Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur vom 24. Mai 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/10478 19. Wahlperiode 27.05.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Bernd Reuther, Frank Sitta, Torsten Herbst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/10131 – Automatisierung in der Flugsicherung V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Bereits heute ist in der Flugsicherung ein hoher Grad an Digitalisierung erreicht. Angesichts der hohen Verkehrsmenge ist dies heutzutage auch nötig. Eine weitere Automatisierung der Prozesse der Flugsicherung kann dazu beitragen, Fluglotsen zu entlasten und weitere Kapazitäten im Luftraum zu schaffen. Das hat auch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur erkannt und „eine stärkere Automatisierung der Flugsicherungsdienste“ in den Maßnahmenkatalog gegen Flugverspätungen im kommenden Sommer aufgenommen (www. bmvi.de/SharedDocs/DE/SocialMedia/Youtube/public/2019/03/2-Spitzengespraech- Luftfahrt-in-Hamburg-mit-BM-Scheuer_wzSs2S9vKGE.html). Im Jahr 2007 wurde das Forschungsprogramm Single European Sky ATM Research (SESAR) gegründet. „Es zielt darauf ab, die Fragmentierung der nationalstaatlich orientierten Flugverkehrsmanagementsysteme und -verfahren abzuschaffen , das Know-how der Luftfahrtbranche zu bündeln und ein einheitliches Flugverkehrsmanagementnetzwerk bis 2020 zu etablieren“ (www.dfs.de/ dfs_homepage/de/Europa/SESAR/). Für die Umsetzungsphase (2014 bis 2020) haben sich die Luftverkehrspartner verpflichtet, die zuvor beschlossenen Maßnahmen gemeinsam zu koordinieren, zu managen und in die Wirklichkeit umzusetzen . Sie besteht aus der großtechnischen Produktion, Beschaffung und Umsetzung der neuen Flugverkehrsmanagementinfrastruktur und der entsprechenden Luftfahrzeugausrüstung. 1. Setzt sich die Bundesregierung für ein Voranschreiten der Automatisierung der Flugsicherung im Luftverkehr ein, und wie sieht der Einsatz der Bundesregierung genau aus? 2. Setzt sich die Bundesregierung auch im SESAR-Programm ein? Die Fragen 1 und 2 werden aufgrund ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Das Projekt „Single European Sky“ (SES) erfordert eine Vielzahl von technischen Lösungen, die Einfluss auf Kapazität und Effizienz im europäischen Luftraum haben. Auf Anforderung des Europäischen Parlaments hat das Gemeinsame Drucksache 19/10478 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Unternehmen SESAR (SES ATM (Air Traffic Management) Research) eine Studie vorgelegt („Airspace Architecture Study“), deren wesentliche Punkte bei Umsetzung für eine deutliche Erhöhung der Kapazität im SES durch z. B. technologische Unterstützung der Lotsenarbeit (Automatisierung) sorgen sollen. Die Bundesregierung unterstützt den durch SESAR europäisch harmonisierten Ansatz zur Bündelung der Forschungs- und Entwicklungsvorhaben im Flugsicherungsbereich . 3. Werden bereits heute technische Innovationen aus dem Programm SESAR in Deutschland angewendet? Bei der DFS werden derzeit 13 Innovationen im Betrieb eingesetzt. Dazu gehören u. a. Anflugverfahren mit verbesserter vertikaler Flugführung, verbesserte Abflugreihenfolgen , verbesserte Algorithmen zur mittel- und kurzfristigen Warnung vor möglichen Konfliktsituationen, freie Flugwegführungen, Verfahren zur Einführung kontinuierlicher Sinkflüge, Systeme zur Ermittlung optimierter Anflugreihenfolgen mit deutlich erweiterten Erfassungsradien für Luftfahrzeuge. Zudem befinden sich 25 im Rahmen von SESAR geförderte Innovationen in der Implementierung bzw. sind in Planung. 4. Gibt es technische Innovationen, die zwar in dem Programm SESAR entwickelt wurden, aber nicht in Deutschland angewendet werden? Alle in SESAR entwickelten Innovationen zielen auf den Einsatz im gesamten europäischen Netzwerk und sind deshalb europaweit anwendbar. Ob eine Anwendung lokal sinnvoll und wirtschaftlich ist, entscheiden die verantwortlichen Diensteanbieter (Flugsicherungen, aber auch Anbieter weiterer Dienste wie C(ommunication)N(navigation)S(Surveillance)). Auch die Fluggesellschaften müssen über die Einrüstung bordseitiger Systeme entscheiden. 5. Welche Hindernisse sieht die Bundesregierung, Innovationen aus SESAR in der Flugsicherung in Deutschland anzuwenden? SESAR-Innovationen sind anwendbar, wenn deren Entwicklung im Rahmen des Gemeinsamen Unternehmens SESAR abgeschlossen, ihre Tauglichkeit sowie ihr sicherer und wirtschaftlicher Einsatz dargelegt sind. 6. Was sind nach Ansicht der Bundesregierung die wichtigsten technischen Innovationen in der Flugsicherung seit dem Jahr 2000? Unter den technischen Innovationen sind besonders hervorzuheben: 1. Einführung des trajektorienbasierten Air-Traffic-Management-Systems „VAFORIT“ (Very Advanced Flight Data Processing System) für den oberen Luftraum Deutschlands), 2. Nutzung von RVSM (Reduced Vertical Separation Minumum) im oberen Luftraum, 3. Verarbeitung von Borddaten wie „Selected Altitude“ und „Indicated Air Speed“ per „MODE-S Enhanced Surveillance“ am Lotsenarbeitsplatz, 4. Einführung von PAM FRA (Precision Approach Monitoring) am Flughafen Frankfurt mittels Multilateration, 5. Inbetriebnahme von Remote Tower Control für den Flughafen Saarbrücken am Standort Leipzig. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/10478 Weiterhin ist die Gründung des SESAR-Programms ein wichtiger Innovationstreiber . Im Gegensatz zu einer isolierten, kleinteiligen Entwicklung können nur durch europaweite Koordination von Forschung und Innovation sowie der gemeinsamen Implementierung von Lösungen im europäischen Netzwerk Leistungsverbesserungen erzielt werden. 7. Welche Auswirkungen hat eine weitgehende Zunahme der Automatisierung in der Flugsicherung für den flexiblen Lotseneinsatz nach Ansicht der Bundesregierung ? Automatisierung führt zur Entlastung im Wesentlichen von Routineaufgaben und erlaubt dem Lotsen die Kontrolle von mehr Luftfahrzeugen zur gleichen Zeit (Produktivitätssteigerung). Im Rahmen der Automatisierung haben größte Wirkung auf die Arbeit des Lotsen so genannte Assistenzsysteme, die in der Lage sind, die Arbeitslast der Fluglotsen zu verringern und so Produktivitäts- und/oder Kapazitätspotentiale auszuschöpfen . Zu diesen Systemen zählen Systeme zur Verbesserung der Konflikterkennung und zur Ermittlung von Ausweichempfehlungen. 8. Welche Auswirkungen hat eine weitgehende Zunahme der Automatisierung in der Flugsicherung für eine Reduktion von Flugverspätungen nach Ansicht der Bundesregierung? Automatisierung schafft Produktivitätssteigerung und hilft damit Flugverspätungen zu reduzieren oder gar zu vermeiden. Die schrittweise Einführung von Automatisierung ist allerdings ein sehr komplexer und langwieriger Vorgang, der erst mittel- bis langfristig Abhilfe bei Verspätungen bringen kann. 9. Welche Auswirkungen hat eine zunehmende Automatisierung der Flugsicherung auf die Anforderungen an Fluglotsen? 11. Geht die Bundesregierung davon aus, dass bei einer weitgehenden Automatisierung des Luftverkehrs Fluglotsen weniger intensiv ausgebildet werden müssen und leichter für den Einsatz in verschiedenen Lufträumen umgeschult werden können? Die Fragen 9 und 11 werden aufgrund ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die Rolle des Fluglotsen entwickelt sich in den nächsten Jahrzehnten zunehmend zu einem Überwacher/Manager von Systemen. Die Anzahl taktischer Eingriffe von Fluglotsen wird sich voraussichtlich in der Streckenkontrolle verringern. Alle SESAR- und ICAO-Strategien verfolgen für die nächsten Dekaden eine lotsenzentrierte Automatisierung, d. h. der Mensch wird der letztendliche Entscheider bleiben. Aufgrund dieser Verschiebung werden sich die Ausbildungsschwerpunkte nach und nach von den klassischen Flugsicherungstechniken hin zu modernen Systemüberwachungsmethoden entwickeln. Die Anforderungen an die kognitiven und sozialen Fähigkeiten von Fluglotsen werden sich jedoch nicht wesentlich ändern, ggf. wird es zu gesteigerter Technikaffinität bzw. noch größerem technischen Verständnis führen. Drucksache 19/10478 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 10. Mit welchem Vorlauf wird sich dieser Rollenwechsel vollziehen? Erfüllen die jetzigen Fluglotsen die Anforderungen an zukünftige Fluglotsen ? Die Automatisierung wird schrittweise über mindestens ein bis zwei Jahrzehnte hinweg erfolgen. Bestehendes Personal wird in neue Technologien umfassend eingewiesen und geschult. 12. Hat die DFS Deutsche Flugsicherung GmbH eine Strategie, wie sie die Automatisierung in der Flugsicherung vorantreiben will, und wie sieht diese aus? Die DFS-Digitalisierungsstrategie umfasst zentrale Aspekte der Automation und beschreibt deren zeitlichen Einführungshorizont. Nahezu alle priorisierten Digitalisierungsvorhaben in der Streckenkontrolle sind als Automatisierungsschritte zu verstehen, z. B.: CATO (Controller Assistance Tools) zur verbesserten Konflikterkennung und für Ausweichempfehlungen, Nutzung von Spracherkennung zur Erleichterung von Systemeingaben für den Fluglotsen, Automatisierte Berechnung optimaler Abstände von Flugzeugen auf dem Endanflug. Die Digitalisierungsstrategie sieht weiterhin die Einführung moderner Software- Architekturen vor (modulare Software, Data Center, Cloud Computing). Der Einsatz digitaler Lösungen (KI, Big Data, IoT etc.) wird intensiviert, um die angestrebte technologische Evolution im Kerngeschäft voranzutreiben. 13. Welche Nach- und Ausrüstungen sind nach Ansicht der Bundesregierung bei den Flughäfen, Fluggesellschaften und Flugzeugbauern nötig, wenn die Automatisierung der Flugsicherung weiter voranschreitet? 14. Wann müssten diese Nach- und Ausrüstungen nach Ansicht der Bundesregierung umgesetzt sein? Die Fragen 13 und 14 werden aufgrund ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Sollten im Zuge der Automatisierung der Flugsicherung technische Nachrüstungen bei Flughäfen, Fluggesellschaften und/oder Flugzeugbauern erforderlich werden, müssen diese mit den Anpassungen in der Flugsicherung Hand in Hand gehen. Ein genaues Datum kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht prognostiziert werden. 15. Wie sieht der Austausch zwischen der DFS und den Systempartnern aus, um ein reibungsloses Voranschreiten der Automatisierung der Flugsicherung zu gewährleisten? Die DFS arbeitet seit Beginn des SESAR-Programms eng mit den Systempartnern zusammen. Weiterhin kooperiert die DFS im Rahmen des Luftfahrtforschungsprogramms des Bundes mit verschiedenen deutschen Systempartnern sowie mit dem DLR (Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt). Ein Austausch auf internationaler Ebene ist durch die kontinuierliche Gremienarbeit in der ICAO sichergestellt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/10478 16. Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz (KI) bei der weitgehenden Automatisierung der Flugsicherung nach Ansicht der Bundesregierung? Künstliche Intelligenz steht hinsichtlich der Flugsicherungstechnologien noch am Anfang der Entwicklung. Insbesondere ist für alle sicherheitskritischen Anwendungen die Frage einer Zertifizierung noch offen, da die KI-Software keine deterministischen Ergebnisse erzeugt. 17. Entwickelt die DFS eigene Technologien, wie z. B. Spracherkennung am Lotsenarbeitsplatz oder Konflikterkennungs- und Konfliktlösungssysteme, um die Automatisierung der Flugsicherung voranzutreiben? Bei welchen Entwicklungen ist es sinnvoll, auch losgelöst von SESAR nationale R&D-Resultate (R&D = Research and Development) in die Umsetzung zu bringen? Die DFS arbeitet unabhängig von SESAR an technologischen Lösungen, z. B. im Rahmen des Luftfahrtforschungsprogrammes (LuFo) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Als Beispiel ist das Projekt FUTURE zu nennen, dort wird u. a. ein Lotsenassistenzsystem zur Optimierung der Staffelung auf dem Endanflug entwickelt. Weiterhin gibt es hausinterne DFS-Projekte zum Einsatz von Spracherkennung in Simulationssystemen und in späteren Phasen an Lotsenarbeitsplätzen . 18. Welche Schlüsse zieht die DFS aus dem Ausfall der Lotsen-Software in Langen im März 2019? Der Ausfall der Flugsicherungssoftware im März 2019 wurde durch die Einspielung eines fehlerhaften Software-Releases verursacht. Die DFS wird Testprozeduren soweit notwendig anpassen und Rückfalloptionen auf vorherige Software- Releases verbessern. 19. Welchen Einfluss hat der Ausfall auf Inhalte der angesprochenen Automationsstrategie der DFS? Keine. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333