Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 29. Mai 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/10526 19. Wahlperiode 29.05.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Stefan Keuter und der Fraktion der AfD – Drucksache 19/10073 – Verfassungskonformität des Erbschaftsteuerrechts V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in den letzten 24 Jahren Regelungen des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) wiederholt für verfassungswidrig erklärt (BVerfG vom 22. Juni 1995 – 2 BvR 552/91, BVerfGE 93, 165; vom 7. November 2006 – 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1; vom 17. Dezember 2014 – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136). Die anschließenden Korrekturgesetze zum Erbschaftsteuerrecht haben keine verfassungsrechtliche Stabilität gebracht. Auch die derzeitige Fassung des ErbStG steht erneut auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand. Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages haben die aktuelle rechtswissenschaftliche Kritik mit den vielen erbschaftsteuerlichen Detailproblemen zusammengestellt (vgl. Arbeit vom 21. Februar 2019: WD 4 – 3000 – 010/19, S. 5 bis 7): Im ErbStG-Kommentar von Fischer/Pahlke/Wachter urteilt Dr. Thomas Wachter in Bezug auf § 13a ErbStG: „Die Verfassungsmäßigkeit des neuen ErbStG erscheint in mehrfacher Hinsicht zweifelhaft. Dies gilt nicht nur für zahlreiche Einzelfragen, sondern auch für die gesetzliche Regelung insgesamt“ (vgl. Wachter, in Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG, § 13a ErbStG Rz. 47, Stand: 8. März 2017). Diese Meinung führt der Autor in den Randziffern 48 bis 69 zu § 13a ErbStG weiter aus. Verstöße sieht er bereits bezüglich allgemeiner Fragen des Verfassungsrechts : Klarheit und Verständlichkeit Steuern und Strafrecht Gemeinwohl und Eigeninteressen Transparenz und Offenheit Erhebung und Vollzug Effektivität und Verhältnismäßigkeit. Jedoch benennt er auch eine Fülle von Regelungen, deren konkrete Ausgestaltung ihm kritikwürdig erscheint – in Bezug auf Fristen, Einzelunternehmen, Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/10526 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Rechtsformneutralität, Wohnungsunternehmen, Grundstücke, Quote des Verwaltungsvermögens , Verfügungsbeschränkungen, Kunstgegenstände, Minderheits - und Mehrheitsgesellschafter, Besteuerung von Drittverhalten, Lohnsummenkontrolle , Großerwerbe, Gesellschafts- und Steuerrecht sowie Erleichterung der Unternehmensnachfolge. Hermann-Ulrich Viskorf, ehemaliger Vorsitzender Richter und Vizepräsident des Bundesfinanzhofs (BFH), äußert sich zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit wie folgt: „Auch die derzeitige Rechtslage bietet eine ganze Reihe verfassungsrechtlicher Angriffspunkte. An der Grenzlinie zwischen der (viel zu) hohen Belastung mit Steuersätzen von 30 bis 50 Prozent beim Erwerb selbst kleinerer nicht begünstigter Vermögen (Eingangssteuersatz der St.-Klasse III: 30 Prozent) und der vollständigen Freistellung selbst größter Betriebsvermögen gibt es am Maßstab der Leistungsfähigkeit und am Gleichheitssatz gemessen keine überzeugende und verfassungsrechtlich tragfähige Lösung“ (vgl. www.nwb-experten-blog.de/ die-zukunft-des-erbschaftsteuerrechts-interview-mit-hermann-ulrich-viskorf/, abgerufen am 26. April 2019). Auch Dr. Florian Oppel erwartet eine erneute Vorlage beim Bundesverfassungsgericht : „Die Überarbeitung der Begünstigungsvorschriften für Unternehmensvermögen zeigt, dass das Hochsteuerkonzept mit weitreichenden sachlichen Steuerbefreiungen an seine Grenzen stößt. Um es den Anforderungen des Gleichheitssatzes entsprechend auszugestalten, hat der Gesetzgeber zahlreiche Detailregelungen für notwendig befunden, die in der praktischen Umsetzung erhebliche Probleme verursachen werden und verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt sind. Zudem sind gerade in Bezug auf die Regelungen über Großerwerbe Gestaltungen möglich, die eine Anwendung von § 13c ErbStG nF und § 28a ErbStG nF vermeiden . Der Gesetzgeber hat hier ein neues gleichheitsrechtliches Problem geschaffen . Sicher ist vor diesem Hintergrund, dass in nicht ferner Zukunft die Fachwelt auf die vierte Entscheidung des BVerfG zum ErbStG warten wird“ (vgl. Florian Oppel, Ende gut, alles gut? – Überblick über die Neuregelung der sachlichen Steuerbefreiungen für Unternehmensvermögen im ErbStG, SteuK 2016, 469, 477; abzurufen unter: https://beck-online.beck.de/Dokument?vpath= bibdata%2Fzeits%2Fsteuk%2F2016%2Fcont%2Fsteuk.2016.469.1.htm&pos=1&h lwords=on). Dr. Manfred Reich sieht bestimmte Regelungen des Unternehmenserbschaftsteuerrechts dann als verfassungswidrig an, wenn sie durch die Finanzverwaltung nicht verfassungskonform ausgelegt werden. Er bezieht sich in seiner Kritik auf den aktuell diskutierten Entwurf der Erbschaftsteuer-Richtlinien 2019 (vgl. www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/ Steuerarten/Erbschaft_und_Schenkungsteuer/2018-12-20-entwurf-ErbStR-2019- anlage.pdf;jsessionid=A2304F94FA4AF27125ED46963EF9EE58?__blob= publicationFile&v=2): „Dem Vernehmen nach sieht sich die Finanzverwaltung durch den Gesetzeswortlaut des § 13b Absatz 9 ErbStG darin bestärkt, diese Vorschrift dahingehend auszulegen, dass auch verbund- bzw. konzerninterne Einlagen von Finanzmitteln zu jungen Finanzmitteln führen können. Die Entstehungsgeschichte, die auch einen ausreichenden Niederschlag im Gesetzeswortlaut gefunden hat, spricht klar dagegen. Zudem kann die Auslegung der Finanzverwaltung zur Verfassungswidrigkeit des Unternehmenserbschaftsteuerrechts führen. Daher muss auch die Finanzverwaltung das Gesetz verfassungskonform auslegen, d. h. derjenigen Auslegungsalternative folgen, die zu einem verfassungskonformen Rechtszustand führt. Die Ansätze der Finanzverwaltung für eine verfassungskonforme Auslegung in R E 13b.29 Absatz 3 S. 5 und 6 ErbStR-E 2019 reichen nicht aus. Da einige Länder und die Bundesregierung zu Recht keinen Sinn da- Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/10526 rin sehen, konzern- bzw. verbundinterne Einlagen von Finanzmitteln zu berücksichtigen , besteht die begründete Hoffnung, dass die Finanzverwaltung aus steuer- und verfassungsrechtlichen sowie wirtschaftspolitischen Gründen ihre Rechtsauffassung nochmals überdenken und nur konzern- bzw. verbundexterne Einlagen von Finanzmitteln pönalisieren wird. Dann kann es auch entsprechend der Ansicht der Bundesregierung nicht zu einer Mehrfacherfassung kommen und nur dann existieren auch keine Nachteile für eigenkapitalfinanzierte Investitionen . Im Übrigen besteht sonst die große Gefahr, dass das ErbStG u. U. sogar schon im Jahr 2019 erneut dem BVerfG vorgelegt werden wird, weil konzernbzw . verbundinterne Einlagen ein Massenphänomen sind“ (Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 4 – 3000 – 010/19 Seite 7, vgl. Manfred Reich: ErbStR- E 2019: Verfassungswidrigkeit des Unternehmenserbschaftsteuerrechts bzw. verfassungskonforme Auslegung durch die Finanzverwaltung?, DStR 2019, 145, 149, abzurufen unter: https://beck-online.beck.de/Dokument? vpath=bibdata%2Fzeits%2Fdstr%2F2019%2Fcont%2Fdstr.2019.145.1.htm& pos=1&hlwords=on). Führende Steuerrechtswissenschaftler kritisieren den Gesetzgeber schon länger und machen nach Ansicht der Fragesteller gerechte Vereinfachungsvorschläge zur Erbschaftsteuer. Der Universitätsprofessor Roman Seer hat auf dem Finanzgerichtstag 2017 (in Brandt – Hrsg. –, DFGT, Steuergerechtigkeit und Steuervollzug, 2017, S. 231 ff.) die über 20jährige „verfassungsrechtliche Leidensgeschichte der Erbschaftsteuer“ sowie „die Aussagen des BVerfG zur Ausgestaltung der Verschonungssubvention für Unternehmensvermögen“ und das „rechtsstaatliche Defizit wegen unbeherrschbarer Komplexität der Verschonungssubvention“ kenntnisreich beschrieben und den Gesetzgeber scharf kritisiert. Er fordert (erneut ) mit verfassungsrechtlichen Argumenten, endlich einen flachen Steuertarif (zum Beispiel Proportionaltarif von 10 Prozent) bei einer breiten Bemessungsgrundlage mit wenigen Vereinfachungszweckfreibeträgen gesetzlich einzuführen (Seer, in Brandt, 2017, S. 247 f.). Auch der Steuerrechtswissenschaftler und ehemalige Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Paul Kirchhof (Berichterstatter im Verfahren: BVerfG vom 22. Juni 1995 – 2 BvR 552/91, BVerfGE 93, 165) schlägt mit seinem Bundessteuergesetzbuch (BStGB, Ein Reformentwurf zur Erneuerung des Steuerrechts, 2011; S. 582 ff.) zur verfassungsrechtlichen Erneuerung des Erbschaftsteuerrechts ein einfaches und gerechtes (ausformuliertes) ErbStG vor: Höchststeuersatz 10 Prozent (statt 50 Prozent wie jetzt), kaum Steuerbefreiungen; Prof. Dr. Paul Kirchhof erläutert: „Das Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht des BStGB sieht nur noch einen einheitlichen Steuersatz in Höhe von zehn Prozent vom Wert der Bereicherung vor. […] Mit dem einheitlichen Steuersatz folgt das 3. Buch der Grundkonzeption des BStGB, das auch im 2. Buch (Einkommensteuer) und im 4. Buch (Umsatzsteuer ) nur noch einen einheitlichen Steuersatz kennt. Dieser schafft allgemeines Rechtsbewusstsein. Kleinere Erbschaften und Familien werden durch Freibeträge entlastet. Ein Erwerb unter Ehegatten ist steuerbefreit. Nicht fortgeführt werden die unterschiedlichen Steuersätze des geltenden Rechts einschließlich der unterschiedlichen Steuerklassen […]. Durch Wegfall von Verschonungssubventionen insbesondere für Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftliche Betriebe und für Anteile an Kapitalgesellschaften […] und eine realitätsgerechte Bewertung verbreitert sich die Bemessungsgrundlage im BStGB im Vergleich zum geltenden Recht deutlich. Diese Verbreiterung schafft die Voraussetzung , den Steuersatz zu senken […]. Gleichzeitig werden die verschiedenen Steuerklassen überflüssig; das persönliche Verhältnis des Erwerbers zum Erblasser oder Schenker wird nicht mehr durch ein abgestuftes System von unterschiedlichen Steuerklassen berücksichtigt, sondern durch eine Steuerbefreiung von Erwerben unter Ehegatten […] und erhöhte Freibeträge […] für den Erwerb von Kindern des Erblassers oder Schenkers“ (Kirchhof, BStGB 2011, S. 747). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/10526 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Und: „Den Erwerbern von nicht fungiblem Vermögen – das in einer Erwerbsgrundlage gebundene Vermögen – wird auf Antrag die Erbschaft- und Schenkungsteuer unverzinst gestundet, um die Existenz des Unternehmens nicht zu gefährden“ (Kirchhof, BStGB 2011, S. 587) – zinslos gestundet bis zu zehn Jahren nach dem Reformentwurf (Kirchhof, BStGB 2011, S. 759). 1. Stimmt die Bundesregierung den von den Wissenschaftlichen Diensten des Deutschen Bundestages aktuell zusammengestellten und hier zitierten sowie skizzierten kritischen Stimmen am derzeitigen Zustand des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) zu? Falls nein, warum nicht (bitte ausführlich erläutern)? 2. Wie steht die Bundesregierung zu dem hier zitierten Besteuerungskonzept (nach dem sogenannten Bundessteuergesetzbuch aus dem Jahre 2011) des Steuerrechtswissenschaftlers und ehemaligen Bundesverfassungsrichters Prof. Dr. Paul Kirchhof, und welche Schlüsse zieht sie daraus? 3. Warum wurden die verfassungsfesten Vereinfachungsvorschläge zum Erbschaftsteuerrecht führender Vertreter der Steuerrechtswissenschaft (etwa von Prof. Dr. Roman Seer und Prof. Dr. Paul Kirchhof) – trotz der hier zitierten einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG zum verfassungswidrigen Erbschaftsteuerrecht – bisher nicht aufgegriffen? 4. Plant die Bundesregierung eine Gesetzesinitiative zur Umsetzung der genannten und zitierten Erbschaftsteuer-Erneuerungsvorschläge der Steuerrechtswissenschaftler Prof. Dr. Roman Seer und Prof. Dr. Paul Kirchhof, nämlich: weg von sehr hohen Steuersätzen mit umfangreichen Durchbrechungen der Steuerbemessungsgrundlage und hin zum geringen Steuersatz mit Verbreiterung der Steuerbemessungsgrundlage? Die Fragen 1 bis 4 werden zusammen beantwortet. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2014, 1 BvL 21/12, sind die §§ 13 a, 13b ErbStG i. V. m. § 19 ErbStG in der damals gültigen Fassung für mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz unvereinbar erklärt worden . Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, eine Neuregelung zu erlassen. Die Bundesregierung der 18. Legislaturperiode hat einen Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag eingebracht. Nach Durchführung des Gesetzgebungsverfahrens haben sich der Bund und die Länder im Vermittlungsausschuss auf einen Kompromiss verständigt. Das Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. November 2016 wurde anschließend von Bundestag und Bundesrat beschlossen und trat am 4. November 2016 rückwirkend zum 1. Juli 2016 in Kraft. Mit den neuen Regelungen zur Verschonung betrieblichen Vermögens hat der Gesetzgeber die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erfüllt. Die in der Literatur teilweise vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken werden von der Bundesregierung nicht geteilt. Im Urteil vom 8. November 2018 des Finanzgerichts Köln, Az. 7 K 3022/17, ist der erkennende Senat ebenfalls nicht davon überzeugt, dass das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz in materiell-rechtlicher Hinsicht trotz der Nachbesserungen des Gesetzgebers bei den Regelungen zum Übergang des Betriebsvermögens weiterhin gegen den Gleichheitssatz des Artikels 3 Absatz 1 des Grundgesetzes verstößt oder aus anderen Gründen verfassungswidrig ist. Die Bundesregierung sieht aus diesem Grund derzeit keinen Anlass, das Erbschaftsteuer - und Schenkungsteuergesetz zu reformieren. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333