informationen, und welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus? Die Bundesregierung hat seither nicht aktiv nach weiteren Informationen gesucht oder Informationen erhalten, die zu anderen Schlussfolgerungen führen würden. 9. Inwiefern hat die Bundesregierung Forschungen zur Thematik gefördert bzw. selbst Forschungen in Auftrag gegeben? Die Bundesregierung hat keine Forschungen zur Thematik in Auftrag gegeben. 10. Inwiefern fördert die Bundesregierung konkrete Maßnahmen zur Erinnerung an diesen Aspekt der NS-Verbrechen (bitte möglichst konkret entsprechende Maßnahmen seit dem Januar 2013 aufzählen)? Die Bundesregierung hat die Empfehlung des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages aufgenommen, das Schicksal der Betroffenen im Rahmen von Projekten aufzuarbeiten und damit gesellschaftlich zu würdigen. Dem ist über verschiedene Förderprogramme der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) Rechnung getragen worden. Die Stiftung förderte beispielweise im Jahr 2015 die Wanderausstellung „geraubte Kinder – vergessene Kinder“ über die Geschichte der „zwangsgermanisierten “ Kinder. Die Ausstellung behandelt unterschiedliche Schicksale der „zwangsgermanisierten“ Kinder aus Polen, der Ukraine, Tschechien, Slowenien und Norwegen. Die Ausstellung wurde in Freiburg, Lemgo, Wernigerode, Schwäbisch-Hall und Minden gezeigt. Gefördert wurde auch eine Zeitzeugenbegegnung mit neun ehemaligen „zwangsgermanisierten“ Kindern aus Polen, Tschechien und Slowenien. Ebenfalls gefördert wurde der Dokumentarfilm „Die gestohlenen Kinder“ über „zwangsgermanisierte“ slowenische Kinder, der am 15. März 2014 in Ljubljana uraufgeführt wurde. Die Projektarbeit durch die EVZ ist derzeit bis 2018 gesichert. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333