Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 9. Mai 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/10062 19. Wahlperiode 10.05.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Cornelia Möhring, Doris Achelwilm, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/9695 – Frauenmorde – deutsche Ausprägung eines globalen Phänomens V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Im November 2018 hat Dr. Franziska Giffey, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die aktuellen Zahlen der kriminalstatistischen Auswertungen des Bundeskriminalamtes von „Gewalt in Partnerschaften“ aus dem Jahr 2017 vorgestellt. Über die darin ausgewiesenen 147 Tötungen an Frauen und 224 versuchten Tötungen durch sogenannte Partnerschaftsgewalt äußerte sich Bundesministerin Dr. Franziska Giffey wie folgt: „Das ist für ein modernes Land wie Deutschland eine unvorstellbare Größenordnung. Es geht um Straftaten, die geahndet werden und für die die Täter zur Verantwortung gezogen werden müssen“ (Pressemitteilung des BMFSFJ vom 20. November 2018). Zuvor äußerte die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage zum Thema „Geschlechtsspezifische Tötungen an Frauen – Femizide in Deutschland “ (Bundestagsdrucksache 19/4059), sie habe Kenntnis über die internationale Diskussion zum Thema „Femizide“, wollte die breite Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jedoch nicht übernehmen. Aus diesem Grund konnte die Bundesregierung die Frage, ob es auch in Deutschland Femizide gibt, nicht beantworten. Ohne tiefergehendes Wissen über ein Phänomen kann es nach Ansicht der Fragesteller jedoch keine abgestimmten Präventionsmaßnahmen geben. Ebenfalls bekräftigte dies Bundesministerin Dr. Franziska Giffey in einem Interview: „[…] nur wenn wir das Problem klar benennen, bringen wir Kraft in das Thema“ (DER SPIEGEL, 19. November 2018). In Bezug auf die Benennung des Phänomens Femizid sprach die „Commission on the status of women“, eine Kommission des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen, in ihrem Bericht der 57. Sitzung 2013 (E/CN.6/2013/11) ihre Anerkennung gegenüber den Anstrengungen mancher Länder aus, die das Konzept des Femizids in nationales Recht umgesetzt haben. Unter dem Druck der Öffentlichkeit wurde Femizid in einigen Ländern, u. a. in Argentinien, Peru und Spanien, als eigener Straftatbestand oder als strafverschärfendes Merkmal in Strafgesetze aufgenommen. Dies führte auch zu einer Erfassung der Aburteilungsquote. Dem war auf nationaler und internationaler Ebene die Anerkennung einer bestimmten Definition des Femizids vorangegangen . Beispielsweise hat die Interamerikanische Kommission für Frauen bereits Drucksache 19/10062 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode im Jahr 2008 eine Deklaration zu Femiziden verabschiedet, in welcher der Begriff Femizid definiert wird (www.oas.org/es/mesecvi/docs/DeclaracionFemicidio- EN.pdf). Ebenso verwendet das Büro der Hohen Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) in ihrem im August 2013 veröffentlichten Dokument zu geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen den Begriff Femizid für geschlechtsspezifische Tötungen an Frauen und Mädchen (www.ohchr.org/Documents/Issues/Women/WRGS/OnePagers/Gender_ motivated_killings.pdf). Des Weiteren macht die OHCHR deutlich, dass Gewalt gegen Frauen und Mädchen eng mit einer diskriminierenden Struktur verbunden ist. Um geschlechtsspezifische Tötungen von Frauen und Mädchen zu bekämpfen , so die OHCHR, bedarf es einer ganzheitlichen Herangehensweise, die legale , administrative, politische und weitere Maßnahmen benötigt, um sozialpolitische , ökonomische und andere Faktoren, welche geschlechtsspezifische Diskriminierung und Gewalt bedingen, zu verändern. Auch die Europäische Union beschäftigt sich mit dem Thema „Femizid“. Sie hat gemeinsam mit den Vereinten Nationen im September 2018 den Start ihrer Initiative „Spotlight“ bekannt gegeben. Mit 50 Mio. Euro unterstützt die Initiative die Bekämpfung und Prävention von Femiziden in Lateinamerika. Das Programm soll gesetzliche und politische Lücken schließen, geschlechtergerechte Einstellungen stärken und Unterstützung von Familienangehörigen und Überlebenden von Femiziden bieten (http://europa.eu/rapid/press-release_IP-18- 5906_en.htm). Die Spotlight-Initiative definiert Femizid als die Tötung einer Frau oder eines Mädchens aufgrund ihres Geschlechts. Mit dieser Definition werden nicht nur Tötungen durch partnerschaftliche Gewalt als Femizid definiert , sondern alle Tötungen an Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts (http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-18-5904_en.htm). Eine aktuelle Studie des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) zu geschlechtsspezifischen Tötungen an Mädchen und Frauen aus dem Jahr 2018 weist auf den Mangel an Daten zu Femiziden außerhalb des Familienkontextes hin, was eine umfassende Analyse des Phänomens Femizid unmöglich macht (UnitedNations Office on Drugs and Crime, Global Study on Homicide – Gender-related killing of women and girls 2018, S. 12). Auf internationaler Ebene werden Morde an Frauen zunehmend als Femizide kategorisiert und somit als solche anerkannt. Die Anerkennung der Tatsache, dass Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts getötet werden, führt nach Einschätzung der Fragesteller in einzelnen Ländern zu besseren Präventionskampagnen . Der Bundesregierung jedoch fällt es nach Ansicht der Fragesteller schwer, sich zum Thema „Femizide in Deutschland“ zu positionieren. Vor dem Hintergrund der Veröffentlichung von Statistiken zu Gewalt in Partnerschaften im November 2018, der Veröffentlichung der Polizeilichen Kriminalstatistik 2018 und des Inkrafttretens der Istanbul-Konvention am 1. Februar 2018 in Deutschland hoffen die Fragestellenden auf bessere Beleuchtung dieses Phänomens. 1. Wie viele Frauen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung von ihren aktuellen oder ehemaligen Partnern im Jahr 2018 in Deutschland getötet (bitte nach Tatbestand aufschlüsseln)? Die Bundesregierung verfügt über folgende Zahlen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS): Mord § 211 StGB: insgesamt 62 weibliche Opfer mit Beziehung zum Tatverdächtigen „Partnerschaft insgesamt“, davon 15 mit Beziehung „ehemalige Partnerschaft “. Totschlag § 212 StGB: insgesamt 57 weibliche Opfer mit Beziehung zum Tatverdächtigen „Partnerschaft insgesamt“, davon neun mit Beziehung „ehemalige Partnerschaft“. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/10062 Körperverletzung mit Todesfolge §§ 227, 231 StGB: insgesamt vier weibliche Opfer mit Beziehung zum Tatverdächtigen „Partnerschaft insgesamt“, davon kein Opfer mit Beziehung „ehemalige Partnerschaft“. Minder schwerer Fall des Totschlags § 213 StGB: kein weibliches Opfer mit Beziehung zum Tatverdächtigen „Partnerschaft insgesamt“. 2. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, dass sich unter diesen Fällen Femizide befinden? Falls nicht, wie möchte sie sich darüber Kenntnis verschaffen? Zu der Frage, ob sich unter diesen Fällen Femizide befinden, kann die Bundesregierung keine Aussage treffen. Die Tatmotivation wird in der PKS nicht erfasst. Insofern sind auch keine Aussagen dazu möglich, ob die in der PKS erfassten weiblichen Opfer eines Tötungsdelikts im Kontext Partnerschaftsgewalt deshalb Opfer wurden, weil sie eine Frau waren. 3. Wie kann die Bundesregierung die Anforderungen der Istanbul-Konvention aus Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe b erfüllen, dass die Vertragsstaaten geschlechtsspezifische Gewalt auf ihre „[…] eigentlichen Ursachen und ihre Auswirkungen, Vorkommen und die Aburteilungsquote […]“ untersuchen sollen, ohne ein Tatmotiv für Fälle in der Polizeilichen Kriminalstatistik „Partnerschaftsgewalt“ aufzuführen, in denen eine Frau getötet wird, weil sie eine Frau ist? Die in Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe b der Istanbul-Konvention genannte Verpflichtung bezieht sich auf die Förderung von Forschung auf dem Gebiet aller in den Geltungsbereich der Konvention fallenden Formen von Gewalt, um ihre eigentlichen Ursachen und ihre Auswirkungen, ihr Vorkommen und die Aburteilungsquote sowie die Wirksamkeit der zur Durchführung dieses Übereinkommens getroffenen Maßnahmen zu untersuchen. Dabei erstreckt sich Forschung nicht im Fokus auf die Auswertung kriminalstatistischer Daten, so dass für die in Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe b genannte Verpflichtung eine Erfassung der Tatmotivation in der PKS nicht erforderlich ist. Die Sammlung kriminalstatistischer Daten ist in Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a geregelt. Dort ist lediglich normiert, dass Fälle von allen in den Geltungsbereich der Istanbul-Konvention fallenden Formen von Gewalt gesammelt werden sollen. 4. Wie erfasst die Bundesregierung Fälle von geschlechtsspezifischer Gewalt nach Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe b der Istanbul-Konvention, die außerhalb von Partnerschaften stattfinden? In der PKS werden alle der Polizei bekannt gewordenen strafrechtlichen Sachverhalte unter dem jeweiligen Straftatenschlüssel unter Beschränkung auf ihre erfassbaren wesentlichen Inhalte erfasst. Dazu gehört auch die Erfassung von Opfermerkmalen , wie bspw. Geschlecht, Alter, Nationalität und Opfer-Tatverdächtigenbeziehung . Drucksache 19/10062 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 5. Teilt die Bundesregierung die Meinung der „Commission on the Status of Women“, dass Gewalt gegen Frauen und Mädchen auf historischer und struktureller Ungleichheit von Machtverhältnissen zwischen Frauen und Männern basiert, welche in allen Ländern der Welt als eine allgegenwärtige Menschenrechtsverletzung andauert (E/CN.6/2013/11 Kapitel I Buchstabe A Nummer 10, https://undocs.org/E/CN.6/2013/11)? Wenn nein, was sind aus Sicht der Bundesregierung die Hintergründe dieser Menschenrechtsverletzung? Die Bundesregierung teilt die Meinung der „Commission on the Status of Women “. 6. In welcher Form unterstützt Deutschland die Initiative „Spotlight“ der Europäischen Union und den Vereinten Nationen, die sich für die Beseitigung und Prävention von Femiziden in Honduras, El Salvador, Guatemala, Mexiko und Argentinien einsetzt? Die EU/UN-Spotlight-Initiative wird mit insgesamt 500 Mio. Euro aus EU-Mitteln finanziert, woran Deutschland als größter EU-Beitragszahler maßgeblichen Anteil hat. 45 Mio. Euro der 500 Mio. Euro sind für die Komponente zur Beseitigung und Prävention von Femiziden in Lateinamerika vorgesehen, die sich bereits in der Umsetzung befindet. Die Initiative wird durch VN-Agenturen, insbesondere UN Women, UNFPA und UNDP umgesetzt. Des Weiteren können sich Organisationen der Zivilgesellschaft auf Länder- und Regionalebene auf Mittel aus der Initiative bewerben. Deutschland und die anderen EU-Mitgliedstaaten werden im Rahmen der EU-Arbeitsgruppe „Entwicklungszusammenarbeit“ (CODEV) regelmäßig seitens der EU und der VN über den Stand der Umsetzung der Spotlight-Initiative informiert. 7. Unterstützt die Bundesregierung die von der Initiative „Spotlight“ verwendete Definition des Femizids? Wenn nein, warum nicht? 8. Kommen auf Grundlage der von der Initiative „Spotlight“ verwendeten Definition Femizide in Deutschland vor? Wenn nein, warum nicht? 9. Welche auf internationaler Ebene gebräuchliche Definition des Femizids würde die Bundesregierung stattdessen vertreten und ihrer nationalstaatlichen Politik zugrunde legen? 10. Kommen auf Grundlage dieser Definition Femizide in Deutschland vor? Die Fragen 7 bis 10 werden zusammen beantwortet. Es wird auf die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Geschlechtsspezifische Tötungen an Frauen – Femizide in Deutschland“ auf Bundestagsdrucksache 19/4059 verwiesen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/10062 11. Arbeitet die Bundesregierung für die im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vorgesehene Öffentlichkeitskampagne zur Ächtung von Gewalt gegen Frauen mit Nichtregierungsorganisationen zusammen? Wenn ja, mit welchen? Ziel der im Koalitionsvertrag vorgesehenen bundesweiten Öffentlichkeitskampagne ist es, die Gesellschaft für das Thema Gewalt gegen Frauen zu sensibilisieren , Informations- und Hilfsangebote bekannt zu machen und so Opfer von Gewalt , ihr Umfeld und die Gesellschaft als Ganzes zu aktivieren und zu ermutigen, gegen geschlechtsspezifische Gewalt auf allen Ebenen und in allen Formen einzutreten . Damit dieses Ziel erreicht werden kann, ist geplant, die einschlägigen Nichtregierungsorganisationen einzubinden. Die Ausschreibung der Öffentlichkeitskampagne wurde am 10. März 2019 veröffentlicht, das Vergabeverfahren läuft noch. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333