Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 14. Mai 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/10215 19. Wahlperiode 15.05.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/9557 – Kooperation des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit Unternehmen V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Am 26. März 2019 fand in Berlin eine gemeinsame „Sicherheitstagung“ des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) und der „Allianz für Sicherheit der Wirtschaft“ (ASW) in einem Hotel nahe dem Hauptbahnhof statt. Die Veranstaltung stand unter dem Titel „Extremismus – steigende Gefahr für Sicherheit und Reputation von Unternehmen“ (www.tagesspiegel.de/wirtschaft/ sicherheitstagung-des-verfassungsschutzes-wie-linksextremisten-gegen-unternehmenvorgehen /24152008.html). Verfassungsschutzvizepräsident Sinan Selen erklärte dort, das BfV stehe der „Wirtschaft“ als „Frühwarnsystem“ zur Seite und nannte als Beispiel Wohnungsbau - und Immobiliengesellschaften, die auf der Liste der „Ziele der Linksextremisten “ weit „nach oben gerückt“ seien. Komme es zu einer „Gefährdung des Unternehmens“, dann teile man in Einzelfällen auch Erkenntnisse über „extremistische “ Mitarbeiter. ASW-Vertreter Volker Wagner sprach von einer „engen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit“ von ASW und BfV. Wagner beklagte , die Grenzen zwischen „bürgerlichen Interessenbekundungen“ und „extremistischen Handlungen“ seien zunehmend „fließend“. Das hätten unter anderem die Proteste im Hambacher Forst gezeigt. Es könne aber jeden treffen, so der ASW-Vertreter unter Verweis auf die Gelbwesten-Bewegung in Frankreich und die Proteste gegen den G20-Gipfel im Sommer 2017 in Hamburg (www. jungewelt.de/artikel/351842.sicherheitskooperation-dem-kapital-zu-diensten.html). Für die Fragestellerinnen und Fragesteller stellen sich die Fragen, auf welcher rechtlichen Grundlage das BfV Erkenntnisse über „Extremisten“ an Unternehmen weitergibt und ob jegliche Kritik am Kapitalismus und am Agieren einzelner Konzerne bereits als „linksextreme Agitation“ gilt. Drucksache 19/10215 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode V o r b e me r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die Fragesteller beziehen sich auf eine Veranstaltung, die das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) gemeinsam mit dem ASW Bundesverband „Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft e. V.“ durchgeführt hat. Die Veranstaltung fand nicht wie in der Vorbemerkung der Fragsteller formuliert am 26. März 2019, sondern am 27. März 2019 statt. 1. Welche konkreten Gefahren für die Sicherheit und Reputation von Unternehmen sieht das BfV von so genannten Extremisten ausgehen? Unternehmen können Ziel extremistisch motivierter Kampagnen sein, die geeignet sind, Unternehmen durch Schädigung der Reputation einen nicht unerheblichen Wettbewerbsnachteil zu verschaffen oder sie schlimmstenfalls in ihrer Existenz zu bedrohen. Zudem können Unternehmen Ziel von Aktionen von Extremisten sein. Daneben stellt der internationale Terrorismus die deutsche Wirtschaft in Zeiten voranschreitender Globalisierung vor große Herausforderungen. a) Inwieweit und auf welcher rechtlichen Grundlage und welchem wo festgeschriebenen Auftrag ist das BfV für die Sicherheit von Unternehmen zuständig? Präventiver Wirtschaftsschutz ist Teil des „Verfassungsschutzes durch Aufklärung “ nach § 16 Absatz 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG). b) Inwieweit und auf welcher rechtlichen Grundlage und welchem wo festgeschriebenen Auftrag gehört die Sorge um die Reputation von Unternehmen zum Aufgabenbereich des BfV? Verfassungsschutz dient dem Schutz vor Bedrohungen nach § 3 Absatz 1 BVerfSchG und in diesem Rahmen auch präventiver Wirtschaftsschutz. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1a verwiesen. 2. Auf wessen Initiative ging die am 26. März 2019 veranstaltete Sicherheitstagung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) und der „Allianz für Sicherheit der Wirtschaft“ (ASW) unter dem Titel „Extremismus – steigende Gefahr für Sicherheit und Reputation von Unternehmen“ zurück, und was war der konkrete Anlass für diese Konferenz? Bei der am 27. März 2019 veranstalteten Sicherheitstagung handelte es sich um die inzwischen 13. BfV-ASW-Sicherheitstagung. Diese findet einmal jährlich und anlassunabhängig statt. Die Themenfindung erfolgte in Absprache und Kooperation mit dem ASW-Bundesverband e. V. 3. Welche Referentinnen und Referenten des BfV und der Wirtschaft im Einzelnen referierten dort zu welchen konkreten Themen? Folgende Referenten trugen zu folgenden Themen vor: 1. Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio, Richter des Bundesverfassungsgerichtes a. D., Keynote „Populismus und Extremismus – Die Grenzziehung zwischen Meinungstoleranz und freiheitlicher Selbstbehauptung“ 2. Dr. Michael Kiefer, Universität Osnabrück – Institut für islamische Theologie, „Die Logik des Extremismus“ Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/10215 3. Stefan Engelbrecht, Leiter Konzernsicherheit RWE, „Unternehmen als Ziele linksextremistischer Agitation“ 4. Christiane Schulz, CEO Weber Shandwick Deutschland, „Wenn Extremisten über mein Unternehmen sprechen: Kommunikationsstrategien“ 5. Dr. Claudia Brandkamp, Personal Security, Deutsche Telekom AG, „Bis gestern war er nur ein Kollege … - Radikalisierung in Unternehmen“ 6. Michael Hüllen, Landesbehörde für Verfassungsschutz Brandenburg, „Reichsbürger und Selbstverwalter als Problem für Unternehmen“. 4. Wie hoch waren die Gesamtkosten dieser Tagung? Auf welche Bereiche verteilten sich die Kosten? Wer kam jeweils für diese Kosten auf? Der ASW-Bundesverband übernahm die wirtschaftliche Verantwortung der Tagung in völliger Eigenregie. Eine Aussage zu den Kosten kann seitens der Bundesregierung nicht getätigt werden. 5. Gab es in der Vergangenheit bereits ähnliche Sicherheitstagungen unter Beteiligung des BfV, und wenn ja, wann, und wo? Die gemeinsam von BfV und ASW organisierten Sicherheitstagungen fanden seit 2004 zunächst alle zwei Jahre statt, sodann in einem jährlichen Turnus, anfangs in Köln und ab 2012 ausschließlich in Berlin. 6. Seit wann und in welcher Form besteht eine Kooperation der „Allianz für Sicherheit der Wirtschaft“ (ASW) mit dem BfV? a) Seit wann besteht die ASW? b) Wer gehört der ASW an? c) Was genau sind die Ziele der ASW? d) Was sind die Inhalte einer solchen Kooperation? Die Fragen 6 bis 6d werden gemeinsam beantwortet. Das BfV und der ASW-Bundesverband kooperieren seit über 20 Jahren in Fragen des Wirtschaftsschutzes. Die Kooperation zielt im Wesentlichen auf eine bessere Sensibilisierung vor allem von kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) ab. Wesentliche Inhalte der Kooperation zwischen BfV und ASW-Bundesverband sind: – Intensivierung der Awareness-Aktivitäten – Kooperation bei konkreten Handlungsempfehlungen zum Wirtschaftsschutz – Durchführung gemeinsamer Veranstaltungen zur Prävention bzw. zum Wirtschaftsschutz , insbesondere die gemeinsame Durchführung der BfV-ASW- Sicherheitstagungen. Zu den auf die Selbstdarstellung des ASW-Bundesverbandes abzielenden Fragestellungen 6a bis 6c wird auf dessen Internetpräsenz (https://asw-bundesverband.de) verwiesen. Drucksache 19/10215 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 7. Aufgrund welcher konkreten rechtlichen Grundlage und welchen wo festgeschriebenen Auftrages tritt das BfV als „Frühwarnsystem“ für die „Wirtschaft “ auf (www.jungewelt.de/artikel/351842.sicherheitskooperation-demkapital -zu-diensten.html)? a) Was genau versteht das BfV unter „Frühwarnsystem“, und vor was konkret wird wann und in welchen Fällen gewarnt? Die Fragen 7 und 7a werden gemeinsam beantwortet. Die Aufgaben des BfV sind in § 3 BVerfSchG geregelt. Als Nachrichtendienst dient es als Frühwarnsystem in Bezug auf Bedrohungen nach § 3 Absatz 1 BVerfSchG. Gemäß § 16 Absatz 1 BVerfSchG erstreckt sich die Informationsaufgabe auch auf die Wirtschaft. b) Was genau versteht das BfV im Zusammenhang mit den Äußerungen seines Vizepräsidenten Sinan Selen unter „Wirtschaft“? Welche Wirtschaftsform und welche Akteure fallen im Einzelnen darunter , und inwieweit handelt es sich bei der „Wirtschaft“ um etwas Schützenswertes im Sinne des Auftrages des BfV? „Wirtschaft“ ist ein sozialökonomisches Konstrukt zum geordneten Agieren von Marktteilnehmern. Zur weitergehenden Definition des Begriffs „Wirtschaft“ wird auf die allgemein zugänglichen Informationsquellen verwiesen. Im Übrigen wird auf die Antwort zu den Fragen 7 und 7a verwiesen. c) In welchen Fällen und in welcher Form tritt das BfV als „Frühwarnsystem “ für Unternehmen auf? d) Wann in den letzten fünf Jahren wirkte das BfV in welcher Form als „Frühwarnsystem“ für die Wirtschaft? e) Inwieweit und in welchen Fällen tritt das BfV auch gegenüber Gewerkschaften als „Frühwarnsystem“ auf? Die Fragen 7c bis 7e werden gemeinsam beantwortet: Auf die Antwort zu den Fragen 7 und 7a wird verwiesen. 8. Unter welchen Umständen und auf welcher Rechtsgrundlage teilt das BfV Unternehmen welche Art von Informationen über „extremistische Mitarbeiter “ mit (www.jungewelt.de/artikel/351842.sicherheitskooperation-demkapital -zu-diensten.html)? Die Bundesregierung versteht die Fragestellung dahingehend, dass nach der Übermittlung von personenbezogenen Daten gefragt wird. Eine Übermittlung an nichtöffentliche Stellen ist unter den Voraussetzungen des § 19 Absatz 4 BVerf- SchG zulässig. Des Weiteren informiert das BfV die Öffentlichkeit unter den Voraussetzungen des § 16 Absatz 1 BVerfSchG über Bestrebungen und Tätigkeiten nach § 3 Absatz 1 BVerfSchG. Unter den Voraussetzungen des § 16 Absatz 3 BVerfSchG dürfen dabei auch personenbezogene Daten bekanntgegeben werden. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/10215 a) Wann, wie oft, und in welchen konkreten Fällen und welchen Phänomenbereichen geschah dies in den letzten fünf Jahren? In den letzten fünf Jahren wurden keine personenbezogenen Daten über „extremistische Mitarbeiter“ an Unternehmen übermittelt. b) Was konkret verspricht sich das BfV von einer Unterrichtung von Unternehmen über „extremistische Mitarbeiter“? c) Inwieweit und in welchen Fällen erfolgt eine solche Unterrichtung auf Eigeninitiative des BfV? d) Inwieweit und in welchen Fällen erfolgt eine solche Unterrichtung auf Nachfrage eines Unternehmens? Die Fragen 8b bis 8d werden gemeinsam beantwortet. Das BfV übermittelt im Einzelfall personenbezogene Daten zu den in § 19 Absatz 4 Satz 1 BVerfSchG genannten Zwecken. Dabei ist es unerheblich, ob der Anlass für die Prüfung einer solchen Übermittlung durch das Unternehmen selbst gesetzt wird, indem dieses zum Beispiel einen entsprechenden Hinweis bzw. eine entsprechende Anfrage an das BfV richtet, oder ob der entsprechende Hinweis aus dem übrigen offenen oder nachrichtendienstlichen Informationsaufkommen des BfV stammt. e) Auf welcher konkreten rechtlichen Grundlage erfolgt eine solche Unterrichtung von Unternehmen über einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ? Die Übermittlung kann auf Grundlage des § 19 Absatz 4 BVerfSchG erfolgen. 9. Wann, und unter welchen Voraussetzungen betrachtet das BfV Kritik am Kapitalismus und dem Agieren einzelner Wirtschaftsunternehmen als „extremistisch “? Die bloße Kritik am Kapitalismus oder dem Agieren einzelner Wirtschaftsunternehmen betrachtet das BfV nicht als extremistisch. Das BfV bewertet über die Kritik hinaus gehende Aktivitäten gegenüber der Wirtschaftsordnung und den sie tragenden Unternehmen regelmäßig dann als extremistisch, wenn damit die Forderung nach Abschaffung eines oder mehrerer Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung einhergeht. Dies ist dann der Fall, wenn gleichzeitig beispielsweise eine sozialistische Diktatur angestrebt oder die Anwendung von Gewalt gegen Unternehmen gerechtfertigt wird. 10. Was genau meint das BfV mit der Aussage seines Vizepräsidenten Sinan Selen, wonach Wohnungsbau- und Immobiliengesellschaften auf der Liste der Ziele von Linksextremisten weit nach oben gerückt seien (www.junge welt.de/artikel/351842.sicherheitskooperation-dem-kapital-zu-diensten.html)? In der zur Rede stehenden Aussage wurden verschiedene Wirtschaftszweige aufgezählt , die im Fokus linksextremistischer Agitation standen. Darunter fallen auch Wohnungsbau- und Immobiliengesellschaften. In diesem Zusammenhang wurden z. B. Beschädigungen von Baufahrzeugen und Inbrandsetzungen von Neubauten vermehrt registriert. Drucksache 19/10215 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode a) Inwieweit sieht das BfV in der laufenden Kampagne zur Enteignung des Immobilienkonzerns „Deutsche Wohnen“ Anzeichen von extremistischen Betätigungen? Dem BfV liegen keine Erkenntnisse zu extremistischen Aktivitäten im Rahmen der genannten Kampagne vor. b) Inwieweit kann das BfV im Agieren von Immobiliengesellschaften wie dem Konzern „Deutsche Wohnen“, die ihre Profitinteressen über das u. a. in Artikel 11 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR), Artikel 16 der Europäischen Sozialcharta vom 16. Dezember 1966 sowie Artikel 31 der revidierten Europäischen Sozialcharta verankerte Recht auf Wohnen stellen, nach Ansicht der Fragesteller (https://interventionistische-linke.org/beitrag/deutsche-wohnenenteignen ) eine Form von Extremismus oder verfassungsfeindlicher Betätigung erkennen? Seitens der „Deutsche Wohnen“ sind dem BfV keine Bestrebungen im Sinne des § 3 BVerfSchG bekannt. 11. Inwieweit teilt das BfV die Einschätzung des ASW-Vertreters Volker Wagner, wonach die Grenzen zwischen „bürgerlichen Interessenbekundungen “ und „extremistischen Handlungen“ zunehmend „fließend“ seien, und wo genau sieht das BfV gegebenenfalls diese Grenzen verlaufen (www.junge welt.de/artikel/351842.sicherheitskooperation-dem-kapital-zu-diensten.html)? Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung gegebenenfalls bezüglich der Weitergabe von Daten an Unternehmen, wenn diese Trennlinie zum Extremismus nicht mehr so exakt gezogen werden kann? Extremisten greifen gesellschaftliche Debatten auf und versuchen diese im Rahmen ihrer Ideologie zu beeinflussen, zu radikalisieren oder zu instrumentalisieren . Dabei nutzen sie den demokratischen Diskurs als Deckmantel beispielsweise für den Aufruf zu Straf- und Gewalttaten. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 8 verwiesen. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333