Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 29. Mai 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/10579 19. Wahlperiode 31.05.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Axel Gehrke, Dr. Robby Schlund, Paul Viktor Podolay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD – Drucksache 19/10206 – Säuglingssterblichkeit in Deutschland – Regionale Besonderheiten und konsanguine Ehen als mögliche Ursache V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die Säuglingssterblichkeit ist in Deutschland im Bundesdurchschnitt seit 1990 von 7 Gestorbenen je 1 000 Lebendgeborenen auf 3,4 im Jahr 2016 zurückgegangen (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/370259/umfrage/saeuglings sterblichkeit-und-durchschnittliches-sterbealter-in-deutschland/). Sie lag zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen über dem Bundesdurchschnitt, wobei sich auch zwischen den Landkreisen große Unterschiede zeigten: In Gelsenkirchen lag sie z. B. im 3-Jahres-Mittelwert von 2013 bis 2015 mit 6 mehr als dreimal höher als im Landkreis Euskirchen, wo sie nur 1,6 Gestorbene je 1 000 Lebendgeborene betrug (www.lzg.nrw.de/00indi/0data/03/html/0305401052015.html). Die regionalen Unterschiede bestanden auch in Baden-Württemberg (www. statistik-bw.de/Service/Veroeff/Monatshefte/PDF/Beitrag13_10_03.pdf) und Berlin, wo die Säuglingssterblichkeit 2016 in Neukölln bei 7 in Steglitz-Zehlendorf dagegen nur bei 1,3 lag. In Nordrhein-Westfalen war die Säuglingssterblichkeit von 2005 bis 2013 bei „Nichtdeutschen“ höher als bei „Deutschen“, ging bis 2013 fast auf den Wert bei „Deutschen“ zurück, stieg dann bis 2015 aber wieder auf 6,6 gegenüber 4,1 im Durchschnitt an (www.lzg.nrw.de/ges_bericht/factsheets/sterblichk_ saeuglinge/index.html). Eine Studie zeigte für Birmingham, wo unter der pakistanischen Bevölkerung 55 Prozent der Ehen konsanguin sind, „im Gefolge ein 13-faches relatives Risiko für neonatale Mortalität gegenüber der englischen Bevölkerung“ (www. kup.at/kup/pdf/9618.pdf). Das türkische Gesundheitsministerium will sich mit Aufklärungskampagnen gegen den Brauch von konsanguinen Ehen wenden, weil diese erhebliche Risiken für die daraus geborenen Kinder bringen. „Einer Studie der Hacettepe-Universität in Ankara zufolge ist die verbreitete Inzucht ein wichtiger Grund für die extrem hohe Kindersterblichkeit der Türkei, die noch immer bei 47 von 1 000 lebend geborenen Kindern liegt, während etwa im benachbarten Griechenland nur sechs von 1 000 Kindern sterben“ (www.tagesspiegel.de/gesellschaft/ panorama/gute-maedchen-bleiben-in-der-familie/350008.html). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/10579 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Ali Ucar – Politotologe, Mitautor und -herausgeber des Werkes „Erziehung: Interkulturell – Politisch – Antirassistisch: Von der interkulturellen zur antirassistischen Erziehung“ – schlägt dazu vor, die aus Verwandtenehen folgenden Probleme folgendermaßen zu lösen: „Aufklärung der Bevölkerung über Risiken der Verwandtenehen für die Kinder ist dringend nötig“, für „die Beratung in konkreten Situationen müssen Beratungsstellen eingerichtet werden. Die Fachleute in den Beratungsstellen sollen die Menschen, die heiraten wollen in Fragen der erblichen Krankheiten beraten und in Zweifelssituationen erforderliche Untersuchungen einleiten“ (http://docplayer.org/27877771-Verwandtenehen-untermigranten .html). Anders die AOK (= Allgemeine Ortskrankenkasse), die gegenüber dem ARD- Magazin Kontraste ausführt, dessen Berichterstattung zu medizinischen Risiken von Verwandtenehen erwecke den Eindruck, „einer von interessierter Seite angezettelten ausländerfeindlichen Kampagne zu dienen“, entgegnet Hiltrud Breyer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), ehemals Mitglied des Europäischen Parlaments entgegnet: „Durch dieses Tabu gibt es leider keine Aufklärung. Wir bräuchten aber genau diese Aufklärung“ (www.rbb-online.de/kontraste/ueber_ den_tag_hinaus/migration_integration/die_cousine_als_ehefrau.html). Aufklärung und Forschung zum Thema wurde sogar durch Drohungen behindert (www. faz.net/aktuell/politik/verwandtenehen-darueber-spricht-und-forscht-mannicht -1655064.html; www.berliner-zeitung.de/politik/meinung/kommentarzur -verwandtenehe-das-elend-eines-gesellschaftlichen-tabus-30073974). 1. Sind der Bundesregierung außer Berlin-Neukölln andere Regionen mit außergewöhnlich hoher Säuglingssterblichkeit bekannt, und wenn ja, welche? Säuglingssterblichkeit ist definiert als Zahl der im ersten Lebensjahr gestorbenen Kinder je 1 000 Lebendgeborene. Das Statistische Bundesamt weist die Anzahl der Lebendgeburten und die An-zahl der im ersten Lebensjahr gestorbenen Kinder in Deutschland nach Kreisen aus (Statistisches Bundesamt 2017). Im Jahr 2015 betrug die Säuglingssterblichkeit in Deutschland 3,3 Säuglingssterbefälle je 1 000 Lebendgeburten. Die Zahlen für die Bundesländer (einschließlich den jeweils niedrigsten und höchsten Werten auf Kreisebene) sind in der nachfolgenden Tabelle zu finden. Die höchste Säuglingssterblichkeit 2015 gab es in den Kreisen Neustadt an der Weinstraße (Rheinland-Pfalz) mit 11,3, Wittmund (Niedersachsen ) mit 10,8 und Hagen (Nordrhein-Westfalen) mit 9,6 Säuglingssterbefällen je 1 000 Lebendgeburten. Die absoluten Zahlen dahinter sind: in Neustadt und Wittmund gab es jeweils fünf, in Hagen 17 Säuglingssterbefälle. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/10579 Tabelle: Säuglingssterblichkeit je 1 000 Lebendgeburten Land Säuglingssterbefälle je 1.000 Lebendgeburten, gesamtes Bundesland (niedrigster und höchster Wert auf Kreisebene) Baden-Württemberg 2,9 (0,5 – 9,0) Bayern 2,8 (0 – 8,3) Berlin 3,2 Brandenburg 2,6 (0 – 9,3) Bremen 4,5 Hamburg 3,4 Hessen 3,1 (0 – 8,3) Mecklenburg-Vorpommern 2,6 (1,6 – 4,6) Niedersachsen 3,6 (1,3 – 10,8) Nordrhein-Westfalen 4,1 (1,5 – 9,6) Rheinland-Pfalz 3,5 (0 – 11,3) Saarland 3,3 (1,8 – 5,3) Sachsen 2,4 (0,7 – 3,9) Sachsen-Anhalt 3,7 (1,4 – 7,3) Schleswig-Holstein 3,0 (0 – 6,4) Thüringen 2,8 (0 – 6,6) 2. Korrelieren diese – wie in Berlin-Neukölln (www.morgenpost.de/berlin/ article215498111/Die-toten-Babys-von-Neukoelln.html?utm_source=usershare &utm_medium=fb&utm_campaign=amp) – nach Kenntnis der Bundesregierung mit einem hohen Anteil muslimischer Bevölkerung? Belastbare Daten zum Anteil der muslimischen Bevölkerung auf Kreisebene sind nicht vorhanden. 3. Sieht die Bundesregierung zwischen dem hohen Anteil von Menschen muslimischen Glaubens und der überdurchschnittlichen Säuglingssterblichkeit in Berlin-Neukölln und ggf. auch anderorts einen kausalen Zusammenhang, und wenn ja, welchen? Aufgrund der Datenlage sind Aussagen zu kausalen Zusammenhängen statistisch nicht möglich. 4. Gibt es aus Sicht der Bundesregierung andere bzw. ggf. zusätzliche Gründe für die erhöhte Säuglingssterblichkeit in Berlin-Neukölln und ggf. andernorts ? Zu den Gründen für die erhöhte Säuglingssterblichkeit in Berlin-Neukölln oder andernorts liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. Die Säuglingssterblichkeit gehört zu den wichtigsten Indikatoren zur Beurteilung der medizinischen Versorgung von Schwangeren und Neugeborenen sowie der gesundheitlichen Lage der Bevölkerung allgemein (Robert Koch-Institut (RKI) (2011) Sterblichkeit , Todesursachen und regionale Unterschiede. Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Heft 52. RKI, Berlin. Euro-Peristat Project (2018) European Perinatal Health Report. Core indicators oft the health and care of pregnant Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/10579 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode women and babies in Europe in 2015). Ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko haben Frühgeborene, Säuglinge mit niedrigem Geburtsgewicht, Neugeborene mit angeborenen Fehlbildungen sowie Neugeborene, die von Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen betroffen sind (RKI 2011). 5. Sind der Bundesregierung Präventionsprogramme des türkischen Gesundheitsministeriums bezüglich der medizinischen Risiken von Verwandtenehen bekannt? 6. Gibt es diesbezüglich einen Informations- und Erfahrungsaustausch mit der türkischen Regierung oder der Regierung anderer Staaten mit hohem Anteil muslimischer Bevölkerung? Die Fragen 5 und 6 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Der Bundesregierung liegen keine Kenntnisse über Präventionsprogramme des türkischen Gesundheitsministeriums bezüglich medizinischer Risiken von Verwandtenehen vor. Diesbezüglich fand nach Kenntnis der Bundesressorts auch kein Informations- und Erfahrungsaustausch mit der türkischen Regierung oder der Regierung anderer Staaten in den letzten Jahren statt. 7. Ist der Bundesregierung die Anzahl der jährlich in den Jahren 1990 bis 2016 geschlossenen sogenannten Verwandtenehen in Deutschland bekannt? a) Wenn ja, um wie viele Ehen handelt es sich dabei pro Jahr? b) Wenn nein, ist daran gedacht, solche Eheschließungen zukünftig statistisch zu erfassen? Nach § 1307 des Bürgerlichen Gesetzbuches darf eine Ehe in Deutschland nicht geschlossen werden zwischen Verwandten in gerader Linie sowie zwischen vollbürtigen und halbbürtigen Geschwistern. Eheschließungen zwischen entfernten verwandten Personen unterliegen in Deutschland keinem Eheverbot; die Anzahl dieser Ehen ist der Bundesregierung nicht bekannt. Eine statistische Erfassung solcher Eheschließungen ist nicht beabsichtigt. 8. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung für ihr eigenes Handeln aus der Tatsache, dass dem Versuch der Aufklärung über medizinische Risiken der Verwandtenehe in Deutschland nach Presseberichten mit Drohungen begegnet wird und zumindest ein Fall einer Wissenschaftlerin dokumentiert ist, die daraufhin die Aufklärungsbemühungen auch über erzwungene Cousin-Cousinen-Ehen eingestellt hat, und deren Forschungsvorhaben zur Verwandtenehe nicht realisiert wurde (siehe verlinkte Berichte in der Vorbemerkung der Fragesteller)? Zu dem dargestellten Einzelfall liegen der Bundesregierung keine eigenen Erkenntnisse vor. Auch sind der Bundesregierung keine weiteren derartigen Fälle bekannt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/10579 9. Hält es die Bundesregierung vor diesem Hintergrund für möglich, dass die Aufklärung der betroffenen muslimischen Bürger in Deutschland hinter dem zurückbleibt, was die türkische Regierung ihren muslimischen Bürgern gewährt ? Es wird auf die Antwort zu den Fragen 5 und 6 verwiesen. Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über entsprechende Präventionsprogramme des türkischen Gesundheitsministeriums vor. 10. Hält die Bundesregierung die Aufklärung der Bevölkerung über Risiken der Verwandtenehen für die Kinder für ausreichend oder sieht sie Bedarf, die Aufklärung zum Beispiel auch durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zu intensivieren? Zum Aufklärungsbedarf über Risiken der Verwandtenehen für Kinder liegen der Bundesregierung keine wissenschaftlichen Bedarfserhebungen vor. Die allgemeine Information zu medizinischen Risiken von Verwandtenehen ist Aufgabe unterschiedlicher Stellen und Akteure. Sie hat ihren Platz beispielsweise im Rahmen der Schulen sowie in der Beratung von Jugendlichen durch den Kinder- und Jugendgesundheitsdienst des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Beide Aufgabenbereiche liegen in der Zuständigkeit der Länder. Auf individueller Basis kann eine genetische Beratung in Anspruch genommen werden, um sich über Risiken der Konsanguinität z. B. im Hinblick auf Fehlbildungen bei Kindern beraten zu las-sen. Dies gilt insbesondere dann, wenn in der Verwandtschaft eines oder beider Partner eine Erbkrankheit bekannt ist. Auf die Möglichkeit, in solchen Fällen eine humangenetische Beratung vor einer Schwangerschaft in Anspruch zu nehmen, weist beispielsweise das Internetangebot www. familienplanung.de der BZgA hin. 11. Welche Schlussfolgerungen für ihr eigenes Handeln zieht die Bundesregierung aus der Sichtweise der AOK, dass die Information zu medizinischen Risiken von Verwandtenehen den Eindruck erwecke, „einer von interessierter Seite angezettelten ausländerfeindlichen Kampagne zu dienen“ und deshalb die Aufklärung Betroffener sogar verringert oder ganz eingestellt werden müsse? Es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, Äußerungen oder Stellungnahmen einzelner Krankenkassen zu bewerten und hieraus Rückschlüsse zu ziehen. Im Übrigen unterstehen die Allgemeinen Ortskrankenkassen nicht der Aufsicht durch das Bundesministerium für Gesundheit, sondern der Aufsicht durch die für die Sozialversicherung zuständigen obersten Verwaltungsbehörden der Länder. Die Aufsicht erstreckt sich auf die Beachtung von Gesetz und sonstigem Recht, das für die Versicherungsträger maßgeblich ist. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333