Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 13. Mai 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/10296 19. Wahlperiode 15.05.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Achim Kessler, Susanne Ferschl, Sylvia Gabelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/9756 – Zuzahlungen der Versicherten bei Physiotherapie, Ergotherapie, Sprech-, Sprachund Stimmtherapie sowie bei Podologie und Ernährungstherapie V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die bestehenden Zuzahlungsregelungen für gesetzlich Versicherte sehen für fast alle Bereiche eine Deckelung auf 10 Euro vor. Das gilt etwa für Medikamente (5 bis 10 Euro), Krankenhaus (10 Euro pro Tag) und Hilfsmittel (5 bis 10 Euro). Nur bei Heilmitteln werden 10 Prozent der Kosten zuzüglich 10 Euro pro Verordnungsblatt fällig. Hierzu einige Beispiele: 20 x Logopädie 60 Minuten mit Hausbesuch (AOK Mecklenburg-Vorpommern ) = 147,20 Euro Zuzahlung 10 x Lymphdrainage 60 Minuten mit Hausbesuch (AOK Niedersachsen) = 67 Euro Zuzahlung 10 x Krankengymnastik am Gerät (AOK Niedersachsen) = 43,40 Euro Zuzahlung 10 x Ergotherapie psychisch funktionell 60 Minuten (vdek Sachsen) = 63,70 Euro Zuzahlung Die Bundesregierung antwortete auf die Schriftliche Frage 137 des Abgeordneten Dr. Achim Kessler auf Bundestagsdrucksache 19/8434, wonach Zuzahlungen bei den Versicherten „das Bewusstsein für die Kosten schärfen und die Eigenverantwortung der Versicherten stärken“ sollen. V o r b e me r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g In den vergangenen Jahren hat der Gesetzgeber eine Vielzahl von Maßnahmen zur Stärkung der Heilmittelversorgung ergriffen. Dazu gehören die Regelung zur schrittweisen Angleichung der Preise für Heilmittelleistungen in den Ländern im Zeitraum von 2016 bis 2021 und die Aufhebung der Begrenzung der Vergütungsanpassungen durch die Grundlohnrate in den Jahren 2017 bis 2019. Diese Maßnahmen haben zu deutlichen Vergütungssteigerungen für die Leistungserbringer im dreistelligen Millionenbereich geführt. Weitere mit dem am 11. Mai 2019 in Drucksache 19/10296 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Kraft getretenen Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) beschlossene Maßnahmen, wie die bundesweite Angleichung der Preise für Heilmittel auf den jeweils höchsten im Bundesgebiet für eine Leistungsposition vereinbarten Preis und die dauerhafte Aufhebung der Begrenzung der Vergütungsanpassungen durch die Grundlohnrate, werden absehbar zu weiteren Vergütungssteigerungen führen. Diese werden zum weitaus größten Teil über die Beiträge der Versicherten und ihrer Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber finanziert und sollen eine angemessene Vergütung der Heilmittelerbringer sicherstellen. Durch bessere Arbeitsbedingungen soll die Attraktivität der Heilmittelberufe auch vor dem Hintergrund bereits bestehender Fachkräfteengpässe erhöht werden. Die daraus entstehenden finanziellen Belastungen für die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler werden durch Zuzahlungen zu den Leistungen begrenzt. Damit wird die Solidargemeinschaft vor Überforderung geschützt. 1. Wenn es so ist, dass Zuzahlungen bei den Versicherten „das Bewusstsein für die Kosten schärfen“ sollen, darf ein Versicherter dann auch davon ausgehen , dass er sich umso wirtschaftlicher verhält, wenn er möglichst wenige Zuzahlungen verursacht, also z. B. im Falle von Rückenschmerzen eher auf medikamentöse als auf physiotherapeutische Behandlung setzt? 2. Wenn es so ist, dass Zuzahlungen bei den Versicherten „die Eigenverantwortung schärfen“ sollen, darf ein Versicherter dann auch davon ausgehen, dass er sich umso verantwortungsvoller verhält, wenn er möglichst wenige Zuzahlungen verursacht, also z. B. im Falle von Rückenschmerzen eher auf operative als auf physiotherapeutische Behandlung setzt? 3. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass es sich bei dem Wort „Eigenverantwortung “ lediglich um ein PR-gängiges Framing von „Patient zahlt selbst“ handelt (vgl. z. B.: www.spiegel.de/wirtschaft/agenda-2010-und-hartziv -framing-kann-nicht-nur-die-ard-a-1254513.html)? Die Fragen 1 bis 3 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Seiner Verantwortung gegenüber den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern und für die nachhaltige Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) kommt der Gesetzgeber auch nach, indem er die Zuständigkeit der GKV und den Bereich der Eigenverantwortung der Versicherten sachgerecht voneinander abgrenzt; hierzu gehören auch Zuzahlungen und Eigenbeteiligungen der Versicherten . Um sicherzustellen, dass Versicherte durch Zuzahlungen nicht unverhältnismäßig belastet werden, sind diese entsprechend den Regelungen des § 62 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) nur bis zu bestimmten Belastungsgrenzen zu leisten. Die Belastungsgrenze wird auf der Basis der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt ermittelt und sorgt dafür, dass kranke und behinderte Menschen die von ihnen benötigte medizinische Versorgung in vollem Umfang erhalten und Therapieentscheidungen unabhängig von der Höhe der Zuzahlungen getroffen werden können. Wird die Belastungsgrenze bereits vor Ende eines Kalenderjahres erreicht, hat die Krankenkasse eine Bescheinigung darüber zu erteilen, dass für den Rest des Kalenderjahres keine Zuzahlungen mehr zu leisten sind. Im Übrigen belegen internationale Vergleiche wie beispielsweise die von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) jährlich aktualisierte Datenbank „Health Data“ die sehr gute Zugänglichkeit zur medizinischen Versorgung in Deutschland unabhängig vom Einkommen der Patien- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/10296 tinnen und Patienten. Daten der OECD zeigen auch, dass die finanzielle Belastung privater Haushalte durch Zuzahlungen und Eigenbeteiligungen im internationalen Vergleich gering ist. 4. Inwiefern hat der Versicherte nach Kenntnis der Bundesregierung Einfluss auf die Therapieentscheidungen und Verordnungen der Ärztin bzw. des Arztes ? Das am 26. Februar 2013 in Kraft getretene Gesetz zur Verbesserung der Rechte der Patientinnen und Patienten hat die Informations- und Aufklärungspflichten der Ärztinnen und Ärzte ihren Patientinnen und Patienten gegenüber im Bürgerlichen Gesetzbuch festgeschrieben. Diagnostische und therapeutische Maßnahmen sind mit den Patientinnen und Patienten abzustimmen. 5. Ist mit den höheren Zuzahlungen zu den Heilmittelverordnungen beabsichtigt , dass Versicherte ihren Arzt oder ihre Ärztin aus Gründen, die in den unterschiedlichen Zuzahlungshöhen liegen, darum bitten, eine möglichst zuzahlungssparsame Therapie (Operation oder Medikamente) zu verordnen oder gar eine Therapie komplett auszulassen? 6. Was würde dies aus gesundheitsökonomischen Gesichtspunkten bedeuten, und wäre dies eine sinnvolle Steuerung? Die Fragen 5 und 6 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Auf die Antwort zu den Fragen 1 bis 3 hinsichtlich der sozialen Ausgestaltung der Belastungsgrenzen wird verwiesen. 7. Ist zu befürchten, dass die Patientinnen und Patienten die gerade mit dem Terminservice und Versorgungsgesetz (TSVG) beschlossenen Honorarerhöhungen der Heilmittelerbringenden zu einem nicht unwesentlichen Teil durch höhere Zuzahlungen statt durch von allen Versicherten aufzubringenden Beitragsmittel zahlen müssen (bitte begründen)? Die vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-SV) im Rahmen seines GKV-Heilmittel-Informations-Systems (GKV-HIS) erstellten regelmäßigen Berichte zur Ausgaben- und Verordnungsentwicklung im Heilmittelbereich zeigen, dass der Anteil der Zuzahlungen am GKV-Bruttoumsatz für Heilmittel rund neun Prozent beträgt. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass über 90 Prozent der GKV-Ausgaben für Heilmittel über Beiträge und den steuerfinanzierten Bundeszuschuss zum Gesundheitsfonds finanziert werden. Dies wird auch für die mit dem TSVG beschlossenen Maßnahmen und die mit ihnen verbundenen Vergütungssteigerungen gelten. 8. In welchem Ausmaß sind die Heilmittelkosten (bitte möglichst ohne Hilfsmittel angeben) seit Inkrafttreten des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes gestiegen? Die Ausgaben der GKV für Heilmittel haben sich im Zeitraum 2016 bis 2018 wie folgt entwickelt: Drucksache 19/10296 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Tabelle 1: Ausgaben der GKV für Heilmittel 2016 bis 2018 in Mio. Euro 2016* 2017* 2018** 6482 6758 7509 * Jahresrechnungsergebnis nach KJ 1. ** vorläufiges Rechnungsergebnis nach KV 45. Quelle: BMG, Statistik KJ 1 und KV 45 Damit sind die Heilmittelausgaben der GKV im genannten Zeitraum um rund 15,8 Prozent gestiegen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG) erst am 11. April 2017 in Kraft getreten ist und ein Teil der infolge des Gesetzes zwischen den Krankenkassen und Heilmittelverbänden vereinbarten Preissteigerungen erst in 2019 wirksam wird. Die vereinbarten Preissteigerungen werden bei der Bildung der ab 1. Juli 2019 geltenden Bundespreise für Heilmittel auch dann berücksichtigt, wenn ihr Inkrafttreten von den jeweiligen Vereinbarungspartnern ursprünglich erst für ein Datum nach diesem Stichtag vorgesehen war. 9. Wie haben sich die Zuzahlungen bei den Heilmitteln (bitte möglichst ohne Hilfsmittel angeben) in der gesetzlichen Krankenversicherung seit Inkrafttreten des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes entwickelt (bitte nach Bundesland und Heilmittelbereich absoluten Wert angeben)? Die Zuzahlungen für Heilmittel haben sich im Zeitraum von 2016 bis 2018 differenziert nach Kassenärztlichen Vereinigungen wie folgt entwickelt: Tabelle 2: Zuzahlungen für Heilmittel in den KV-Regionen 2016 bis 2018 in Mio. Euro 2016* 2017* 2018* Baden-Württemberg 89 88 94 Bayern 104 106 112 Berlin 30 31 32 Brandenburg 19 20 21 Bremen 5 5 5 Hamburg 16 17 17 Hessen 39 39 41 Mecklenburg-Vorpommern 14 15 16 Niedersachsen 56 57 60 Nordrhein 58 61 66 Rheinland-Pfalz 32 33 36 Saarland 7 7 8 Sachsen 37 42 46 Sachsen-Anhalt 19 21 22 Schleswig-Holstein 23 23 23 Thüringen 15 17 18 Westfalen-Lippe 46 49 52 Ohne KV-Zuordnung 5 4 4 Bund 609 630 668 * Zuzahlungen in Mio. Euro Quelle: GKV-HIS, Bundesberichte für die Jahre 2016, 2017 und 2018. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/10296 Außerdem ist zu berücksichtigen, dass auf Basis der vorläufigen Finanzergebnisse des Jahres 2018 rund 5,15 Mio. Personen auf Basis der sog. Chronikerregelung maximal ein Prozent Ihres Einkommens für Zuzahlungen zu entrichten hatten und für weitere rund 250 000 Personen Zuzahlungsbefreiungen oberhalb der Belastungsgrenzen von 2 Prozent ihres Einkommens erfolgten. Die Zahl der Versicherten, die von der Zuzahlung befreit sind, betrug im Jahr 2018: Tabelle 3: Zahl der von Zuzahlungen befreiten Versicherten 2018 in Tsd. Euro 2018* Versicherte insgesamt 72.781 davon zuzahlungsbefreite Versicherte gesamt 5.395 davon zuzahlungsbefreite Versicherte, für die die Belastungsgrenze von 1 % gilt (§ 62 Abs. 1 Satz 2 SGB V) 5.142 davon zuzahlungsbefreite Versicherte, für die die Belastungsgrenze von 2 % gilt (§ 62 Abs. 1 Satz 2 SGB V) 253 * vorläufiges Rechnungsergebnis nach KV 45 Quelle: BMG, Statistik KV 45 10. In welchem Ausmaß werden die Kosten für Heilmittel (bitte möglichst ohne Hilfsmittel angeben) nach Prognose der Bundesregierung durch die Vereinbarung der bundesweiten Höchstpreise im TSVG steigen (bitte absolut und relativ angeben, insgesamt und pro Versichertem)? Durch die nach § 125b SGB V ab dem 1. Juli 2019 geltenden bundesweiten Preise für Heilmittel sind in 2019 Mehraufwendungen für die GKV in Höhe von rund 300 Mio. Euro und in den Folgejahren jeweils in Höhe von rund 600 Mio. Euro zu erwarten. Diese Steigerungen entsprechen rechnerisch Beträgen in Höhe von rund 4,10 Euro bzw. 8,20 Euro pro Versicherten und einer jährlichen Steigerung der Ausgaben der GKV um 4 Prozent bzw. 8 Prozent. 11. In welchem Ausmaß werden nach Prognose der Bundesregierung die Kosten für Heilmittel (bitte möglichst ohne Hilfsmittel angeben) durch die übrigen Maßnahmen des TSVG (insbesondere Wegfall der Grundlohnsummenbindung ) steigen (bitte absolut und relativ angeben)? Die Vereinbarung der Preise für Heilmittelleistungen erfolgt für die verschiedenen Heilmittelbereiche künftig auf Bundesebene durch den GKV-SV und die maßgeblichen Berufsverbände der Heilmittelerbringer. Die Bundesregierung kann keine belastbaren Prognosen dazu abgeben, zu welchen Verhandlungsergebnissen die Vertragspartner kommen werden. 12. Welche Effekte auf die Heilmittelzuzahlungen sind durch die neuen Regelungen im TSVG zu erwarten? Preissteigerungen für Heilmittel können in der GKV zu höheren Zuzahlungen führen, da sich die Zuzahlung prozentual nach den Kosten des jeweiligen Heilmittels errechnet. Begrenzt wird dieser Anstieg für chronisch kranke und einkommensschwache Versicherte durch die sog. Chronikerregelung und die Zuzahlungsbefreiungen nach § 62 SGB V. Drucksache 19/10296 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 13. Wie schätzt die Bundesregierung den Bürokratieaufwand für das Berechnen und Einziehen der Zuzahlungen auf Seiten der Heilmittelerbringenden ein, etwa im Vergleich zu der mittlerweile abgeschafften Praxisgebühr, Medikamentenzuzahlungen oder Zuzahlungen im Krankenhaus? Der Bundesregierung liegen keine detaillierten Berechnungen zu den in den Heilmittelpraxen durch Zuzahlungen entstehenden Bürokratiekosten vor. 14. Befürwortet die Bundesregierung den beschriebenen Unterschied in der Erhebung der Zuzahlungen zwischen den Heilmitteln und den übrigen Zuzahlungsbereichen (mit Ausnahme des Bereiches der Häuslichen Krankenpflege ), und wie begründet sie dies? 15. Plant die Bundesregierung, die Belastung durch Zuzahlungen für die Versicherten im Heilmittelbereich zu senken, um einer echten Parität (also nicht nur bei der Beitragszahlung) näher zu kommen? Die Fragen 14 und 15 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet : Die Bundesregierung erachtet die derzeit geltenden Zuzahlungsregelungen als sachgerecht. Zusammen mit den an sozialen Gesichtspunkten ausgerichteten Belastungsgrenzen stellen sie eine ausgewogene Balance zwischen der Erhaltung der finanziellen Stabilität, der Funktionstüchtigkeit und der Nachhaltigkeit der GKV einerseits und dem Schutz der Versicherten vor finanzieller Überforderung andererseits her. Im Übrigen wird auf die Antwort zu den Fragen 1 bis 3 verwiesen . Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333