Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit vom 8. Mai 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/10109 19. Wahlperiode 10.05.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Karsten Hilse, Marc Bernhard, Dr. Rainer Kraft, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD – Drucksache 19/9647 – Das LNT-Modell („Linear No Threshold“) im Strahlenschutz V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Jede Exposition des menschlichen Körpers durch Stoffe oder Strahlung hat bei entsprechend hoher Dosis eine bionegative Wirkung. Um derartigen Gefahren entgegenzuwirken, ist es sinnvoll, Emissions- und Immissionsgrenzwerte festzulegen . Diese müssen in einem angemessenen Verhältnis zum Aufwand stehen (www.iaea.org/sites/default/files/publications/magazines/bulletin/bull22-5/225 _605041322.pdf). Nach Ansicht der Fragesteller muss außerdem sicher belegt sein, dass oberhalb einer Nachweisschwelle bionegative Wirkungen zu erwarten sind bzw. das Risiko einer Gesundheitsgefährdung unangemessen hoch wird. Für Expositionen unterhalb dieser Nachweisschwelle ist die Wirkung nicht bekannt . Sie kann bionegativ, aber auch biopositiv sein. Schon Paracelus bemerkte hierzu „Alle Dinge sind Gift, und nichts ohne Gift. Allein die Dosis machts, dass ein Ding kein Gift sei“ (https://de.wikiquote.org/wiki/Paracelsus). Ein gutes Beispiel aus dem Alltag ist Kochsalz: 100 Gramm auf einmal sind tödlich, während wenige Gramm pro Tag überlebensnotwendig sind. Auch exotischere Stoffe wie Digitalis wirken in hoher Dosis toxisch, in geringer Dosis aber biopositiv (www.herzklappenhilfe.de/herzinsuffizienz-patienten/service/ratgeber /digitalis-glykoside/). Solange unterhalb der Nachweisschwelle die Wirkung nicht bekannt ist, kann somit niemand einer Exposition bei geringer Dosis ab- oder zuraten. Gerade bei ionisierender Strahlung ist dieses Thema besonders umstritten. So gibt es immer wieder Publikationen, die zu dem Schluss kommen, dass bei geringer Dosis durchaus eine biopositive Wirkung zu erwarten ist (https://dx.doi.org/10.2203/ dose-response.06-102.Luckey). Eine generelle Regel „So niedrig wie möglich“ und „um jeden Preis“ ist nach Meinung der Fragesteller weder wissenschaftlich belegt, noch wirtschaftlich opportun. Grenzwerte unterhalb der Nachweisschwelle bewirken somit keine überprüfbare gesundheitliche Verbesserung. Die ökonomische Wirkung ist hingegen gut erkennbar. Ein aktuelles Beispiel ist die empfohlene Herabsetzung der Aktivitätsgrenzwerte von Radon in Innenräumen von 300 Bq/m³ auf 100 Bq/m³ (http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/053/1905350.pdf, S. 15 – 17), also einem Wert weit unterhalb der Nachweisschwelle für bionegative Auswirkungen. Der Gesetzgeber hat aus Vorsicht möglicherweise nur einen sehr konservativen Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/10109 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Grenzwert setzen wollen, die Nachweisschwelle liegt jedoch um ein Vielfaches höher. Ein positiver Effekt wird vermutlich niemals nachweisbar sein, während der dadurch verursachte deutliche Mehraufwand bei Gebäudeauslegungen eine ganz konkrete negative wirtschaftliche Auswirkung haben dürfte. Die lineare Extrapolation von hohen Dosen auf Werte unterhalb der der Nachweisschwelle wird LNT-Modell („Linear No Threshold“) genannt. Sie ist kein wissenschaftliches, sondern ein maßnahmentechnisches Instrument. Mithilfe des LNT-Modells kann Vorsorge, z. B. im Strahlenschutz, getroffen werden. Keinesfalls darf das LNT-Modell jedoch zur Abschätzung gesundheitlicher Risiken verwendet werden. So stellt die Internationale Strahlenschutzkommission (ICRP) bereits 2007 in ihrem Bericht 103, Absatz 66, fest: „Die Kommission betont, dass es, obgleich das LNT-Modell ein wissenschaftlich plausibles Element ihres praktischen Strahlenschutzsystems bleibt, unwahrscheinlich ist, dass in naher Zukunft biologische/epidemiologische Daten verfügbar werden, die diese Hypothese eindeutig bestätigen könnten (siehe auch UNSCEAR, 2000, NCRP 2001). Wegen dieser Unsicherheit der gesundheitlichen Wirkungen nach niedrigen Dosen kommt die Kommission zu der Einschätzung, dass es nicht sinnvoll ist, für Zwecke der allgemeinen Gesundheitsplanung, die hypothetische Zahl von Krebsfällen und von vererbbaren Erkrankungen, die mit sehr niedrigen Strahlendosen assoziiert sein können, die viele Menschen über sehr lange Zeitspannen erhalten können, zu berechnen“ (www.icrp.org/docs/P103_German.pdf). Die Fragesteller verstehen dies so, dass mithilfe des LNT-Modells durchaus eine hypothetische Opferzahl berechnet werden kann, aber nur mit dem Zweck, daraus Strahlenschutzmaßnahmen wie Dekontaminationen und Evakuierungen abzuleiten. Führen diese Maßnahmen zu einer höheren Opferzahl bzw. zu einem unangemessenen Aufwand, so wäre davon abzuraten. Ganz offenkundig ist somit nach Ansicht der Fragesteller die Frage nach dem Verhältnis von Nutzen zu Aufwand eines Grenzwertes entscheidend. Er wäre ganz sicher unterhalb der Nachweisschwelle für nicht mehr hinnehmbare gesundheitliche Gefährdungen anzusetzen, doch ist den Fragestellern keine allgemeine Regel bekannt, wie weit darunter. Mit jeder Absenkung der Grenzwerte wür-de i. d. R. auch der Aufwand zunehmen, oft sogar überproportional. So wäre es oft sinnvoll, einen Bruchteil der Nachweisschwelle anzusetzen, wenn der Aufwand für die Wirtschaft vertretbar ist. Dagegen gilt aber beispielsweise bei der Endlagerung radioaktiver Abfälle in der Asse ein Grenzwert für Immissionen nach § 99 Absatz 1 der Strahlenschutzverordnung (StrlSchV – www. gesetze-im-internet.de/strlschv_2018/StrlSchV.pdf) von 0,3 mSv/Jahr, weit unterhalb der natürlichen Belastung, womit nun offenkundig die Bergung der dort eingelagerten Stoffe mit Kosten in Milliardenhöhe begründet wird. Der Gesetzgeber hat die Bundesregierung angewiesen, bei der Umsetzung von umweltpolitischen Maßnahmen das sogenannte Vorsorgeprinzip anzuwenden, welches national und international bei der Umweltgesetzgebung verankert ist (s. Stellungnahme des Umweltbundesamtes unter www.umweltbundesamt.de/ themen/nachhaltigkeit-strategien-internationales/umweltrecht/umweltverfassungsrecht/ vorsorgeprinzip). Es soll hiernach der Abwehr schädlicher Umwelteinflüsse sowie der Risikominimierung dienen und wird demnach auch zur Festsetzung von Grenzwerten herangezogen. Nach Auffassung der Fragesteller ist dabei aber keine quantitative Leitlinie erkennbar, inwiefern Umwelteinwirkungen zu akzeptieren sind, denn eine vollständige Vermeidung solcher hieße immer, die Ursache , etwa die Anwendung einer Technologie, völlig auszuschließen. Das Vorsorgeprinzip stellt nach ICRP (2007), Absatz 36 somit die gesetzliche Umsetzung des LNT-Modells bei Immissionsgrenzwerten dar (www.icrp.org/docs/ P103_German.pdf), ohne dass allein daraus eine Abwägung von Gefahrenvermeidung mit der Herabsetzung ökonomischen Nutzens erkennbar ist. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/10109 1. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Internationalen Strahlenschutzkommission , dass das LNT-Modell (ICRP-Report 103, Absatz 66) kein Instrument der allgemeinen Gesundheitsplanung ist, da es keine Vorhersagen von Erkrankungen bei niedrigen Strahlenexpositionen einer hohen Bevölkerungszahl erlaubt? Gesundheitliche Risiken durch Strahlung werden anhand von Risikomodellen abgeschätzt . Diese basieren auf Daten aus epidemiologischen Studien und werden abhängig von der interessierenden Strahlenart bzw. Expositionssituation und Erkrankung entwickelt. Das LNT-Modell ist ein spezielles Risikomodell, das eine lineare Dosis-Wirkungsbeziehung ohne Schwellendosis annimmt. Insbesondere bei niedrigen Strahlendosen deutlich kleiner etwa 100 mSv sind die Risikoabschätzungen mit Unsicherheiten behaftet. Die vorhandenen Daten erlauben zurzeit keine definitive Aussage über das Krebsrisiko durch niedrige Strahlendosen , die über einen längeren Zeitraum verteilt sind. Sie sind aber konsistent mit der Annahme, dass das zusätzliche Krebsrisiko proportional zur Dosis ist – also mit dem LNT-Modell. Daher wird im Sinne eines konservativen Vorgehens, also der Vermeidung einer Unterschätzung des Risikos, im Strahlenschutz vom LNT-Modell ausgegangen. Dies wird beispielsweise von der Internationalen Strahlenschutzkommission (ICRP) in ICRP-Report 103, Absatz 36, wie folgt zusammengefasst : „[…] Die Verwendung dieses sogenannten linearen Modells ohne Schwellendosis („linear-non-threshold” (LNT) model) stellt nach Ansicht der Kommission den besten praktischen Ansatz zur Regulation des Risikos durch Strahlenexposition dar und ist dem Vorsorgeprinzip (UNESCO, 2005) angemessen. Die Kommission ist der Ansicht, dass das LNT-Modell nach wie vor eine konservative Grundlage für den Strahlenschutz in Bereichen niedriger Dosis und Dosisleistung ist (ICRP, 2005d).“ Basierend auf dem LNT-Modell können in einem weiteren Schritt absolute Risikogrößen wie die erwartete Anzahl von Neuerkrankungen bzw. Todesfällen in der Bevölkerung durch Strahlung berechnet werden. Zum Zwecke der allgemeinen Gesundheitsplanung hält die ICRP dieses Vorgehen jedoch nicht für sinnvoll (siehe ICRP 103, Absatz 66). Da in diese Berechnungen viele Personen mit niedrigen und sehr niedrigen Strahlendosen und demnach großen Unsicherheiten in Bezug auf das Strahlenrisiko eingehen, sind diese Vorhersagen insgesamt mit großen Unsicherheiten behaftet. Die Bundesregierung teilt die Ansicht der ICRP, dass das LNT-Modell derzeit der beste praktische Ansatz zur Regulation des Risikos durch Strahlenexposition ist und dass Vorhersagen über viele Personen mit niedrigen und sehr niedrigen Strahlendosen über einen sehr langen Zeitraum mit großen Unsicherheiten verbunden sind. 2. Hält die Bundesregierung das LNT-Modell für übertragbar auf alle Arten von Immissionen und Expositionen, wie z. B. Radon in der Atemluft oder Grenzwerte nach StrlSchV für die zulässigen Immissionen von Endlägern für radioaktive Abfälle, insbesondere der Asse? Wenn nein, warum nicht, bzw. welche andere Grundlage wird stattdessen herangezogen? Der wissenschaftliche Kenntnisstand zu möglichen gesundheitlichen Risiken durch ionisierende Strahlung erlaubt zurzeit keine belastbaren Aussagen zur Dosis -Wirkungsbeziehung in einem Dosisbereich deutlich kleiner etwa 100 mSv. Im Sinne des Vorsorgeprinzips wird im Strahlenschutz daher vom LNT-Modell, also Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/10109 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode einer linearen Dosis-Wirkungsbeziehung ohne Schwellendosis, ausgegangen, d. h. dass jeder noch so kleinen zusätzlichen Strahlenexposition ein entsprechendes zusätzliches Strahlenrisiko zuzuordnen ist. Dies gilt für alle Strahlenquellen, auch natürliche wie zum Beispiel Radon und seine Folgeprodukte. Gestützt wird dieses Vorgehen durch Befunde aus einer Reihe von aussagekräftigen epidemiologischen Studien, insbesondere Untersuchungen an den Atombombenüberlebenden (Ozasa et al. 2012) und auch weiteren aktuellen Studien, z. B. zu beruflicher Exposition von Nukleararbeitern (Richardson et al. 2015), medizinischer Exposition von Kindern durch CT-Untersuchungen (Berrington de Gonzalez et al. 2016) oder Exposition durch Radon in Wohnungen (Darby et al. 2005), die mit einer linearen Dosis-Wirkungsbeziehung ohne Schwellenwert konsistent sind. 3. Welchen Bezug bzw. welche allgemeine Regel wendet die Bundesregierung an, um aus einer wissenschaftlich belegten Nachweisschwelle einen wirtschaftlich vertretbaren Grenzwert abzuleiten? Das deutsche Regelwerk zum Strahlenschutz setzt – auch hinsichtlich Grenzwerten – gemäß Euratom-Vertrag (Artikel 2, 30, 31, 33) die entsprechenden europäischen Richtlinien um, die sich an den Empfehlungen der internationalen Strahlenschutzkommission (ICRP) orientieren. Die in diesem Zusammenhang derzeit aktuellste Richtlinie 2013/59/Euratom vom 5. Dezember 2013 stützt sich auf die ICRP-Publikation 103 aus dem Jahr 2007. Generell berücksichtigt das deutsche Regelwerk zum Strahlenschutz den jeweils aktuellen Stand der etablierten wissenschaftlichen Erkenntnis, wie er in zusammenfassenden Bewertungen von UNSCEAR (United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation ), ICRP (International Commission on Radiological Protection), Euratom Artikel 31 Group of Experts und der deutschen Strahlenschutzkommission dokumentiert ist. Nach dem Grundsatz der Dosisreduzierung (siehe auch § 8 Absatz 2 des Strahlenschutzgesetzes) sind auch unterhalb der Dosisgrenzwerte Expositionen und Kontaminationen so gering wie möglich zu halten. Hierzu sind unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls der Stand der Wissenschaft und Technik zu beachten. Bei der Dosisreduktion können wirtschaftliche Gesichtspunkte neben anderen im Einzelfall entscheidungsrelevant sein. 4. Welche Bedingungen im Sinne des Vorsorgeprinzips setzt die Bundesregierung für die Festlegung von Grenzwerten, und warum? Welche wissenschaftlichen Grundlagen werden dazu herangezogen? Es wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. Ergänzend zu den o. g. Antworten ist im Hinblick auf die Vorbemerkung der Fragesteller zur Schachtanlage Asse II festzuhalten: Die Festlegung zur Rückholung der radioaktiven Abfälle aus der Schachtanlage Asse II basiert auf den Ergebnissen des vom ehemaligen Betreiber, dem Bundesamt für Strahlenschutz, durchgeführten sogenannten Optionenvergleichs. Die Rückholung der Abfälle aus der Schachtanlage Asse II ist demnach die beste Variante , da nur bei der Rückholung der Abfälle nach derzeitigem Kenntnisstand ein Langzeitsicherheitsnachweis, der für die Stilllegung eines Endlagers zwingend erforderlich ist, erbracht werden kann (vgl. auch https://archiv.bge.de/archiv/www. asse.bund.de/Asse/DE/themen/was-wird/stilllegungskonzept/optionenvergleich/ optionenvergleich_node.html). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333