Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom 10. Mai 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/10184 19. Wahlperiode 14.05.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Martin Neumann, Michael Theurer, Reinhard Houben, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/9423 – Ökonomische Auswirkungen eines vorfristigen Ausstiegs aus der Kohleverstromung (Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 19/8552) V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Aus der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Ökonomische Auswirkungen eines vorfristigen Ausstiegs aus der Kohleverstromung“ auf Bundestagsdrucksache 19/8552) ergeben sich aus Sicht der Fragesteller keine ausreichenden Auskünfte zu den angesprochenen Aspekten des geplanten Kohleausstiegs . Insbesondere der Verweis der Bundesregierung auf bestehende „deutliche Überkapazitäten“ im europäischen Stromversorgungssystem regt Nachfragen an. 1. Welche konkreten Überlegungen zur Überprüfung des Rechtsrahmens für Genehmigungsverfahren für geänderte Rekultivierungspläne gibt es aktuell auf Seiten der Bundesregierung, und wie könnten diese zur Verfahrensbeschleunigung beitragen (Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung zu Frage 2 auf Bundestagsdrucksache 19/8552)? Ein früher als bislang geplantes Ende der Braunkohleverstromung kann Umplanungen für Braunkohletagebaue notwendig machen. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ befasst sich der Bund mit Beschleunigungspotenzialen für Umplanungen und Anpassungen von Genehmigungen für Tagebaue. Die Bundesregierung nutzt dazu auch regelmäßigen Länderkontakt. Die Zuständigkeit für den Vollzug der Verfahren liegt bei den Ländern, die gesetzlichen Regelungen liegen überwiegend in der Zuständigkeit des Bundes, teilweise in der Zuständigkeit der Länder. Europaund völkerrechtliche Vorgaben sind zu beachten. Gegenwärtig handelt es sich oft um Verfahren mit langer Dauer. Die Prüfung eventueller Möglichkeiten von Verfahrensbeschleunigungen , u. a. unter Einbeziehung von Beispielen in anderen Bereichen , befindet sich gegenwärtig im Anfangsstadium und ist hinsichtlich des Ergebnisses offen. Drucksache 19/10184 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 2. Welche Informationen zu den Leistungsbilanzen im Stromsektor der anderen EU-Staaten sowie Prognosen zu deren künftigen Entwicklungen liegen der Bundesregierung vor, und wie bewertet sie diese in Bezug auf Versorgungssicherheit im europäischen Strommarkt (Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung zu Frage 4 auf Bundestagsdrucksache 19/8552)? Nationale Leistungsbilanzen im Stromsektor werden von anderen EU-Mitgliedstaaten nach Kenntnis der Bundesregierung nicht mehr angewendet, um das Niveau der Versorgungssicherheit an den Strommärkten zu bewerten. 3. Wann wird die Bundesregierung die von ihr in der Antwort als „erforderlich“ bezeichneten „umfassenden Analysen“ vorlegen, und welche weiteren Anforderungen für ein Monitoring der Versorgungssicherheit plant sie wann einzuleiten (Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung zu Frage 4 auf Bundestagsdrucksache 19/8552)? Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) wird den Monitoringbericht zur Stromversorgungsicherheit (§ 63 i. V. m. § 51 des Energiewirtschaftsgesetzes – EnWG) in Kürze vorlegen. In diesem Zusammenhang werden auch die genannten umfassenden Analysen zur Versorgungssicherheit veröffentlicht , die insbesondere auch den europäischen Binnenmarkt für Strom miteinbeziehen . Das BMWi prüft derzeit die Empfehlungen der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ sowie das aktuelle Legislativpaket der Europäischen Kommission („Clean Energy Package“) auch in Bezug auf das Monitoring der Versorgungssicherheit. 4. Von einem Kapazitätsreservebedarf in welchem Umfang geht die Bundesregierung aktuell – auch vor dem Hintergrund der Empfehlungen der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ – bis zum Jahr 2030 aus (Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung zu Frage 7 auf Bundestagsdrucksache 19/8552)? Für Extremsituationen, die über die üblichen Risiken an den Strommärkten hinausgehen , sieht die Bundesregierung derzeit einen Bedarf für eine Kapazitätsreserve im Umfang von 2 Gigawatt. Das BMWi überprüft die Größe der Reserve regelmäßig und kann sie bei Bedarf anpassen. Der Bedarf an Kapazitätsreserve bis zum Jahr 2030 hängt von verschiedenen Faktoren ab, z. B. dem Zu- und Rückbau von Stromerzeugungsanlagen im europäischen Verbund und der Entwicklung der Stromnachfrage. Angesichts dessen ist eine verlässliche Prognose derzeit nicht möglich. 5. Welches Ziel verfolgt die Bundesregierung mit dem geplanten Strompreisgipfel ? Welche Schwerpunkte werden bei dieser Veranstaltung gesetzt werden, und wen plant die Bundesregierung einzuladen (Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung zu Frage 9 auf Bundestagsdrucksache 19/8552)? Ziel des Strompreisgipfels wird sein, mit betroffenen Akteuren und Stakeholdern über Handlungsoptionen zur Entlastung bei den Stromkosten zu sprechen. Die genauen Schwerpunkte und der Teilnehmerkreis werden derzeit erarbeitet. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/10184 6. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die von ihr in der Antwort zu Frage 11 genannten Überkapazitäten im europäischen Stromversorgungssystem ein, und auf welchen Berechnungsmodellen fußt ihre Annahme (Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung zu Frage 11 auf Bundestagsdrucksache 19/8552)? Das BMWi geht davon aus, dass im europäischen Stromsystem derzeit Überkapazitäten von etwa 80 bis 90 Gigawatt bestehen. Diese Einschätzung fußt auf einem externen Gutachten, welches das BMWi zum Thema Versorgungssicherheit an den europäischen Strommärkten vergeben hat und dessen Ergebnisse zusammen mit dem Monitoringbericht zur Stromversorgungsicherheit (§ 63 i. V. m. § 51 EnWG) veröffentlicht werden. Aus dem Gutachten ergibt sich, dass, soweit die Integration der europäischen Strommärkte weiter wie geplant voranschreitet, konventionelle Kraftwerke sukzessive reduziert werden können, ohne das gegenwärtige Niveau der Versorgungssicherheit im europäischen Stromsystem bis 2030 zu beeinträchtigen. 7. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über die Strombedarfe anderer EU-Staaten bis zum Jahr 2030 vor (bitte nach Ländern differenzieren und die jeweilige Quelle nennen), und inwiefern haben diese bei der o. g. Aussage der Bundesregierung Berücksichtigung gefunden (Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung zu Frage 11 auf Bundestagsdrucksache 19/8552)? Wichtige Quellen für die Entwicklung der Strombedarfe in anderen EU-Mitgliedstaaten sind unter anderem die Nationalen Energie- und Klimapläne nach der EU- Governance-Verordnung, der europäische Netzentwicklungsplan von ENTSO-E sowie der sog. Midterm Adequacy Forecast von ENTSO-E. Das BMWi berücksichtigt die Entwicklung der Nachfrage und der Lasten in den anderen EU-Staaten im Monitoring der Stromversorgungsicherheit (vgl. § 51 Absatz 3 EnWG). 8. Welche installierte Leistung aus Gaskraftwerken kann, ausgehend vom aktuellen Ausbaupfad und Ausbautempo, nach Kenntnis der Bundesregierung bis zum Jahr 2023 bereitgestellt werden, und welchen tatsächlichen Bedarf sieht sie, um beispielsweise den Ausstieg aus der Verstromung aus Kernenergie zu kompensieren? Welchen Beitrag (bitte numerisch unterlegen) können andere EU-Staaten leisten (Stichwort „Überkapazitäten“; Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung zu Frage 14 auf Bundestagsdrucksache 19/8552)? Die Akteure an den Strommärkten entscheiden über die Planung und den Bau von Gaskraftwerken. Eine aktuelle Liste von Projekten kann bei der Bundesnetzagentur eingesehen werden (abrufbar unter www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/ Downloads/DE/Sachgebiete/Energie/Unternehmen_Institutionen/Versorgungs sicherheit/Erzeugungskapazitaeten/Kraftwerksliste/Veroeff_ZuUndRueckbau_ 2019_1.xlsx). Auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft veröffentlicht eine Liste mit geplanten Projekten (abrufbar unter www.bdew.de/ energie/kraftwerkspark-deutschland-zahlreiche-kraftwerksprojekte-im-wartestand/ und www.bdew.de/media/documents/PI_20190401_BDEW-Kraftwerksliste.pdf). Mit Blick auf die bestehenden Überkapazitäten im europäischen und auch deutschen Stromsystem sieht das BMWi keinen kurzfristigen Bedarf an zusätzlichen Gaskraftwerken bis zum Jahr 2023. Im Bereich Kraft-Wärme-Kopplung findet – gefördert durch das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz – ein Neubau von Gaskapazitäten oder ein Ersatz des Brennstoffs Kohle durch Erdgas statt. Drucksache 19/10184 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 9. Wie hoch liegen nach Kenntnis der Bundesregierung die Emissionen von Gaskraftwerken, wenn die Emissionen bei Förderung und Transport in die Bilanz einbezogen werden (Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung zu Frage 17 auf Bundestagsdrucksache 19/8552)? 10. Wie stellen sich die Emissionen der Braunkohlekraftwerke in den einzelnen Revieren dar (bitte differenziert auflisten), und in welchem Verhältnis stehen diese zu Gaskraftwerken, wenn die komplette Lieferkette berücksichtigt wird (Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung zu Frage 17 auf Bundestagsdrucksache 19/8552)? Die Fragen 9 und 10 werden gemeinsam beantwortet. Die spezifischen Emissionen eines Gaskraftwerks variieren u. a. mit Alter, der in der Anlage eingesetzten Technik und Fahrweise der Anlage. Die Emissionen der Vorkette (Förderung, Aufbereitung und Transport) hängen vom Herkunftsland des Gases, den Förderbedingungen, der Aufbereitung des Gases und Länge und Art des Transportweges ab. Da die Gasbezugsquellen, teils auch über eine Zwischenspeicherung , von Kraftwerk zu Kraftwerk variieren und auch für ein einzelnes Kraftwerk im Jahresverlauf schwanken können, ist eine Aussage zu den jeweiligen Vorkettenemissionen regelmäßig nicht möglich. Eine Addition der spezifischen sowie der Vorkettenemissionen aller Gaskraftwerke mit anschließender Durchschnittsbildung ist somit stark annahmegetrieben. Die Bundesregierung hat im Rahmen eines Forschungsvorhabens mit dem Titel „Roadmap Gas für die Energiewende“ eine Überprüfung der Klimawirkungen der konventionellen Erdgasförderung in Deutschland veranlasst. In der auf der Internetseite des Umweltbundesamtes (UBA) veröffentlichten Kurzstudie werden auch auf Basis von dazu ausgewerteten Studien die Vorkettenemissionen aus konventionell gefördertem Erdgas in Europa eingeordnet. Der Bundesregierung ist aus der Kurzstudie bzw. aus der dort zitierten DBI-Studie bekannt, dass die Treibhausgasmengen über den Produktionslebensweg von Erdgas sich in 2014 – abhängig vom Herkunftsland – wie folgt darstellten: g/GJ CO2 CH4 N2O CO Summe in CO2- Äquivalenten Niederlande 1077,5 83,8 0,0 1,3 1162,6 Norwegen 3431,8 85,9 0,2 3,4 3521,3 Russland 12797,0 147,7 0,1 6,0 12950,8 Quelle: Veröffentlichung des Umweltbundesamtes, Bewertung der Vorkettenemissionen bei der Erdgasförderung in Deutschland 02/2018, Seite 11, abrufbar unter www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2018-01-30_climate-change_02- 2018_roadmap-gas_0.pdf Hinsichtlich der CO2-Emissionsintensität wird in der UBA-Studie der NIR (Nationale Inventar Report) zitiert. Demnach liegt der CO2-Emissionsfaktor von Erdgas in Deutschland bei 55 900 gCO2/GJBrennstoff. Je nach Herkunftsland des Erdgases entstehen über den Produktionslebensweg zusätzliche Emissionen entsprechend der obigen Tabelle, was in Abhängigkeit vom Herkunftsland zu einer Erhöhung des CO2-Emissionsfaktors in der Spannbreite 2 Prozent bis zu rund 25 Prozent führen kann. Der CO2-Emissionsfaktor von Rohbraunkohle hingegen liegt laut NIR bei 110 900 gCO2/GJ. Das Verhältnis der auf das Produkt Strom bezogenen CO2-Emissionsfaktoren der Braunkohle und Erdgas liegt aufgrund des geringeren Wirkungsgrades von Braunkohle- im Vergleich zu Gaskraftwerken nochmals deutlich über dem Verhältnis der CO2-Emissionsfaktoren der reinen Brennstoffe. Daher ist davon auszugehen, dass Gaskraftwerke unabhängig von Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/10184 etwaigen Vorkettenemissionen weniger CO2-intensiv als Braun- oder Steinkohlekraftwerke sind. In der genannten Studie heißt es weiterhin (S. 15): „Selbst mit den […] für aus Russland importiertes Erdgas ermittelten Vorkettenemissionen […] bleibt der CO2-Emissionsfaktor von Erdgas deutlich unter dem von Stein- und Braunkohle […]. […] In der Energiewirtschaft ist die Nutzung von Erdgas gegenüber Stein- und Braunkohle wegen der deutlich geringeren verbrennungsbedingten Emissionen auch unter Einbezug der Vorkettenemissionen vorteilhaft, insbesondere im Fall der Stromerzeugung, wo bei Kohle zusätzlich die geringeren Wirkungsgrade der Umwandlung einzurechnen sind.“ Die nachfolgende Tabelle gibt Aufschluss über die CO2-Emissionen der größten deutschen Braunkohlekraftwerksstandorte im Jahr 2018, aufgeschlüsselt nach den drei Braunkohlerevieren. Kraftwerk Emissionen in Mio. t CO2 (2018) Revier Neurath 32,2 Rheinland Niederaußem 25,9 Rheinland Weisweiler 16,8 Rheinland Jänschwalde 22,8 Lausitz Boxberg 19,0 Lausitz Schwarze Pumpe 12,4 Lausitz Schkopau 6,1 Mitteldeutschland Lippendorf 13,7 Mitteldeutschland Quelle: Veröffentlichung des EU-Emissionshandelsregisters, abrufbar unter https://ec.europa.eu/ clima/sites/clima/files/ets/registry/docs/verified_emissions_2018_en.xlsx 11. Wenn die Bundesregierung nach eigener Auskunft keine Steuererhöhungen im Rahmen der Umsetzung der Empfehlungen der Strukturkommission plant, wie beabsichtigt sie sonst, Kosten, die aus einem vorzeitigen Kohleausstieg entstehen, gegenzufinanzieren (Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung zu Frage 19 auf Bundestagsdrucksache 19/8552)? Für Maßnahmen zur Umsetzung der von der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ vorgelegten Empfehlungen sind in den Haushaltseckwerten für die Jahre bis 2023 entsprechende Haushaltsmittel berücksichtigt. Ob und in welchem Umfang zusätzliche Ausgaben entstehen, hängt maßgeblich von der Ausgestaltung der gesetzlichen Maßnahmen ab. Dieser Prozess dauert noch an. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333