Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 29. September 2016 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 18/9894 18. Wahlperiode 04.10.2016 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Christine Buchholz, Annette Groth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/9638 – Aktuelle Fragen zur Praxis des Kirchenasyls in Deutschland und zu Rücküberstellungen nach Ungarn V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Am Morgen des 23. August 2016 wurde der ghanaische Asylsuchende I. A. im Kapuzinerkloster Münster von den örtlichen Polizeikräften festgenommen und in Handschellen abgeführt. Der ghanaische Flüchtling war zuvor über Ungarn nach Deutschland eingereist, wodurch nach den Regelungen der Dublin-III- Verordnung formell die Zuständigkeit für sein Asylverfahren zunächst bei Ungarn lag. Dem 31-Jährigen war seit Juli 2016 in dem Kloster unter Berufung auf das Vorliegen eines besonderen Härtefalls Kirchenasyl gewährt worden, insbesondere da in Ungarn keine adäquate Behandlung des herzkranken Ghanaers gewährleistet sei (http://kirchensite.de/index.php?id=news-aktuelles&tx_ ttnews%5Btt_news%5D=19851&cHash=2485187a0f). Nach eigenen Angaben hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Vorfeld der Inhaftierung keine Härtefallprüfung vorgenommen, sondern gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde die Abschiebungsanordnung nach Ungarn aufrechterhalten und diese für vollziehbar erklärt. Auf Grundlage dieser Erklärung des BAMF hatte das Amtsgericht Münster dann Abschiebehaft für I. A. angeordnet. Das BAMF berief sich darauf, zum Anordnungszeitpunkt noch keine Unterlagen bzw. kein Falldossier zur Überprüfung des Falls von I. A. erhalten zu haben. Man sei insofern von dem vereinbarten Verfahren bei Kirchenasylfällen abgewichen (Gemeinsame Erklärung des BAMF und des Kreises Coesfeld vom 26. August 2016: www.kreis-coesfeld.de/nachrichten-details.html?tx_news_ pi1%5Bnews%5D=4282&tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_ pi1%5Baction%5D=detail&cHash=91a667fc00621406ee80905c4aea5baf). Im Februar 2015 hatten Vertreter der evangelischen und der katholischen Kirche mit dem BAMF vereinbart, dass für die Kirchengemeinden und Ordensgemeinschaften die Möglichkeit bestehen soll, Einzelfälle, in denen besondere humanitäre Härten gesehen werden, zur erneuten Überprüfung beim BAMF vorzutragen (www.bamf.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2016/ 20160311-011-presse mitteilung-bamf-leitung-kirchen.html). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/9894 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Nach der Inhaftierung von I. A. gab das Verwaltungsgericht Münster am 23. August 2016 einem Eilantrag statt, dessen Abschiebung vorerst auszusetzen . Anschließend wurde I. A. aus der Abschiebehaft entlassen. Mittlerweile hat Deutschland im Rahmen des Selbsteintritts die Zuständigkeit für das Asylverfahren von I. A. übernommen (http://kirchensite.de/index.php?id=newsaktuelles &tx_ttnews%5Btt_news%5D=19851&cHash=2485187a0f). Deutschland nimmt trotz durch Gerichte und Menschenrechtsorganisationen bestätigter gravierender Mängel im ungarischen Asylsystem noch immer Rücküberstellungen dorthin vor. Allerdings waren im Zeitraum von Januar bis Mai 2016 rund 64 Prozent der von Asylsuchenden gegen drohende Rücküberstellungen nach Ungarn gestellten gerichtlichen Eilanträge erfolgreich: Von insgesamt 810 Anträgen wurde in 521 Fällen eine Rücküberstellung gerichtlich gestoppt (vgl. Bundestagsdrucksache 18/9415, Antwort zu Frage 11). 1. Inwieweit soll nach dem Willen der Bundesregierung an der bisherigen zwischen Vertretern der Kirchen und des BAMF vereinbarten Handhabung von Kirchenasylfällen festgehalten werden, und welche eventuellen Abweichungen sind zukünftig aus welchen Gründen geplant? Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat mit Vertretern der evangelischen und katholischen Kirchen im Februar 2015 vereinbart, dass in begründbaren Ausnahmefällen so frühzeitig wie möglich eine zwischen Kirche und BAMF gesteuerte, lösungsorientierte Einzelfallprüfung im Rahmen des rechtlich Möglichen über zentrale Ansprechpartner stattfindet. Zu diesem Zweck sollen über die kirchlichen Ansprechpartner dem BAMF aussagekräftige Dossiers vorgelegt werden, aus denen sich eine begründete, humanitäre Härte im Einzelfall ergibt. An diese Vereinbarung wird sich das BAMF auch in der Zukunft halten. Die Tradition des Kirchenasyls wird von der Bundesregierung respektiert. Dennoch ist zu beachten, dass die Gewährung von Asyl in Deutschland allein dem Staat obliegt. Der Staat entscheidet in einem rechtsstaatlichen Verfahren über die Gewährung des Schutzes vor politischer Verfolgung nach Artikel 16a Absatz 1 des Grundgesetzes und die Zuerkennung des internationalen Schutzes nach der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (Qualifikations-Richtlinie). 2. Inwiefern lässt sich nach Auffassung der Bundesregierung die Festnahme von I. A. mit der zwischen Kirchenvertretern und BAMF vereinbarten Verfahrenspraxis vereinbaren? In der von den Fragestellern zitierten gemeinsamen Erklärung des BAMF und des Kreises Coesfeld vom 26. August 2016 wurde ausgeführt, dass dem BAMF das Dossier für I. A. erst am 24. August 2016 vorgelegt wurde, so dass das zwischen dem BAMF und den Kirchen vereinbarte Verfahren bei Kirchenasylfällen vorher nicht durchgeführt werden konnte. 3. Welchen Zeitraum hält die Bundesregierung für angemessen zur Zusammenstellung eines Einzelfalldossiers, in dem die Einzelheiten eines Härtefalls dargelegt werden müssen und die Unzumutbarkeit einer Rücküberstellung bzw. Abschiebung dargelegt werden muss (bitte entsprechende Erfahrungswerte aus der Vergangenheit angeben)? Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Dublin-Überstellung ist gesetzlich geregelt und obliegt allein dem Staat bzw. dessen Gerichten. Hierfür gelten die ge- Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9894 setzlich vorgesehenen Fristen. Die Bundesregierung sieht keinen Anlass, Schätzungen über den angemessenen Zeitraum für eine von nichtstaatlichen Institutionen vorgenommene Einzelfallprüfung abzugeben. 4. Inwiefern und aus welchen Überlegungen und Gründen heraus hält es die Bundesregierung für angemessen und sachgerecht, die Anordnung einer Abschiebung gegenüber den zuständigen Ausländerbehörden für vollziehbar zu erklären, ohne vorherige Rücksprache mit den mit dem Fall befassten und für die Erstellung des Dossiers verantwortlichen Personen und Institutionen zu halten, etwa darüber, wann und inwiefern mit einem Dossier zum Einzelfall zu rechnen ist? a) Inwiefern wurde im Fall von I. A. eine solche Rücksprache vor der Vollziehbarerklärung der Abschiebungsanordnung gehalten, und welche Informationen wurden dem BAMF übermittelt? Inwieweit hatte das BAMF von dem Kirchenasyl Kenntnis bzw. war es über die näheren Umstände des Falles informiert, als es die Ausländerbehörde über die Vollziehbarkeit der Überstellung informierte? b) Falls nicht erfolgt, aus welchen Gründen ist eine solche Rücksprache unterblieben ? c) Inwieweit ging nach Kenntnis der Bundesregierung die Initiative zur Durchsetzung der Überstellung von der zuständigen Ausländerbehörde bzw. vom BAMF aus (bitte den Ablauf der Ereignisse präzise und im Detail nachvollziehbar darstellen)? Die Fragen 4a bis 4c werden gemeinsam beantwortet. Der Antragsteller, I. A., wurde am 14. Juni 2016 zunächst in das Kirchenasyl der „Brüderschaft der Canisianer e. V.“ und am 7. Juli 2016 in das Kirchenasyl des „Kapuzinerklosters Münster“ aufgenommen. Beide Kirchengemeinden haben das BAMF noch am gleichen Tag über das bestehende Kirchenasyl informiert. In der Vereinbarung zwischen der Leitung des BAMF und den Vertretern der evangelischen und katholischen Kirche vom 24. Februar 2015 wurde festgehalten , dass Kirchenasyl nur als „Ultima Ratio“ in absoluten Ausnahmefällen gewährt werden sollte. In diesen begründeten Ausnahmefällen soll frühzeitig eine zwischen der Kirche und BAMF gesteuerte, lösungsorientierte Einzelfallprüfung im Rahmen des rechtlich Möglichen stattfinden; eine zentrale Bedeutung kommt dabei den bereits erwähnten Dossiers zu. Grundsätzlich sind die Außenstellen des BAMF nach Eingang des Dossiers beim zuständigen Referat dazu angehalten, keine weiteren Schritte einzuleiten. Nach der Prüfung der Dossiers wird darüber entschieden, ob in diesen Fällen das Selbsteintrittsrecht gemäß Artikel 17 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin-VO) zu Gunsten des Betroffenen wegen besonderer Härten ausgeübt werden kann. Bis zur abschließenden Entscheidung wird von einer Dublin-Rücküberstellung in einen anderen Mitgliedstaat abgesehen. Im Falle des I. A. wurde jedoch ein Dossier erst am 24. August 2016 von der zentralen Ansprechpartnerin des Katholischen Büros Nordrhein-Westfalen eingereicht. Es wird auch darauf hingewiesen, dass das Amtsgericht Münster in seinem Beschluss vom 22. August 2016 zur Gewahrsamnahme zur Sicherung der Durchführbarkeit der Abschiebung für die Dauer von längstens 4 Tagen den Ausreisegewahrsam angeordnet hat. Zur Begründung führt das Amtsgericht aus, dass I. A. sich weder an die behördlichen Weisungen noch an Recht und Gesetz hält. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/9894 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Es besteht grundsätzlich keine Pflicht des Staates, die Vollziehbarkeit einer Abschiebungsanordnung , die im Rahmen eines rechtsstaatlichen Verfahrens erlassen wurde, von einer vorherigen Rücksprache mit Institutionen abhängig zu machen, die für die Gewährung von Asyl und Durchführung der Rückführungsmaßnahmen nicht zuständig sind. Die Rechtmäßigkeit des behördlichen Handelns bemisst sich am Maßstab der geltenden gesetzlichen Vorschriften. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 5. Inwiefern, durch wen und zu welchem Zeitpunkt hat das BAMF Kenntnis von den Umständen der Festnahme von I. A. erhalten, und was war die Reaktion des BAMF darauf? Durch Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster vom 23. August 2016 wurde dem BAMF aufgegeben, der Ausländerbehörde des Kreises Coesfeld mitzuteilen, dass vorläufig eine Überstellung des Antragstellers nicht erfolgen darf. Dies hat das BAMF veranlasst. Der Betroffene wurde daraufhin unverzüglich aus der Abschiebehaft entlassen. Auf die Antwort zu Frage 4 wird verwiesen. 6. Inwiefern hat die Bundesregierung Kenntnis von weiteren Räumungen von Kirchenasyl (bitte nach Möglichkeit nähere Umstände und weiteren Verfahrensgang angeben)? Der Bundesregierung sind keine weiteren Fälle bekannt. 7. Inwiefern hatte das BAMF auch ohne Vorliegen des entsprechenden Dossiers Kenntnis über die Herzerkrankung von I. A.? Das BAMF hatte über die Kreisverwaltung Coesfeld Kenntnis über die vorliegende Herzerkrankung von I. A. Die zuständige Ausländerbehörde KRV Coesfeld hatte die amtsärztliche Untersuchung von I. A. angeordnet und teilte dem BAMF am 19. Juli 2016 mit, dass nach dem Ergebnis der Untersuchung I. A. reisefähig ist. Gleichzeitig wurde Ungarn über die vorliegende Erkrankung informiert . Das BAMF geht davon aus, dass eine medizinische Behandlung in Ungarn uneingeschränkt erfolgen kann. 8. Wie bewertet die Bundesregierung die bisherigen Erfahrungen mit dem Kirchenasyl in Deutschland, und welche Schlussfolgerungen zieht sie hieraus? Die zwischen BAMF und Vertretern der Kirchen zum Kirchenasyl getroffene Vereinbarung verläuft nach Einschätzung des BAMF bislang konstruktiv. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. In der letzten Besprechung zwischen dem BAMF und ausgewählten Kirchenvertretern am 19. Juli 2016 wurde vereinbart, das Verfahren zum Kirchenasyl weiter zu evaluieren. Es wird Anfang Dezember 2016 eine erneute Arbeitsbesprechung zwischen dem BAMF und den Kirchenvertretern geben. 9. Gab oder gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung Überlegungen oder Vorstöße zu einem mit dem Kirchenasyl vergleichbaren Asyl in Moscheen, Synagogen oder Räumlichkeiten anderer Religionsgemeinschaften (bitte ggf. Umfang und Erfahrungswerte anführen und allfällige Handhabungen erläutern )? Der Bundesregierung sind solche Überlegungen oder Vorstöße nicht bekannt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/9894 10. Unter welchen Umständen bzw. aufgrund welcher Entwicklungen würde Deutschland einen Rücküberstellungsstopp nach Ungarn erwägen? a) Auf Basis welcher Quellen und Erwägungen entscheidet Deutschland über die Rechtmäßigkeit von Rücküberstellungen nach Ungarn, und erfolgt eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit in gewissen Zeitabständen (welchen) oder anlassbezogen? Nach Auffassung der Bundesregierung ist ein systemisches Versagen entsprechend den durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) entwickelten Grundsätzen im Asylverfahren und bei den Aufnahmebedingungen in Ungarn trotz vorhandener Defizite nicht ersichtlich. Diesbezüglich wird auf die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE., Bundestagsdrucksache 18/9505 vom 29. August 2016 verwiesen. b) Inwieweit wird dabei berücksichtigt, dass die Verwaltungsgerichte mittlerweile in 64 Prozent der entschiedenen einstweiligen Rechtsschutzanträge eine Überstellung nach Ungarn vorläufig untersagen (siehe Vorbemerkung ), und in welchen anderen Gebieten staatlichen Handelns gibt es vergleichbar hohe Quoten, mit denen Behördenbescheide korrigiert oder aufgehoben werden (zumindest auf der Basis der vorläufigen, d. h. nicht rechtskräftigen Gerichtsentscheidungen)? Im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Juli 2016 wurden in 61 Prozent der bei den Verwaltungsgerichten eingereichten Eilanträgen gegen Überstellungsentscheidungen nach Ungarn die aufschiebende Wirkung angeordnet. Die Bundesregierung weist darauf hin, dass diese Prozentangaben nur die Zahl der Gerichtsentscheidungen über die Anträge auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage betreffen. Das bedeutet nicht, dass die Verwaltungsgerichte in allen diesen Fällen in den Hauptsacheverfahren systemische Mängel festgestellt hätten. Die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte über Anträge auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage bedeuten auch nicht, dass die Verwaltungsgerichte in allen diesen Fällen im Hauptsacheverfahren den Bescheid des BAMF korrigiert oder aufgehoben haben. Eine Auswertung, in welchen anderen Gebieten staatlichen Handelns bei einem ähnlich hohen Anteil der Fälle die aufschiebende Wirkung der Klagen wiederhergestellt wird, wäre mit einem unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand verbunden, der in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu leisten ist. c) Inwieweit wird dabei berücksichtigt, dass die Europäische Kommission gegen Ungarn zahlreiche Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat, insbesondere auch in Bezug auf maßgebliche EU-Asylrichtlinien (vgl. http://ec.europa.eu/atwork/applying-eu-law/infringements-proceedings/ infringement_decisions/index.cfm?lang_code=DE&r_dossier=&decision_ date_from=&decision_date_to=&EM=HU&DG=HOME&title=&submit =Suche, bitte ausführen)? Auf die Antwort zu Frage 10e wird verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/9894 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode d) Mit welcher Begründung folgt die Bundesregierung nicht dem Beispiel Österreichs, der Niederlande und Schwedens, die Überstellungen nach Ungarn seit Herbst 2015 ausgesetzt haben (vgl. Antwort zu Frage 11 auf Bundestagsdrucksache 18/9338), und inwieweit und mit welchem Ergebnis ist nach Kenntnis der Bundesregierung über den Überstellungsstopp der drei Länder in EU-Gremien oder bilateral diskutiert worden (bitte ausführen )? Die Bundesregierung ist an die Entscheidung anderer Mitgliedstaaten, die Dublin -Überstellungen nach Ungarn auszusetzen, nicht gebunden. Der Bundesregierung sind keine diesbezüglichen Diskussionen in EU-Gremien oder bilateral bekannt . e) Aus welchen Erwägungen heraus stützt die Bundesregierung ihre Auffassung , dass in Ungarn keine systemischen, einen Überstellungsstopp begründenden Mängel im Asylsystem herrschen, maßgeblich darauf, dass der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) noch keine entsprechende generelle Empfehlung abgegeben habe (vgl. Antwort zu Frage 5 auf Bundestagsdrucksache 18/9338), obwohl der UNHCR grundsätzlich unmissverständliche Kritik am ungarischen Asylsystem geäußert hat (z. B. www.unhcr-centraleurope.org/en/news/2015/unhcrurges -hungary-not-to-amend-its-asylum-system-in-a-rush-ignoringinternational -standards.html), und inwiefern wäre die Bundesregierung bereit dazu, einen solchen Überstellungsstopp zu erlassen, wenn der UN- HCR eine entsprechende Empfehlung abgibt (bitte begründen)? Die Annahme systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen ist an hohe Hürden geknüpft. Die Bundesregierung verkennt nicht das Bestehen der Defizite im ungarischen Asylsystem. Diese begründen jedoch keine systemischen Mängel im Sinne der Rechtsprechung des EGMR und EuGH. Dem Fehlen einer generellen Empfehlung des UNHCR, von einer Überstellung nach Ungarn abzusehen, kommt eine besondere Bedeutung zu, weil die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente im Rahmen der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem Mitgliedstaat, der nach den Kriterien der Dublin-VO als zuständiger Staat bestimmt wird, angesichts der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, die bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens zu beachten ist, besonders relevant sind (vgl. EUGH, U. v. 30. Mai 2013 – C-528/11 – ABl EU 2013 Nr. C 225, 12 – NVwZ-RR 2013, 660). f) Wann und durch wen (bitte Ausführungen etwa zur Beteiligung der Bundesministerien und der Integrationsbeauftragten des Bundes machen) wird die Bundesregierung eine Verhandlungsposition zur Neuformulierung der Dublin-Verordnung festlegen (vgl. Antwort der Bundesregierung zu Frage 17 auf Bundestagsdrucksache 18/9415)? Der Vorschlag der Europäischen Kommission zur Neufassung der Dublin-Verordnung vom 4. Mai 2016 wird derzeit im Rahmen der Ratsarbeitsgruppe Asyl in Brüssel behandelt. Die Position von Deutschland in der Ratsarbeitsgruppe Asyl wird stets unter Beteiligung aller Bundesministerien und der Integrationsbeauftragten des Bundes festgelegt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/9894 g) Inwieweit muss die Möglichkeit eines Selbsteintritts, jenseits der Frage von Familienzusammenführungen, schon deshalb auch künftig rechtlich gewährleistet sein, um der europäischen Rechtsprechung zu genügen, welche vorschreibt, dass ein Selbsteintritt bei systemischen Mängeln im Asylsystem zwingend zu erfolgen hat (vgl. Antwort zu Frage 5 auf Bundestagsdrucksache 18/9338) bzw. um der Bundesregierung auch zukünftig solche humanitäre Entscheidung zu ermöglichen, wie sie Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel Anfang September 2015 zur Ermöglichung der Einreise von Flüchtlingen aus Ungarn und Übernahme der Asylverfahren getroffen hat (bitte ausführen)? Gemäß Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 Dublin-VO wird in den Fällen, in denen in dem zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller systemische Mängel aufweisen, die Prüfung des für die Durchführung des zuständigen Mitgliedstaates gemäß den in Kapitel III der Dublin-VO vorgesehenen Kriterien fortgesetzt, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Gemäß Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 3 Dublin-VO wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat, wenn eine Überstellung in den gemäß aufgrund den Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder in den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, nicht möglich ist. Das ist eine klare Regelung zum Zuständigkeitsübergang, die keine Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Artikel 17 Absatz 1 der Dublin-VO erfordert. Im Übrigen hat die Bundesregierung zum Entwurf der Regelung zum Selbsteintrittsrecht in der künftigen Dublin-VO zunächst ein Prüfvorbehalt eingelegt. Eine Positionierung der Bundesregierung ist noch nicht erfolgt, da es noch keine ressortabgestimmte Haltung zur künftigen Ausgestaltung des Selbsteintrittsrechts gibt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333