Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 12. Juni 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/10903 19. Wahlperiode 14.06.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Konstantin Kuhle, Stephan Thomae, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/10266 – Bekämpfung von Menschenhandel und Ausbeutung V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r In den ersten Monaten des Jahres 2019 fanden in Deutschland Razzien statt, bei denen Gruppen bzw. Personen wegen des Verdachts des Menschenhandels festgenommen wurden (vgl. www.morgenpost.de/vermischtes/article214048619/ 1000-Polizisten-bei-bundesweiter-Razzia-gegen-Menschenhandel.htm und www.welt. de/regionales/hamburg/article190940407/Norddeutschland-Razzia-gegen-Gross familie-wegen-Menschenhandel-und-Betrug.html, letzter Abruf jeweils 22. Februar 2019). Das Bundeskriminalamt erfasst das Delikt Menschenhandel im Sinne des § 232 des Strafgesetzbuches (StGB) nicht einzeln in der jährlichen Polizeilichen Kriminalstatistik . Auch die §§ 232a bis 233a und 237 StGB werden lediglich als Straftaten gegen die persönliche Freiheit zusammen mit allgemeineren Delikten wie Nötigung oder Bedrohung erfasst. Die genaue Entwicklung ist der Polizeilichen Kriminalstatistik daher nicht zu entnehmen. Stattdessen finden die registrierten Taten Eingang in ein Bundeslagebild Menschenhandel und Ausbeutung (vgl. www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/ Lagebilder/Menschenhandel/menschenhandel_node.html, letzter Abruf 17. April 2019). Ein solches Lagebild für 2018 liegt noch nicht vor. Das Bundeslagebild für das Jahr 2017 zeigt einen erheblichen Anstieg der Opferzahlen im Bereich Menschenhandel und Ausbeutung. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der Opfer von Menschenhandel um rund 25 Prozent (vgl. www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/JahresberichteUndLage bilder/Menschenhandel/menschenhandelBundeslagebild2017.html?nn=27956, letzter Abruf 17. April 2019). Dennoch bleibt die Opferzahl im Verhältnis zu den anderen in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfassten Straftaten gegen die persönliche Freiheit niedrig. Angesichts der Gesamtkriminalitätszahlen lassen beispielsweise lediglich zwei Verfahren wegen Ausbeutung bei der Ausübung der Bettelei und kein einziges Verfahren wegen Ausbeutung bei der Begehung von mit Strafe bedrohten Handlungen im Jahr 2017 aus Sicht der Fragesteller auf eine besonders hohe Dunkelziffer schließen. Von einer hohen Dunkelziffer geht in diesem Zusammenhang auch das Europäische Parlament aus. Einer Einschätzung für die Jahre 2012 bis 2014 zufolge Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/10903 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode steht ca. 63 000 erfassten Opfern von Menschenhandel und Ausbeutung der Arbeitskraft (inkl. sexuelle Ausbeutung) eine Dunkelziffer von bis zu 21 Millionen ausgebeuteten Personen gegenüber (vgl. www.europarl.europa.eu/news/en/ headlines/society/20171012STO85932/human-trafficking-nearly-16-000-victimsin -the-eu, letzter Abruf 17. April 2019). Der Global Slavery Index geht für die Bundesrepublik Deutschland von über 160 000 Menschen aus, die in Abhängigkeitsverhältnissen der sogenannten modernen Sklaverei leben. Im Vergleich zu anderen westlichen Industrienationen besteht in Deutschland im Bereich Bekämpfung von Menschenhandel und moderner Sklaverei der Erhebung zufolge Nachholbedarf (vgl. www.global slaveryindex.org/2018/data/country-data/germany/, letzter Abruf 17. April 2019). Auch das U. S. Department of State ordnet die Bundesrepublik Deutschland bei der Bekämpfung von Menschenhandel auf einem guten Platz ein, sieht jedoch deutlichen Verbesserungsbedarf. Kritisiert werden vor allem die niedrigen Verurteilungszahlen , das Fehlen von Opferschutzprogrammen, gerade für Kinder und Männer, und das Fehlen einer proaktiven Strategie zur Bekämpfung des Menschenhandels und zur Abschöpfung der entsprechenden Gewinne (vgl. www.state.gov/j/tip/rls/tiprpt/countries/2018/282660.htm, letzter Abruf 17. April 2019). Eine niedrige Verurteilungsrate ist auch dem letzten Periodischen Sicherheitsbericht von 2006 zu entnehmen (vgl. Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht, S. 467, www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/Periodischer Sicherheitsbericht/periodischersicherheitsbericht_node.html, letzter Abruf 17. April 2019). Zudem kritisiert der Bericht, dass Opfer als Zeugen für Strafverfahren häufig ausfallen, da es nicht möglich sei, einen Aufenthalt in Deutschland bis zum Prozess zu organisieren. 1. Wie viele der folgenden Straftaten sind nach Kenntnis der Bundesregierung im Jahr 2018 in der Bundesrepublik Deutschland polizeilich festgestellt worden : a) Menschenhandel (§ 232 StGB) b) Zwangsprostitution (§ 232a StGB) c) Zwangsarbeit (§ 232b StGB) d) Ausbeutung der Arbeitskraft (§ 233 StGB) e) Ausbeutung und Ausnutzung einer Freiheitsberaubung (§ 233a StGB) f) Zwangsheirat (§ 237 StGB) (bitte jeweils nach Bundesland aufschlüsseln)? Wie hoch waren jeweils die Opferzahlen? Wie viele Beschuldigte wurden erfasst? Daten zu den genannten Straftatbeständen werden in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) umfangreich erfasst. Zur genauen Anzahl der im Jahr 2018 jeweils polizeilich festgestellten Straftaten, Opferzahlen und Tatverdächtigen im Bereich Menschenhandel und Ausbeutung wird auf die auf der Homepage des BKA abrufbaren Daten der PKS 2018 verwiesen . (www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/Polizeiliche Kriminalstatistik/pks_node.html). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/10903 Die jeweils polizeilich festgestellten Straftaten finden sich in der „Standard-Übersicht Falltabellen“, die Anzahl der Tatverdächtigen in der „Standard-Übersicht Tatverdächtigentabellen“ und die der Opfer in der „Standard-Übersicht Opfertabellen “. Delikte zu den Phänomenbereichen „Menschenhandel und Ausbeutung“ sind dort jeweils unter den Schlüsselnummern 239000 bis 239540 abgebildet. Häufigkeitszahlen in den Bundesländern zu Straftaten gegen die persönliche Freiheit sowie Angaben zu Tatortverteilungen finden sich im Jahrbuch Band 4, Seiten 58 und 55, ausgewählte Informationen zu den Bundesländern finden sich in „Interaktive Karten“. Eine gesonderte Aufschlüsselung zu den Bundesländern für den Bereich Menschenhandel und Ausbeutung wird erst mit der Veröffentlichung des Bundeslagebildes „Menschenhandel und Ausbeutung 2018“ möglich sein. 2. Welche Staatsangehörigkeiten hatten nach Kenntnis der Bundesregierung Opfer und Beschuldigte in diesen Verfahren jeweils? Die Datenerhebung zum Bundeslagebild „Menschenhandel und Ausbeutung 2018“ ist zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen. Daher kann zur Frage noch keine Aussage getroffen werden. 3. In welchem Rahmen bewegte sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Altersstruktur der Opfer der entsprechenden Straftaten im Jahr 2018? Welche Entwicklung lässt sich hieraus für die letzten fünf erfassten Jahre absehen? Hinsichtlich der Daten für das Jahr 2018 wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen . Für die Jahre 2014 bis 2017 liegen zur Altersstruktur der Opfer gemäß der Datenbasis für das Bundeslagebild Menschenhandel (und Ausbeutung) folgende Erkenntnisse vor: 2017 2016 2015 2014 < 14 _Jahre 40 Opfer 33 Opfer 6 Opfer 5 Opfer 14 -17 Jahre 123 Opfer 180 Opfer 72 Opfer 52 Opfer > 17 Jahre 544 Opfer 413 Opfer 363 Opfer 514 Opfer Speziell für den Bereich des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung sind in den Bundeslagebildern 2015 – 2017 entsprechende grafische Auswertungen zur Altersstruktur der Opfer enthalten. 4. Wie viele polizeiliche Ermittlungsverfahren wegen Straftaten nach Frage 1 wurden im Jahr 2018 nach Kenntnis der Bundesregierung jeweils eingeleitet, abgeschlossen, eingestellt und zur Anklage gebracht (bitte nach Bundesland aufschlüsseln)? Es wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/10903 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 5. Wie viele Verurteilungen und wie viele Anklageerhebungen wegen Tatbeständen aus den Fragen 1a bis 1f fanden nach Kenntnis der Bundesregierung im Jahr 2018 in der Bundesrepublik Deutschland statt? Wie verhalten sich diese Zahlen zu den Verurteilungen und Anklageerhebungen aus den letzten fünf Jahren? Der Bundesregierung liegen zu der Fragestellung keine Erkenntnisse vor. Die Strafverfolgung bei diesen Straftatbeständen obliegt den Ländern. Die vom Statistischen Bundesamt herausgegebene Strafverfolgungsstatistik der Justiz für das Jahr 2018 erscheint erst in der zweiten Jahreshälfte 2019. 6. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung die durchschnittliche Strafe bei einer Verurteilung wegen einer Straftat nach einem Tatbestand aus Frage 1 im Jahr 2018 (bitte jeweils nach Tatbeständen aus den Fragen 1a bis 1f aufschlüsseln)? Unabhängig vom erfragten Jahr liegen der Bundesregierung zu der Fragestellung keine Erkenntnisse vor. Die vom Statistischen Bundesamt herausgegebene Strafverfolgungsstatistik enthält keine Angaben zur durchschnittlichen Höhe der Sanktionen. Auch eine Berechnung ist anhand der Angaben dieser Statistik nicht möglich, da die verhängten Freiheitsstrafen und Geldstrafen jeweils nur gruppiert wiedergegeben werden. 7. Welche Gründe sorgen aus Sicht der Bundesregierung dafür, dass bei Verdacht auf Menschenhandel oder Ausbeutung von Personen letztendlich häufig nur Geld- oder niedrige Bewährungsstrafen verhängt werden, wie international stark kritisiert wird? Wie will die Bundesregierung zukünftig sicherstellen, dass das Strafrecht seinen Abschreckungseffekt im Bereich Menschenhandel und Ausbeutung nicht verliert? Durch das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Menschenhandels und zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes sowie des Achten Buches Sozialgesetzbuch vom 11. Oktober 2016 (BGBl. I S. 2226), das am 15. Oktober 2016 in Kraft getreten ist, wurden die Straftatbestände zur Bekämpfung des Menschenhandels (§§ 232 bis 233a StGB) grundlegend umgestaltet und erweitert. Da die neuen Strafvorschriften grundsätzlich nur auf Straftaten Anwendung finden, die nach ihrem Inkrafttreten begangen wurden (§ 2 StGB), ist der Bundesregierung derzeit noch keine Einschätzung möglich, ob auf dieser Grundlage tatsächlich häufig nur Geld- oder niedrige Bewährungsstrafen verhängt werden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/10903 8. Welche Rolle spielt aus Sicht der Bundesregierung eine polizeiliche Schwerpunktsetzung im Bereich von Straftaten nach Frage 1 bei der Einleitung und Durchführung von Ermittlungsverfahren? Ist die Strafverfolgung von derartigen Straftaten nach Kenntnis der Bundesregierung in Bundesländern, in denen eine entsprechende Schwerpunktsetzung durch Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften erfolgt, effektiver? Wie kann sichergestellt werden, dass auch in den Bundesländern, in denen eine entsprechende Schwerpunktsetzung nicht stattfindet, eine effektive Strafverfolgung stattfindet? Generell ist jede polizeiliche Schwerpunktsetzung mit verstärkten Maßnahmen verbunden, es ist in der Folge auch von einer verstärkten Kriminalitätsbekämpfung auszugehen. Grundsätzlich ist es das Ziel jeder polizeilichen Schwerpunksetzung , die Intensität der Aufgabenwahrnehmung zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung zu erhöhen. Gemeinsame Schwerpunksetzungen von Staatsanwaltschaft und Polizei werden sich dabei in erster Linie auf eine größere Intensität der Strafverfolgung konzentrieren. Die Frage der Effektivitätssteigerung kann pauschal nicht beantwortet werden und bedarf der Evaluation im Einzelfall anhand vorab festzulegender Erfolgskriterien . Die Schwerpunktsetzung erfolgt in den jeweiligen Bundesländern aufgrund dortiger Lageeinschätzung nach eigenem Ermessen, die Bundesregierung kann hierzu und zu Erfolgs- und Effizienzsteigerungen keine eigene Bewertung abgeben . 9. Wo verblieben nach Kenntnis der Bundesregierung Opfer von Delikten aus Frage 1 nach Einleitung eines Ermittlungs- beziehungsweise Strafverfahrens ? Wie viele Personen aus dieser Gruppe wurden im Jahr 2018 abgeschoben oder ausgewiesen, wie viele sind im Besitz einer Duldung, und wie viele befinden sich im polizeilichen Zeugenschutz? 10. Wie viele der Personen, die ausgewiesen oder abgeschoben wurden, wurden nach Kenntnis der Bundesregierung vor Abschluss des Strafverfahrens in einem Fall, in dem sie jeweils als Geschädigte galten, ausgewiesen oder abgeschoben ? In wie vielen Fällen konnte in der Folge eine Zeugenaussage nicht stattfinden , weil eine Ausweisung oder Abschiebung stattfand? Die Fragen 9 und 10 werden im Zusammenhang beantwortet. Die Schaffung, Finanzierung und Ausgestaltung von Unterbringungsmöglichkeiten liegt in der Verantwortung der einzelnen Bundesländer und Kommunen und sieht in der Praxis sehr unterschiedlich aus. Wenn Opfer von Menschenhandel Strafanzeige stellen, übernimmt die Polizei den operativen Opferschutz. Die geschützte Unterbringung hingegen erfolgt in der Regel durch die Fachberatungsstellen. Wenn es die Sicherheit erfordert, kann auch die Unterbringung der Betroffenen in einer anderen Stadt oder einem anderen Bundesland organisiert werden. Die Unterbringung erfolgt anonym und zumeist in Schutzeinrichtungen oder Frauenhäusern. Die Fachberatungsstellen unternehmen auch weitere Schutzmaßnahmen, wie z. B. Auskunftssperren. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/10903 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Die Bundesregierung hat keine Kenntnis darüber, ob bzw. wie viele Opfer des Menschenhandels im Jahr 2018 abgeschoben oder ausgewiesen wurden, ob bzw. wie viele Opfer des Menschenhandels zurzeit im Besitz einer Duldung sind oder sich im polizeilichen Zeugenschutz befinden. Die Bundesregierung weist darauf hin, dass sich die ganz überwiegende Mehrheit der polizeilich erfassten Menschenhandelsopfer als EU-Staatsangehörige legal in Deutschland aufhalten. Aufenthaltsrechtliche Fragen können sich daher nur bei einer Minderheit der Menschenhandelsopfer stellen. 11. Welche aufenthaltsrechtlichen Instrumente bestehen nach Kenntnis der Bundesregierung , um Opfern von Delikten aus Frage 1 zu ermöglichen, für folgende Strafverfahren in der Bundesrepublik Deutschland zu verbleiben? Besteht aus Sicht der Bundesregierung die Notwendigkeit, das Aufenthaltsrecht zu überarbeiten, um Opfern von Menschenhandel, Zwangsprostitution und Ausbeutung zu ermöglichen, als Zeugen in Strafprozessen aufzutreten, wenn sie andernfalls ausreisepflichtig wären? Das Aufenthaltsgesetz (AufenthG) enthält mit § 25 Absatz 4a eine humanitäre Sonderregelung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an Opfer von Menschenhandel . Am 1. August 2015 sind mit dem Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung weitere aufenthaltsrechtliche Verbesserungen für die Opfer von Menschenhandel in Kraft getreten. Ein Titel soll (vorher: kann) nunmehr erteilt werden, wenn u. a. die vorübergehende Anwesenheit der bzw. des Betroffenen für die Durchführung eines Strafverfahrens wegen Menschenhandels gemäß §§ 232 ff. StGB als sachgerecht erachtet wird und er oder sie die Bereitschaft zeigt, in dem Strafverfahren als Zeuge/Zeugin auszusagen (vgl. § 25 Absatz 4a Satz 1, 2 AufenthG). Darüber hinaus wird den Opfern von Menschenhandel mit dem neu eingeführten § 25 Absatz 4a Satz 3 AufenthG auch nach Beendigung des Strafverfahrens gegen die Täter/Täterinnen eine Aufenthaltsperspektive in Deutschland für den Fall eröffnet, dass humanitäre oder persönliche Gründe oder öffentliche Interessen die weitere Anwesenheit des/der Ausländers/Ausländerin im Bundesgebiet erfordern. Für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis kommt es nach dieser Vorschrift nicht mehr darauf an, ob die weitere Anwesenheit des/der Ausländers/Ausländerin für die Durchführung eines Strafverfahrens erforderlich ist. Ferner wird die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 AufenthG nun jeweils für ein Jahr erteilt und verlängert (vorher: sechs Monate; vgl. § 26 Absatz 1 Satz 5 AufenthG); die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 3 für jeweils zwei Jahre. Ferner kann Opfern von Menschenhandel ein Aufenthaltstitel auch nach anderen Vorschriften unabhängig von deren Mitwirkung an einem Strafverfahren erteilt werden. Insbesondere für minderjährige Menschenhandelsopfer kommt ein Titel z. B. nach §§ 23a, 25 Absatz 4 oder Absatz 5 AufenthG in Betracht. Für die Dauer einer eventuellen gesundheitlichen Beeinträchtigung können bei entsprechenden Nachweisen gemäß § 60a AufenthG aufenthaltsbeendende Maßnahmen vorübergehend ausgesetzt werden. In diesem Fall wird jedoch kein Aufenthaltstitel, sondern eine Duldung erteilt. Die Bundesregierung wird weiter prüfen, wie sich die bestehenden Regelungen in der Praxis bewähren. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/10903 12. Wie ist aus Sicht der Bundesregierung sichergestellt, dass Opfer von Delikten nach Frage 1 bei einer Rückkehr in ihr Heimatland, sei es freiwillig oder nach Ausweisung oder Abschiebung, nicht wegen einer Anzeige oder Zeugenaussage erneut Opfer von Straftaten zur Vergeltung werden? Die unter dem Dachverband des Bundesweiten Koordinierungskrieses gegen Menschenhandel e. V. (KOK) organisierten Fachberatungsstellen stehen den Betroffenen auf Wunsch und nach Bedarf auch nach Abschluss des Strafverfahrens unterstützend zur Seite. Sie sind bei der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis begleitend tätig, helfen bei Verlängerungen von Auskunftssperren sowie in Krisensituationen . Im Falle der Rückkehr in das Herkunftsland nehmen die Fachberatungsstellen ebenfalls bedeutende Aufgaben wahr, indem sie die Betroffenen bei der Organisation der Rückkehr unterstützen und Kontakte zu Beratungsangeboten im Herkunftsland herstellen. Dies kann in verschiedenen Formen erfolgen, z. B. durch Abholung und in Empfang nehmen der Betroffenen bei Ankunft, durch Beratung und Betreuung durch eine NGO im Herkunftsland oder aber, wenn dies nicht der Wunsch der Klientin/des Klienten ist, lediglich durch Weitergabe von Adressen und Kontaktdaten einer NGO im Herkunftsland. Die Fachberatungsstellen schätzen zudem in der Beratung und Begleitung der Klientinnen und Klienten mit ihnen gemeinsam das Risiko bei Rückreise ein und besprechen mögliche Maßnahmen . Soweit die Betroffenen im Strafverfahren als Zeugen ausgesagt haben, erfolgt die Risikoabschätzung im Herkunftsland zusätzlich durch das ermittelnde LKA. Mit einzelnen EU-Staaten – z. B. Rumänien – existieren zwischenzeitlich auch eingespielte und vertrauensvolle Zusammenarbeitsformen der Polizeien. In einzelnen Verfahren führte dies zu einer Betreuung von zurückgekehrten Menschenhandelsopfern durch rumänische Polizeidienststellen. 13. Wie viele Personen, die Opfer von Straftaten nach Frage 1 geworden sind und in ihre Heimatländer zurückgekehrt sind, wurden in den letzten fünf Jahren nach Kenntnis der Bundesregierung erneut Opfer von Straftaten nach Frage 1 oder Opfer von Vergeltungstaten? Hierzu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. 14. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung oder plant zu ergreifen, um der Ausbeutung von Personen über das Internet vorzubeugen, sei es durch Bereitstellen ihrer Dienstleistungen im Internet oder direkter Ausbeutung über das Internet, beispielsweise durch erzwungene sexuelle Dienstleistungen in Livestreams? Existiert beim Bundeskriminalamt eine Abteilung, die sich speziell mit Ausbeutung und Menschenhandel über das Internet beschäftigt? Menschenhandel und Ausbeutung im Zusammenhang mit dem Internet erfordern ein besonderes Augenmerk bei der Bekämpfung dieser Phänomenbereiche. Sowohl das Bundeskriminalamt als auch die zuständigen Stellen in den Bundesländern sind hinsichtlich dieser Thematik sensibilisiert, wobei sich die einzelnen Maßnahmen immer an den jeweiligen Einzelsachverhalten orientieren und dementsprechend oftmals auch unterschiedliche Bekämpfungsansätze beinhalten. Im Bundeskriminalamt werden diese Aufgaben in dem phänomenologisch zuständigen Fachbereich wahrgenommen, da hier die entsprechende Expertise verfügbar ist. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/10903 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 15. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung für die spezielle Betreuung männlicher Opfer von Menschenhandel? Welche Maßnahmen werden zur Betreuung von Kindern als Opfer von Menschenhandel ergriffen? Grundsätzlich wird bei dem Erkennungsprozess von Opfern des Menschenhandels nicht unterschieden, ob diese männlich oder weiblich sind. Im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen bei der Polizei und von fachlich übergreifenden Veranstaltungen z. B. mit dem KOK wird regelmäßig für die einzelnen Opfergruppen sensibilisiert, etwa im Hinblick auf Männer in der Prostitution. Die Mehrzahl der im KOK zusammengeschlossenen Fachberatungsstellen für Opfer des Menschenhandels bietet auch für männliche Betroffene des Menschenhandels Unterstützung und Beratung an. Beispielsweise richtet sich die Berliner Beratungsstelle „Hilfe für Jungs“ explizit an (junge) männliche Betroffene von sexueller Ausbeutung und Gewalt. Hinsichtlich der Betreuung von Kindern als Opfer von Menschenhandel wird auf die Antwort zu Frage 31 verwiesen. In Asylverfahren werden bei Hinweisen, dass es sich bei Antragstellern um Opfer von Menschenhandel handelt, besonders geschulte und sensibilisierte Sonderbeauftragte eingebunden. 16. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass Produkte, die in Deutschland verkauft werden, nicht im Laufe der Produktionskette auch durch Menschenhandel oder die Ausbeutung von Arbeitskraft zustande kommen? Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung bereits jetzt zur Bekämpfung von Zwangsarbeit bei importierten Produkten wie technischen Geräten oder Lebensmitteln? Die Bundesregierung hat im Dezember 2016 den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte 2016 – 2020 (NAP) beschlossen. Dieser zielt zum einen auf die unternehmerische Verantwortung ab, Menschenrechte weltweit zu respektieren. Zum anderen nimmt er die Bundesregierung selbst in die Pflicht, Menschenrechte im Rahmen der staatlichen Schutzpflicht zu schützen. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu, dass die Bundesregierung national gesetzlich tätig wird und sich für eine EU-weite Regelung einsetzt, falls das NAP-Monitoring 2020 zu dem Ergebnis kommt, dass weniger als 50 Prozent der 7 000 mitarbeiterstärksten deutschen Unternehmen ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht in ihren Lieferketten nicht angemessen nachkommen. Die G20 haben sich zuletzt im Dezember 2018 in Argentinien zur kompromisslosen und vollständigen Beseitigung von Kinderarbeit, Zwangsarbeit, Menschenhandel und moderner Sklaverei verpflichtet. Um zu gewährleisten, dass eingegangene Verpflichtungen auch eingehalten werden, setzt sich Deutschland für wirksame Monitoring-Mechanismen, starke und unabhängige interne und externe Überwachungsgremien und regelmäßige externe Evaluierungen ein. Die Bundesregierung fördert das ILO-„International Programme on the Elimination of Child Labour and Forced Labour“ (IPEC+) und beteiligt sich an der IAO- „Allianz 8.7“ zur Abschaffung der Kinder- und Zwangsarbeit. Die Förderung nachhaltiger globaler Lieferketten ist zudem ein wichtiger Bestandteil der deutschen Entwicklungspolitik. Sie fördert aktiv den Dialog zwischen Staat und Unternehmen, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft über Themen wie Berufsbildung, Arbeitsschutz und Mindestlöhne in Partnerländern. Die Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 9 – Drucksache 19/10903 verbesserte Einhaltung von Menschenrechten, Sozial- und Umweltstandards in globalen Lieferketten wird auch mit Multi-Akteurs-Partnerschaften wie mit dem Bündnis für nachhaltige Textilien verfolgt. Seit 2018 müssen bspw. alle Unternehmen im Textilbündnis ein Verfahren zum Umgang mit Fällen von Kinder- und Zwangsarbeit etablieren, einschließlich des Zugangs zu Abhilfe. Darüber hinaus führt die Bundesregierung direkt oder gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Partnern Entwicklungsprojekte zum Thema durch, so zum Beispiel zur Bekämpfung von sexueller Ausbeutung, Missbrauch und Handel mit Kindern und Jugendlichen in 19 Gemeinden der brasilianischen Bundesstaaten Amazonas und Pará. 17. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um sicherzustellen, dass auch Entertainmentprodukte, die in Deutschland verkauft oder angeboten werden, frei von Zwangsarbeit oder Ausbeutung der Arbeitskraft in anderen Staaten sind (beispielsweise Sportgroßveranstaltungen wie die FIFA Fußball -Weltmeisterschaft oder Olympische Spiele)? Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat ist Mitglied des Advisory Council des im Jahre 2018 gegründeten Centre for Sports and Human Rights (CSHR). Hierbei handelt es sich um eine internationale Multi-Stakeholder-Initiative , die sich unter anderem für die stärkere Beachtung der Menschenrechte im Kontext von Sportgroßveranstaltungen engagiert. Mitglieder im Advisory Council des CSHR sind neben weiteren Regierungen auch Nichtregierungsorganisationen sowie Sportorganisationen. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 16 wird verwiesen. 18. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Dunkelziffer bei Straftaten nach Tatbeständen aus Frage 1 im Jahr 2018 ein? Welche Maßnahmen leitet die Bundesregierung ein, um das Dunkelfeld in diesem Bereich zu erfassen und zu verkleinern? Eine seriöse Schätzung zum möglichen Dunkelfeld ist seitens der Bundesregierung nicht möglich. Zur Erhellung des Dunkelfeldes führt die Forschungsstelle im Bundeskriminalamt unter Beteiligung der Frauenberatungsstelle SOLWODI e. V. seit 2017 ein EU gefördertes Forschungsprojekt „Ausbeutung Minderjähriger “ durch. Dieses Projekt behandelt die Phänomenbereiche Zwangsprostitution, Ausbeutung bei der Begehung von Bettelei, Ausbeutung zur Begehung strafbarer Handlungen sowie Organhandel. Ziel des Projektes ist die Darstellung der Kriminalitätssituation , insbesondere auch unter Einbeziehung des Dunkelfeldes. Ergebnisse dieser Studie liegen derzeit noch nicht vor. Generell ist darauf hinzuweisen, dass jegliche Maßnahme, die der Aufdeckung des Dunkelfeldes dient, letztendlich auch eine Verkleinerung des Dunkelfeldes bewirkt. Insofern zielen alle präventiven und repressiven Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels auch auf die Verkleinerung des Dunkelfeldes. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/10903 – 10 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 19. Wie bewertet die Bundesregierung den Widerspruch, dass sie im Zweiten Periodischen Sicherheitsbericht angibt, Straftaten im Bereich Menschenhandel , Zwangsprostitution oder Ausbeutung würden ohne Aktivwerden der Polizei im Regelfall nicht bekannt, da die Opfer Straftaten nicht anzeigten (Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht S. 463 www.bka.de/DE/Aktuelle Informationen/StatistikenLagebilder/PeriodischerSicherheitsbericht/periodi schersicherheitsbericht_node.html Abruf 17. April 2019), sie aber im Bundeslagebild Menschenhandel und Ausbeutung 2017 angibt, 45,9 Prozent der erfassten Fälle im Bereich Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung würden auf Verfahrensinitiierung durch das Opfer zurückgehen (Bundeslagebild Menschenhandel und Ausbeutung 2017 S. 7 www.bka.de/SharedDocs/ Downloads/DE/Publikationen/JahresberichteUndLagebilder/Menschenhandel/ menschenhandelBundeslagebild2017.html?nn=27956, Abruf 17. April 2019)? Der Zweite Periodische Sicherheitsbericht wurde 2006 veröffentlicht und bezieht noch die alten Straftatbestände der §§ 232 ff. StGB a. F. mit ein. Die darin enthaltene Grundaussage, dass Menschenhandelsdelikte zur kriminologischen Kategorie der Kontrolldelikte gehören und dass die Anzeige/-Aussagebereitschaft in diesem Umfeld als gering eingeschätzt wird, hält die Bundesregierung weiterhin für zutreffend. Die im Bundeslagebild 2017 erwähnten 45,9 Prozent anzeigebereiter Opfer stellen auch heute nur einen Teilbereich der im Dunkelfeld vermuteten weiteren und nicht aussagebereiten Opfer dar. Insofern besteht kein Widerspruch zwischen den Aussagen im Zweiten Periodischen Sicherheitsbericht und dem Bundeslagebild 2017. 20. Welche Maßnahmen unternimmt die Bundesregierung, um die Anzeigebereitschaft von Opfern dieser Straftaten zu erhöhen? Verschiedene Akteure (Polizei, Fachberatungsstellen, Gewerkschaften, Kirchen, kommunale Institutionen) wirken darauf hin, über die Gefahren des Menschenhandels aufzuklären und die Anzeige- und Aussagebereitschaft von Opfern des Menschenhandels zu erhöhen. Das Bundeskriminalamt weist im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit über die Sozialen Medien auf die Gefahren der Ausbeutung hin. Im Rahmen von polizeilichen Vernehmungen wird die Selbstidentifikation durch die Hinzuziehung von Dolmetschern und Kulturmittlern sowie Fachberatungsstellen für Menschenhandel gefördert. Die spezialisierten Fachberatungsstellen achten darauf, einen niedrigschwelligen Zugang für die Betroffenen zu gewährleisten um die Möglichkeit der Selbstidentifikation zu schaffen. Mit der Einführung einer verpflichtenden vertraulichen Gesundheitsberatung und eines Informations- und Beratungsgesprächs im Rahmen des Anmeldeverfahrens für Prostituierte durch das Prostituiertenschutzgesetz wurden weitere Rahmenbedingungen geschaffen, in denen Opfer sexueller Ausbeutung Gelegenheit geboten wird, eine bestehende Zwangslage zu offenbaren und Unterstützung zu erlangen. Hinsichtlich weiterer Ausführungen zum Prostituiertenschutzgesetz wird auf die Antwort zu Frage 25 verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 11 – Drucksache 19/10903 An den Standorten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), bei denen Asylverfahren bearbeitet werden, sind besonders geschulte und sensibilisierte Sonderbeauftragte für Opfer von Menschenhandel eingesetzt. Insoweit wird auf die Antwort zu Frage 15 verwiesen. Referentinnen und Referenten des Bundeskriminalamtes, des bayerischen Landeskriminalamtes und einer Fachberatungsstelle für Menschenhandelsbetroffene sowie erfahrene Beschäftigte aus dem BAMF vermitteln in Schulungen das erforderliche Wissen. 21. Welche Maßnahmen werden nach Kenntnis der Bundesregierung unternommen , um das gesellschaftliche Bild von Opfern von Delikten aus Frage 1 zu schützen, wenn diese gleichzeitig Täter von Delikten beispielsweise nach dem Aufenthaltsgesetz sind? Wie kann sichergestellt werden, dass es nicht zu einer unverhältnismäßigen Kriminalisierung von Opfern in diesem Zusammenhang kommt, insbesondere durch Ausländerbehörden oder das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge? Die Opferhilfe in Deutschland umfasst zahlreiche unterschiedliche Maßnahmen, um in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht die Situation der Opfer zu verbessern und ihnen geeignete Hilfe zukommen zu lassen, etwa durch besondere Schulungen für Polizeibeamte und Bestellung von Opferschutzbeauftragten bei den Polizeidienststellen , durch Einrichtung von Zeugenbetreuungsstellen, Unterbringungsmöglichkeiten für misshandelte Frauen und Mädchen, Bereitstellung von Informationsmaterial für Kriminalitätsopfer und finanzielle Unterstützung. Neben den überregionalen Opferhilfeinitiativen engagieren sich zahlreiche Hilfseinrichtungen und Behörden auf regionaler und lokaler Ebene. Ansprechpartner sind neben der Polizei und den Staatsanwaltschaften zum Beispiel die Gewerkschaften , die Gesundheitsämter, das Landesamt für Arbeitsschutz, die zentrale Auslands - und Fachvermittlung, die Arbeitsagenturen und Jobcenter, die Ausländerbehörden . In rechtlicher Hinsicht wirken sowohl die EU als auch der Europarat darauf hin, dass ihre jeweiligen Mitgliedstaaten es – in Übereinstimmung mit den Grundsätzen ihres Rechtssystems – ermöglichen, Opfer für ihre Beteiligung an rechtswidrigen Handlungen insoweit nicht zu bestrafen, als sie zu den Handlungen gezwungen wurden. Diese Voraussetzungen erfüllt das deutsche Recht. Die rechtlichen Möglichkeiten, von einer strafrechtlichen Verfolgung von Opfern des Menschenhandels abzusehen, werden von den Ländern vollumfänglich angewandt. Im Asylverfahren werden durch das BAMF im Einzelfall besonders geschulte und im Umgang mit Opfern von Menschenhandel sensibilisierte Sonderbeauftragte eingebunden. Insoweit wird auf die Antworten zu den Fragen 15 und 20 verwiesen. 22. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Dunkelziffer der im Jahr 2017 neu im Bundeslagebild Menschenhandel und Ausbeutung erfassten Deliktsbereiche Ausbeutung bei der Ausübung der Bettelei, Ausbeutung bei der Begehung von mit Strafe bedrohten Handlungen und Menschenhandel zum Zweck der rechtswidrigen Organentnahme ein? Eine seriöse Schätzung zum möglichen Dunkelfeld ist seitens der Bundesregierung nicht möglich. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/10903 – 12 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 23. Angehörige welcher Nationalitäten oder Volksgruppen sind aus Sicht der Bundesregierung besonders gefährdet, Opfer von Straftaten aus Frage 1 zu werden? Werden besondere Maßnahmen eingeleitet, um Angehörige dieser Bevölkerungsgruppen zu schützen? Die Bundesregierung teilt nicht die Einschätzung, dass die Zugehörigkeit zu einer Nationalität oder Volksgruppe für die Gefährdung bestimmter Personengruppen maßgeblich ist; vielmehr sind hier eher Faktoren wie die sozioökonomische Situation im Herkunftsland, etablierte Migrationswege sowie bestimmte Täterstrategien und Netzwerke von Relevanz. Die Bundeslagebilder Menschenhandel und Ausbeutung weisen seit Jahren als „dominante“ Nationalitäten Opfer und Täter aus Rumänien und Bulgarien, aber auch aus Deutschland, aus. Im Übrigen wird auf die Antworten zu den Fragen 24 und 25 verwiesen. 24. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung konkret, um Angehörige der Roma davor zu schützen, Opfer von Straftaten aus Frage 1 zu werden? Welche Maßnahmen werden ergriffen, um nigerianische Staatsangehörige davor zu schützen, Opfer von Straftaten aus Frage 1 zu werden? Im Bereich der Verhütung von Straftaten an ethnischen Minderheiten spielen Beratung und Unterstützung eine bedeutende Rolle. Die spezialisierten Fachberatungsstellen für Betroffene von Menschenhandel, die im KOK organisiert sind, gestalten ihre Beratungsangebote gezielt so, dass sie leicht für alle Betroffenen, also auch für Angehörige ethnischer Minderheiten, zugänglich sind. Sie orientieren sich an bestimmten Qualitätskriterien, die gemeinsam innerhalb der Vernetzung im KOK entwickelt worden sind. Darunter fallen der niedrigschwellige Zugang und die Erreichbarkeit der Fachberatungsstellen. Dies soll allen Betroffenen und potentiell Betroffenen den Zugang zur Beratungsstelle ermöglichen. Wichtige Maßnahmen der Beratungsstellen sind hier Sprachmittler/-innen und kulturelle Mediator/-innen, die in den Fachberatungsstellen arbeiten bzw. von ihnen zu Fällen hinzugezogen werden. Die im KOK organisierten Fachberatungsstellen haben sich auf vier verschiedene Leitmotive verständigt, die Bestandteil ihres Selbstverständnisses sind und damit auch Richtschnur für ihr professionelles Arbeiten. Dazu gehört der antidiskriminierende , antirassistische und antisexistische Ansatz. Die Beratung und Unterstützung von Roma-Angehörigen fällt sehr häufig in die Beratungsarbeit der Fachberatungsstellen . Vor diesem Hintergrund hat der KOK z. B. auch einen Vertreter vom Verband deutscher Sinti und Roma im Sommer 2016 zu seiner Jahresklausur eingeladen, um über das Thema Antiziganismus, v. a. im Zusammenhang mit erzwungenen Betteltätigkeiten zu diskutieren. Die Fachberatungsstellen betreiben je nach Möglichkeit außerdem „aufsuchende Arbeit“, in dem sie durch Streetwork auf potentielle Opfer von Menschenhandel zugehen. Nigerianische Menschenhandelshandelsopfer werden meist bereits in ihrem Heimatland angeworben, z. B. mit vorgetäuschten Arbeitsangeboten. Die Täterstrukturen im Heimatland, auf den Schleusungsrouten und in den Zielländern sind untereinander vernetzt. Präventionsmaßnahmen in Nigeria werden nach Erkenntnissen der Bundesregierung durch Behörden wie die NAPTIP (National Agency for the Prohibition of Trafficking in Persons) sowie Fachberatungsstellen durchge- Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 13 – Drucksache 19/10903 führt. In Deutschland greifen Opferschutzmaßnahmen der Polizei nach Identifizierung von Opfern in Zusammenarbeit mit verschiedenen in dem Bereich spezialisierten Fachberatungsstellen. Das Bundeskriminalamt leitet in diesem Zusammenhang im Rahmen des europäischen Politikzyklus zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität seit Jahren ein Projekt zur Bekämpfung des „nigerianischen Menschenhandels“. Ziel dieses Projektes ist es, kriminelle Organisationsstrukturen in den europäischen Mitgliedstaaten zu verhindern und zu bekämpfen. 25. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung Informationsmaterialien oder Beratungsstellen in den Landessprachen der großen Opfergruppen in diesem Bereich (beispielsweise Bulgarisch, Rumänisch, Englisch, verschiedene nigerianische Sprachen)? Wie wird sichergestellt, dass die Opfer Zugriff auf diese Beratung haben? Die unter dem Dachverband des KOK organisierten Fachberatungsstellen gestalten ihre Beratungsangebote zielgerichtet so, dass sie niedrigschwellig für alle Betroffenen , also auch für Angehörige ethnischer Minderheiten und für fremdsprachige Betroffene zugänglich sind. Wichtige Maßnahmen der Beratungsstellen sind hier Sprachmittler/-innen und kulturelle Mediator/-innen, die in den Fachberatungsstellen arbeiten bzw. von ihnen zu Fällen hinzugezogen werden. Auch Flyer und Informationsmaterial in verschiedenen Sprachen und/oder auf Analphabet /-innen zugeschnittenes Material, das mit Piktogrammen und Bildern arbeitet , werden verwendet und z. B. bei der aufsuchenden Arbeit verteilt. Am 1. Juli 2017 ist das Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen in Kraft getreten. Das Prostituiertenschutzgesetz schafft klare Regeln für die Verbesserung der Situation von Menschen, die in der Prostitution tätig sind, und zielt zugleich darauf ab, deren Selbstbestimmungsrecht zu stärken. Nicht zuletzt geht es um den besseren Schutz von Prostituierten vor Ausbeutung, Zuhälterei, Gewalt und Menschenhandel. Um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Anmeldestellen und auch der Gesundheitsämter bei der sachgerechten Durchführung von Beratungsgesprächen zu unterstützen und diese in die Lage zu versetzten, mögliche Anhaltspunkte für Zwang und Ausbeutung zu erkennen, hat das Bundesministerium für Familie, Senioren , Frauen und Jugend ein Webinar zum Thema Menschenhandel des Bundesweiten Koordinierungskreises gegen Menschenhandel e. V. gefördert. Das Webinar „Einführung in das Phänomen Menschenhandel – Hintergründe, Erkennen und Schutz der Betroffenen“ fand bereits zwei Mal im Jahr 2019 statt und konnte über 500 Behördenmitarbeiterinnen und Mitarbeiter erreichen. Durch das Prostituiertenschutzgesetz besteht für Prostituierte eine Anmeldepflicht , welche mit einem Informations-und Beratungsgespräch und einer verbindlichen gesundheitlichen Beratung gekoppelt ist. Zur Unterstützung der zuständigen Anmeldebehörden vor Ort hat das BMFSFJ bundesweit verwendbare zielgruppengerechte Informationsmaterialien in zwölf Sprachen bereitgestellt, die vor allem im Rahmen des Informations- und Beratungsgesprächs im Sinne des § 7 des Prostituiertenschutzgesetzes von den zuständigen Anmeldebehörden eingesetzt werden können (www.bmfsfj.de/prostschg). Außerdem stehen Textbausteine mit bundesweit gültigen Informationen in folgenden Sprachen zur Verfügung: Deutsch, Französisch, Bulgarisch, Russisch, Rumänisch, Spanisch, Englisch, Ukrainisch, Ungarisch, Portugiesisch, Polnisch und Thai. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/10903 – 14 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 26. Welche Schnittmenge liegt nach Kenntnis der Bundesregierung zwischen Tätern von Delikten aus Frage 1 und Personen vor, die der organisierten Kriminalität zugerechnet werden? Welche Rolle spielen Strukturen der organisierten Kriminalität aus Sicht der Bundesregierung für Straftaten nach Frage 1? Im Jahr 2017 wurden 24 Verfahren der Organisierten Kriminalität (OK) geführt, bei denen die Hauptaktivität der jeweiligen Tätergruppierung im Bereich des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung, der Ausbeutung von Prostituierten bzw. der Zuhälterei lag (2016: 18 Verfahren). Weitere zwei OK-Verfahren hatten den Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung zum Gegenstand (2016: zwei Verfahren). In acht Verfahren im Bereich der sexuellen Ausbeutung agierten bulgarische OK-Gruppierungen, in vier Verfahren nigerianische und in jeweils drei Verfahren deutsche, rumänische und ungarische OK-Gruppierungen. Für das Jahr 2018 kann die Bundesregierung noch keine Daten mitteilen, da das Bundeslagebild Menschenhandel für diesen Zeitraum noch nicht vorliegt. Eine Auswertung der Schnittmenge von „Tätern von Delikten aus Frage 1“ und Personen, die der OK zugerechnet werden, ist nicht möglich, da für das Bundeslagebild OK keine täterbezogenen Daten erhoben werden. Grundsätzlich ist aber davon auszugehen, dass Menschenhandel und Ausbeutung für Gruppierungen der Organisierten Kriminalität ein lukratives illegales Geschäftsfeld darstellen. Auch vor diesem Hintergrund wurde der Kriminalitätsbereich von den europäischen Staaten als einer der Schwerpunkte für eine gemeinsame Bekämpfung der Schweren und Organisierten Kriminalität identifiziert. 27. Welche Maßnahmen unternimmt die Bundesregierung, um die organisierte Kriminalität im Bereich Menschenhandel zu bekämpfen? Welche internationalen Strukturen werden in diesem Zusammenhang von Bundesbehörden gestützt? Durch den Schwerpunktsetzungsprozess der Kommission Organisierte Kriminalität werden fortlaufend im Rahmen einer strukturierten Informationserhebung bei den Polizeien des Bundes, der Länder und des Zolls aktuelle Brennpunkte/ Schwerpunkte – auch im Bereich Menschenhandel – identifiziert. Sofern erforderlich , wird dann gezielt eine länderübergreifende projektierte Zusammenarbeit vereinbart. Auf EU-Ebene beteiligt sich das Bundeskriminalamt an verschiedenen Projekten im sog. EMPACT-Kooperationsrahmen (European Multidisciplinary Platform Against Criminal Threats). Im Rahmen des EMPACT-Projektes THB (Trafficking in Human Beings) werden jährlich (zuletzt im April 2019) durch das BKA auf nationaler Ebene koordinierte, europaweite Kontrolltage gegen Menschenhandel und die verschiedenen Ausbeutungsphänomene durchgeführt. Ferner findet über Europol und Interpol ein enger internationaler Austausch zu einzelnen Ermittlungskomplexen statt. Das Bundeskriminalamt ist ferner in der von Interpol 2016 gegründeten „Human Trafficking Expert Group“ vertreten. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 15 – Drucksache 19/10903 28. Wie bewertet die Bundesregierung die Notwendigkeit einer engeren Zusammenarbeit von europäischen Ermittlungsbehörden bei der Bekämpfung von Menschenhandel? Die Bundesregierung misst der engen europäischen Zusammenarbeit eine große Bedeutung zu. Im Rahmen des EU-Policy-Cycle wurde u. a. auch ein gemeinsames Projekt „Trafficking in Human Beings“ gegründet, das die intensive Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten im Bereich „Menschenhandel und Ausbeutung “ beinhaltet. 29. Welche Maßnahmen unternimmt die Bundesregierung, um der Ausbeutung von Arbeitskraft insbesondere in der Bauindustrie zu begegnen? Wie wird sichergestellt, dass beim Bau von Gebäuden oder Infrastruktur im Bundesauftrag keine Arbeitskräfte eingesetzt werden, die im Rahmen von Delikten nach Frage 1 zur Arbeit gezwungen werden? Das Baugewerbe ist eine ausgewiesene Schwerpunktbranche nach dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwarzArbG) und steht im besonderen Fokus der Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Zollverwaltung (FKS). Die FKS arbeitet bei ihrer Prüfungs- und Ermittlungstätigkeit intensiv mit Behörden des Bundes, der Länder, der Kommunen und sonstigen Stellen zusammen, die in die Bekämpfung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung eingebunden sind. Durch besondere, für das Baugewerbe geltende Regelungen, wie der Ausweismitführungspflicht nach § 2a SchwarzArbG und den nach dem Arbeitnehmer- Entsendegesetz (AEntG) vorgesehenen Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten sowie der Meldepflicht in Entsendefällen, sollen die Rechte und Ansprüche von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sichergestellt werden. Durch diese Verpflichtungen können effektive Kontrollen im Baugewerbe durchgeführt werden. Eine Auskunftserteilung durch die FKS an öffentliche Auftraggeber nach § 99 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und solche Stellen, die von öffentlichen Auftraggebern zugelassene Präqualifikationsverzeichnisse oder Unternehmer - und Lieferantenverzeichnisse führen, ist entsprechend der Regelungen der § 21 Absatz 1 SchwarzArbG und § 21 Absatz 2 AEntG möglich. Mit dem Entwurf des Gesetzes gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch beabsichtigt die Bundesregierung die FKS mit zusätzlichen Prüfungsund Ermittlungskompetenzen und deutlich mehr Personal auszustatten. Unter anderem sollen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch geeignete Maßnahmen verstärkt gegen Ausbeutung und menschenunwürdige Unterbringung geschützt werden. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass die FKS zukünftig auch ausbeuterische Beschäftigungsbedingungen prüfen kann und bei Verdacht von Zwangsarbeit, Ausbeutung der Arbeitskraft und damit verbundenen Menschenhandel eigenständige Ermittlungen durchführt. Für die effektive Bekämpfung dieser Delikte wird die FKS die Zusammenarbeit mit den Polizeivollzugsbehörden , mit den in diesem Bereich tätigen Fachberatungen und Stellen sowie mit den Austauschgremien zu Arbeitsausbeutung, Zwangsarbeit und Menschenhandel intensivieren. Die FKS soll außerdem eine Prüfungs- und Ahndungsbefugnis bei der Anbahnung von illegaler Beschäftigung erhalten. Die sog. Tagelöhner-Börsen sollen damit im öffentlichen Raum wirksam bekämpft werden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/10903 – 16 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Mit dem Gesetzentwurf ist geplant, tariflich vereinbarte Unterkunftsbedingungen für Arbeitnehmer, die von ausländischen Arbeitgebern nach Deutschland entsandt werden, zukünftig zu den Mindestarbeitsbedingungen nach dem Arbeitnehmer -Entsendegesetz zu zählen. Sie können somit von der FKS überprüft werden. Öffentliche Aufträge werden nur an fachkundige und leistungsfähige (geeignete) Unternehmen vergeben, die nicht ausgeschlossen worden sind. Gemäß § 123 Absatz Nummer 10 GWB schließen öffentliche Auftraggeber Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme aus, wenn sie Kenntnis davon haben, dass eine Person, deren Verhalten dem Unternehmen zuzurechnen ist, rechtskräftig verurteilt wurde wegen einer Straftat des in Frage 1 aufgeführten Katalogs (mit Ausnahme der Zwangsheirat). Dies gilt sowohl für Liefer- und Dienstleistungsaufträge als auch für die hier nachgefragten öffentlichen Bauaufträge . 30. Welcher Zusammenhang besteht aus Sicht der Bundesregierung zwischen Opfern von Delikten nach Frage 1 und Tätern von Delikten wie Spendenbetrug und Taschendiebstahl? Zu dieser Frage liegen der Bundesregierung keine statistischen Informationen vor. 31. Wie bewertet die Bundesregierung das Bundeskooperationskonzept „Schutz und Hilfen bei Handel mit und Ausbeutung von Kindern“? Welche Maßnahmen werden in diesem Zusammenhang konkret unternommen , um Kinder, die Opfer geworden sind, zu schützen und zu therapieren? Welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung angesichts der jüngsten Fälle von Ausbeutung von Kindern in diesem Zusammenhang noch vorzunehmen ? Die Bundesregierung hat im Oktober letzten Jahres das Bundeskooperationskonzept „Schutz und Hilfen bei Handel mit und Ausbeutung von Kindern“ veröffentlicht . Ziel ist es, Kindern und Heranwachsenden adäquaten Schutz vor Handel und Ausbeutung zu bieten, Betroffene zu unterstützen und eine effektive Strafverfolgung zu gewährleisten und dabei eine mögliche Retraumatisierung oder erneute Viktimisierung zu vermeiden. Hierfür sollen organisatorische und kommunikative Strukturen in Deutschland aufgebaut bzw. erweitert werden, die eine dauerhafte und personenunabhängige Kooperation und Zusammenarbeit der Fachakteurinnen und -akteure vor Ort ermöglichen . Ein abgestimmter Kooperationsmechanismus soll dazu beitragen, Betroffene besser zu identifizieren und zügiger adäquate Schutzmaßnahmen einzuleiten . Im März 2019 wurde hierauf aufbauend die Praxishilfe „Handel mit und Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen erkennen und reagieren“ veröffentlicht, die der Praxisebene helfen soll, Handlungssicherheit im Umgang mit (potentiell) betroffenen Minderjährigen zu erlangen und ein Gefühl dafür zu bekommen, in welchen Formen diese Gewalttaten in Deutschland auftreten. Die Bundesregierung begleitet die Umsetzung in den Ländern und Kommunen; sie hat ECPAT e. V. (wird finanziell gefördert) als Experten für Menschenhandel beauftragt, die Länder bei der Durchführung von Regionalkonferenzen und Sensibilisierungsmaßnahmen (Workshops, Webinare, Informationsmaterial) für Fachkräfte zu unterstützen. Minderjährige Opfer von Menschenhandel müssen Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 17 – Drucksache 19/10903 als solche identifiziert werden, damit für sie Schutzrechte geltend gemacht werden können und sie strafrechtlich nicht als Täterinnen oder Täter behandelt werden . Ein Schwerpunkt der Unterstützungsmaßnahmen, die die Bundesregierung den Bundesländern zur Implementierung des Bundeskooperationskonzeptes anbietet , liegt daher auf Schulung und Sensibilisierung von Fachkräften, die mit (potenziell) betroffenen Kindern und jungen Volljährigen bis 21 Jahren zu tun haben. Diese Ausweitung entspricht zum einen dem Regelungsgehalt des § 41 SGB VIII, der die Hilfe und Nachbetreuung für junge Volljährige regelt. Zum anderen trägt es dem Strafgesetzbuch Rechnung, wonach bei Handel mit Minderjährigen oder Opfern unter 21 Jahren spezifische Tatbestandsmerkmale greifen. In Regionalkonferenzen wird das Bundeskooperationskonzept in Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure an die regionalen Gegebenheiten angepasst. Es soll also als Gerüst verwendet werden, um organisatorische und kommunikative Strukturen entweder zu etablieren oder auszubauen. Ziel ist es, die bestehenden Mechanismen der Kinderschutzsysteme in den Bundesländern um die Themen Handel und Ausbeutung zu erweitern statt ein paralleles System zu etablieren. Im Rahmen der Umsetzung des Bundeskooperationskonzepts haben bereits verschiedene Schwerpunktworkshops sowie eine Regionalkonferenz in Bremen (28. März 2019) stattgefunden. Bei der Konferenz der Bundesländer Bremen (inkl. Bremerhaven) und Hamburg konnten bereits konkrete Absprachen für weiterführende Schritte in allen drei Regionen auf der Basis des Kooperationskonzepts getroffen werden. Weitere Workshops, Schulungen und Webinare sind geplant und finden in Absprache mit den Ländern statt. 32. Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass spätere Opfer von Delikten nach Frage 1 häufig aufgrund falscher Angaben ein Visum zur Einreise in den Schengen-Raum vorweisen können (vgl. www.bpb.de/apuz/ 155367/menschenhandel-zur-sexuellen-ausbeutung-in-deutschland?p=all; www.deutschlandfunk.de/nigeria-menschenhandel-in-gottes-namen.886.de. html?dram:article_id=428032; www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/Statistiken Lagebilder/PeriodischerSicherheitsbericht/periodischersicherheitsbericht_ node.html)? Wie ist sichergestellt, dass nicht deutsche Botschaften Visa ausstellen, die anschließend Personen berechtigen, in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen , wo sie Opfer von Delikten nach Frage 1 werden? Jeder Visumantrag wird durch die Visastellen auf Basis der gesetzlichen Grundlagen des Visakodex sorgfältig geprüft. Zum Prüfumfang zählen dabei insbesondere der Nachweis der Plausibilität des Reisezwecks und des Besitzes ausreichender finanzieller Mittel zur Bestreitung der Reise- und Aufenthaltskosten sowie adäquater Krankenversicherungsschutz und eine glaubwürdige Rückkehrperspektive . Im Visumverfahren werden zudem automatisierte Abfragen in verschiedenen Registern durchgeführt und Sicherheitsfragen geprüft. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/10903 – 18 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Darüber hinaus hat die Bundesregierung im Jahr 2013 eine Visa-Warndatei eingerichtet , welche der Unterstützung der Visumbehörden im Visumverfahren dient. In der Datei gespeichert werden Visumantragsteller, Einlader und Verpflichtungsgeber , die im Verfahren falsche Angaben gemacht oder ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen sind. Ebenso erfasst werden sonstige im Visumverfahren beteiligte Personen, sofern sie in der Vergangenheit bereits mit Verurteilungen wegen bestimmter Straftaten mit Bezug zum Visumverfahren oder sonstigem Auslandsbezug oder mit speziellen sonstigen rechtswidrigen Verhaltensweisen aufgefallen sind. Dazu gehören insbesondere auch Verurteilungen im Zusammenhang mit Schleusung, Menschen- und Kinderhandel oder schwersten Betäubungsmitteldelikten. 33. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Anzahl der Personen, die in den letzten fünf Jahren mittels eines deutschen Visums nach Deutschland eingereist sind, wo sie Opfer von Delikten nach Frage 1 wurden? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. 34. Warum sind die §§ 232 bis 233a StGB nicht einzeln in der Polizeilichen Kriminalstatistik aufgeschlüsselt? Die §§ 232 bis 233a StGB sind einzeln in der Polizeilichen Kriminalstatistik aufgelistet . Zu den genauen Schlüsselnummern wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen . 35. Aus welchem Grund werden die Daten aus den Bundeslagebildern zum Menschenhandel nicht in der Polizeilichen Kriminalstatistik abgebildet? Die Daten der Bundeslagebilder beinhalten Zulieferungen der Polizeien des Bundes , der Länder und des Zolls zu in dem Berichtsjahr abgeschlossenen Ermittlungsverfahren . In der Polizeilichen Kriminalstatistik werden in Monatszeiträumen die von der (Kriminal-)Polizei bearbeiteten Verbrechen und Vergehen einschließlich der mit Strafe bedrohten Versuche gemäß Straftatenkatalog und die von der Polizei ermittelten Tatverdächtigen erfasst. Insofern sind die in den Bundeslagebildern enthalten Daten durchaus auch in der PKS abgebildet, aufgrund der Unterscheidung „abgeschlossen“ und „bearbeitet“ können sich hier aber quantitative Differenzen ergeben. 36. Wie bewertet die Bundesregierung in Ansehung der nach Ansicht der Fragesteller geringen Aussagekraft der Daten der Bundeslagebilder die Notwendigkeit eines regelmäßigen Periodischen Sicherheitsberichts? Die Bundesregierung teilt nicht die Einschätzung der Fragesteller, dass die Daten der Bundeslagebilder eine geringe Aussagekraft haben. Unabhängig hiervon ist der Periodische Sicherheitsbericht (PSB) ein geeignetes Instrument, um einen Überblick über die aktuelle Kriminalitätslage und Kriminalitätsentwicklung in Deutschland zu gewinnen. Dabei geht es nicht nur um die Darstellung der Ergebnisse der Kriminalstatistik und der Strafverfolgungsstatistiken, sondern um eine systematische, breit gefächerte Aufarbeitung und Analyse des vorhandenen Datenmaterials unter kriminologischen, soziologischen, rechtswissenschaftlichen und statistischen Aspekten. Der PSB geht damit inhaltlich über die bestehenden Bundeslagebilder hinaus. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 19 – Drucksache 19/10903 Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD ist vereinbart, dass eine zügige Aktualisierung des PSB angestrebt wird. Die zuständigen Ressorts, das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat und das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, haben sich des Themas angenommen und stimmen derzeit ab, wie dieses Vorhaben am besten umgesetzt werden kann. In diesem Zusammenhang soll auch die Frage geklärt werden, ob und ggf. in welcher Form eine Verstetigung des PSB erreicht werden kann. Ziel ist es, in dieser Legislaturperiode einen neuen PSB vorlegen zu können. 37. Wie ist die Zusammenarbeit zwischen Bundesbehörden wie der Bundespolizei und dem Bundeskriminalamt und Landesbehörden bei Razzien gegen Personen und Gruppen wegen des Verdachts des Menschenhandels organisiert ? 38. Welchen Verbesserungsbedarf sieht die Bundesregierung bei der Zusammenarbeit zwischen Bundesbehörden wie der Bundespolizei und dem Bundeskriminalamt und Landesbehörden bei Razzien gegen Personen und Gruppen wegen des Verdachts des Menschenhandels? Die Fragen 37 und 38 werden im Zusammenhang beantwortet. Die Bekämpfung des Menschenhandels obliegt originär den Bundesländern. Inwieweit im Rahmen von polizeilichen Maßnahmen gegenseitige Amtshilfe geleistet wird, ist abhängig vom Einzelsachverhalt und unterliegt den jeweiligen Abstimmungsprozessen. Die Bundespolizei hat keine originäre Strafverfolgungskompetenz für die Tatbestände des Menschenhandels gemäß §§ 232 ff. StGB. Liegen Erkenntnisse zum Menschenhandel vor, erfolgt eine Übergabe an die zuständigen Polizeien der Länder . Auf Anforderung der Länder kann bei Einsatzmaßnahmen eine Unterstützung durch Einsatzkräfte der Bundespolizei für die jeweilige Landespolizei erfolgen. Nur in Einzelfällen werden bundespolizeiliche Ermittlungen im Kontext von Verfahren der organisierten Schleusungskriminalität geführt. Die fachliche Einbindung der zuständigen Landespolizeidienststellen für Menschenhandel wird dabei gewährleistet. Die Zusammenarbeit der genannten Bundesbehörden mit den Landesbehörden läuft aus Sicht der Bundesregierung reibungslos. Einen Verbesserungsbedarf sieht die Bundesregierung diesbezüglich nicht. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333