Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vom 25. Juni 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/11285 19. Wahlperiode 27.06.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Marc Jongen, Dr. Götz Frömming, Nicole Höchst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD – Drucksache 19/10799 – Psychische Gefährdungen der Studenten durch erhöhte Studienbelastungen V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Psychotherapeuten berichten seit Jahren, dass die Zahl der Studenten, die bei ihnen Hilfe sucht, steigt. Allein im Zeitraum von 2010 bis 2015 stieg die Zahl der Erstgespräche der psychotherapeutischen Ambulanz in Göttingen für Studierende um 30 Prozent an (Reich, Günter; Cierpka, Manfred, Studieren[de] als Herausforderung. In: Psychotherapeut 62 [5], 2017, S. 393), obwohl die Zahl der Studenten in einem geringeren Maße zunahm (https://de.statista.com/statistik/ daten/studie/221/umfrage/anzahl-der-studenten-an-deutschen-hochschulen/). Heute wird bei 17 Prozent der Studenten eine psychische Störung diagnostiziert (Ärztereport 2018, S. 8). 20 bis 25 Prozent der Studenten weisen ausgeprägte Symptome auf, die auf psychische Belastungen zurückzuführen sind (Reich und Cierpka 2017, S. 393). Besonders um das Jahr 2009 konnte ein rapider Anstieg an Studenten verzeichnet werden, die eine psychotherapeutische Beratungsstelle aufsuchten. Experten gehen davon aus, dass die Umstrukturierung des Studiums auf Bachelor- und Masterabschlüsse mitverantwortlich dafür sein könnte (Holm-Hadulla et al. 2009, S. 9). Studenten der neuen Studiengänge Bachelor und Master leiden zu Beginn ihres Studiums stärker unter psychischen Belastungen (https://link. springer.com/content/pdf/10.1007%2Fs00278-012-0914-z.pdf) und begeben sich häufiger und bereits in früheren Semestern in psychologische Beratungen und Therapien (Reich und Cierpka 2017, S. 393). Am häufigsten leiden Studenten an Belastungs-, somatoformen sowie affektiven Störungen, wobei somatoforme Störungen als häufigste Einzeldiagnose gelten (Ärztereport 2018, S. 158 f.). Stress spielt eine entscheidende Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung somatoformer Störungen (Kapfhammer, H. P., Somatoforme Störungen. Konzept, Klinik, Atiopathogenese und Therapie , Der Nervenarzt, Nr. 79, 2008, S. 99–117, hier: S. 109). In den vergangenen Jahren haben die psychischen Störungen jedoch nicht nur quantitativ zugenommen , auch die Intensität von Prüfungsängsten ist signifikant gestiegen (Holm- Hadulla et al. 2009, S. 9). Eine Erklärung für die gestiegene Belastung könnte sein, dass durch die Umstrukturierung der Studiengänge die Zahl der Pflichtveranstaltungen und die Vorbereitungsintensität für nun verpflichtende Leistungsnachweise gestiegen Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/11285 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode sind (Kühl, Stefan, Verschulung wider Willen. Die ungewollten Nebenfolgen einer Hochschulreform. In: Nicola Hericks [Hg.]: Hochschulen im Spannungsfeld der Bologna-Reform: Erfolge und ungewollte Nebenfolgen aus interdisziplinärer Perspektive. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, 2018, S. 300 ff.). Die höhere Zahl der Pflichtveranstaltungen und Leistungsnachweise schränkt die Selbstbestimmung der Studenten inhaltlich und zeitlich ein. Eine hohe Zahl von Prüfungen und zu erbringender Leistungsnachweise verschärft die Situation weiter. Den Fragestellern ist dennoch keine stabile Evaluation der gesundheitlichen Auswirkungen der Bologna-Reform bekannt. Ungeachtet der erhöhten psychischen Belastungen durch das Studium, die womöglich eine direkte Nebenfolge der Bologna-Reform sein könnten, unternimmt die Bundesregierung, nicht zuletzt mit dem Hochschulpakt 2020, große Anstrengungen, um die Studienanfängerquote nach dem vermeintlichen Bedarf der Wirtschaft zu erhöhen (http://www.blk-bonn.de/pressemitteilungen/pm2007- 04.pdf). Die Fragesteller interpretieren diese Statistiken so, dass die Bologna-Reform mitverantwortlich für die starken psychischen Belastungen der Studenten ist. Weiter legen die Statistiken die Schlussfolgerung nahe, dass ein ständig wachsender Teil der Studenten den Anforderungen eines Studiums offenbar nicht (mehr) gewachsen ist. Durch die Bestrebungen, die Studienanfängerquote weiter zu erhöhen, besteht insofern die Gefahr, dass sich diese Entwicklung weiter verschärft, was aus Sicht der Fragesteller Anlass sein muss, diesen Kurs kritisch zu evaluieren und ggf. zu korrigieren. 1. Wie interpretiert die Bundesregierung die Zunahme psychischer Störungen unter jungen Menschen und insbesondere unter Studenten? 2. Hat die Bundesregierung ggf. selbst Studien in Auftrag gegeben, die die Gründe für die Zunahme untersucht haben oder noch untersuchen? a) Falls ja, welche Ergebnisse haben diese Studien ggf. erbracht? b) Falls nein, warum hat die Bundesregierung keine Studien in Auftrag gegeben ? 3. Hat die Bundesregierung Kenntnisse darüber, inwieweit Untersuchungen die sprunghafte Zunahme der psychischen Störungen auch mit der Umstrukturierung des Studiums im Zuge der Bologna-Reform in Verbindung gebracht haben? a) Falls ja, welche Konsequenzen hat die Bundesregierung bisher aus diesen Untersuchungen mit Blick auf die Ausgestaltung des Bologna-Reform gezogen ? b) Falls die Bundesregierung bisher keine Konsequenzen gezogen hat, warum nicht? Die Fragen 1 bis 3 werden im Zusammenhang beantwortet. Aus Sicht der Bundesregierung trifft es grundsätzlich zu, dass die Zahl der Diagnosen von psychischen Beeinträchtigungen bei jungen Menschen zugenommen hat. Dies zeigen sowohl Studien, die auf Selbsteinschätzungen von Studierenden beruhen, als auch Daten aus der Versorgung, die auf einer Erhebung diagnostizierter psychischer Belastungen beruhen. Die Bundesregierung hat den Fokus auf die Untersuchung von Lösungsstrategien im Umgang mit den Beeinträchtigungen gelegt. Die von der Bundesregierung geförderten Zeitreihenerhebungen (Sozialerhebung und „best: beeinträchtigt studieren“), die auf Selbsteinschätzungen der Befragten beruhen, zeigen einen Anstieg der psychischen Beeinträchtigungen von Studierenden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/11285 Nach den Ergebnissen der 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks, die auf einer Selbsteinschätzung der Befragten beruhen, hatten im Sommersemester 2016 unter Einbeziehung sämtlicher gesundheitlicher Beeinträchtigungen 11 Prozent der Studierenden eine oder mehrere gesundheitliche Beeinträchtigung (en), die sich nach Aussagen der Betroffenen erschwerend auf das Studium auswirkten, gegenüber 7 Prozent im Jahr 2012. Der Anteil der beeinträchtigten Studierenden, die in den Studien best 1 und best 2 angeben, durch eine psychische Erkrankung allein oder am stärksten im Studium behindert zu werden, stieg von 2011 auf 2016 von 45 Prozent auf 53 Prozent. Für das kommende Jahr (Sommersemester 2020) ist erneut eine bundesweite und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Befragung von Studierenden in Deutschland geplant. Ein Gegenstand dieser Befragung sind dabei erneut gesundheitliche Beeinträchtigungen. Die Zunahme psychischer Erkrankungen beschränkt sich nicht allein auf die Gruppe der Studierenden. Seit Jahren wird in Deutschland, u. a. in der Statistik von Krankenkassen, eine gesamtgesellschaftliche Zunahme diagnostizierter psychischer Erkrankungen beobachtet. Laut BARMER Arztreport 2018 stieg die Anzahl diagnostizierter psychischer Störungen insgesamt um 31 Prozent zwischen 2005 und 2016 und bei jungen Erwachsenen um 38 Prozent. Studierende sind von fast allen Diagnosen psychischer Störungen deutlich seltener betroffen als gleichaltrige Nichtstudierende. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Studienstrukturreform und der Zahl der psychischen Beeinträchtigungen unter Studierenden lässt sich auf Grundlage der in den Quellen genannten Studien nicht ableiten. Der Bundesregierung sind keine Untersuchungen bekannt, die einen sprunghaften Anstieg psychischer Erkrankungen bei Studierenden durch die Bologna-Reform nahelegen würden. 4. Fanden mögliche Auswirkungen erhöhter psychischer Belastungen des Studiums Berücksichtigung, als die Bundesregierung sich dazu entschieden hat, die Studienanfängerquote zu erhöhen? a) Falls ja, in welcher Form fanden mögliche Auswirkungen erhöhter psychischer Belastungen der Studenten durch das Studium Berücksichtigung ? b) Falls nein, warum nicht? Eine stark gestiegene Zahl von Studienberechtigten und eine größere Studierneigung haben zu einer wachsenden Nachfrage nach einem Hochschulstudium geführt . Mit dem 2007 gestarteten Hochschulpakt 2020 wollen Bund und Länder der zunehmenden Zahl von Studienanfängerinnen und Studienanfängern ein qualitativ hochwertiges Studium gewährleisten. Mit Hilfe der von Bund und Ländern bereitgestellten Hochschulpaktmittel schaffen die Länder die notwendigen Kapazitäten an den Hochschulen. Damit wahren Bund und Länder die Chancen der jungen Generation zur Aufnahme eines Studiums und sichern den notwendigen wissenschaftlichen Nachwuchs. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Schaffung zusätzlicher Studiermöglichkeiten und erhöhten psychischen Belastungen ist nicht erkennbar. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/11285 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 5. Gibt es seitens der Bundesregierung Überlegungen, wie der steigenden Zahl psychischer Störungen bei Studenten entgegengewirkt werden kann? a) Falls ja, welcher Art sind diese Überlegungen? b) Falls nein, warum nicht? Beratungsangebote für Studierende liegen grundsätzlich in der Zuständigkeit der Länder. Gleichwohl ist das BMBF durch die Finanzierung der Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung (IBS) beim Deutschen Studentenwerk in diesem konkreten Kontext aktiv. Die Informations- und Beratungsstelle bietet zahlreiche Angebote auch für Studierende mit psychischen Erkrankungen in ganz Deutschland. Das BMBF unterstützt die IBS jährlich mit gut 485 000 Euro, wobei die Mittel in den vergangenen zehn Jahren um etwa 58 Prozent aufwuchsen. Auch im Rahmen des Hochschulpakts haben Hochschulen ihre Beratungsangebote ausgeweitet . Damit trägt das BMBF dem steigenden Beratungsbedarf in diesem Themenfeld unter Studierenden Rechnung. 6. Welche Initiativen hat die Bundesregierung ergriffen, um auf die Gefahren einer möglichen psychischen Erkrankung bei Aufnahme eines Studiums aufmerksam zu machen? a) Falls ja, welcher Art sind diese Initiativen? b) Falls nein, warum nicht? Grundsätzlich kann kein kausaler Zusammenhang zwischen der Aufnahme eines Studiums und dem Auftreten einer psychischen Erkrankung aus den vorliegenden Daten abgeleitet werden. 7. In welchem Umfang hat die Bundesregierung finanzielle Mittel für Initiativen bereitgestellt, mit denen Abiturienten für die Aufnahme eines Studiums motiviert werden sollen? a) Wie hoch ist ggf. der Anteil in diesem Budget, der für die Untersuchung und Kommunikation psychischer Gefahren bereitgestellt wird? b) Falls nein, warum gibt es für die die Untersuchung und Kommunikation psychischer Gefahren kein Budget? Mit dem Hochschulpakt 2020 wird sichergestellt, dass bei steigender Nachfrage nach einem Hochschulstudium das Studienangebot bedarfsgerecht ausgebaut wird. Die Bundesregierung hat keine finanziellen Mittel für Initiativen bereitgestellt , mit denen Abiturienten für die Aufnahme eines Studiums motiviert werden sollen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333