Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Auswärtigen Amts vom 11. Juli 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/11657 19. Wahlperiode 15.07.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/10729 – Menschenrechtssituation in Algerien V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Nach Kenntnis der Fragestellerinnen und Fragesteller kommt es in Algerien regelmäßig zu Menschenrechtsverletzungen, Diskriminierungen und Verfolgungen ethnischer und religiöser Minderheiten sowie von Homosexuellen. Dennoch hat der Deutsche Bundestag im Januar 2019 mit den Stimmen von CDU, CSU und SPD, der FDP und der AfD ein Gesetz beschlossen, mit dem dieses Land neben drei weiteren als asylrechtlich „sicherer Herkunftsstaat“ eingestuft werden soll (vgl. Plenarprotokoll 19/75). Der Bundesrat hat bislang noch nicht über dieses zustimmungspflichtige Gesetz abgestimmt. Seit Februar 2019 kommt es in Algerien zu weitgehend gewaltfreien Massenprotesten , die sich zunächst gegen die erneute Kandidatur des aufgrund seiner Erkrankung amtsunfähigen 82-jährigen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika bei der Präsidentenwahl richteten. Nach dessen Rücktritt wurden die Proteste mit der Forderung nach einem generellen Wandel des politischen Systems fortgesetzt . Beförderten einige der um eine Neuverteilung der Macht im Staat ringenden Clans aus Militär, Geheimdienst, Staatsbürokratie und Unternehmern die Proteste anfangs, so zeichnet sich ein zunehmend repressives Vorgehen der Sicherheitskräfte ab. Berichtet wird von willkürlichen Verhaftungen von Demonstrantinnen und Demonstranten, Drohungen gegen kritische Journalistinnen und Journalisten sowie Aktivistinnen und Aktivisten, dem unvorhersehbaren Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken und der Errichtung von Straßensperren rund um Algier. Offiziell gilt seit 2001 ein Versammlungsverbot in Algier (https://magazin.zenith.me/de/gesellschaft/demonstrationen-algeriennach -dem-r%C3%BCckzug-von-pr%C3%A4sident-bouteflika). Nach Berichten von Amnesty International wird in Algerien das Recht auf Versammlungsfreiheit nicht umfassend gewährt. Friedliche Aktivisten müssen mit Festnahmen und Strafverfahren rechnen, betroffen sind insbesondere auch Personen , die gegen hohe Arbeitslosigkeit und mangelhafte öffentliche Dienstleistungen protestieren. Im Laufe des Jahres 2017 wurden über 280 Angehörige der muslimischen Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya wegen ihres Glaubens strafrechtlich verfolgt (www.amnesty.de/informieren/positionspapiere/ deutschland-stellungnahme-bei-der-sachverstaendigenanhoerung-im). Auch Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/11657 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode die christliche Minderheit sieht sich immer wieder Diskriminierungen ausgesetzt (www.theeuropean.de/open-doors/13344-weltverfolgungsindex-vonchristen -algerien). Das algerische Strafgesetzbuch sieht vor, dass Männer, die ein minderjähriges Mädchen vergewaltigt haben, nicht bestraft werden, wenn sie ihr Opfer heiraten. Homosexuelle Handlungen sind in Algerien weiterhin strafbar, es kann eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe verhängt werden (www.amnesty.de/informieren/positionspapiere/deutschlandstellungnahme -bei-der-sachverstaendigenanhoerung-im). Angehörige der Berber-Minderheit (Imazighen) beklagen kulturelle und sprachliche Diskriminierung angesichts der von der Regierung betriebenen Arabisierungspolitik sowie gesellschaftliche Marginalisierung. Insbesondere die Bergregion Kabylei, in der überproportional viele Sicherheitskräfte stationiert sind, gleicht nach Kenntnis der Fragestellerinnen und Fragesteller einem Freiluftgefängnis (www.neopresse.com/politik/algerien-open-air-gefangnis-kabyleikolonisiert -und-von-der-welt-verlassen/; www.jungewelt.de/artikel/299340.unterverdacht .html; https://de.qantara.de/inhalt/soziale-krise-in-algerien-die-abgehaengtemittelschicht ). Algerien ist nicht nur ein Herkunftsland von Asylsuchenden, sondern hat sich auch zu einem wichtigen Transitland und auch zu einem Aufnahmeland für Schutzsuchende entwickelt. Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) haben 50 000 Kriegsflüchtlinge aus Syrien dort Schutz gefunden (www.sueddeutsche.de/politik/fluechtlinge-migrationalgerien -sahara-1.4274456). Immer wieder gehen die algerischen Behörden rücksichtslos und brutal gegen Geflüchtete vor. So berichtete die Nachrichtenagentur AP im Juni 2018 über Massenabschiebungen zehntausender Flüchtlinge in die Wüste in Niger. Überlebende erzählten, dass sie ohne Wasser und Nahrung sich selbst überlassen wurden, teilweise nahmen die algerischen Behörden den Betroffenen auch Geld und Handys ab (www.deutschlandfunk.de/algerienund -die-fluechtlingskrise-zum-sterben-in-die.799.de.html?dram:article_id=421718). Im Jahr 2018 wurden 25 000 Menschen aus Algerien nach Niger abgeschoben, darunter waren auch Personen, die gültige Arbeitsvisa hatten oder in Algerien als Flüchtlinge anerkannt worden waren. Betroffene beschreiben, dass algerische Sicherheitskräfte regelmäßig Razzien durchführen und dabei alle schwarzen Menschen festnehmen, ohne deren Dokumente zu überprüfen (www. hrw.org/news/2018/06/28/algeria-inhumane-treatment-migrants). Die Abschiebepraxis der Behörden geht ungeachtet der Massenproteste für Demokratie und soziale Gerechtigkeit auch in diesem Jahr weiter (www.infomigrants.net/ en/post/16148/left-to-die-how-algeria-deports-migrants-to-niger). 1. Wie lautet die Antrags-, Entscheidungs- und Bestandsstatistik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge für das Herkunftsland Algerien im bisherigen Jahr 2019 (bitte nach Monaten aufschlüsseln und auch Angaben zur bereinigten und unbereinigten Schutzquote machen)? Die Angaben zu Januar bis Mai 2019 sind durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bereits veröffentlicht worden (Asylgeschäftsstatistik) und können unter www.bamf.de/DE/Infothek/Statistiken/Asylzahlen/Asylgesch %C3%A4ftsstatistik/asylgeschaeftsstatistik-node.html abgerufen werden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/11657 2. Wie vielen algerischen Staatsangehörigen wurde nach Kenntnis der Bundesregierung im bisherigen Jahr 2019 ein Schutzstatus oder ein Abschiebungsverbot durch die Gerichte zugesprochen? Nach den dem BAMF vorliegenden Daten gab es im Zeitraum Januar bis April 2019 zu insgesamt 307 algerischen Staatsangehörigen Gerichtsentscheidungen (Klagen, Berufungen oder Revisionen) zu Asylentscheidungen des BAMF. Dabei wurde fünf Personen ein Schutzstatus zugesprochen. Bei weiteren drei Personen wurde ein Abschiebungsverbot festgestellt. Die übrigen 299 algerischen Staatsangehörigen erhielten weder einen Schutzstatus noch ein Abschiebungsverbot. 3. Wie viele algerische Staatsangehörige wurden nach Kenntnis der Bundesregierung 2019 in ihr Herkunftsland abgeschoben (bitte nach Monaten aufschlüsseln )? Im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. April 2019 wurden nach Kenntnis der Bundesregierung 174 algerische Staatsangehörige in ihr Heimatland zurückgeführt. Von den 174 Rückführungen in das Heimatland erfolgten 48 im Januar, 48 im Februar, 39 im März und 39 im April. 4. Wie viele Sammelabschiebungen von Deutschland nach Algerien gab es 2017, 2018 und im bisherigen Jahr 2019 nach Kenntnis der Bundesregierung (bitte einzeln mit Datum und der Zahl der Betroffenen aufführen)? Die Bundesregierung geht davon aus, dass mit dem Begriff „Sammelrückführungen “ Rückführungen gemeint sind, die mit Charterflügen durchgeführt werden. Derartige Maßnahmen wurden im genannten Zeitraum nicht durchgeführt. 5. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Festnahmen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern friedlicher Demonstrationen in Algerien seit 2017? Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Strafverfahren gegen Teilnehmerinnen und Teilnehmer friedlicher Demonstrationen in Algerien im selben Zeitraum? Aus der Zivilgesellschaft und durch algerische Medien hat die Bundesregierung Kenntnis von Festnahmen einzelner Teilnehmer von friedlichen Demonstrationen erlangt. In den meisten Fällen handelte es sich um vorübergehende Festnahmen von einigen Stunden. Von den Personen, die jüngst wegen Tragens der Berber- Flagge verhaftet wurden, verblieben mehrere in Untersuchungshaft. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 14h verwiesen. 6. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Repressionen gegen Journalistinnen und Journalisten und sonstige Einschränkungen der Meinungsund Pressefreiheit in Algerien? Die algerische Medienlandschaft ist pluralistisch. Diverse unabhängige Zeitungen und immer bedeutender werdende Online-Nachrichtenportale äußern teils scharfe Kritik an der Regierung. Die Bundesregierung beobachtet die Lage der Meinungs- und Pressefreiheit in Algerien mit großer Aufmerksamkeit. Ihr ist bekannt , dass es in den letzten Jahren vereinzelt zu Strafverfahren gegen (Online-) Journalistinnen und Journalisten wie auch zu vorübergehenden Verhaftungen von Journalistinnen und Journalisten kam. Ebenso hat sie Kenntnis, dass am Rande der Demonstrationen seit Mitte Februar 2019 einzelne Journalistinnen und Jour- Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/11657 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode nalisten vorübergehend festgenommen wurden. Seit dem 12. Juni 2019 ist das französischsprachige Online-Portal „Tout Sur l’Algérie (TSA)“ in Algerien nicht mehr zugänglich. 7. Welche gesellschaftlichen Gruppen und politischen Akteure beteiligen sich nach Kenntnis der Bundesregierung an den seit Februar 2019 stattfindenden Massenprotesten in Algerien? An den Protesten nehmen nach Kenntnis der Bundesregierung Menschen aus verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen teil. Eine zentrale Rolle spielen dabei Studentinnen und Studenten, ebenso vertreten sind unabhängige Gewerkschaften und einzelne Vertreterinnen und Vertreter von Oppositionsparteien. 8. Wie haben die algerischen Sicherheitsbehörden nach Kenntnis der Bundesregierung auf die seit Februar 2019 stattfindenden Massenproteste reagiert, welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über unverhältnismäßige Einschränkungen des Versammlungsrechts, Polizeigewalt und Repressionen gegen die Protestierenden, und welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus? Wenngleich das im Jahr 2001 für die Hauptstadt Algier erlassene Demonstrationsverbot fortbesteht, lassen Sicherheitskräfte die Massendemonstrationen seit Mitte Februar auch in der Hauptstadt zu und verfolgen eine weitgehend auf Deeskalation gerichtete Strategie. 9. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Strafverfahren gegen Angehörige der muslimischen Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya in Algerien seit 2017 wegen ihres Glaubens? Wie sind diese Verfahren nach Kenntnis der Bundesregierung ausgegangen? Es wird auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 20a der Kleinen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bundestagsdrucksache 19/2481 verwiesen. Weitere Informationen liegen der Bundesregierung nicht vor. 10. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Diskriminierungen und Verfolgungen von Christinnen und Christen in Algerien? Die Bundesregierung beobachtet mit großer Aufmerksamkeit die Lage der christlichen Minderheit in Algerien. Für Christen gilt grundsätzlich die von der Verfassung in Artikel 42 garantierte Religionsfreiheit, sie haben jedoch die Bestimmungen des „Gesetzes zur Regelung nicht-islamischer Kulte“ aus dem Jahr 2006 (unter anderem Verbot von Missionierungen) zu beachten. Der Religionsminister hatte in den vergangenen Jahren mehrfach zu Toleranz unter anderem gegenüber Christen aufgerufen. Im Übrigen wird auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 2 der Kleinen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bundestagsdrucksache 18/8694 verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/11657 a) Welche mit der Ausübung ihres Glaubens verbundene strafrechtliche Verfolgung von Christinnen und Christen welcher christlichen Konfession in den letzten fünf Jahren in Algerien ist der Bundesregierung bekannt? Auf der Grundlage des „Gesetzes zur Regelung nicht-islamischer Kulte“ ist es nach Kenntnis der Bundesregierung in den letzten Jahren zu einzelnen Strafverfahren wegen des Vorwurfs der Missionierung gekommen. Über die Medienberichterstattung hinausgehende Informationen liegen der Bundesregierung nicht vor. b) Inwieweit wurden in den letzten fünf Jahren Kirchen und sonstige christliche Einrichtungen oder Medien in Algerien nach Kenntnis der Bundesregierung geschlossen? Nach Kenntnis der Bundesregierung wurden in den letzten Jahren mit Verweis auf das „Gesetz zur Regelung nicht-islamischer Kulte“ einzelne der „Eglise protestante d’Algérie“ („Protestantische Kirche Algeriens“) zugehörige Kirchen bzw. Gebetsräume geschlossen. c) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über eine Verfolgung von Konvertiten, die zum Christentum übergetreten sind, in Algerien? Über eine Verfolgung, die unmittelbar in Zusammenhang mit einem Übertritt zum Christentum steht, hat die Bundesregierung über die Beantwortung der Frage 10a hinaus keine Kenntnisse. 11. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Drohungen oder Übergriffe islamistischer und dschihadistischer Parteien und Gruppierungen gegen Christen und andere religiöse Minderheiten in Algerien? Hierüber liegen der Bundesregierung keine Kenntnisse vor. 12. Inwieweit kann die Bundesregierung eine besondere Unterdrückung, Benachteiligung und Marginalisierung der Berber (Imazighen) in Algerien erkennen ? Es wird auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 25 der Kleinen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bundestagsdrucksache 19/2481 sowie auf die Antwort zu Frage 14h verwiesen. 13. Welchen Status hat die Berbersprache Tamazight nach Kenntnis der Bundesregierung in Algerien? Arabisch ist nationale und offizielle Sprache Algeriens. Durch die Verfassungsreform aus dem Jahr 2016 wurde auch Tamazight zur nationalen und offiziellen Sprache erklärt. Der Gebrauch der Sprache durch offizielle Stellen und die Unterrichtung an Schulen soll ausgeweitet werden. a) Inwieweit gibt es rechtliche oder praktische Einschränkungen im öffentlichen Gebrauch des Tamazight? Eine Vielzahl offizieller Dokumente liegt nach Kenntnis der Bundesregierung noch nicht in Tamazight vor. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/11657 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode b) Seit wann, inwieweit, ab welcher Klasse und an welchen Schulen wird Schulunterricht in Tamazight angeboten? Tamazight wird seit dem Jahr 1995 in Schulen unterrichtet, anfangs nur in der Region Kabylei. Im Schuljahr 2017/2018 haben, so das algerische Bildungsministerium , 350 000 Schülerinnen und Schüler in 38 (von insgesamt 48) Verwaltungsbezirken („Wilayas“) Tamazight-Unterricht erhalten (www.aps.dz/algerie/ 67275-pres-de-350-000-eleves-etudient-la-langue-amazighe-a-travers-38-wilayas). c) Inwieweit gibt es eine staatliche Unterstützung zur Förderung des Tamazight ? Die staatliche Förderung der Sprache erfolgt seit 1995 durch das „Hochkommissariat für Amazight(-Kultur)“ und soll durch eine im Jahr 2017 geschaffene, dem Staatspräsidenten unterstellte „Akademie“ noch weiter ausgebaut werden. An der Universität in Tizi Ouzou existiert eine Tamazight-Abteilung. d) Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis von einer durch die Regierung in Algier vorangetriebene sprachlichen Arabisierungspolitik gegenüber den Berbern? Die Berber-Sprache Tamazight wurde seit 1995 schrittweise anerkannt bzw. ihr Gebrauch ausgeweitet. In der Zeit davor wurde offiziell von einer sprachlichen Arabisierungspolitik gesprochen. 14. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung zur sozialen, menschenrechtlichen und politischen Situation in der algerischen Kabylei? In der Region Kabylei ist die kulturelle und sprachliche Identität besonders stark ausgeprägt und regierungskritische Parteien (allen voran die älteste Oppositionspartei „Front des forces socialistes“) sind besonders stark verwurzelt, auch aus Widerstand gegen die in der Antwort zu Frage 13d genannte, frühere sprachliche Arabisierungspolitik der Zentralregierung. a) Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis, ob eine strafrechtliche Verfolgung von Aktivistinnen und Aktivisten von Gruppierungen wie der Union pour la République Kabyle URK, des Rassemblement Pour la Kabylie RPK und des Mouvement pour l’Autodétermination de la Kabylie (MAK), die Autonomie oder Unabhängigkeit für die Kabylei anstreben , stattfindet? Das algerische Parteiengesetz erlaubt keine Parteien, die sich gegen die Einheit des Landes richten. Über Medienberichte hinaus liegen der Bundesregierung keine Kenntnisse vor. b) Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis, ob es zu Übergriffen von Sicherheitskräften, Inhaftierungen, Misshandlungen oder Folterungen von Aktivistinnen und Aktivisten, die die Autonomie oder Unabhängigkeit für die Kabylei anstreben, kommt? Seit dem Jahr 2015 gab es keine Berichte über Fälle von Folter oder Misshandlung von Aktivistinnen und Aktivisten. Der für diese Fälle früher häufig verantwortlich gemachte algerische Nachrichtendienst „DRS“ („Département du Renseignement et de la Sécurité“) wurde mittlerweile offiziell aufgelöst. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/11657 c) Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis, ob Aktivistinnen und Aktivisten der Bewegung für eine Autonomie oder Unabhängigkeit der Kabylei von Seiten des Staates und der Sicherheitskräfte mit Verlust des Arbeits- oder Studienplatzes (auch bei Familienangehörigen) bedroht werden? d) Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis, ob es in der Kabylei zu einer überproportionalen Konzentration von Sicherheitskräften (Militär, Polizei , Gendarmarie, Geheimdienst) kommt? e) Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis, ob in der Kabylei durch die algerische Armee Rüstungsgüter und Waffen aus deutscher Lieferung eingesetzt werden? f) Sind der Bundesregierung Berichte über eine Täterschaft der Sicherheitskräfte an Waldbränden in der Kabylei bekannt, und welche Konsequenzen zieht sie ggf. daraus? g) Inwieweit mussten sich nach Kenntnis der Bundesregierung Angehörige von Sicherheitskräften, die im Frühling des Jahres 2001 für die Tötung von rund 120 vor allem jugendlichen Demonstrantinnen und Demonstranten in der Kabylei und Algiers verantwortlich waren, für ihre Taten vor Gericht verantworten (www.neues-deutschland.de/artikel/169426.kabylensehen -sich-zwischen-den-fronten.html)? Zu den Fragen 14c bis 14g liegen der Bundesregierung über Medienberichte hinaus keine Erkenntnisse vor. h) Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis, ob Sicherheitskräfte und andere Demonstrationsteilnehmerinnen und Demonstrationsteilnehmer keine Flaggen der Kabylei bzw. Berberfahnen bei den jüngsten Massenprotesten gegen eine erneute Präsidentschaftskandidatur von Abdelaziz Bouteflika in Algiers erlaubten? Die Bundesregierung verfolgt die jüngsten Massenproteste mit großer Aufmerksamkeit . Ihr ist bekannt, dass nach Aufruf des Armeechefs Berber-Fahnen konfisziert wurden. Wiederholt wurden mehrere Personen in Untersuchungshaft genommen . Berber-Fahnen sind jedoch weiterhin bei den Demonstrationen zu sehen . 15. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die politische, soziale und menschenrechtliche Situation in Ghardaia und über die Hintergründe und Folgen des dortigen Konfliktes zwischen Mozabiten und Chaamba (https:// de.qantara.de/inhalt/ethnische-konflikte-in-algerien-kampf-um-macht-undanerkennung )? Der Bundesregierung ist die Situation in der Region von Ghardaia bekannt. Seit 2013 gab es dort gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen der eingesessenen mozabitischen Bevölkerung und Sicherheitskräften (arabischstämmige Chaamba) mit mehreren Toten, im Juli 2015 eskalierte die Situation mit mindestens 25 Toten. Das Thema ist erneut ins öffentliche Bewusstsein in Algerien gerückt , nachdem am 28. Mai 2019 der mozabitische Menschenrechtsverteidiger Kamal Eddine Fekhar in Folge eines Hungerstreiks verstarb. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/11657 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 16. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Strafverfahren gegen Schwule, Lesben, Bisexuelle, Trans- und Interpersonen (LSBTI) wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität in Algerien seit 2017? a) Wie sind diese Verfahren nach Kenntnis der Bundesregierung ausgegangen ? b) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über An- und Übergriffe gegen LSBTI wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität durch staatliche und nichtstaatliche Akteure seit 2017? c) Wie bewertet die Bundesregierung insgesamt die Situation von LSBTI in Algerien (bitte ausführlich darstellen)? Die Fragen 16 und 16a bis 16c werden zusammengefasst beantwortet. Es wird auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 21 der Kleinen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bundestagsdrucksache 19/2481 verwiesen. 17. Inwieweit, wo und in welchen Branchen bestehen nach Kenntnis der Bundesregierung unabhängige Gewerkschaften in Algerien, und über wie viele Mitglieder verfügen sie? Die meisten unabhängigen Gewerkschaften haben keine offizielle Zulassung. Der Bundesregierung ist deren genaue Anzahl und die der Mitglieder nicht bekannt. Sie existieren in verschiedensten Branchen, darunter im öffentlichen Dienst, an Schulen oder in Krankenhäusern. a) Inwieweit und unter welchen Voraussetzungen sind die unabhängigen Gewerkschaften in Algerien gesetzlich zugelassen und tariffähig? Es wird auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 25 der Kleinen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bundestagsdrucksache 18/8694 verwiesen. b) Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über eine politische oder strafrechtliche Verfolgung von Aktivistinnen und Aktivisten unabhängiger Gewerkschaften in Algerien? Hierüber liegen der Bundesregierung keine Kenntnisse vor. 18. Wie viele Menschen sind aktuell nach Kenntnis der Bundesregierung in Algerien in Haft (bitte zwischen Untersuchungs- und Strafhaft differenzieren), und welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über eine problematische Situation in Haftanstalten aufgrund von Überbelegung und mangelhafter Nahrungs- und Gesundheitsversorgung? Wie hat sich die Zahl der Inhaftierten nach Kenntnis der Bundesregierung seit 2012 entwickelt, wie viele neue Gefängnisse mit wie vielen Haftplätzen wurden ggf. seitdem eröffnet, und inwieweit ist der Bau weiterer zusätzlicher Gefängnisse geplant? Die Bundesregierung hat keine Kenntnis über die Zahl der in Algerien inhaftierten Personen. Nach ihr vorliegenden Informationen sind von den 144 Justizvollzugsanstalten in Algerien die meisten weniger als zehn Jahre alt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 9 – Drucksache 19/11657 Die algerischen Strafvollzugsbehörden sind bestrebt, die Haftbedingungen in ihren Gefängnissen an internationalen Standards auszurichten. Die Teilnahme an Kooperationsprojekten von europäischen Experten (EU-Twinning-Projekt mit Frankreich und Italien; laufende Zusammenarbeit mit Deutscher Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit (IRZ) zur Reform des Strafvollzugs) unterstreicht dies. 19. Wie viele Geflüchtete und Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten halten sich nach Kenntnis der Bundesregierung in Algerien auf? a) Wie viele von ihnen verfügen nach Kenntnis der Bundesregierung über einen Flüchtlingsstatus oder ein gültiges Arbeitsvisum? b) Inwieweit haben Menschen mit einem Flüchtlingsstatus in Algerien Zugang zu Bildung, zum Arbeitsmarkt, sozialen Leistungen und das Recht auf Familiennachzug? Die Fragen 19, 19a und 19b werden zusammengefasst beantwortet. Laut algerischer Regierung halten sich ca. 160 000 Migranten aus Subsahara- Afrika in Algerien auf. Diese besitzen keinen aufenthaltsrechtlichen Status und keine offizielle Arbeitserlaubnis. Ihnen wird jedoch in der Regel der Zugang zu staatlicher Bildung und Gesundheitsversorgung gewährt. Außerdem halten sich in Algerien mindestens 40 000 syrische Flüchtlinge, die bis zum 1. Januar 2015 visumsfrei einreisen konnten, sowie etwa 4 000 Palästinenser auf. Für beide Gruppen bestehen Sonderregelungen, um ihnen beispielsweise den Zugang zu Bildung oder zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. In den Flüchtlingslagern um die algerische Stadt Tindouf (2 000 Kilometer südwestlich von Algier) herum lebende Sahraouis (Bewohner Westsahara) stellen das größte Kontingent ausländischer Flüchtlinge. Am 31. Dezember 2017 betrug ihre Zahl laut UNHCR 173 600. Im Übrigen wird auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 22 der Kleinen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bundestagsdrucksache 19/2481 verwiesen. 20. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Massenabschiebungen von Geflüchteten und Arbeitsmigranten aus Algerien nach Niger (siehe Vorbemerkung der Fragesteller, bitte möglichst genau darstellen und soweit möglich Vorfälle einzeln auflisten)? Wie viele Personen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung seit 2017 im Zuge solcher Massenabschiebungen abgeschoben? Wie viele Menschen kamen dabei nach Kenntnis der Bundesregierung zu Tode? Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dieser Praxis algerischer Sicherheitsbehörden? Laut algerischem Innenministerium wurden mit Verweis auf ein algerisch-nigrisches Abkommen zwischen November 2014 und November 2018 37 000 Personen nach Niger zurückgeführt. Für nigrische Staatsangehörige geschieht dies auf geordnete Weise, wie Vertreter der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) beobachtet und bestätigt haben. Auch Staatsangehörige aus anderen Staaten sind von diesen Abschiebungen betroffen, über die Umstände dieser Abschiebungen hat die Bundesregierung keine über Presseberichte hinausgehenden eigenen Erkenntnisse . Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/11657 – 10 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 21. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über regelmäßige Razzien algerischer Sicherheitskräfte, die sich gegen schwarze Menschen richten (siehe Vorbemerkung der Fragesteller, bitte möglichst genau darstellen und soweit möglich Vorfälle einzeln auflisten)? Über Presseberichte hinaus hat die Bundesregierung hierüber keine eigenen Kenntnisse. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. 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