Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Auswärtigen Amts vom 15. Mai 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/10340 19. Wahlperiode 20.05.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/8950 – Umsetzung der Resolution des Deutschen Bundestages vom 2. Juni 2016 zur Erinnerung und zum Gedenken an den Völkermord an den Armenierinnen und Armeniern 1915 und 1916 V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Trotz heftiger Proteste der türkischen Regierung sowie türkisch-nationalistischer Verbände in Deutschland hat der Deutsche Bundestag am 2. Juni 2016 mit den Stimmen aller Fraktionen den gemeinsamen Antrag „Erinnerung und Gedenken an den Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten in den Jahren 1915 und 1916“ (Bundestagsdrucksache 18/8613) von CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beschlossen. Darin werden die Massaker und Vertreibungen der Armenierinnen und Armenier im Osmanischen Reich durch das jungtürkische Regime in den Kriegsjahren 1915 und 1916 als Völkermord eingestuft. In dem Antrag wurde die Bundesregierung unter anderem dazu aufgefordert, weiterhin zu einer breiten öffentlichen Auseinandersetzung mit der Vertreibung und fast vollständigen Vernichtung der Armenier 1915 und 1916 sowie der Rolle des Deutschen Reiches beizutragen, die türkische Seite zu ermutigen, sich mit den damaligen Vertreibungen und Massakern offen auseinanderzusetzen, um damit den notwendigen Grundstein zu einer Versöhnung mit dem armenischen Volk zu legen, sich weiterhin dafür einzusetzen, dass zwischen Türken und Armeniern durch die Aufarbeitung von Vergangenheit Annäherung, Versöhnung und Verzeihen historischer Schuld erreicht werden, weiterhin wissenschaftliche, zivilgesellschaftliche und kulturelle Aktivitäten in der Türkei und in Armenien zu unterstützen und im Rahmen verfügbarer Haushaltsmittel zu fördern, die dem Austausch und der Annäherung sowie der Aufarbeitung der Geschichte zwischen Türken und Armeniern dienen, und im Rahmen finanzieller Möglichkeiten auch weiterhin innerhalb Deutschlands Initiativen und Projekte der Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Kultur zu fördern, die eine Auseinandersetzung mit den Geschehnissen von 1915 und 1916 zum Thema haben. Drucksache 19/10340 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Um die türkische Regierung zu besänftigen, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert Anfang September 2016, die Armenien-Resolution sei für die Bundesregierung nicht rechtsverbindlich (www.spiegel.de/politik/deutschland/ armenien-eine-distanzierung-die-nicht-so-heissen-darf-kommentar-a-1110658. html). Anschließend stellte Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel klar, dass sich die Bundesregierung „überhaupt nicht“ von der Resolution distanziere, bei der es sich um eine politische Äußerung des Parlaments handele (www.bundes regierung.de/breg-de/aktuelles/keine-distanzierung-von-armenien-resolution- 371860). Als die Bundeskanzlerin im August 2018 während eines Staatsbesuchs in Armenien einen Kranz an der Gedenkstätte für die Opfer des Genozids in Eriwan niederlegte, vermied sie es, von einem Völkermord zu sprechen (www. dw.com/de/merkel-am-v%C3%B6lkermord-mahnmal-in-armenien/a-45215373). 1. Haben die Bundesregierung, einzelne Regierungsmitglieder oder Bundesbehörden seit Beschluss des Antrags auf Bundestagsdrucksache 18/8613 in öffentlichen Dokumenten, Reden, Interviews etc. die Bezeichnungen „Genozid “ oder „Völkermord“ für die fast vollständige Vernichtung der Armenierinnen und Armenier 1915 und 1916 verwendet? Wenn ja, wann, und zu welcher Gelegenheit? Wenn nein, warum nicht? Der damalige Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier sagte während seines Besuches in Eriwan am 23. Juni 2016 zur Armenier-Resolution des Deutschen Bundestages auf die Frage eines deutschen Journalisten: „Ich habe diese Resolution unterstützt und deshalb den Begriff des Völkermords nicht gemieden. Ich habe nur darauf hingewiesen, dass Konflikte sich am Ende auch nicht auf einen einzigen Begriff zurückführen lassen und das man wissen muss, dass hundert Jahre später, genauer gesagt, hunderteins Jahre später, eine solche Resolution vor allen Dingen ein Auftrag ist.“ Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. 2. Teilt die Bundesregierung die in der Überschrift des Antrags auf Bundestagsdrucksache 18/8613 enthaltene Bewertung der Ereignisse von 1915 und 1916 durch den Deutschen Bundestag als „Völkermord an den Armeniern und anderen Christlichen Minderheiten“? Die Bundesregierung versteht diese Sprache als politische und nicht als juristische Einordnung der Geschehnisse von 1915 und 1916. Die Bundesregierung teilt die Ziele der Resolution des Bundestages vom 2. Juni 2016. Zur Bewertung der Ereignisse von 1915/1916 wird auf die Antwort zu Frage 9 verwiesen. a) Wenn ja, warum hat Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel es bei ihrem Besuch der Gedenkstätte für die Opfer des Genozids in Eriwan im August 2018 vermieden, von einem „Völkermord“ zu sprechen (www.dw.com/ de/merkel-am-v%C3%B6lkermord-mahnmal-in-armenien/a-45215373)? Es wird auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 3 der Kleinen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bundestagsdrucksache 19/8778 verwiesen . Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/10340 b) Wenn nein, welche von Bundestagsdrucksache 18/8613 abweichende Definition der Ereignisse von 1915 und 1916 nimmt die Bundesregierung vor? c) Inwiefern erachtet es die Bundesregierung mit Blick auf Befindlichkeiten der türkischen Regierung und türkisch-nationalistischer Gruppierungen in Deutschland als problematisch, sich die auf Bundestagsdrucksache 18/8613 vorgenommene Einordnung der fast vollständigen Vernichtung der Armenierinnen und Armenier in den Jahren 1915 und 1916 als Völkermord in ihren öffentlichen Verlautbarungen zu eigen zu machen? d) Inwiefern erachtet es die Bundesregierung mit Blick auf Armenien, die armenische Regierung und die armenische Diaspora für problematisch, aus Rücksicht auf Empfindlichkeiten der türkischen Regierung auf die öffentliche Verwendung des auf Bundestagsdrucksache 18/8613 enthaltenen Begriffs „Völkermord“ für die fast vollständige Vernichtung der Armenierinnen und Armenier in den Jahren 1915 und 1916 zu verzichten? Die Fragen 2b bis 2d werden gemeinsam beantwortet. Auf die Antwort zu Frage 2 wird verwiesen. 3. Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung wann und bei welcher Gelegenheit seit Beschluss des Antrags auf Bundestagsdrucksache 18/8613 unternommen, um weiterhin zu einer breiten öffentlichen Auseinandersetzung mit der Vertreibung und fast vollständigen Vernichtung der Armenierinnen und Armenier 1915 und 1916 sowie der Rolle des Deutschen Reiches beizutragen? 4. Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung wann und bei welcher Gelegenheit seit Beschluss des Antrags auf Bundestagsdrucksache 18/8613 unternommen, um die türkische Seite zu ermutigen, sich mit den damaligen Vertreibungen und Massakern offen auseinanderzusetzen, um damit den notwendigen Grundstein zu einer Versöhnung mit dem armenischen Volk zu legen? 5. Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung wann und zu welcher Gelegenheit seit Beschluss des Antrags auf Bundestagsdrucksache 18/8613 unternommen, damit zwischen Türkinnen und Türken und Armenierinnen und Armeniern durch die Aufarbeitung von Vergangenheit Annäherung, Versöhnung und Verzeihen historischer Schuld erreicht werden? 6. Welche konkreten und von wem getragenen oder durchgeführten Initiativen und Projekte der Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Kultur in Deutschland, die eine Auseinandersetzung mit den Geschehnissen von 1915 und 1916 zum Thema haben, hat die Bundesregierung wann und mit finanziellen Mitteln in welcher Höhe oder auf welche sonstige Weise seit Beschluss des Antrags auf Bundestagsdrucksache 18/8613 unterstützt? 7. Welche konkreten und von wem getragenen oder durchgeführten wissenschaftlichen , zivilgesellschaftlichen und kulturellen Aktivitäten in der Türkei und in Armenien, die dem Austausch und der Annäherung sowie der Aufarbeitung der Geschichte zwischen Türkinnen und Türken und Armenierinnen und Armeniern dienen, hat die Bundesregierung wann und mit welchen finanziellen Mitteln in welcher Höhe oder auf welche sonstige Weise seit Beschluss des Antrags auf Bundestagsdrucksache18/8613 unterstützt? Die Fragen 3 bis 7 werden gemeinsam beantwortet. Drucksache 19/10340 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Es wird auf die Antwort des Staatssekretärs Andreas Michaelis auf die Schriftliche Frage 39 der Abgeordneten Verena Hartmann auf Bundestagsdrucksache 19/2334 verwiesen. Die Bundesregierung prüft fortlaufend die Möglichkeiten, wie Projektaktivitäten zur Umsetzung der Resolution fortgesetzt und ausgebaut werden können. Beispielsweise zeigt das Europäische Netzwerk „Erinnerung und Solidarität“ (EN) derzeit die von ihm konzipierte und finanzierte Wanderausstellung „After the Great War. A new Europe 1918-1923” in verschiedenen Ländern Europas (bisher: Oktober 2018 Prag; November 2018 Sarajewo; April/Mai 2019 Rom). In der Ausstellung werden auch die Geschehnisse von 1915 und1916 thematisiert. 8. Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung seit Verabschiedung des Antrags auf Bundestagsdrucksache 15/5689 „Erinnerung und Gedenken an die Vertreibungen und Massaker an den Armeniern 1915 – Deutschland muss zur Versöhnung zwischen Türken und Armeniern beitragen“ unternommen , damit a) zwischen Türken und Armeniern durch Aufarbeitung, Versöhnungen und Verzeihen historischer Schuld erreicht wird, b) sich Parlament, Regierung und Gesellschaft der Türkei mit ihrer Rolle gegenüber dem armenischen Volk in Geschichte und Gegenwart vorbehaltlos auseinandersetzen, c) eine internationale Historiker-Kommission gebildet wird, an der außer türkischen und armenischen Wissenschaftlern auch internationale Experten beteiligt sind, d) innerhalb der Türkei Meinungsfreiheit insbesondere auch zum Schicksal der Armenier gewährt wird und e) die Türkei und Armenien ihre zwischenstaatlichen Beziehungen normalisieren ? Die Fragen 8a bis 8e werden gemeinsam beantwortet. Einige der in der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 15. Juni 2005 auf Bundestagsdrucksache 15/5689 genannten Schritte, wie etwa die Einrichtung einer Historikerkommission, finden sich auch in den so genannten Züricher Protokollen von 2009, in denen die Türkei und Armenien Schritte zur Normalisierung ihrer Beziehungen vereinbart haben. Die Bundesregierung ermutigt beide Seiten, die hier vereinbarten Schritte umzusetzen. Für die Stärkung der Meinungsfreiheit in der Türkei setzt sich die Bundesregierung mit großem Nachdruck ein, auch in multilateralen Foren. Im Übrigen wird auf die Antwort zu den Fragen 3 bis 7 verwiesen. 9. Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung seit Beschluss des Antrags auf Bundestagsdrucksache 15/5689 „Erinnerung und Gedenken an die Vertreibungen und Massaker an den Armeniern 1915 – Deutschland muss zur Versöhnung zwischen Türken und Armeniern beitragen“ unternommen, um die weitere wissenschaftliche Aufarbeitung der deutschen Rolle beim Völkermord zu fördern? Die Erforschung und Bewertung der Ereignisse von 1915/1916 obliegt nach Ansicht der Bundesregierung unabhängigen Wissenschaftlern. Die Bundesregierung hat die Akten des Auswärtigen Amts als Quellen im Politischen Archiv zugäng- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/10340 lich gemacht. Diese Akten können ebenso wie die in anderen Archiven der Bundesrepublik Deutschland vorhandene Quellen ohne jede Einschränkung eingesehen werden. 10. Mit welchen und wie vielen Mitteln aus dem Bundeshaushalt wurde seit 2008 das Lepsius-Haus in Potsdam unterstützt? a) Inwieweit hält die Bundesregierung das Lepsius-Haus generell für eine geeignete Stätte zur Aufarbeitung des Völkermordes? b) Inwieweit hält die Bundesregierung angesichts der stark antitürkischen Einstellung des Johannes Lepsius das Potsdamer Lepsius-Haus für eine geeignete Begegnungsstätte von Armeniern und Türken im Sinne der auf Bundestagsdrucksache 15/5689 genannten Aussöhnung beider Völker, und inwieweit und in welcher Form konnte das Lepsius-Haus bislang diesem Anspruch gerecht werden? c) Inwieweit und in welcher konkreten Form hat das Lepsius-Haus seit seiner Eröffnung die ihm durch die Bundestagsdrucksache 15/5689 zugedachte Aufgabe erfüllt, die weitere wissenschaftliche Aufarbeitung des Völkermordes und der deutschen Rolle dabei zu fördern? d) Inwieweit wurde von Seiten der Bundesregierung darauf hingewirkt, dass im Lepsius-Haus ein „ausgewogenes Bild“ (Bundestagsdrucksache 16/10074) von Leben und Werk des Johannes Lepsius erarbeitet und der Öffentlichkeit vermittelt wird, das deutlich macht, dass Lepsius nicht nur stimmgewaltiger Anwalt der Armenier war, sondern nach dem Krieg auch ein rechtsgerichteter Gegner der deutschen Demokratie sowie ein Befürworter eines Großdeutschen Kaiserreichs und Antisemit? e) Inwieweit, seit wann und in welcher konkreten Form und mit welchen Formulierungen wird im Lepsius-Haus ein „ausgewogenes Bild“ von Leben und Werk von Johannes Lepsius vermittelt, das auch auf dessen demokratiefeindliche und antisemitische Ansichten eingeht und den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Forschung berücksichtigt? f) Inwieweit wird im Lepsius-Haus bei der Würdigung von Johannes Lepsius darauf eingegangen, dass die von ihm nach dem Ersten Weltkrieg im Auftrag des Auswärtigen Amtes herausgegebene Aktenpublikation „Deutschland und Armenien 1914 bis 1918“ (Potsdam 1919) so manipuliert wurde, dass die deutsche Mitwisser- oder Täterschaft am Völkermord an den Armeniern verschleiert wurde (Bundestagsdrucksache 16/10074)? g) Welche weiteren Fördermittel des Bundes in welcher finanziellen Höhe sind für das Lepsius-Haus vorgesehen, und an welche Bedingungen ist eine solche Förderung gegebenenfalls geknüpft? Die Fragen 10 bis 10g werden gemeinsam beantwortet. Auf die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 18/824 vom 25. Februar 2010 wird verwiesen . Die Bundesregierung förderte das Lepsius-Haus auf der Grundlage des vom Deutschen Bundestag am 15. Juni 2005 angenommenen fraktionsübergreifenden Antrags auf Bundestagsdrucksache 15/5689 „Erinnerung und Gedenken an die Vertreibungen und Massaker an den Armeniern 1915 – Deutschland muss zur Versöhnung zwischen Türken und Armeniern beitragen“ zwischen 2009 und 2011 befristet mit insgesamt 530 000 Euro. Eine weitergehende Förderung ist derzeit nicht vorgesehen. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333