Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Auswärtigen Amts vom 28. Februar 2018 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/1048 19. Wahlperiode 02.03.2018 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sven-Christian Kindler, Filiz Polat, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 19/761 – Einreise Ayatollah Seyyed Mahmud Haschemi Shahroudis nach Deutschland V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Laut Medienberichten befand sich der ehemalige oberste Richter des Iran, Ayatollah Seyyed Mahmud Haschemi Shahroudi, der für unzählige Todesurteile insbesondere gegen Minderjährige verantwortlich sein soll, von Ende Dezember 2017 bis Anfang Januar 2018 in der Hannoveraner Privatklinik INI (International Neuroscience Institute) zur Behandlung. In seiner Zeit als Justiz-Chef der Islamischen Republik (1999 bis 2009) war Shahroudi „zehn Jahre lang verantwortlich für die willkürliche Verhaftung von Menschenrechtsanwälten, Journalisten , Frauenaktivisten und allen anderen Andersdenken. Shahroudi war verantwortlich für Folter, Amputationsstrafen und Hinrichtungen, auch bei Taten, die nach den Menschenrechtspakten keine Straftaten sind oder zumindest keine schwersten Verbrechen. Unter den zum Tode Verurteilten waren auch zahlreiche Minderjährige. [… Zum Beispiel] fallen in seine Verantwortung laut Amnesty International folgende Fälle: Die Schülerin Atefah Sahaaleh (16 Jahre alt) räumte unter Folter ein, Opfer einer Vergewaltigung geworden zu sein. Im Iran gilt dies als Ehebruch. Am 15. August 2004 wurde das Vergewaltigungsopfer Atefah Sahaaleh öffentlich an einem Kran erhängt. Dem Jungen Makwan Moloudzadeh (13 Jahre alt) wurde ein Verhältnis mit einem Gleichaltrigen vorgeworfen. Er wurde am 4. Dezember 2007 im Gefängnis von Kermanshah hingerichtet. Auch werden Shahroudi eine Vielzahl an Fällen von Folter und grausamen Behandlungen vorgeworfen. Und er war verantwortlich für die systematische Verfolgung von Teilnehmern der Grünen Bewegung 2009“ (vgl. www.dw.com/ de/wer-ist-ajatollahshahroudi/a-42111382). Das Rechtssystem des Iran stellt mit seiner systematischen Unterdrückung von Frauen und gesellschaftlichen Minderheiten wie Baha’i, Apostaten, LBGTTIQ oder Kurden einen ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen die Zivilbevölkerung im Iran dar. Mehrere Strafanzeigen liegen gegen Shahroudi vor. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/1048 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Laut Aussage der Bundesregierung erhielt Shahroudi „am 20. Dezember 2017 ein räumlich beschränktes Schengenvisum mit dreißigtägiger Gültigkeit für die Einreise nach Deutschland. […] Im Zuge des Verfahrens erhielten auch die zuständigen Ebenen in der Politischen Abteilung, in der Rechtsabteilung und im Lagezentrum des Auswärtigen Amts Kenntnis“ (Antwort vom Staatssekretär des Auswärtigen Amts Walter J. Lindner vom 18. Januar 2018 auf die Schriftliche Frage 5 auf Bundestagsdrucksache 19/484 des Abgeordneten Sven- Christian Kindler). Laut Aussage von der Staatsministerin Dr. Maria Böhmer auf die Mündliche Frage 48 des Abgeordneten Omid Nouripour auf Bundestagsdrucksache 19/414 wurde „der geplante Aufenthalt des Ayatollah Mahmud Hashemi Shahroudi in Deutschland […] der Bundesregierung am 19. Dezember 2017 bekannt.“ Der Generalbundesanwalt erhielt Kenntnis von seinem Aufenthalt durch die Anzeigen vom 4. Januar 2018 aus der Zivilgesellschaft: „Nach Kenntnis der Bundesregierung war der Aufenthalt dem Generalbundesanwalt seit dem 5. Januar 2018 bekannt“ (Plenarprotokoll der 6. Sitzung von Mittwoch, dem 17. Januar 2018). Am 11. Januar 2018 reiste Ayatollah Seyyed Mahmud Haschemi Shahroudi fluchtartig aus. Seine Behandlung soll nach Informationen von tagesschau.de nicht beendet gewesen sein (www.tagesschau.de/inland/ajatollah-in-deutschland- 101.html). Der Klinikpräsident Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult. Madjid Samii behauptete im BBC-Interview, erst nach der Ankunft in der INI-Klinik von der Identität seines Patienten erfahren zu haben (www.youtube.com/watch?v=hEzOCd0NoSU). 1. Wurde der Bundesminister des Auswärtigen Sigmar Gabriel oder sein Büro über den Besuch Ayatollah Seyyed Mahmud Hashemi Shahroudis von Stellen der Bundesregierung, Behörden des Landes Niedersachsen oder der Islamischen Republik Iran über Shahroudis (bevorstehenden) Aufenthalt informiert , und wenn ja, zu welchem Zeitpunkt? Weder der Bundesminister des Auswärtigen, Sigmar Gabriel noch sein Büro wurden über den bevorstehenden Aufenthalt Shahroudis in Deutschland informiert. 2. Seit wann und aus welcher Quelle hatte der Bundesaußenminister Sigmar Gabriel Kenntnis vom Aufenthalt Shahroudis in Deutschland? Der Bundesaußenminister wurde hiervon im Rahmen regelmäßiger und regulärer Unterrichtung der Hausleitung mündlich in Kenntnis gesetzt. 3. Seit wann und aus welcher Quelle hatte der Bundesminister des Innern Dr. Thomas de Maizière oder welche Stelle in seinem ministeriellen Verantwortungsbereich Kenntnis vom Aufenthalt Shahroudis in Deutschland? Das Bundesministerium des Innern wurde am 20. Dezember 2017 vom Auswärtigen Amt über die beabsichtigte Einreise von Ayatolla Seyyed Mahmud Haschemi Shahroudi unterrichtet. 4. Seit wann und aus welcher Quelle hatte der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz Heiko Maas oder welche Stelle in seinem ministeriellen Verantwortungsbereich Kenntnis vom Aufenthalt Shahroudis in Deutschland? Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (GBA) hat am Freitag, dem 5. Januar 2018, durch das Landeskriminalamt Niedersachsen und durch eine Strafanzeige Kenntnis vom Aufenthalt Mahmud Haschemi Shahroudis in der Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/1048 Bundesrepublik Deutschland erhalten. Am selben Tag hat der GBA Vorermittlungen eingeleitet. Das für die Fachaufsicht über den GBA zuständige Referat des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz wurde ebenfalls am selben Tag fernmündlich über die Strafanzeige, den Sachverhalt und die Einleitung von Vorermittlungen unterrichtet. 5. Hat das Lagezentrum des Auswärtigen Amts andere Stellen innerhalb des Hauses bzw. der Bundesregierung informiert? Wenn ja, zu welchem Zeitpunkt, welche Ministerien, welche Abteilungen und welche Ministerinnen bzw. Minister und Staatssekretärinnen bzw. Staatssekretäre mit welchen Informationen? Wenn nein, warum nicht? Nein. Eine Zuständigkeit des Lagezentrums war dafür nicht gegeben. Über die Erteilung des Visums waren die politische Abteilung und die Rechtsabteilung des Auswärtigen Amts durch die Botschaft Teheran informiert worden. 6. Hat das Lagezentrum des Auswärtigen Amts die niedersächsische Landesregierung informiert? Wenn ja, zu welchem Zeitpunkt, welche Ministerien, welche Abteilungen, welche Ministerinnen und Minister und Staatssekretärinnen und Staatssekretäre und mit welchen Informationen? Wenn nein, warum nicht? 7. Hat das Lagezentrum des Auswärtigen Amts das Landeskriminalamt Niedersachsen informiert? Wenn ja, zu welchem Zeitpunkt, welche Abteilungen und mit welchen Informationen ? Wenn nein, warum nicht? Die Fragen 6 und 7 werden zusammengefasst beantwortet. Eine Zuständigkeit des Lagezentrums bestand nicht. 8. Wurde der Generalbundesanwalt durch das Lagezentrum im Auswärtigen Amt, die Rechtsabteilung oder die politische Abteilung der Botschaft informiert ? Wenn ja, wann und mit welchen Informationen? Wenn, nein warum nicht? Die Regelungen des Visakodex, des Schengener Grenzkodex, des Schengener Durchführungsübereinkommens und des Aufenthaltsgesetzes sehen keine Beteiligung des GBA im Rahmen von Schengen-Visaverfahren vor. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/1048 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 9. Gab es eine Abfrage beim Informationssystem NADIS, bei Interpol, bei dem Schengener Informationssystem bzw. dem Visa-Informationssystem? Wenn ja, wann, von welcher Stelle und mit welchem Ergebnis? Wenn nein, warum nicht? Alle durchgeführten Abfragen wurden am 20. Dezember 2017 im Rahmen des üblichen Verfahrens angestoßen. Das Nachrichtendienstliche Informationssystem NADIS wurde im Rahmen der Datenübermittlung nach § 73 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes beim Bundesamt für Verfassungsschutz abgefragt (vgl. Antwort zu Frage 11). Die Abfrage des Schengener Informationssystems und des Visainformationssystems waren ergebnislos. Eine Abfrage von Interpol wurde nicht vorgenommen, da diese Abfrage nicht Bestandteil des Visumverfahrens ist. Die weitere Beantwortung der Frage 9 (in Verbindung mit den Fragen 11 und 13) kann aus Gründen des Staatswohls nicht offen erfolgen. Die Veröffentlichung nachrichtendienstlicher Erkenntnisse würde ferner zu einer wesentlichen Schwächung der den deutschen Nachrichtendiensten zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Informationsgewinnung führen. Dies könnte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland nachteilig sein. Daher sind die entsprechenden Informationen in diesem besonderen Einzelfall gemäß § 3 Nr. 4 VSA mit dem VS- Grad „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft.* 10. Wurden die Sicherheitsbehörden der anderen Schengen-Vertragsstaaten mit Blick auf den Visumsantrag des Ayatollah Seyyed Mahmud Haschemi Shahroudi vorab konsultiert (Artikel 31 des EU-Visakodes; Verordnung (EG) Nr. 810/2009)? Eine nachträgliche Benachrichtigung der Schengen-Staaten gemäß Artikel 31 VO (EG) Nr. 810/2009 ist am 20. Dezember 2017 erfolgt. Eine Konsultation der zentralen Behörden anderer Mitgliedstaaten gemäß Artikel 31 Absatz 1 des Visakodex ist nicht erfolgt, da aufgrund dringender medizinischer Behandlungsbedürftigkeit aus dringlichen Gründen gemäß Artikel 25 Absatz 1 lit. a) iii) des Visakodex ein Visum mit räumlich beschränkter Gültigkeit erteilt werden sollte. Eine nachträgliche Benachrichtigung der anderen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 25 Absatz 4 des Visakodex ist ebenfalls erfolgt. 11. Gab es eine Übermittlung von Daten nach § 73 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) an den Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz , den Militärischen Abschirmdienst, das Bundeskriminalamt oder das Zollkriminalamt? Die Datenübermittlung an die genannten Stellen ist erfolgt. Auf die Antwort zu Frage 9 wird verwiesen. * Das Auswärtige Amt hat die Antwort als „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft. Die Antwort ist im Parlamentssekretariat des Deutschen Bundestages hinterlegt und kann dort von Berechtigten eingesehen werden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/1048 12. Warum haben die Stellen in der Bundesregierung, die Kenntnis von seinem Aufenthalt hatten, einschließlich der Botschaft in Teheran, den Generalbundesanwalt und andere mit der Strafverfolgung befassten Stellen nicht informiert , bzw. warum wurde von diesen nicht Strafanzeige erstattet? Grund für die Visumsvergabe an Herrn Sharoudi war die Ermöglichung einer wegen seiner schweren Erkrankung dringend erforderlichen medizinischen Behandlung in Deutschland. Da die zur Erteilung des Visums erforderlichen Abfragen ergebnislos verlaufen waren (s. Antwort zu Frage 9), bestand für die handelnden Stellen kein Anlass, den GBA zu befassen. 13. Sollten die Fragen 9 und 11 negativ beantwortet werden, warum wurde dieses gängige Verfahren in diesem Fall ausgesetzt? An welcher Stelle wurde hier Weisung gegeben? War ein Vertreter der Bundesregierung in diesen Prozess eingebunden? Wenn ja, wer und zu welchem Zeitpunkt? Auf die Antwort zu den Fragen 9 und 11 wird verwiesen. 14. Aus welchen Gründen wurde das Schengenvisum von Ayatollah Seyyed Mahmud Haschemi Shahroudi räumlich beschränkt (vgl. Bundestagsdrucksache 19/484)? Es wird auf die Antwort zu Frage 10 verwiesen. 15. Mit welchen Maßnahmen hat die Bundesregierung, etwa durch polizeilichen Schutz, Begleitung oder Ähnlichem, Ayatollah Seyyed Mahmud Haschemi Shahroudi bei seiner Ausreise aus Deutschland geholfen? Schutzmaßnahmen werden originär von der örtlich zuständigen Polizeidienststelle des Landes, in diesem Fall die Polizeidirektion Hannover, durchgeführt. Die Bundespolizei hat am 11. Januar 2018 die grenzpolizeiliche Ausreisekontrolle vorgenommen. 16. Inwiefern wurde gegen Shahroudi, nachdem er die Bundesrepublik Deutschland verlassen hatte, eine aufenthalts- und visumsrechtliche Wiedereinreisesperre erlassen, und wenn nein, warum nicht? Die Verfügung eines ausländerrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots richtet sich nach den Voraussetzungen des § 11 des Aufenthaltsgesetzes – insbesondere Ausweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung. Die Voraussetzungen für eine solche Verfügung liegen derzeit hier nicht vor. 17. Wann sind bei den Strafverfolgungsbehörden (Posteingang) nach Kenntnis der Bundesregierung die ersten Strafanzeigen gegen Shahroudi eingegangen ? Die erste Strafanzeige des früheren Mitglieds des Deutschen Bundestages Volker Beck ging am 4. Januar 2018 um 23.37 Uhr beim Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof ein. Am 5. Januar 2018 wurde dem Generalbundesanwalt per E-Mail vom Landeskriminalamt um 14.07 Uhr ein offener Brief von Mahmood Mahoutchiyan an den niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil vom 4. Januar 2018 übersandt. Weitere Strafanzeigen gingen in den Folgetagen ein. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/1048 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Nach Kenntnis der Bundesregierung sind bei der Generalstaatsanwaltschaft Celle, bei der Staatsanwaltschaft Hannover und bei der Staatsanwaltschaft Halle/Saale Strafanzeigen eingegangen. 18. Wurden Informationen durch das behandelnde Institut INI, bzw. den Institutsleiter im Rahmen der Visaerteilung an das Auswärtige Amt, die deutsche Botschaft oder die Regierung weitergegeben, und wurde von dieser Seite aus unterstützend auf die Erteilung eines Visums eingewirkt? Es gab im Vorfeld der Reise und des Aufenthalts von Herrn Shahroudi keinen Kontakt zwischen dem Institut INI und der Bundesregierung. 19. Welche Beziehungen bestehen zwischen dem Institutsleiter und Bundesaußenminister Sigmar Gabriel oder bestanden in der Vergangenheit (gemeinsame Reisen, Treffen etc.)? 20. An welchen Reisen der Bundesregierung nahm der Leiter des behandelnden Instituts teil, und welche Personen hat er nach Kenntnis der Bundesregierung bei diesen Reisen oder bei anderer Gelegenheit von iranischer Seite getroffen ? Hat er im Rahmen dieser Reisen nach Kenntnis der Bundesregierung jemals Ayatollah Seyyed Mahmud Haschemi Shahroudi oder einen seiner Mitarbeiter getroffen? Die Fragen 19 und 20 werden zusammengefasst beantwortet. Der Leiter des behandelnden Instituts nahm an zwei Reisen des damaligen Bundesministers für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel nach Teheran teil, die im Juli 2015, sowie im Oktober 2016 stattfanden. Welche Personen der Institutsleiter neben seiner Teilnahme am jeweils offiziellen Programm im Rahmen dieser Reisen getroffen hat, und ob er sich mit Herrn Shahroudi oder einem seiner Mitarbeiter getroffen hat, ist der Bundesregierung nicht bekannt. 21. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass die Menschenrechtslage im Iran mit einem „ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen eine Zivilbevölkerung“ (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches – VStGB), richtig beschrieben ist? Falls nicht, welche Elemente und Gründe sprechen für eine andere Bewertung ? Die Beurteilung, wie Tatbestandsmerkmale in strafrechtlichen Normen auszulegen und ob deren Voraussetzungen durch den Sachverhalt im Einzelfall erfüllt sind, obliegt den zuständigen Strafverfolgungsbehörden und Gerichte. 22. Welche Taten werden im Iran nach Kenntnis der Bundesregierung mit der Todesstrafe geahndet, die a) nach internationalen Menschenrechten nicht strafbar sein dürfen (z. B. Homosexualität, Glaubenswechsel etc.), Mit der Todesstrafe wird in Iran eine große Anzahl äußerst heterogener Taten bestraft, die nach internationalen Menschenrechtskonventionen nicht mit dem Tode bestraft werden dürften, darunter Abfall vom Islam, Entweihung von heiligen Institutionen des Islams oder heiliger Personen (etwa durch Missionstätigkeit ), Geschlechtsverkehr eines Nicht-Muslim mit einer Muslimin, „Kriegsfüh- Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/1048 rung gegen Gott und seinen Propheten“ (Muharaba), Homosexualität, Beleidigung oder Ehebruch. Außerdem hat Iran das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (1990) ratifiziert, welches Jugendliche und Kinder, die jünger als 18 Jahre sind, von lebenslanger Haft und der Todesstrafe schützt; de facto werden jedoch auch Minderjährige zum Tode verurteilt. b) keine schwersten Verbrechen im Sinne Artikel 6 Absatz 2 UN-Zivilpakt sind? Artikel 6 (2) des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) besagt: „In Staaten, in denen die Todesstrafe nicht abgeschafft worden ist, darf ein Todesurteil nur für schwerste Verbrechen auf Grund von Gesetzen verhängt werden, die zur Zeit der Begehung der Tat in Kraft waren und die den Bestimmungen dieses Paktes und der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes nicht widersprechen. Diese Strafe darf nur auf Grund eines von einem zuständigen Gericht erlassenen rechtskräftigen Urteils vollstreckt werden.“ In der allgemeinen Stellungnahme (General Comment) zum Artikel 6 des Zivilpaktes der Vereinten Nationen erklärte der Menschenrechtsausschuss, dass die Todesstrafe nur den „schwersten Verbrechen“ vorbehalten sein sollte, was bedeutet , dass die Todesstrafe nur für vorsätzliche Verbrechen mit tödlichen oder anderen , äußerst schwerwiegenden Folgen verhängt werden sollte. Delikte wie etwa Drogendelikte, Staatsschutzdelikte wie Spionage, Waffenbeschaffung , Hoch- und Landesverrat, bewaffneter Raub, Veruntreuung und Unterschlagung öffentlicher Gelder oder Vergewaltigung, die ebenfalls im Iran auf gesetzlicher Grundlage des Strafgesetzes mit der Todesstrafe bestraft werden können , fallen nach Einschätzung der Bundesregierung regelmäßig nicht unter diese Definition. 23. Sieht die Bundesregierung grundsätzlich die Möglichkeit der strafrechtlichen Verfolgung von Vertretern autoritärer Regime? a) Sieht sie diese Möglichkeit insbesondere wegen Mordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit? b) Wenn nein, unterstützt die Bundesregierung mögliche Gesetzesänderungen ? c) Wenn ja, warum hat die Prüfung der Aufnahme einer Strafverfolgung durch den Generalbundesanwalt mehr als sechs Tage gedauert? Die Fragen 23 bis 23c werden zusammengefasst beantwortet. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit einer strafrechtlichen Verfolgung von Vertretern ausländischer Staaten, sofern sie nicht nach den Vorschriften über die Immunität nach den §§ 18, 20 Gerichtsverfassungsgesetz von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit sind. Ist Tatort allein das Ausland, setzt eine strafrechtliche Verfolgung weiter voraus, dass das deutsche Strafrecht auch bei Auslandstaten anwendbar ist. Für Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist das deutsche Strafrecht nach dem in § 1 Satz 1 des Völkerstrafgesetzbuches verankerten Weltrechtsprinzip auch bei Auslandstaten uneingeschränkt anwendbar. Für Mord, der nicht zugleich den Bestimmungen des Völkerstrafgesetzbuchs unterfällt, ist deutsches Strafrecht vor allem unter den Voraussetzungen des § 7 des Strafgesetzbuches anwendbar. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/1048 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Die Prüfung zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale einer die Verfolgungszuständigkeit des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof begründenden Strafnorm, etwa eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung (§ 7 VStGB), ist in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht komplex und vielschichtig und dauert daher an. Gleiches gilt für die Prüfung einer möglichen Immunität. 24. Wie engagiert sich die Bundesregierung für universelle Grund- und Menschenrechte im Iran? Die Bundesregierung setzt sich sowohl auf bilateraler als auch multilateraler Ebene für Verbesserungen der Menschenrechtslage in Iran und die Abschaffung der Todesstrafe ein. Die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe kritisiert regelmäßig und deutlich Menschenrechtsverletzungen in Iran. Weiterhin ist Deutschland seit vielen Jahren einer der herausgehobenen Befürworter der traditionell von Kanada eingebrachten Iran-Resolution in der Generalversammlung der Vereinten Nationen und setzt sich nachdrücklich für einen starken menschenrechtsfokussierten Aspekt der Resolution ein. Darüber hinaus unterstützt Deutschland ein starkes Mandat des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen für die Menschenrechtslage in Iran. a) Wie tut sie dies speziell bei Delegationsreisen? Auf Delegationsreisen werden aktuelle Fälle von Menschenrechtsverletzungen in geeigneter Weise thematisiert. b) Mit welchen Vertretern des Regimes wurde über Demokratie und Menschenrechte gesprochen, und mit welchem Ergebnis? Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit unter anderem mit der Beauftragten für Menschenrechte im iranischen Außenministerium und mit dem Leiter der Menschenrechtskommission der Justiz zu Menschenrechtsfragen gesprochen und dabei eine Verbesserung der Menschenrechtslage in Iran gefordert. 25. Welche Empfehlungen zu Demokratie und Menschenrechten werden deutschen Unternehmen von der Bundesregierung in Bezug auf den Iran gegeben ? Als Empfehlung für Reisen nach Iran erhalten deutsche Unternehmen von der Bundesregierung den vom „Global Compact Netzwerk“ herausgegebenen Leitfaden für Unternehmer „Menschenrechte achten“. 26. Inwiefern gibt oder gab es seit 2015 eine Kooperation zwischen staatlichen Sicherheitsorganen des Iran und bundesdeutschen Behörden (z. B. Schulung, Überlassung von Technik, Material, das auch zur Repression genutzt werden kann)? In den Jahren 2015 bis 2017 haben weder das Bundeskriminalamt noch die Bundespolizei Maßnahmen der polizeilichen Aufbauhilfe zugunsten der iranischen Sicherheitsbehörden durchgeführt. Für das Jahr 2018 ist derzeit als Maßnahme zugunsten der iranischen Sicherheitsbehörden ein Besuch der iranischen „Anti Narcotic Force“ bei einer Diensthundeschule in Deutschland geplant. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 9 – Drucksache 19/1048 27. Inwiefern haben Erkenntnisse, dass ein Antragsteller an der willkürlichen Verhaftung, der Folterung bzw. der unmenschlichen Behandlung von Gefangenen bzw. an Todesurteilen beteiligt war, Einfluss auf die Visumsvergabe bzw. die Genehmigung der Einreise nach Deutschland? Bei der Visumerteilung sind Erkenntnisse zu Straftaten relevant, wenn sie bei der Abfrage der entsprechenden Informationssysteme einer Visumerteilung entgegenstehen , etwa bei Vorliegen eines Haftbefehls. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333