Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 10. Juli 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/11541 19. Wahlperiode 12.07.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katrin Helling-Plahr, Michael Theurer, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/11131 – Auswirkungen der neuen Medizinprodukteverordnung auf kleine und mittlere Unternehmen V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Am 25. Mai 2017 sind die Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über Medizinprodukte (Medical Device Regulation – MDR) und die Verordnung (EU) 2017/746 über In-vitro-Diagnostika (IVDR) in Kraft getreten. Ab dem 26. Mai 2020 gilt die MDR und ab dem 26. Mai 2022 die IVDR unmittelbar in den Mitgliedstaaten. Die beiden Verordnungen lösen die Medizinprodukte-Richtlinie (Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993) ab. Die neue MDR und die neue IVDR sollen eine umfassende Sicherheit von Medizinprodukten gewährleisten und eine bessere Überwachung der Qualität der Produktionsprozesse garantieren. Durch MDR und IVDR ändern sich die Bedingungen des Marktzugangs für Medizinprodukte. Während der Patientenschutz einerseits selbstverständlich größtmögliche Kraftanstrengungen gebietet und Patientinnen und Patienten andererseits von innovativen Medizinprodukten profitieren, ist nach Ansicht der Fragesteller mit Rechtsunsicherheit und unklaren Verfahrensabläufen sowie einem quantitativen Mangel an zuständigen Zertifizierungsinstitutionen keinem gedient. V o r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die beiden EU-Verordnungen stellen Hersteller von Medizinprodukten und insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) vor große Herausforderungen . Angesichts der schleppenden Benennung von Konformitätsbewertungsstellen mahnt die Bundesregierung dringenden Handlungsbedarf auf europäischer Ebene an, um sicherzustellen, dass alle Hersteller und alle Produkte bis zum Geltungsbeginn am 26. Mai 2020 den neuen Anforderungen genügen können. Die Bundesregierung weist an dieser Stelle darauf hin, dass die Novellierung des Rechtsrahmens für Medizinprodukte in der EU nicht zuletzt aufgrund der daran häufig geäußerten Kritik angestoßen wurde. Die Kritik richtete sich dabei insbesondere gegen das System der Zulassung durch vornehmlich privatrechtlich or- Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/11541 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode ganisierte Konformitätsbewertungsstellen (Benannte Stellen) sowie gegen zu geringe Anforderungen an die klinische Bewertung für Hochrisikoprodukte und mangelnde Transparenz. Die beiden Verordnungen sind das Ergebnis eines langen und schwierigen europäischen Gesetzgebungsverfahrens. Ziel der gefundenen Regelungen ist es, die Patientensicherheit zu erhöhen, ohne den innovationsfreundlichen Rechtsrahmen des europäischen Medizinprodukterechts grundlegend zu ändern. Hinsichtlich der derzeit bestehenden Probleme bei der Implementierung der Verordnungen setzt sich die Bundesregierung für eine zeitnahe, juristisch tragfähige Lösung auf europäischer Ebene ein. 1. Welchen Stellenwert hat die Medizinprodukteindustrie nach Auffassung der Bundesregierung für den Wirtschaftsstandort Deutschland? Die Herstellung von Medizinprodukten und Medizintechnik gehört neben der Humanarzneimittelherstellung zu den bedeutendsten Teilbereichen der produzierenden industriellen Gesundheitswirtschaft. Mit ihrem hohen Innovationspotenzial hat die Medizinprodukteindustrie – wie die Gesundheitswirtschaft insgesamt – eine erhebliche ökonomische Bedeutung für den Standort Deutschland. Sowohl als Produktionsstandort als auch als Markt für Medizinprodukte steht Deutschland weltweit an dritter Stelle. Mit einer Bruttowertschöpfung von 15,5 Mrd. Euro im Jahr 2018 generiert die Branche 18,4 Prozent der industriellen Gesundheitswirtschaft und somit rund jeden fünften Euro an deren gesamter Wertschöpfung. Die Branche ist Arbeitsplatz für über 200 000 Erwerbstätige, was einem Anteil von fast 20 Prozent in der industriellen Gesundheitswirtschaft entspricht. Das Exportvolumen im Bereich Medizinprodukte und Medizintechnik beträgt knapp 30 Mrd. Euro. Darüber hinaus hinterlässt die Branche aufgrund ihrer wirtschaftlichen Aktivität indirekte und induzierte Wertschöpfungs- und Erwerbstätigeneffekte in Höhe von rund 32 Mrd. Euro und fast 450 000 Erwerbstätigen in der Gesamtwirtschaft. Weiterführende Informationen enthält die Broschüre „Gesundheitswirtschaft – Fakten & Zahlen. Sonderthema: Industrielle Gesundheitswirtschaft“, die das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2019 herausgegeben hat. 2. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, welche konkreten Hindernisse im Konformitätsbewertungsverfahren bestehen, die zulasten der vor allem klein- und mittelständischen Medizinprodukteindustrie gehen und den Markteintritt innovativer Medizinprodukte verlangsamen könnten? Erschwernisse für KMU beim Marktzugang von Medizinprodukten sieht die Bundesregierung vornehmlich darin, dass die Unternehmen bis zum Geltungsbeginn der Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über Medizinprodukte (Medical Device Regulation – MDR) ihre Qualitätsmanagementsysteme und insbesondere auch die Technische Dokumentation an die neuen Anforderungen anpassen müssen, sowie darin, dass mit den beiden Verordnungen geänderte Klassifizierungsregeln gelten. Zahlreiche Produkte, die bisher einer niedrigen Risikoklasse angehörten und deren Konformitätsbewertung ohne Beteiligung einer Benannten Stelle durchgeführt werden konnte, werden zukünftig einer Klasse zugeordnet, die die Einbeziehung einer Benannten Stelle erfordert. Dies gilt auch für wiederverwendbare chirurgische Instrumente der Klasse I. Drucksache 19/11541 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/11541 Die Industrie selbst sieht sich nach Kenntnis der Bundesregierung auch dadurch an einem schnellen Marktzugang gehindert, weil die MDR stringentere und detailliertere Anforderungen an die klinische Bewertung festlegt. So ist grundsätzlich vorgeschrieben, dass für implantierbare Produkte und Produkte der Klasse III klinische Prüfungen durchzuführen sind. Die alleinige Bezugnahme auf klinische Daten für gleichartige Medizinprodukte ist - von sehr eng begrenzten Ausnahmen abgesehen - nicht mehr möglich. Aus Sicht der Bundesregierung stellt dies jedoch keine grundsätzlich neue Anforderung dar. Bereits nach den geltenden Marktzugangsvoraussetzungen sind für Hochrisikoprodukte in der Regel klinische Prüfungen durchzuführen. 3. Welcher finanzielle Mehraufwand entsteht, nach Kenntnis der Bundesregierung , den Herstellern von Medizinprodukten durch diese Verfahren? 4. Ist die Kostenintensität des Konformitätsbewertungsverfahrens für innovative Medizinprodukte, nach Kenntnis der Bundesregierung, ein Hindernis für die Hersteller, da aufgrund der Kostenhöhe von der Entwicklung neuer Medizinprodukte abgesehen wird? Wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung dies? Die Fragen 3 und 4 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die Bundesregierung hat keine konkreten Kenntnisse, wie sich die in der Antwort zu Frage 2 genannten Anforderungen kostenmäßig auf die Unternehmen auswirken . Auch liegen derzeit noch keine Informationen vor, wie die Benannten Stellen ihre Gebühren im Einzelnen gestalten werden. 5. Wie bewertet die Bundesregierung das Scrutiny-Verfahren (Konsultationsverfahren ), insbesondere vor dem Hintergrund des erhöhten finanziellen Aufwandes für die Hersteller? Die zusätzliche Überprüfung der klinischen Bewertung durch ein Expertengremium (Scrutiny-Verfahren) für bestimmte Produkte der Klasse III und der Klasse IIb (Artikel 54 MDR) stellt einen Kompromiss dar, der nach langen und schwierigen Verhandlungen im Gesetzgebungsverfahren gefunden wurde und mit dem auf die vielfach im Vorfeld geäußerte Kritik am bestehenden System (siehe Vorbemerkung der Bundesregierung) eingegangen werden sollte. Im Vordergrund der Kritik stand der Vorwurf, dass Medizinprodukte ohne ausreichende klinische Daten und ohne strenge unabhängige Beurteilung der vorhandenen Daten an den Markt gelangten und dadurch die Patientensicherheit gefährdeten. Die Einführung des Scrutiny-Verfahrens soll dieser häufig geäußerten Kritik an dem bisher geltenden System des Marktzugangs von Medizinprodukten Rechnung tragen . Artikel 106 Absatz 13 MDR sieht vor, dass die Europäische Kommission bei der Festlegung der Gebühren für Hersteller und Benannte Stellen für die von Expertengremien und Fachlaboratorien erbrachte Beratung (dazu zählt auch das Scrutiny -Verfahren) unter anderem auch die Innovationsförderung berücksichtigen muss. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/11541 Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/11541 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 6. Wie lange ist, nach Kenntnis der Bundesregierung, die durchschnittliche Dauer von Konformitätsbewertungs- und Konsultationsverfahren? 7. Ist die Zeitintensität des Konformitätsbewertungs- oder Konsultationsverfahrens für innovative Medizinprodukte, hier insbesondere auch digitale Medizinprodukte , die sich in einer besonders dynamischen Marktsituation befinden , nach Kenntnis der Bundesregierung, so hoch, dass die Produkte bei tatsächlichem Markteintritt bereits wieder veraltet sind? Die Fragen 6 und 7 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die Dauer des Konsultationsverfahrens gemäß Artikel 54 (Scrutiny-Verfahren) ist gesetzlich fixiert und dauert maximal 60 Tage und findet in der Regel auf digitale Medizinprodukte keine Anwendung. Davon abgesehen sind die durchschnittlichen Verfahrensdauern nach den neuen Verordnungen noch nicht bekannt. Eine Aussage hierzu ist allein schon aufgrund der unterschiedlichen Konformitätsbewertungsverfahren, Größe und Organisation der Hersteller, Anzahl an Produkten, Komplexität der Produkte sowie unterschiedlichen Qualität der Vorbereitung der Hersteller (Dokumentation usw.) kaum möglich. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Aufwände für die Durchführung von Konformitätsbewertungsverfahren aufgrund der detaillierteren Anforderungen steigen. Dies dürfte sich auch auf die Verfahrensdauern niederschlagen . 8. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, wie viele Unternehmen, mit Unternehmenssitz in Deutschland, von einer Höherklassifizierung ihrer Produkte durch die MDR bzw. IVDR betroffen sind? Wenn ja, wie viele Unternehmen und wie viele Produkte sind betroffen (die Unternehmen bitte nach Bundesland aufschlüsseln)? Während bei der MDR nur einige Klassifizierungsregeln geändert bzw. wenige neue Regeln aufgenommen wurden, wurde mit der Verordnung (EU) 2017/746 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über In-vitro-Diagnostika (In vitro diagnostics regulation – IVDR) erstmalig ein Risikoklassifizierungssystem eingeführt. Derzeit gilt ein festes Listensystem. Vor diesem Hintergrund , hat die Bundesregierung keinen vollständigen Überblick über die Anzahl der Unternehmen in Deutschland, die von einer Höherklassifizierung ihrer Produkte betroffen sind. Möglich ist eine in der Anlage dargestellte grobe Abschätzung der Anzahl der in Deutschland registrierten Unternehmen von bisherigen Klasse-I-Medizinprodukten, die aufgrund neuer und geänderter Klassifizierungsregeln sowie geänderten Konformitätsbewertungsverfahren im Mai 2020 erstmalig ein Zertifikat einer Benannten Stelle vorweisen müssen. Drucksache 19/11541 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/11541 9. Wie viele Zulassungsanträge auf Benennung zur Benannten Stelle im Sinne der Verordnungen liegen, nach Kenntnis der Bundesregierung, bisher vor? Wie viele dieser Anträge wurden bisher positiv oder negativ beschieden? Wie viele Anträge befinden sich derzeit in der Überprüfung der Akkreditierung ? Wie viele der Anträge stammen von Unternehmen aus Deutschland? Zum Stand 1. Juli 2019 lagen der Europäischen Kommission 41 Anträge nach der MDR (davon sieben aus Deutschland) und zehn Anträge nach der IVDR (davon zwei aus Deutschland) vor. Positiv beschieden wurden bislang zwei Anträge nach der MDR, davon einer für eine Stelle in Deutschland. Die restlichen Anträge befinden sich in der Verfahrensbearbeitung. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnungen keine „Überprüfung der Akkreditierung“ vorsehen. Die Verordnungen enthalten vielmehr ein komplexes Benennungs- und Notifizierungsverfahren (vgl. jeweils Kapitel IV der Verordnungen ), das eine komplette Neubewertung auch von bereits nach bisherigem Recht Benannten Stellen vorschreibt. 10. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, wann die Benannten Stellen benannt werden und welche personelle und fachliche Ausstattung die Benannten Stellen bekommen? Eine Abschätzung, wie lange die Verfahren in etwa dauern, enthält das von der Europäischen Kommission veröffentlichte Dokument „Best practice guidance on designation and notification of conformity assessment bodies“ (NBOG BPG 2017-2; https://ec.europa.eu/docsroom/documents/27724). Derzeit gibt die Europäische Kommission – basierend auf Erfahrungen mit vier Verfahren – eine durchschnittliche Verfahrensdauer von etwa 13 Monaten an. Die personelle und fachliche Ausstattung der Benannten Stellen ist durch die MDR vorgegeben (vgl. Anhang VII MDR/IVDR). Nach Angabe von Team NB, der europäischen Interessenvertretung der Benannten Stellen im Medizinproduktebereich , hat sich die Zahl der Mitarbeitenden bei den bei Team NB organisierten Benannten Stellen im Jahr 2018 um 24 Prozent erhöht. 11. Wenn bisher schon Benannte Stellen benannt worden sind, wie bewertet die Bundesregierung die Anzahl der bisher Benannten Stellen? 13. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Unternehmen bei Geltungsbeginn der MDR mit einem Engpass der Benannten Stellen konfrontiert sind? Wenn ja, welche (nachteiligen) Folgen ergeben sich daraus? Die Fragen 11 und 13 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Bislang sind zwei Benannte Stellen nach MDR benannt (im Vereinigten Königreich und in Deutschland). Die Europäische Kommission ging im letzten Sachstandsbericht von 41 Bewerbungen Benannter Stellen nach der MDR aus. Stand und Dauer der Benennungsverfahren sprechen dafür, dass die vor Geltungsbeginn im Mai 2020 vorhandenen Kapazitäten der nach der MDR Benannten Stellen für eine rechtzeitige Zertifizierung nicht ausreichen. Versorgungsengpässe können – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/11541 Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/11541 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Stand heute – nicht ausgeschlossen werden. Deshalb setzt sich die Bundesregierung mit Nachdruck für eine zeitnahe juristisch tragfähige Lösung auf europäischer Ebene ein (siehe Vorbemerkung der Bundesregierung). 12. Welche Folgen hat, aus Sicht der Bundesregierung, der bevorstehende Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien auf das Konformitätsbewertungs - und Konsultationverfahren für Medizinprodukte? Die Verfahren als solche werden durch den bevorstehenden Austritt des Vereinigten Königreichs nicht berührt. Der Brexit kann sich aber auf die Verfügbarkeit Benannter Stellen sowie potentieller Experten für das Expertengremium (Artikel 54 bzw. 106 MDR) auswirken. Mit Blick auf die Verfügbarkeit Benannter Stellen ist zwischen einem geregelten und einem ungeregelten Brexit zu unterscheiden. Im Falle eines Austritts mit Austrittsabkommen einschließlich Übergangszeitraum bis Ende 2020 dürfen britische Benannte Stellen in diesem Übergangszeitraum auch weiterhin Zertifikate für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika ausstellen. Anders sieht die Situation im Falle eines Austritts ohne Austrittsabkommen aus. Da Benannte Stellen in einem Mitgliedstaat der EU niedergelassen sein und von einer benennenden Behörde eines Mitgliedstaats benannt werden müssen, verlieren britische Benannte Stellen mit dem Eintritt eines ungeregelten Brexits ihren Status als Benannte Stellen der EU. Für das Inverkehrbringen von Medizinprodukten und In-vitro-Diagnostika auf dem europäischen bzw. deutschen Markt ist jedoch ein Zertifikat einer Benannten Stelle der EU erforderlich. Dies erfordert die Übertragung von Zertifikaten, die von einer Benannten Stelle des Vereinigten Königreichs ausgestellt wurde, auf Benannte Stellen der EU 27. Die damit einhergehende Bindung von Kapazitäten bei den Benannten Stellen der EU 27 könnte zu einer Verschärfung der ohnehin angespannten Situation bei der Zertifizierung der Produkte führen (siehe auch Antwort zu Frage 14). Ein aktueller Sachstand zu den Übertragungsprozessen wurde gegenüber der Medicines and Healthcare products Regulatory Agency des Vereinigten Königreichs angefordert , steht aber noch aus. Zudem erfolgte eine Verbändeabfrage seitens der Bundesregierung , die derzeit ausgewertet wird. 14. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Unternehmen bereits heute mit einem Engpass bei den Benannten Stellen konfrontiert sind, der sich in langen Wartezeiten von der Antragstellung bis zur (Re-)Zertifizierung manifestiert oder die Unternehmen gar keine Benannte Stelle finden, wenn sie a) gültige Zertifikate von Bestandsprodukten verlängern möchten, um von der Verlängerungsoption bis in das Jahr 2024 zu profitieren und b) Zertifikate für Neuprodukte nach MDD beantragen möchten, um von der Verlängerungsoption bis 2024 zu profitieren? Die gegenwärtig verfügbaren Ressourcen bei den Benannten Stellen sind insbesondere aufgrund der besonderen Übergangsphase (von den Medizinprodukterichtlinien zu den EU-Verordnungen MDR und IVDR) maximal ausgelastet. Ursache hierfür ist hauptsächlich die Tatsache, dass viele Hersteller Anträge auf vorzeitige Verlängerungen von Bescheinigungen oder Neubewertungen beantragen , um die in der MDR vorgesehenen speziellen Übergangsregelungen für Bestandsprodukte nutzen zu können. Daneben führte schon die Durchführungsverordnung (EU) 920/2013 mit ihren gesteigerten Anforderungen an Benannte Stellen sowie einem gemeinsamen Begutachtungsverfahren zu einer Reduzierung der Drucksache 19/11541 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/11541 Anzahl der Benannten Stellen. Auch die Vorbereitungen der Benannten Stellen auf die mit der MDR notwendige Neu-Benennung bindet nennenswerte Ressourcen , die für die Prüfung von Herstellern oder Produkten nicht zur Verfügung stehen . Obwohl die aktiven Benannten Stellen ihre Kapazitäten ausgebaut haben (laut Team NB 24 Prozent im Jahr 2018 siehe Antwort zu Frage 4) führt die gegenwärtige Ausnahmesituation zu längeren Bearbeitungszeiten. 15. Wie lange dauern, nach Kenntnis der Bundesregierung, die Verfahren zur Verlängerung der bestehenden Zertifikate, um von der Verlängerungsoption bis in das Jahr 2024 zu profitieren? Die Verfahrensdauern auf der Basis geltenden Rechts hängen ab von den bei Audits und Bewertungen der Technischen Dokumentationen festgestellten Mängel sowie deren Beseitigung und variieren meist zwischen drei und neun Monaten, in konkreten Einzelfällen aber auch länger. 16. Welche Produktgruppen profitieren nicht von der Verlängerungsoption bestehender Zertifikate bis ins Jahr 2024 und brauchen somit bereits zum Geltungsbeginn der MDR im Mai 2020 ein Zertifikat einer Benannten Stelle nach neuem Recht, um weiterhin in Verkehr gebracht werden zu können? Die Regelung nach Artikel 120 Absatz 3 MDR beinhaltet die Möglichkeit, nach Geltungsbeginn der Verordnung unter bestimmten Bedingungen richtlinienkonforme Produkte bis maximal Mai 2024 auf der Basis alter Richtlinien-Bescheinigungen weiterhin in Verkehr zu bringen. Insofern vertagt sie für eine Vielzahl der sich bereits am Markt befindlichen Produkte die Notwendigkeit, unmittelbar mit Geltungsbeginn über eine MDR-Bescheinigung verfügen zu müssen. Produkte, für die die Beteiligung einer Benannten Stelle am Konformitätsverfahren erstmals unter der MDR erforderlich wird, können mangels Richtlinien-Bescheinigung von dieser Regelung keinen Gebrauch machen. Dies betrifft vor allem höherklassifizierte Klasse-I-Produkte (z. B. Software, stoffliche, d. h. arzneimittelähnliche Medizinprodukte, Nanomaterial enthaltende Medizinprodukte) und zukünftige Klasse I-r-Produkte (wiederverwendbare chirurgische Instrumente ). Für diese Produktgruppen müssen die Hersteller daher ab Geltungsbeginn der MDR eine MDR-Bescheinigung vorweisen können, um die Produkte in Verkehr bringen zu dürfen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/11541 Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/11541 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 17. Plant die Bundesregierung, den Engpass an fachkundigem Personal abzupuffern , der dadurch entsteht, dass Arbeitnehmer sowohl von Herstellern, Importeuren , Händlern als auch von Benannten Stellen benötigt werden? Wenn ja, wie? 18. Sind nationale Maßnahmen geplant, um die Ressourcen der Benannten Stellen zu stärken? Wenn ja, wie, und in welchem Umfang? Die Fragen 17 und 18 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die Bundesregierung setzt sich allgemein dafür ein, die Fachkräftebasis für den Wirtschaftsstandort Deutschland nachhaltig zu sichern und zu erweitern. Die Bundesregierung hat zu diesem Ziel eine branchenübergreifende Fachkräftestrategie im Dialog mit Sozialpartnern, den Ländern, Kammern und der Bundesagentur für Arbeit erarbeitet, die im Dezember 2018 vom Kabinett beschlossen wurde. Die Fachkräftestrategie wird in einem fortlaufenden Prozess umgesetzt, der innerhalb der drei Säulen Inland, Europa und International im Dialog mit den relevanten Akteuren unter der Federführung der jeweils zuständigen Ressorts der Bundesregierung erfolgt. 19. Hat die Bundesregierung Kenntnis über die Wartezeiten im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens bei den Benannten Stellen? Wenn ja, wie lange sind die Wartezeiten durchschnittlich (bitte nach den einzelnen Risikogruppen aufschlüsseln)? Der Bundesregierung liegen über die angespannte Lage bei den Benannten Stellen hinaus (siehe Antwort zu Frage 14) keine konkreten Kenntnisse über die Länge von Wartezeiten im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens vor. 20. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass die Vorgaben der MDR bzw. IVDR von den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) der Medizinprodukteindustrie bis 2020 bzw. 2022 eingehalten werden können? 21. Hat die Bundesregierung bisher versucht oder plant sie zukünftig, bei der EU-Kommission auf eine Verlängerung der Übergangsfristen hinzuwirken (siehe auch Beschlusssammlung der Wirtschaftsministerkonferenz vom 27./ 28. Juni 2018, Dokumentenseite 10)? Wenn ja, steht eine Verlängerung der Übergangsfristen in Aussicht? Die Fragen 20 und 21 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Bei der MDR/IVDR handelt es sich um unmittelbar geltendes europäisches Recht. Gleiches hat angesichts der Sorge, dass die in der MDR vorgesehene Übergangszeit insbesondere mit Blick auf eine hinreichende Verfügbarkeit Benannter Stellen nicht ausreicht, Bundesminister Spahn bereits im Frühjahr 2018 die zuständige EU-Kommissarin Elżbieta Bieńkowska aufgefordert, darzulegen, welche Maßnahmen die Europäische Kommission erwägt, um zu verhindern, dass es zu Engpässen bei den Benannten Stellen kommt. Zuletzt hat Deutschland zusammen mit Irland im Rahmen der Tagung des Rates der EU für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz am 14. Juni 2019 in Luxemburg (EPSCO-Rat) eine politische Diskussion angestoßen , um eine EU-weit einheitliche Handhabung der sich abzeichnenden Probleme Drucksache 19/11541 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 9 – Drucksache 19/11541 im Konsens mit den Mitgliedstaaten, der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament zu erreichen. Bundesminister Spahn forderte, den Anwendungsbereich der Übergangsregelung nach Artikel 120 Absatz 3 MDR auf höherklassifizierte Klasse-I-Produkte und zukünftige Klasse-I-r-Produkte (siehe auch Antwort zu Frage 16) auszudehnen, damit für diese Produkte die gleiche Rechtslage wie auch für die nach alter Rechtslage zertifizierten Produkte gilt. In dieser Diskussion meldeten sich neben Irland und Deutschland weitere 18 Mitgliedstaaten zu Wort und unterstützten grundsätzlich die Forderung nach einer zeitnahen Lösung auf europäischer Ebene. Deutschland steht zudem weiterhin im Austausch mit den Mitgliedstaaten, um sich gemeinsam für eine juristisch tragfähige und praktisch umsetzbare Lösung auf europäischer Ebene im Sinne der Patientensicherheit einzusetzen. Bundesminister Spahn bekräftigte im Nachgang des EPSCO-Rates zudem seine Forderung mit einem Schreiben gegenüber der Europäischen Kommission. Darin appelliert er an die Kommission, die Schwierigkeiten bei der Implementierung der MDR/IVDR zügig zu analysieren sowie eine Lösung auf europäischer Ebene herbeizuführen und hierfür die erforderlichen Maßnahmen schnellstmöglich zu ergreifen . 22. Wie kann, nach Auffassung der Bundesregierung, eine KMU-freundliche Implementierung der MDR bzw. IVDR erfolgen, ohne dass der Schutz der Patienten als oberstes Ziel der Verordnungen, vernachlässigt wird? Die EU-Verordnungen selbst sehen erleichternde Regelungen für KMU vor, um deren besondere Interessen zu berücksichtigen, z. B. in Artikel 15 Absatz 2 MDR/IVDR, Artikel 106 Absatz 14 MDR, Anhang VII Ziffer 1.2.8. MDR/IVDR. Davon abweichende Regelungen durch die einzelnen Mitgliedstaaten sind grundsätzlich nicht möglich (sog. Umsetzungsverbot), da es sich bei der MDR/IVDR um unmittelbar geltendes europäisches Recht handelt. Nur an den Stellen, an denen dem nationalen Gesetzgeber ausdrücklich ein Regelungsspielraum gestattet ist, sind weitergehende gesetzliche Regelungen möglich. Im Rahmen der Erarbeitung von europäischen und ggf. nationalen Leitfäden werden insbesondere für KMU pragmatische Handlungsoptionen zur Erfüllung der Anforderungen der MDR bzw. IVDR beschrieben. 23. Inwiefern wurde der nationale Strategieprozess Medizintechnik, wie im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD angekündigt (S. 102, Zeile 4739), bisher weitergeführt? Einzelheiten zur Fortsetzung des Nationalen Strategieprozesses „Innovationen in der Medizintechnik“ sind derzeit Gegenstand laufender regierungsinterner Abstimmungen zwischen dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, dem Bundesministerium für Gesundheit und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Grundsätzlich gilt, dass die am Strategieprozess „Innovationen in der Medizintechnik“ beteiligten Ressorts weiterhin eng zusammenarbeiten und sich zu einer Vielzahl von Sachthemen regelmäßig abstimmen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 9 – Drucksache 19/11541 Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/11541 – 10 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 24. Wie bewertet die Bundesregierung die Arbeitsweise des „Nationalen Arbeitskreises zur Implementierung der neuen EU-Verordnungen über Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika“ (NAKI)? Die Bundesregierung bewertet die Arbeit des Nationalen Arbeitskreises zur Implementierung der neuen EU-Verordnungen über Medizinprodukte und In-vitro- Diagnostika (NAKI) positiv. Es ist gelungen, mit den betroffenen Kreisen wichtige Fragen der Implementierung der EU-Verordnungen zu identifizieren. Für viele dieser Fragestellungen wurden praktisch umsetzbare Handlungs- und Lösungsansätze entwickelt, die in die relevanten Europäischen Arbeitsgruppen eingebracht wurden, um dort in europäische Leitfäden oder Empfehlungen einzufließen . 25. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, damit innovative Medizinprodukte „zügig in die Regelversorgung überführt werden“ (Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, S. 98, Zeile 4544)? Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass die Verfahren des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) beschleunigt werden, damit medizinische Innovationen schneller in die Regelversorgung gelangen. Zudem sollen neue Zulassungswege für digitale Anwendungen geschaffen werden. In Umsetzung dieser Vorhaben werden mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) bereits die Verfahren des G-BA zur Erprobung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sowie zur Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden mit Medizinprodukten hoher Risikoklasse wesentlich vereinfacht. Weitere Regelungen zur Beschleunigung der Methodenbewertung des G-BA sind im Regierungsentwurf des Implantateregister-Errichtungsgesetzes (EIRD) enthalten. Mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) soll ein eigener Leistungsanspruch der Versicherten auf digitale Gesundheitsanwendungen („Gesundheits-Apps“) und damit verbunden ein eigener Zugangsweg der betreffenden Medizinprodukte in die gesetzliche Krankenversicherung geschaffen werden. 26. Plant die Bundesregierung, § 91 Absatz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) dahingehend zu ändern, dass die Medizintechnikbranche in Zukunft im Gemeinsamen Bundesausschuss vertreten ist? Bereits nach geltendem Recht können sich die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der Medizinproduktehersteller sowie die jeweils betroffenen Medizinproduktehersteller im Wege eines gesetzlich vorgegebenen Stellungnahmeverfahrens sowohl schriftlich als auch mündlich in die Richtlinienentscheidungen des G-BA über Methoden, deren technische Anwendung maßgeblich auf dem Einsatz eines Medizinprodukts beruht, einbringen. Eine weitergehende Beteiligung im Sinne eines Stimmrechts im G-BA stünde nicht im Einklang mit dem geltenden System der gemeinsamen Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung und ist daher gegenwärtig nicht vorgesehen. Drucksache 19/11541 – 10 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 11 – Drucksache 19/11541 27. Plant die Bundesregierung, den § 137e SGB V dahingehend zu ändern, dass der Erprobungszeitraum zeitlich beschränkt wird, da nach Kenntnis der Fragesteller de facto Erprobungszeiträume von zehn Jahren und mehr üblich sind? Der Regierungsentwurf des EIRD enthält neben den bereits mit dem TSVG in Kraft getretenen Vorgaben weitere Regelungen, um die Durchführung sachgerechter und die Versorgungsrealität berücksichtigender Erprobungen zu befördern . Gesetzliche Vorgaben zur Höchstdauer der Erprobungszeiträume nach § 137e des Fünften Buches Sozialgesetzbuch sind aufgrund der Vielfalt und der Eigenheit möglicher zu erprobender Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden in diesem Entwurf bisher nicht enthalten. 28. Trifft es nach Auffassung der Bundesregierung zu, dass die Dokumentationspflichten der MDR bzw. IVDR derart weit reichen, dass Zulieferbetriebe, also jene, die den Herstellern von Medizinprodukten einzelne Komponenten dafür liefern, ihre Geschäftsgeheimnisse (u. a. Produktionsverfahren, verwendete Materialien etc.) gegenüber ihren Auftraggebern offenlegen müssen , damit diese den Dokumentationspflichten nachkommen können? Soweit es sich um Zulieferbetriebe handelt, sind in der MDR keine Dokumentationspflichten enthalten, die Zulieferbetriebe zur Offenlegung ihrer Geschäftsgeheimnisse gegenüber dem Hersteller verpflichten. Dies gilt grundsätzlich auch für den Fall, dass der Zulieferer der Hersteller des Originalerzeugnisses (OEM: Original Equipment Manufacturer) ist und die Produkte unter dem Namen und der Verantwortung des Legal-Herstellers (OBL: Own Brand Labeller bzw. PBL: Private Brand Labeller) in Verkehr gebracht werden. Gemäß Artikel 10 Absatz 4 MDR und IVDR hat der Legal-Hersteller eine Technische Dokumentation zu verfassen und diese auf dem neuesten Stand zu halten. Der Inhalt der Technischen Dokumentation ist in Anhang II und III der MDR/IVDR definiert und umfasst in der Regel Informationen, die nur dem tatsächlichen Hersteller (OEM) vorliegen und die ggf. Geschäftsgeheimnisse darstellen können. 29. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass solche Zulieferbetriebe, der MDR bzw. IVDR entsprechende Dokumentationen vorhalten müssen, für den Fall, dass die Zulieferbetriebe ihre Geschäftsgeheimnisse nicht an die Hersteller der Medizinprodukte weitergeben wollen und die Aufsichtsbehörde sich sodann direkt an die Zulieferbetriebe wendet? Da die MDR/IVDR den Hersteller zur Vorhaltung der Technischen Dokumentation verpflichtet, ist es nicht ausreichend, wenn die für die Technische Dokumentation erforderlichen Informationen nur bei den Zulieferbetrieben verfügbar sind. 30. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass das Offenlegen der Geschäftsgeheimnisse negative Auswirkungen auf den wirtschaftlichen Erfolg von KMU hat, da der Geschäftskern der Unternehmen auf diese Weise zugänglich wird? Wie in der Antwort zu Frage 28 beschrieben enthalten die MDR und IVDR keine Offenbarungspflicht von Geschäftsgeheimnissen von Zulieferern gegenüber Herstellern . Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 11 – Drucksache 19/11541 Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/11541 – 12 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 31. Welche Definition des Begriffes „Sonderanfertigung“ legt die Bundesregierung im Rahmen der Auslegung der MDR bzw. IVDR zugrunde? In der MDR wird in Artikel 2 Nummer 3 die Sonderanfertigung wie folgt definiert : „Sonderanfertigung“ bezeichnet ein Produkt, das speziell gemäß einer schriftlichen Verordnung einer aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation nach den nationalen Rechtsvorschriften zur Ausstellung von Verordnungen berechtigten Person angefertigt wird, die eigenverantwortlich die genaue Auslegung und die Merkmale des Produkts festlegt, das nur für eine einzige Patientin bzw. einen einzigen Patienten bestimmt ist, um ausschließlich den individuellen Zustand und den individuellen Bedürfnissen zu entsprechen. Serienmäßig hergestellte Produkte , die angepasst werden müssen, um den spezifischen Anforderungen eines berufsmäßigen Anwenders zu entsprechen, und Produkte, die gemäß den schriftlichen Verordnungen einer dazu berechtigten Person serienmäßig in industriellen Verfahren hergestellt werden, gelten jedoch nicht als Sonderanfertigungen. Diese Definition legt die Bundesregierung im Rahmen der Auslegung der MDR zugrunde . 32. Welche besonderen Auswirkungen durch die MDR bzw. IVDR gibt es nach Auffassung der Bundesregierung auf KMU, die bislang Sonderanfertigungen herstellen? Ähnlich wie für die Hersteller werden mit der MDR auch die Anforderungen an Sonderanfertiger erhöht. Besonders hervorzuheben ist hierbei, dass Sonderanfertiger ein Qualitätsmanagementsystem (QMS) gemäß der MDR aufbauen müssen. Besondere Herausforderungen für KMU, die Sonderanfertigungen herstellen, bestehen in diesem Zusammenhang in den Anforderungen der MDR in Bezug auf die klinische Bewertung (inklusive der klinischen Nachbeobachtung), des Risikomanagements sowie der proaktiven Überwachung nach dem Inverkehrbringen. Bei Sonderanfertigungen von implantierbaren Klasse-III-Produkten muss dieses QMS von einer Benannten Stelle zertifiziert werden. 33. Handelt es sich nach Auffassung der Bundesregierung um ein sonderangefertigtes Medizinprodukt, wenn es serienmäßig (vor)produziert worden ist, jedoch für den Kunden individuell angepasst wird? Zur Beurteilung, ob ein Produkt eine Sonderanfertigung darstellt, wird die Definition einer Sonderanfertigung herangezogen. Gemäß Artikel 2 Nummer 3 zweiter Satz MDR ist die bloße Anpassung von serienmäßig hergestellten Medizinprodukten keine Sonderanfertigung. 34. Handelt es sich nach der Auffassung der Bundesregierung um eine Sonderanfertigung , wenn das Medizinprodukt mit einem 3D-Drucker hergestellt worden ist? Ein mit einem 3D-Drucker hergestelltes Medizinprodukt ist nur dann eine Sonderanfertigung , wenn die Definition in Artikel 2 Nummer 3 MDR erfüllt ist. Drucksache 19/11541 – 12 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 13 – Drucksache 19/11541 35. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass Sonderanfertigungen weiterhin einer gesetzlichen Privilegierung unterliegen sollten? Die MDR sieht für Sonderanfertigungen gegenüber normalen Medizinprodukten erleichterte Konformitätsbewertungsverfahren vor. Darüber hinaus besteht keine Registrierungsverpflichtung für Sonderanfertiger und Sonderanfertigungen. Ebenso sind Sonderanfertigungen von den Anforderungen einer eindeutigen Produktidentifikation ausgenommen. Diese Art der Privilegierung erscheint angemessen und zweckmäßig. 36. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass es sich negativ auf die Gesundheitsversorgung auswirken könnte, wenn Unternehmen ihre Produkte aufgrund von Unsicherheiten hinsichtlich der Vorbereitung und Auslegung der MDR bzw. IVDR vom Markt nehmen? Negative Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung können immer, wenn Produkte vom Markt genommen werden, im Raum stehen. Im Interesse der Patientensicherheit setzt sich die Bundesregierung dafür ein, für bestehende Schwierigkeiten bei der Implementierung der MDR/IVDR juristisch tragfähige und praktisch umsetzbare Lösungen auf europäischer Ebene zu befördern (siehe auch Antwort zu Frage 21). 37. Wie schätzt die Bundesregierung die Möglichkeit ein, dass a) sogenannte Orphan Devices und b) innovative Softwareprodukte wie etwa KI-gestützte Gesundheitsapps aufgrund der neuen und höheren Anforderungen nach der MDR bzw. IVDR zukünftig nicht mehr zur Zulassung gebracht werden und der Patientenversorgung somit nicht zur Verfügung stehen könnten? Was plant die Bundesregierung hiergegen zu unternehmen? 38. Hat die Bundesregierung bisher versucht oder plant sie es zukünftig, auf europäischer Ebene auf Sonderregelungen für sog. Orphan Devices hinzuwirken ? Die Fragen 37 und 38 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die Fragen werden dahingehend verstanden, dass mit Orphan devices Medizinprodukte für seltene Erkrankungen gemeint sind. Die Bundesregierung steht Sonderregelungen für Medizinprodukte, mit denen Menschen, die unter einer seltenen Erkrankung leiden, behandelt, versorgt oder untersucht werden sollen, offen gegenüber. Derzeit hat die Bundesregierung jedoch keine belastbaren Informationen , dass und für welche seltenen Erkrankungen die Entwicklung und Zulassung von Medizinprodukten an den geltenden Marktzugangsvoraussetzungen gescheitert ist oder an den künftigen Regelungen zu scheitern droht. Die Bundesregierung hat derzeit keine Kenntnis darüber, dass innovative Softwareprodukte aufgrund der neuen und höheren Anforderungen der MDR zukünftig nicht mehr zur Zulassung gebracht werden oder nicht mehr der Patientenversorgung zur Verfügung stehen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 13 – Drucksache 19/11541 Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/11541 – 14 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 39. Hält die Bundesregierung Sonderregelungen für digitale Medizinprodukte für erforderlich? Wenn ja, plant die Bundesregierung Schritte, die über den Entwurf des Digitale Versorgung-Gesetzes (DVG) hinausgehen, bzw. will sie auf europäischer Ebene auf solche hinwirken? Digitale Medizinprodukte werden von dem Entwurf des DVG in mehrfacher Hinsicht adressiert. Der Kabinettentwurf definiert ein neues Verfahren, um die Erstattungsfähigkeit digitaler Gesundheitsanwendungen, die Medizinprodukte der Risikoklassen I oder IIa sind, in der gesetzlichen Krankenversicherung zu verbessern . Das vorgesehene Verfahren beinhaltet Entscheidungen durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sowie kurze Entscheidungsfristen und Anforderungen, die in einer Rechtsverordnung näher konkretisiert werden. Weiterhin ist vorgesehen, die Möglichkeiten der Krankenkassen zu stärken, mit Herstellern von Medizinprodukten Verträge über die besondere Versorgung (sogenannte Selektivverträge) mit digitalen Versorgungsprodukten abzuschließen. Zudem können Krankenkassen zukünftig die bedarfsgerechte Entwicklung von digitalen Medizinprodukten in einem Umfang von bis zu 2 Prozent ihrer Rücklagen fördern. Bei den im Entwurf des DVG vorgesehenen Regelungen handelt es sich ausschließlich um Regelungen des Sozialrechts. 40. Wie bewertet es die Bundesregierung, dass Software nach der MDR bzw. IVDR nun mindestens in Klasse IIa fällt (Regel 11 der Klassifizierungsvorschriften ), statt wie bisher zumeist in Klasse I (und somit von einem Konformitätsbewertungsverfahren durch eine Benannte Stelle ausgenommen war)? Mit der MDR wurden neue Regelungen zur Risikoklassifizierung geschaffen, um den spezifischen Risiken von medizinischer Software Rechnung zu tragen. Die bisherigen für die Risikoklassifizierung von Software genutzten Klassifizierungsregeln für aktive Medizinprodukte (Hardware) berücksichtigten in erster Linie die Risiken, die mit dem Austausch von Energie und Substanzen mit dem menschlichen Körper verbunden sind. Software weist solche Risiken naturgemäß in der Regel nicht auf. Um Software trotzdem angemessen klassifizieren zu können, wurde die Bedeutung der von der Software gelieferten Information für darauf basierende diagnostische und therapeutische Entscheidungen analysiert. In Analogie zum Risikoklassifizierungskonzept der IVDR ist Software in einer höheren Risikoklasse, wenn insbesondere aufgrund fehlerhafter Informationen falsche diagnostische und therapeutische Entscheidungen getroffen werden könnten, die mit erheblichen negativen Auswirkungen für die Patientinnen und Patienten verbunden sind. Drucksache 19/11541 – 14 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 15 – Drucksache 19/11541 41. Wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse der Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) sowie des Industrieverbandes SPECTARIS, nach der a) sich viele Unternehmen aufgrund der neuen Verordnungen in ihrer Existenz gefährdet sehen, b) viele Unternehmen über Rechtsunsicherheiten klagen, c) zum Geltungsbeginn der MDR viele bewährte Medizinprodukte der Gesundheitsversorgung nicht mehr zur Verfügung stehen könnten und d) viele Unternehmen mit erheblichen Schwierigkeiten rechnen, Innovationen zukünftig auf den Markt bringen zu können? Was plant die Bundesregierung hiergegen jeweils zu unternehmen? Es ist der Bundesregierung durch ihren Kontakt zu Verbänden und Unternehmen der Medizinprodukte- und Medizintechnikindustrie bekannt, dass Branchenvertreterinnen und Branchenvertreter nicht nur in Deutschland Schwierigkeiten bei der fristgerechten Umsetzung und Erfüllung der Anforderungen durch die EU- Medizinprodukteverordnung sehen. Die Ergebnisse der Umfrage untermauern dies. Die Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung in Deutschland und Europa mit sicheren und effizienten Medizinprodukten ist für die Bundesregierung von höchster Priorität. Die Bundesregierung setzt sich daher bei der Europäischen Kommission dafür ein, dass bestehende Schwierigkeiten bei der Implementierung realitätsnah analysiert und umgehend juristisch tragfähige und praktisch umsetzbare Lösungen auf europäischer Ebene gefunden werden. 42. Plant die Bundesregierung eine Beratungsmöglichkeit oder einen Leitfaden für Unternehmen der Medizinprodukteindustrie hinsichtlich der konkreten Umsetzung der MDR bzw. IVDR im Unternehmen? Im Jahr 2017 hat die Bundesregierung unter Federführung des Bundesministeriums für Gesundheit einen nationalen Implementierungsprozess zu MDR und IVDR eingeleitet, an dem alle betroffenen Kreise beteiligt sind und sich im Rahmen der angebotenen Kommunikations- und Diskussionsplattform einbringen können (NAKI, siehe Antwort zu Frage 24). Der NAKI wurde von sieben thematischen Untergruppen unterstützt. Schwerpunkt der Arbeit z. B. der Untergruppe 3 war u. a. eine Analyse der MDR und IVDR insbesondere im Hinblick auf neue und/oder geänderte Anforderungen an Hersteller und Produkte. Die Ergebnisse wurden auf der Internetseite des BMG veröffentlicht und finden Eingang in die Diskussion zur Erstellung von europäischen Leitfäden für Hersteller von Medizinprodukten. 43. Plant die Bundesregierung weitere gesetzgeberische Akte in Bezug auf die Zulassung und das Inverkehrbringen von Medizinprodukten? Wenn ja, welche? Über die notwendige Anpassung des nationalen Rechts an die MDR und IVDR hinausgehende gesetzgeberische Akte in Bezug auf die Zulassung und das Inverkehrbringen von Medizinprodukten sind derzeit nicht geplant. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 15 – Drucksache 19/11541 Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/11541 – 16 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333