Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 16. Juli 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/11771 19. Wahlperiode 19.07.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Joana Cotar, Uwe Schulz, Dr. Michael Espendiller und der Fraktion der AfD – Drucksache 19/11333 – Auswirkungen der biometrischen Gesichtserkennung V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r In Zusammenarbeit von Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI), Bundespolizei, Bundeskriminalamt und Deutsche Bahn AG wurde im Zeitraum 8/2017 bis 1/2018 (Testphase 1) sowie 2/2018 bis 7/2018 (Testphase 2) im Rahmen eines ersten Teilprojektes die biometrische Gesichtserkennung als Unterstützungsinstrument polizeilicher Fahndung am Bahnhof Berlin Südkreuz getestet (Quelle siehe Abschlussbericht im Folgeabsatz). Im Abschlussbericht (www.bundespolizei.de/Web/DE/04Aktuelles/01Meldungen/ 2018/10/181011_abschlussbericht_gesichtserkennung_down.pdf?__blob =publicationFile) für das erste Teilprojekt führt das Bundespolizeipräsidium Potsdam in Kapitel 8. Handlungsempfehlungen aus, dass im Rahmen der weiteren Ausweitung von Videotechnik auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes an ausgewählten Personenbahnhöfen auch die biometrische Gesichtserkennung als Unterstützungsinstrument der polizeilichen Fahndung eingesetzt werden soll. Mit Blick auf den hierdurch zu erzielenden Sicherheitsgewinn sollen Überlegungen angestellt werden, in welchen weiteren gesetzlichen Aufgabenbereichen der Bundespolizei die Möglichkeiten biometrischer Gesichtserkennung genutzt werden könnten. Dazu solle die bereits genutzte Videotechnik auf ihre Kompatibilität mit der erprobten Gesichtserkennungstechnik hin überprüft werden. Im Rahmen zukünftiger Modernisierungen bzw. Neuausstattungen von Videoüberwachungsanlagen in gesetzlichen Aufgabenbereichen der Bundespolizei sollen die Anforderungen für den Einsatz von Gesichtserkennungstechnik und sonstiger intelligenter Videoüberwachungstechnik mitberücksichtigt werden. „Im Anschluss an das Teilprojekt 1 sollen im Rahmen des Teilprojektes 2 die Möglichkeiten der Unterstützung der polizeilichen Einsatzbewältigung … durch den Einsatz von intelligenter Videoanalysetechnik in verschiedenen Anwendungsfällen (‚use cases‘) untersucht werden“ (ebd., S. 15). Das Forschungsinstitut AI Now (New York) kommt in seinem Jahresbericht zu folgenden Schlüssen (https://ainowinstitute.org/AI_Now_2018_Report.pdf, Seite 4, Punkt 2 der „Recommendations“; eigene Übertragung aus dem Englischen ): „Die Gesichtserkennung und deren Auswirkungen erfordert eine strenge Regulierung, um das öffentliche Interesse zu schützen. Eine solche Regulierung Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/11771 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode sollte nationale Gesetze einschließen, die eine strenge Kontrolle, klare Beschränkungen und öffentliche Transparenz erfordern. … Die Affekterkennung ist eine Unterklasse der Gesichtserkennung, die behauptet, anhand von Bildern oder Videos von Gesichtern Dinge wie Persönlichkeit, innere Gefühle, geistige Gesundheit und Arbeiterengagement zu erkennen. Diese Behauptungen stützen sich nicht auf solide wissenschaftliche Beweise und werden auf unethische und verantwortungslose Weise angewandt, die häufig an die Pseudowissenschaften der Phrenologie und Physiognomie erinnern. Die Verknüpfung der Anerkennung von Auswirkungen mit der Einstellung von Mitarbeitern, dem Zugang zu Versicherungen, Bildung und Polizeiarbeit schafft tiefgreifende Risiken sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene.“ V o r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Im Rahmen des gemeinsamen Projektes „Sicherheitsbahnhof Berlin Südkreuz“ von Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Bundespolizei, Bundeskriminalamt und Deutsche Bahn AG ist vereinbart worden, den Nutzen von intelligenter Videoanalysetechnik für polizeiliche und unternehmerische Zwecke zu erproben. Das Projekt „Intelligente Videoanalyse“ gliedert sich in zwei Teilprojekte: In einem ersten Teilprojekt wurde ohne inhaltliche Beteiligung der Deutsche Bahn AG der Nutzen von biometrischer Gesichtserkennungstechnik in Live-Videoströmen der Überwachungskameras der Deutschen Bahn AG für polizeiliche Zwecke getestet. Dieses Teilprojekt hatte am 1. August 2017 begonnen und endete nach einem Jahr am 31. Juli 2018. In diesem einjährigen Erprobungszeitraum konnten sämtliche Jahreszeiten, Witterungsbedingungen und Lichtverhältnisse dargestellt werden. Bei dem Test der biometrischen Gesichtserkennung wurde nicht von jeder Person die Identität festgestellt, sondern es erfolgte ein Abgleich des bzw. der Bilder mit einer Testdatenbank. Der Test wurde ausschließlich mit freiwilligen Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf Basis einer Einwilligung durchgeführt. Der Abschlussbericht des Bundespolizeipräsidiums über den Test der Gesichtserkennungssysteme am Bahnhof Berlin Südkreuz wurde am 11. Oktober 2018 durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat veröffentlicht. Als Bilanz wurde durch die Bundespolizei festgestellt, dass die Gesichtserkennungssysteme nach dem Stand der Technik in der Zukunft einen wesentlichen Mehrwert für die polizeiliche Arbeit, insbesondere der Bundespolizei, darstellen können. Nach polizeifachlicher Bewertung soll die Technik die Arbeit der Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamten unterstützen und nicht ersetzen . Im Anschluss an den Test der Gesichtserkennungssysteme werden in einem zweiten Projekt seit dem 18. Juni 2019 intelligente Videoanalysesysteme für die Behandlung und Auswertung verschiedener Gefahrenszenarien erprobt. Der ursprünglich für Anfang 2019 geplante Start des Projekts wurde auf Bitte der Deutsche Bahn AG in den Sommer 2019 verschoben. Unter der Federführung der Deutsche Bahn AG wird das automatisierte Erkennen von bestimmten Situationen , die die Qualität, Zuverlässigkeit und Sicherheit des Bahnbetriebs beeinträchtigen können, getestet. Zentrales Ziel der Deutsche Bahn AG ist es dabei, durch innovative Technologien die Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit des Bahnbetriebs zu steigern und Beeinträchtigungen zu Lasten der Reisenden und Bahnhofsbesu- Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/11771 cher zu reduzieren. Für die Bundespolizei stehen die effektivere Gefahrenabwehr auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahn des Bundes und die daraus resultierenden möglichen Sicherheitsgewinne im Vordergrund. Die zu testende Software soll die nachfolgenden Situationen erkennen: Erkennen liegender Personen, die zuvor stehend oder aus der Bewegung plötzlich am Boden liegen, z. B. hilfsbedürftige Personen; Erkennen von Personen beim Betreten definierter Bereiche, z. B. Baustellen, Zugänge für Lieferanten; Erkennen von Personenströmen/Ansammlungen, z. B. Visualisieren von Ansammlungen vor Fahrtreppen oder schnelle Bewegungen von Personengruppen ; Personenzählung, z. B. Anzahl von Personen, die sich in einem festgelegten Bereich aufhalten; Erkennen abgestellter Gegenstände, z. B. Gepäckstücke, die sich über einen längeren Zeitraum herrenlos am gleichen Ort befinden; Nachvollziehen der Positionen von Personen/Gegenständen im Bahnhof; um bspw. Besitzer der herrenlosen Gegenstände aufzufinden (ausschließlich Bundespolizei); Die retrograde Auswertung der vorgenannten Szenarien (ausschließlich Bundespolizei ). Bei der Auswahl der Testszenarien erfolgte eine Orientierung an typischen Situationen im Bahnhof, die in der Vergangenheit zu Verzögerungen und Qualitätseinschränkungen im Bahnbetrieb oder zu polizeilichen Einsätzen geführt haben. Es ist geplant, an jeweils zwei Testtagen pro Woche, verschiedene der Szenarien mittels der intelligenten Videotechnik erkennen zu lassen. Die Situationen werden durch eigens hierfür eingesetzte Darsteller nach einem definierten Ablauf („Drehbuch“) dargestellt. Die Software soll auf diese Situationen automatisiert hinweisen. 1. Teilt die Bundesregierung die im Abschlussbericht des Bundespolizeipräsidiums Potsdam zum ersten Teilprojekt „Biometrische Gesichtserkennung“ erfolgten Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen? a) Wenn ja, welche Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen werden durch die Bundesregierung umgesetzt? b) Wann und wo ist mit einer Umsetzung zu rechnen? Die Meinungsbildung innerhalb der Bundesregierung hierzu ist noch nicht abgeschlossen . Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/11771 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 2. Welche Vorbehalte bestehen bei der Bundesregierung hinsichtlich der nicht umzusetzenden Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen? 3. Wurde durch die Bundesregierung schon eine Entscheidung getroffen, unter welchen Bedingungen und in welchem Umfang die Technik der biometrischen Gesichtserkennung künftig zum Einsatz kommen soll (Presseerklärung des BMI vom 11. Oktober 2018; www.bmi.bund.de/SharedDocs/ pressemitteilungen/DE/2018/10/gesichtserkennung-suedkreuz.html)? a) Wenn nein, warum nicht? b) Wann kann mit einer Entscheidung gerechnet werden? Die Fragen 2 und 3 werden gemeinsam beantwortet. Es wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 4. Wurden die durch das BMI angekündigten zeitnahen und erforderlichen Gespräche schon aufgenommen (Presseerklärung des BMI vom 11. Oktober 2018)? a) Wenn ja, wurden dabei auch Vertreter betroffener Interessenvertreter und Datenschutzbeauftragte mit einbezogen? b) Wenn nein, warum wurden diese Vertreter nicht eingeladen? c) Wann kann mit der Aufnahme der zeitnahen und erforderlichen Gespräche durch das BMI gerechnet werden? Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat und auch die Bundespolizei haben mit der Aufnahme der Gespräche begonnen. Dabei wurde und wird, insbesondere im Zusammenhang mit dem Projekt am Bahnhof Südkreuz, der Bundesbeauftrage für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, regelmäßig eingebunden. 5. Wurden bei diesen Gesprächen durch das BMI (Presseerklärung des BMI vom 11. Oktober 2018) auch der Datenschutz und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung mitbehandelt, und wenn ja, welche Erkenntnisse konnte die Bundesregierung daraus ziehen? Bei der Entscheidung, unter welchen Bedingungen und in welchem Umfang entsprechende Systeme zur Gesichtserkennung und sonstigen intelligenten Videoüberwachung künftig zum Einsatz kommen können, sind zwingend auch der Datenschutz und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu beachten. 6. Wurde das zweite Teilprojekt, welches im Januar 2019 beginnen sollte, schon gestartet? a) Wenn nein, warum nicht? b) Wann ist mit dem Beginn des zweiten Teilprojekts zu rechnen? 7. Welche konkreten Anwendungsfälle („use cases“) werden im zweiten Teilprojekt durch die Bundesbehörden untersucht und erprobt? Die Fragen 6 und 7 werden gemeinsam beantwortet. Es wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/11771 8. Wird im Zuge des zweiten Teilprojekts die Affekterkennung durch Bundesbehörden untersucht? a) Wenn ja, welchen konkreten Zweck verfolgt die Bundesregierung damit? Die Fragen 8 und 8a werden gemeinsam beantwortet. Im Zuge des zweiten Teilprojekts wird die Affekterkennung nicht untersucht. b) Wenn nein, wird die Affekterkennung durch die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Einsatz von intelligenter Videoanalysetechnik untersucht , und in welchen Bereichen werden hier Untersuchungen angestellt ? Die Affekterkennung wird im Sinne der Fragestellung nicht untersucht. 9. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass die Affekterkennung tiefgreifende Risiken sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene birgt? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Kenntnisse vor. 10. Hat die Bundesregierung Kenntnis vom Jahresbericht des New Yorker Forschungsinstitutes „AI Now 2018“ (https://ainowinstitute.org/AI_Now_ 2018_Report.pdf), und wenn ja, welche Erkenntnisse und Schlussfolgerungen für den Fortgang ihres Projektes zur biometrischen Gesichtserkennung zieht sie aus den dortigen Ausführungen zur Affekterkennung? Der Jahresbericht des New Yorker Forschungsinstitutes „AI Now 2018“ ist bekannt . Die Affekterkennung war und ist nicht Ziel des Projektes „Sicherheitsbahnhof Berlin Südkreuz“. 11. Welches sind die konkreten unternehmerischen Zwecke, die die Bundesregierung in ihrer Vorbemerkung der Antwort auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 19/6076 zu den Ergebnissen des Pilotprojekts zur biometrischen Gesichtserkennung am Bahnhof Berlin Südkreuz anspricht? Es wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333