Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 19. Juni 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/11031 19. Wahlperiode 21.06.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Benjamin Strasser, Stephan Thomae, Manuel Höferlin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/10726 – Nutzen von Antiterrordatei und Rechtsextremismus-Datei für die Innere Sicherheit V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die Antiterrordatei (ATD) wurde im Jahr 2006 mit den Stimmen der damaligen Koalition aus CDU, CSU und SPD beschlossen. Zielsetzung des zugrundeliegenden Gesetzentwurfs war es, „angesichts der Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus den Informationsaustausch zwischen Polizeien und Nachrichtendiensten weiter zu verbessern“ (s. Bundestagdrucksache 16/2950). Beteiligt an der ATD sind das Bundeskriminalamt, die Bundespolizeidirektion, die Landeskriminalämter, die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, der Militärische Abschirmdienst, der Bundesnachrichtendienst sowie das Zollkriminalamt. Gespeichert werden Personen, zu denen Erkenntnisse bzw. Anhaltspunkte vorliegen, dass sie einer terroristischen Vereinigung angehören bzw. diese unterstützen und/oder die rechtswidrige Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange anwenden oder eine solche Gewaltanwendung unterstützen (vgl. § 2 des Antiterrordateigesetzes – ATDG). Im Jahr 2012 wurde als Reaktion auf die Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) die gleich konzipierte Rechtsextremismus -Datei (RED) eingeführt, in deren Bestand Personen gespeichert werden, bei denen sich Bezüge zu gewaltbezogenen Rechtsextremismus ergeben (vgl. § 2 des Rechtsextremismus-Datei-Gesetzes – RED-G). Im April 2013 urteilte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), dass die ATD in der ursprünglichen Form nicht mit dem informellen Trennungsgebot zwischen offen arbeitenden Polizeibehörden und den verdeckt arbeitenden Nachrichtendiensten vereinbar sei (vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 24. April 2013 – 1 BvR 1215/07, Rn. 1-233). Daraufhin wurde die ATD im Jahr 2014 dahingehend geändert, dass Angaben zu Kontaktpersonen nicht mehr unbegrenzt gespeichert werden können. Des Weiteren wurde die öffentliche Kontrolle durch Berichtspflichten des Bundeskriminalamts und Kontrollen des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit verbessert. Auch die Rechtsgrundlage der RED wurde in dieser Form geändert. Im Frühjahr 2019 berichtete das Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL“ unter dem Titel „Einfach abschalten“, dass die Datei aus Sicht des Bundeskriminalamts keinen gewinnbringenden Nutzen entfalte (vgl. DER SPIEGEL, 5. Januar Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/11031 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 2019: 39). Auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit stellt in seinem 27. Tätigkeitsbericht fest: „Allerdings habe ich bei all diesen Kontrollen festgestellt, dass der Nutzwert beider Dateien zur Terrorabwehr und Extremismusbekämpfung in den geprüften Behörden als eher gering eingeschätzt wird. Insgesamt habe ich außerdem den Eindruck gewonnen, dass auch der Zweck der Dateien, ein Kontaktanbahnungsinstrument für die beteiligten Behörden zu schaffen, nicht erreicht wird“ (Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Tätigkeitsbericht 2017 und 2018 zum Datenschutz: 78). Für den polizeilichen Alltag sei die Konzeption beider Dateien nicht ausreichend flexibel und die wesentlichen Informationen werden in der Praxis in den gemeinsamen Zentren der Behörden – Gemeinsames Extremismus - und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) und Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) – ausgetauscht (vgl. ebd.). So war beispielsweise auch der Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz Anis Amri schon vor der Tat in der ATD erfasst, ohne dass dies eine praktische Konsequenz für den Umgang der Sicherheitsbehörden mit dem als islamistischer Gefährder registrierten Amri gezeigt hätte. Aus Sicht der Fragesteller ist der tiefe Eingriff der Verbunddatei in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung jedoch in keiner Weise legitimierbar , wenn die Verbunddatei ATD keine nachvollziehbaren Effektivitätsgewinne für die Arbeit der Sicherheitsbehörden mit sich bringt. Das vom Gesetzgeber bei Einführung der Antiterrordatei verfolgte Ziel, den Informationsaustausch zwischen Polizeien und Nachrichtendiensten zu verbessern, hat sich durch die Einführung von GTAZ und GETZ überlebt, denen es jedoch weiterhin an verbindlichen rechtlichen Grundlagen mangelt. 1. Wie viele Personen wurden seit 2017 in der Antiterrordatei (ATD) durch Nachrichtendienste von Bund und Ländern und Polizeibehörden von Bund und Ländern erfasst (bitte nach Jahren und Behörden aufschlüsseln)? Für die Nachrichtendienste und Polizeibehörden von Bund und Ländern wurden für die Jahre 2017 bis 2019 (Stichtag 12. Juni 2019) folgende Anzahl von Personen in der ATD neu aufgenommen: Jahr 2017 Jahr 2018 Jahr 2019 (bis 12.06.2019) Polizeien Bund 4.508 2.849 169 Polizeien Land 753 597 172 Dienste Bund 836 1.807 40 Dienste Land 673 762 4 Gesamt 6.770 6.015 385 Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/11031 2. Wie viele Personen wurden seit 2017 in der Rechtsextremismus-Datei (RED) durch Nachrichtendienste von Bund und Ländern und Polizeibehörden von Bund und Ländern erfasst (bitte nach Jahren und Behörden aufschlüsseln )? Für die Nachrichtendienste und Polizeibehörden von Bund und Ländern wurden für die Jahre 2017 bis 2019 (Stichtag 12. Juni 2019) folgende Personen in der RED neu aufgenommen: Jahr 2017 Jahr 2018 Jahr 2019 (bis 12.06.2019) Polizei Bund 69 48 20 Polizei Land 395 270 182 Dienste Bund 26 52 0 Dienste Land 1.210 3.280 127 Gesamt 1.700 3.650 329 3. Wie oft erfolgten zwischen 2006 und 2012 sowie zwischen 2015 und 2019 durch welche Behörden Informationsabrufe zu in der ATD erfassten Personen (bitte nach Jahren und Behörden aufschlüsseln)? Für die Informationsabrufe gelten die Protokollierungsvorschriften aus § 9 Absatz 1 des Antiterrordateigesetzes (ATDG) und die Nachweispflichten für Verschlusssachen nach § 21 Absatz 7 der Verschlusssachenanweisung (VSA) des Bundes. Daher kann keine Auskunft zu den in der ATD gestellten Suchanfragen zu in der ATD erfassten Personen für den Zeitraum 2006 bis einschließlich 2012 erfolgen. Auf den Bericht der Bundesregierung zur gesetzlichen Evaluierung der ATD nach Artikel 5 Absatz 2 des Gemeinsame-Dateien-Gesetzes aus dem Jahr 2013, der auf Bundestagsdrucksache 17/12665 veröffentlicht ist, wird ergänzend verwiesen. Für die Jahre 2015 bis 2019 (Stichtag 12. Juni 2019) ergibt sich für Informationsabrufe zu in der ATD erfassten Personen folgende Verteilung: Jahr 2015 Jahr 2016 Jahr 2017 Jahr 2018 Jahr 2019 (bis 12.06.2019) Polizeien Bund 16.780 30.633 41.401 28.189 4.628 Polizeien Land 29.129 33.395 33.215 25.249 4.180 Dienste Bund 905 1.476 2.930 993 310 Dienste Land 874 1.663 1.516 494 103 Gesamt 47.688 67.167 79.062 54.925 9.221 Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/11031 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 4. Wie oft erfolgten zwischen 2015 und 2019 durch welche Behörden Informationsabrufe zu in der RED erfassten Personen (bitte nach Jahren und Behörden aufschlüsseln)? Für die Jahre 2015 bis 2019 (Stichtag 12. Juni 2019) ergibt sich für Informationsabrufe zu in der RED erfassten Personen folgende Verteilung: Jahr 2015 Jahr 2016 Jahr 2017 Jahr 2018 Jahr 2019 (bis 12.06.2019) Polizeien Bund 3.397 3.573 4.639 2.408 1.114 Polizeien Land 3.123 3.124 1.920 1.192 654 Dienste Bund 682 488 4.207 2.243 213 Dienste Land 1.293 783 938 529 244 Gesamt 8.495 7.968 11.704 6.372 2.225 5. In wie vielen Fällen wurden nach Anfragen in der ATD verdeckt gespeicherte Informationen durch Bundesbehörden an andere an die Dateien angeschlossenen Behörden übermittelt (bitte nach Jahren und Behörden aufschlüsseln )? 6. In wie vielen Fällen wurden nach Anfragen in der RED verdeckt gespeicherte Informationen durch Bundesbehörden an andere an die Dateien angeschlossenen Behörden übermittelt (bitte nach Jahren und Behörden aufschlüsseln )? Die Fragen 5 und 6 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Möglicher Folgeschriftverkehr nach verdeckten Treffern findet außerhalb von ATD und RED statt. Eine Aufschlüsselung, aus der ersichtlich ist, in welchen Fällen aufgrund eines verdeckten Treffers im Anschluss Auskünfte erteilt wurden , wird daher für ATD und RED nicht vorgehalten. 7. In wie vielen Fällen waren zwischen 2006 und 2019 bei welchen Behörden Erkenntnisse aus der ATD bzw. RED Grundlage für die Einleitung von Gefahrenabwehrvorgängen und/oder Ermittlungsverfahren (bitte aufschlüsseln )? Erkenntnisse aus der ATD oder RED dienen dem Zweck der Kontaktanbahnung zwischen den teilnehmenden Behörden. Allein aufgrund der Speicherung in den Dateien werden keine Gefahrenabwehrvorgänge oder Ermittlungsverfahren eingeleitet . Informationen im Sinne der Fragestellung sind in den Anwendungen nicht erfasst und werden statistisch nicht nachgehalten. 8. Wie sind der Informationsaustausch durch ATD bzw. RED und der Informationsaustausch im GTAZ und GETZ aufeinander abgestimmt bzw. miteinander verzahnt? a) In wie vielen Fällen seit 2015 waren Erkenntnisse aus der ATD Anlass für personen- und fallbezogene Besprechungen in GTAZ und GETZ? b) In wie vielen Fällen seit 2015 waren Erkenntnisse aus der RED Anlass für personen- und fallbezogene Besprechungen in GTAZ und GETZ? Die Fragen 8 bis 8b werden im Zusammenhang beantwortet. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/11031 Die Datenspeicherungen in der ATD und in der RED sowie der Informationsaustausch in den gemeinsamen Zentren GTAZ und GETZ erfolgen durch die verantwortlichen Behörden im Rahmen der jeweils geltenden gesetzlichen Vorschriften . Beim fall- und personenbezogenen Informationsaustausch im GTAZ und GETZ sind grundsätzlich alle polizeilichen Dateien Erkenntnisquellen, hierzu zählen auch die ATD und die RED. Statistische Daten hierzu werden nicht nachgehalten und sind auch nicht retrograd recherchierbar. 9. Wie beurteilt die Bundesregierung die in der Vorbemerkung der Fragesteller zitierten Feststellungen des 27. Tätigkeitsberichts des Bundesauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, wonach ATD und RED keine praktische Relevanz für die Arbeit der beteiligten Behörden und sich die Dateien durch die Einführung von GTAZ und GETZ überlebt hätten? Es trifft zu, dass das Nutzungsverhalten der Behörden in Bezug auf den gemeinsamen Datenbestand seit einigen Jahren rückläufig ist. Unter anderem ist die Zusammenarbeit von Polizeien und Nachrichtendiensten in gefestigten direkten Zusammenarbeitslinien mittlerweile deutlich intensiver etabliert. Die Bundesregierung hat vor diesem Hintergrund Überlegungen zur Weiterentwicklung von ATD und RED aufgenommen. Dieser Prozess dauert weiterhin an. 10. Wie rechtfertigt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Feststellungen des 27. Tätigkeitsberichts des Bundesauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit die Eingriffe in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der in den Dateien gespeicherten Personen? Die Bedrohungslage im Bereich des internationalen Terrorismus bzw. des gewaltbezogenen Rechtsextremismus ist nach Einschätzung der Bundesregierung weiterhin unverändert hoch. Die Errichtung der ATD und RED werden durch die bestehenden Gesetze Antiterrordateigesetz (ATD) und Rechtsextremismusdatei- Gesetz (RED-G) legitimiert. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 9 verwiesen . 11. Hat die Bundesregierung mittlerweile einen Meinungsbildungsprozess zur Zukunft von ATD und RED begonnen oder abgeschlossen, und was ist dessen konkretes Ergebnis (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Schriftliche Frage 43 des Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Bundestagdrucksache 19/7797, S. 30)? Auf die Antwort zu Frage 9 wird verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333