Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Auswärtigen Amts vom 12. Juli 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/11665 19. Wahlperiode 15.07.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/11303 – Einsatz deutscher Chemiewaffen im ostanatolischen Dersim 1937/1938 V o r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g In den Jahren 1937/1938 wurden große Teile der kurdischen, alevitischen und zazaki- und kurmancisprachigen Bevölkerung in der ostanatolischen Region Dersim (türkisch: Tunceli) im Rahmen der von Ankara beschlossenen zwangsweisen Türkisierung nichttürkischer Bevölkerungsgruppen von der türkischen Armee ermordet, in andere Landesteile deportiert oder vertrieben (www. pirha.net/dersim-katliami-ile-ilgili-yeni-belgeler-ortaya-cikti-dersimde-nazi-gazlari- 171973.html/11/05/2019/; http://yeniozgurpolitika.net/dersimde-nazi-gazi/). Nach amtlichen Angaben starben damals 13 806 Menschen, das entspricht fast einem Zehntel der damaligen Bevölkerung Dersims. Andere Quellen gehen von bis zu 70 000 Opfern aus (www.dersim-tertele.com/index.php/de/ueber-uns/geschichtedersim -1937-38-oral-history-projekts). Überlebende der Dersim-Massaker berichteten vom Einsatz chemischer Waffen gegen die Zivilbevölkerung. Der Förderverein Dersim e. V. hat auf seiner Webseite Dokumente darüber ins Deutsche übersetzt (www.dersim-tertele.com/ index.php/de/dersim/dokumente/item/100-es-wurde-gas-benutzt). Im Mai 2019 zuerst von der „Dersim Gazetesi“ veröffentlichte, bisher unbekannte Dokumente aus dem türkischen Staatsarchiv zeigen, dass der damalige türkische Staatspräsident Mustafa Kemal Atatürk am 7. August 1937 ein geheimes Dekret zur Bestellung von 20 Tonnen chemischer Kampfstoffe und einer automatischen Abfüllanlage in Deutschland unterzeichnete. Bei den über die türkische Botschaft in Berlin eingekauften Kampfstoffen handelt es sich um Senfgas und Chloracetophenon (https://dersimgazetesi.org/zehirli-gazlar-almanyadanbombardiman -ucaklari-amerikadan-alinmis/). Schon länger bekannte Dokumente des türkischen Gesundheitsministeriums belegen zudem, dass deutsche Chemiewaffenspezialisten die türkische Armee schulten. Auch die Flugzeuge, die zum Abwurf der Gasbomben eingesetzt wurden , kamen wohl aus Deutschland. So orderte Ankara 24 zweimotorige Bomber vom Typ Heinkel He 111 J, die ab Oktober 1937 von den Heinkel Werken Oranienburg (HWO) ausgeliefert wurden (www.jungewelt.de/artikel/354913.chpin -schwierigkeiten-giftgas-aus-deutschland.html; http://yeniozgurpolitika.net/ dersimde-nazi-gazi/; www.pirha.net/dersim-katliami-ile-ilgili-yeni-belgeler-ortayacikti -dersimde-nazi-gazlari-171973.html/11/05/2019/). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/11665 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Auf Bundestagsdrucksache 19/9548 erklärte die Bundesregierung zu den Massakern und Vertreibungen 1937/1938 in Dersim/Tunceli: „Die Bundesregierung erkennt das Leid der Opfer und ihrer Nachfahren an. Der Prozess einer historischen und politischen Aufarbeitung muss jedoch in erster Linie innerhalb der Türkei erfolgen.“ Zudem verwies die Bundesregierung darauf, dass Archivgut aus dem Bundesarchiv und dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amts zu diesem lange zurückliegenden Zeitraum der Allgemeinheit zur Verfügung steht und daher eine selbständige Informationserhebung möglich sei. Die Fragestellerinnen und Fragesteller sehen nach den jüngsten Dokumentenveröffentlichungen , die auf eine deutsche Beteiligung am türkischen Chemiewaffenprogramm hindeuten, auch die Bundesregierung in der Verantwortung, sich aktiv an einer historischen und politischen Aufarbeitung zu beteiligen (www.heise.de/tp/features/Das-Dersim-Massaker-an-den-alevitischen-Kurdenin -der-Tuerkei-3372147.html; https://kurdische-gemeinde.de/neue-dokumentebelegen -einsatz-von-chemischen-kampfmitteln-aus-ns-deutschland-im-dersimmassaker -von-1937-38-aufarbeitung-notwendig/). Zudem sind im Bundesarchiv und dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amts keine öffentlich zugänglichen , relevanten, Informationen dazu enthalten. V o r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g : Die erfragten Informationen betreffen die Jahre 1925 bis 1938. Betroffen ist angesichts des lange zurückliegenden Zeitraums Archivgut. Über Archivgut hinaus liegen der Bundesregierung keine weiteren Informationen vor. Nach dem hier gegebenen Ablauf der Schutzfristen steht Archivgut nach den Vorschriften des Bundesarchivgesetzes grundsätzlich jedermann zur Verfügung, so dass die Bundesregierung gegenüber dem Deutschen Bundestag weder einen Wissensvorsprung noch weitergehende Vorrechte bei der Informationserhebung hat. Ferner wird auf die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 19/9548 verwiesen. 1. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung von im Mai 2019 veröffentlichten , bisher unbekannten Dokumenten aus türkischen Staatsarchiven über die Bestellung von chemischen Waffen durch den damaligen türkischen Präsidenten Mustafa Kemal Atatürk in Deutschland? a) Inwieweit hält die Bundesregierung diese Dokumente für authentisch? b) Welche grundsätzlichen Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus diesen Dokumenten? c) Gedenkt die Bundesregierung, diese Dokumente von Historikerinnen und Historikern wissenschaftlich überprüfen zu lassen, und falls ja, wann, und durch wen? Die Fragen 1 bis 1c werden gemeinsam beantwortet. Die mediale Berichterstattung zu den in der Fragestellung genannten Dokumenten ist der Bundesregierung bekannt. Eigene, darüber hinaus gehende Kenntnisse liegen der Bundesregierung nicht vor. Die unabhängige Überprüfung und Interpretation der genannten Dokumente obliegt der Wissenschaft. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/11665 2. Inwieweit hält die Bundesregierung angesichts der neu veröffentlichten Dokumente über die mögliche Lieferungen chemischer Waffen aus Deutschland an die Türkei und deren Einsatz gegen die Bevölkerung von Dersim im Jahr 1937 an ihrer auf Bundestagsdrucksache 19/9548 getätigten Feststellung zu den Massakern und Vertreibungen 1937/1938 in Dersim/Tunceli fest, dass „der Prozess einer historischen und politischen Aufarbeitung fest jedoch in erster Linie innerhalb der Türkei erfolgen“ müsse? a) Inwieweit sieht die Bundesregierung angesichts dieser Dokumente auch Deutschland in der Pflicht, sich am Prozess einer historischen und politischen Aufarbeitung zu beteiligen? b) Inwieweit befürwortet die Bundesregierung ein aus Bundesmitteln gefördertes Forschungsprojekt zur Aufarbeitung der Rolle der deutschen Reichsregierung, der Wehrmacht und der deutschen chemischen Industrie bei den damaligen Ereignissen? Die Fragen 2 bis 2b werden gemeinsam beantwortet. Die Bundesregierung hält an ihrer Feststellung zu den Massakern und Vertreibungen 1937/1938 in Dersim/Tunceli fest, dass der Prozess einer historischen und politischen Aufarbeitung in erster Linie innerhalb der Türkei erfolgen muss. Auf die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 19/9548 wird verwiesen. Gleichzeitig erkennt die Bundesregierung das Leid der Opfer und ihrer Nachfahren an. Die Bundesregierung ist bereit, im Falle einer Aufarbeitung der damaligen Ereignisse durch die Türkei eine deutsche Beteiligung zu prüfen. 3. Welche Rolle spielte nach Kenntnis der Bundesregierung die deutsche Reichsregierung bei der Lieferung chemischer Kampfstoffe an die Türkei im Jahr 1937? a) Von welchen deutschen Unternehmen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung die möglicherweise 1937 an die Türkei gelieferten chemischen Kampfstoffe und Abfüllanlagen gefertigt? b) Inwieweit handelten diese Unternehmen dabei auf Weisung oder mit Genehmigung der Reichsregierung? Die Fragen 3 bis 3b werden gemeinsam beantwortet. Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen. 4. Hat die Bundesregierung Kenntnisse oder gar Belege (z. B. im politischen Archiv des Auswärtigen Amts) über eine Lieferung von Heinkel (-He111-) Kampfflugzeugen im Jahr 1937 an die Türkei? Wenn ja, welche? a) Wie viele Flugzeuge wurden unter welchen Bedingungen auf welchen Wegen wann an die Türkei geliefert? b) Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, ob diese Maschinen in den Jahren 1937/1938 in Dersim zum Einsatz kamen? Die Fragen 4 bis 4b werden gemeinsam beantwortet. Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/11665 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 5. Welche wissenschaftlichen Untersuchungen über die militärische Kooperation von Deutschland und der Türkei in den 1930er und 1940er Jahren sind der Bundesregierung bekannt, und welche Konsequenzen zieht sie aus ihnen? Der Bundesregierung sind keine Untersuchungen im Sinne der Fragestellung bekannt . Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333