Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom 13. August 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/12392 19. Wahlperiode 14.08.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Steffen Kotré, Tino Chrupalla, Enrico Komning, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD – Drucksache 19/12042 – Gefährdung der Versorgungssicherheit durch Engpässe in der Stromerzeugung V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Im Juni 2019 war die Stromversorgung in Deutschland nach Pressemeldungen an mindestens drei Tagen akut gefährdet. Medienberichten zufolge konnten innerdeutsche Versorgungsengpässe nur durch massive Stromimporte aus dem Ausland ausgeglichen und damit drohende Stromausfälle abgewendet werden (www.handelsblatt.com/unternehmen/energie/stromnetz-so-steht-es-um-dieversorgungssicherheit -in-deutschland/24520092.html?ticket=ST-4358266-bQ T6db75LfzKC7Pe0CfL-ap6). Die Preise für Regelenergie (positive Minutenreserve) stiegen aufgrund der Engpässe auf kurzzeitig 37 856 Euro/Megawattstunde statt der durchschnittlichen 100 Euro/Megawattstunde (www.energate-messenger.de/news/192785/ turbulenzen-im-regelenergiemarkt). Unabhängig davon, dass die konkrete Ursache der Ereignisse im Juni 2019 noch nicht vollständig aufgeklärt ist, weisen zuständige Stellen und Behörden bereits seit langem auf schwerwiegende Gefährdungsfaktoren im deutschen Stromnetz hin, die ein umgehendes Handeln seitens der Bundesregierung erfordern. Seit dem massiven Ausbau der unregelmäßig einspeisenden erneuerbaren Energien und dem gleichzeitigen Rückbau konventioneller Kraftwerke im Zuge der „Energiewende“ häufen sich die Meldungen, wonach Störungen im Stromnetz zunehmend zu einer Gefährdung der Stromversorgung führen. So warnt derzeit der Bundesrechnungshof als oberste Bundesbehörde vor zunehmend unkontrollierbaren Netzzuständen, die neben der Gefahr von Blackouts auch zu jährlichen Kosten von rund 2 Milliarden Euro führen (www.handelsblatt.com/ politik/deutschland/versorgungssicherheit-gefaehrdet-rechnungshof-warnt-vorverschaerften -problemen-im-stromnetz/24523438.html; www.energate-messenger. de/news/192944/bundesrechnungshof-warnt-vor-risiken-im-stromnetz). Die Expertenkommission der Bundesregierung zum Monitoring der Energiewende kommt ergänzend hierzu zu der schwerwiegenden Erkenntnis, dass der geplante Kohleausstieg voraussichtlich zu einer Gefährdung der Versorgungssicherheit unserer Nachbarländer Belgien und Frankreich führen wird (www.bmwi.de/ Redaktion/DE/Downloads/E/ewk-stellungnahme.pdf?__blob=publicationFile &v=4). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/12392 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Die Bundesregierung wiederholt in diesem Zusammenhang gebetsmühlenartig , dass die Versorgungssicherheit nach wie vor auf einem hohen Niveau sei und verweist als Beleg dafür auf den SAIDI-Wert (www.bmwi.de/Redaktion/ DE/Pressemitteilungen/2019/20190703-altmaier-versorgungssicherheit-indeutschland -weiterhin-sehr-hoch.html). Der SAIDI ist nach Ansicht der Fragesteller jedoch für die Bewertung der aktuellen und zukünftigen Versorgungssicherheit völlig ungeeignet, weil er ausschließlich bereits vergangene Versorgungsunterbrechungen berücksichtigt. Die Expertenkommission hat daher ausdrücklich gefordert, neue Indikatoren zur Erfassung der aktuellen und zukünftigen Versorgungssicherheit zu entwickeln (www.bmwi.de/Redaktion/DE/ Downloads/E/ewk-stellungnahme.pdf?__blob=publicationFile&v=4). Weiterhin mahnt die Kommission an, dass die Regierung noch immer keinen Versorgungssicherheitsstandard eingeführt hat. Die Bundesregierung verfügt also nach Ansicht der Fragesteller und der Regierungskommission über keine wirksamen Instrumente, um die derzeitige und zukünftige Versorgungssicherheit beurteilen zu können. Dies ist angesichts der enormen Bedeutung der Stromversorgung ein völlig inakzeptabler Zustand. 1. Worin liegt nach Kenntnis der Bundesregierung die Ursache der genannten Engpässe in der Stromerzeugung im Juni 2019? Am 6. Juni 2019, 12. Juni 2019 und 25. Juni 2019 überschritt der Bedarf an Regelleistung die von den Übertragungsnetzbetreibern vorgehaltene Regelleistung. Die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) mussten deshalb u. a. zusätzliche Leistung am Strommarkt beschaffen. An diesen Tagen war zu jeder Zeit im Stromsystem genug Leistung verfügbar. So standen beispielsweise am 25. Juni 2019 noch 7 GW Kapazitäten bzw. flexible Lasten am Strommarkt zur Verfügung, um eine Ausgewogenheit zwischen Angebot und Nachfrage sicher herzustellen. Die Strompreise waren im Day-Ahead- Handel moderat, auch die Stromnetze befanden sich im Normalzustand. Ursache waren vielmehr Ereignisse im Bilanzkreis- und Ausgleichsenergiesystem . Offenbar waren die Bilanzkreise der Versorger in größerem Maße unterdeckt . Die Analyse der Ursachen durch die ÜNB und die Bundesnetzagentur (BNetzA) hält noch an. Ob und inwieweit spekulative Geschäfte zwischen Intradaymarkt und Ausgleichsenergie für die Situation ursächlich waren, ist Gegenstand andauernder Untersuchungen durch ÜNB und die Markttransparenzstelle der BNetzA. 2. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass bei den Ereignissen im Juni 2019 ohne massive Stromimporte aus dem Ausland die Stromversorgung in Deutschland voraussichtlich zusammengebrochen wäre, und welche Maßnahmen leitet sie daraus ab? Auf die außergewöhnlich hohen energie-, nicht jedoch leistungsbezogenen Systemungleichgewichte an den drei genannten Junitagen reagierten die ÜNB mit umfangreichen Gegenmaßnahmen, darunter auch Stromimporte. Die Bundesregierung erachtet die Ausmaße der Bilanzabweichungen als inakzeptabel, insbesondere auch, weil ihre Ursachen im Bilanz- und Ausgleichsenergiesystem liegen . Die systemweiten Unterdeckungen waren energiewirtschaftlich unbegründet (s. Frage 1). Um mögliche Fehlanreize im System zu beheben, hat die BNetzA bereits Maßnahmen ergriffen, um das Bilanzkreissystem weiterzuentwickeln (siehe Festlegungsverfahren BK6-19-217: www.bundesnetzagentur.de/DE/ Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/12392 Service-Funktionen/Beschlusskammern/1_GZ/BK6-GZ/2019/BK6-19-212_217_ 218/BK6-19-212_217_218_verfahrenseroeffnung.html?nn=360460). Überdies erfolgt die Bezuschlagung von Regelenergieanbietern nunmehr wieder ausschließlich anhand des Leistungspreises. 3. Wie bewertet die Bundesregierung die Warnungen des Bundesrechnungshofs vor zunehmenden Problemen im deutschen Stromnetz, und welche Maßnahmen leitet sie daraus ab? Die Bundesregierung teilt die Auffassung des Bundesrechnungshofes, dass die Anforderungen an Redispatch und Einspeisemanagement durch den geografisch differenzierten Ausbau von Erzeugungsanlagen zunehmen. Dies ergibt sich aus einer zunehmenden räumlichen Trennung von Last und Erzeugung und dem daraus resultierenden Stormtransportbedarf. Die Bundesregierung arbeitet intensiv daran, den Netzausbau zu beschleunigen und Maßnahmen zu ergreifen, um die Transportfähigkeit des Stromnetzes zu erhöhen. 4. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage der Expertenkommission zum Monitoring-Prozess der Energiewende, wonach Deutschland nach wie vor über keinen Versorgungssicherheitsstandard verfügt, und welche Maßnahmen leitet sie daraus ab? Am 3. Juli 2019 hat das BMWi den Monitoringbericht nach § 63 i. V. m. § 51 EnWG zur Versorgungssicherheit im Bereich der leitungsgebundenen Versorgung mit Elektrizität vorgelegt. Darin wird ein Schwellenwert von 99,94 Prozent für den Indikator Lastausgleichswahrscheinlichkeit als effizientes Niveau der Versorgungssicherheit am Strommarkt in Deutschland etabliert. Für Deutschland ergibt sich für alle Betrachtungsjahre (2020, 2023, 2025, 2030) eine Lastausgleichswahrscheinlichkeit von (rechnerisch) 100 Prozent. Insbesondere wird mithin der Schwellenwert, die Lastausgleichswahrscheinlichkeit von 99,94 Prozent, in jedem Jahr nicht nur eingehalten, sondern deutlich überschritten. 5. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage der Expertenkommission, wonach ein vorzeitiger Kohleausstieg in Deutschland zu einer Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit in Frankreich und Belgien führen würde, und welche Maßnahmen leitet sie daraus ab? Ein gestufter Kohleausstieg in Deutschland ist mit der Versorgungssicherheit unserer Nachbarländer, insbesondere Frankreich und Belgien, gut vereinbar. Zu diesem Ergebnis kommt unter anderem ein Gutachten im Auftrag des BMWi mit dem Titel „Versorgungssicherheit in Deutschland und seinen Nachbarländern: Länderübergreifendes Monitoring und Bewertung“ von r2b energy consulting GmbH, Consentec GmbH, Fraunhofer ISI, TEP Energy GmbH 2019 vom 23. Januar 2019 (www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Studien/definition-undmonitoring -der-versorgungssicherheit-an-den-europaeischen-strommaerkten.html). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/12392 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 6. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Expertenkommission, wonach der SAIDI-Wert keine Aussagekraft bezüglich der aktuellen und zukünftigen Versorgungssicherheit aufweist? Wenn ja, aus welchem Grund führt die Bundesregierung dann regelmäßig den SAIDI als Nachweis einer hohen Versorgungssicherheit an? Wenn nein, wie begründet die Bundesregierung ihre Zweifel an der Fachkompetenz der Expertenkommission? Für die Zukunft sind keine seriösen Prognosen des SAIDI (System Average Interruption Duration Index) möglich, da Störungen in den Verteilernetzen mit häufig unbekannter Wahrscheinlichkeit für die Höhe des SAIDI maßgeblich sind. Er kann nur im Rückblick bestimmt werden. Für die Vergangenheit hat er jedoch durchaus Aussagekraft: Der SAIDI misst die durchschnittliche jährliche Ausfalldauer der Stromversorgung aller Verbraucher, also die durchschnittliche Nichtversorgung mit Strom. Er lag bei 12 Minuten im Jahr 2016 und 16 Minuten im Jahr 2017. 7. Sieht die Bundesregierung bei den derzeitigen Marktbedingungen im Strommarkt bzw. im Regelenergiemarkt ein Missbrauchspotenzial, wodurch sich Marktteilnehmer auf Kosten der Verbraucher über Gebühr bereichern können , und wenn ja, welche Schlüsse zieht sie daraus? Ob und inwieweit spekulative Geschäfte zwischen Intradaymarkt und Ausgleichsenergie die unausgeglichenen Systembilanzen an den Tagen 6. Juni 2019, 12. Juni 2019 und 25. Juni 2019 ausgelöst oder verschärft haben, ist Gegenstand andauernder Untersuchungen durch ÜNB und die Markttransparenzstelle der BNetzA. Mutwillige Arbitragegeschäfte auf den Ausgleichsenergiepreis verstoßen gegen die gesetzlich vorgeschriebene Bilanzkreistreue und werden entsprechend sanktioniert. Um mögliche Fehlanreize im System zu beheben, hat die BNetzA bereits Maßnahmen ergriffen, um das Bilanzkreissystem weiterzuentwickeln (siehe Festlegungsverfahren BK6-19-217). Durch die Rückkehr zum alten Vergabesystem bei der Regelleistung zum 31. Juli 2019 konnte überdies ein spürbarer Anstieg der Ausgleichsenergiepreise und ein disziplinierender Effekt auf die Bilanzkreisverantwortung beobachtet werden. 8. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass Stromverbraucher aufgrund der zunehmenden Instabilität der Stromversorgung mittlerweile jährlich rund 2 Mrd. Euro allein für stabilisierende Eingriffe in das Stromnetz tragen müssen, und welche Maßnahmen leitet sie daraus ab? Der für die Bundesregierung maßgebliche Bericht der Bundesnetzagentur zu Netz- und Systemsicherheitsmaßnahmen Viertes Quartal und Gesamtjahr 2018, Stand 17. Mai 2019, S. 9, weist für das Jahr 2018 vorläufige Kosten in Höhe von ca.1,43 Mrd. Euro (2017 1,51 Mrd. Euro, ebd. S. 6) aus. Mit der Energiewende und dem zunehmenden europäischen Stromhandel steigt die Inanspruchnahme der Stromnetze. Denn durch den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien, den Atomausstieg und der zunehmenden Integration der europäischen Strommärkte steigt der Transportbedarf. Insbesondere bis zur Fertigstellung des notwendigen Netzausbaus ergreifen die Übertragungsnetzbetreiber verschiedene Netz- und Systemsicherheitsmaßnahmen, um Überlastungen zu vermeiden . Dazu gehören z. B. Schaltmaßnahmen, Redispatch, Countertrading, der Einsatz von Netzreservekraftwerken oder die Abregelung von Erneuerbaren- Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/12392 Energien-Anlagen (Einspeisemanagement). Die Kosten für Netz- und Systemsicherheitsmaßnahmen sind Teil der Netzkosten der ÜNB und fließen in die Netzentgelte ein. Die Bundesregierung arbeitet mit einer Reihe von Maßnahmen daran, den Umfang dieser Eingriffe zu reduzieren. Hierzu gehören die Beschleunigung des Netzausbaus sowie Maßnahmen, die die Transportfähigkeit des Stromnetzes erhöhen. 9. Besteht aus Sicht der Bundesregierung ein Zusammenhang zwischen dem Zubau von volatilen erneuerbaren Energien und den zunehmenden Warnungen zuständiger Stellen und Behörden vor Stromausfällen durch unkontrollierbare Netzzustände? Über die Hintergründe von Äußerungen anderer Stellen stellt die Bundesregierung keine Mutmaßungen an. In Bezug auf kritische Systembilanzsituationen konnte bislang kein Zusammenhang mit einer Zunahme von Erneuerbaren Energien im Stromsystem festgestellt werden. Auch die außergewöhnlichen Systembilanzabweichungen im Juni können nach Erkenntnis der Bundesregierung nicht auf Prognosefehler von Betreibern Erneuerbarer-Energien-Anlagen zurückgeführt werden. Steigende Anfordernisse an Redispatch ergeben sich hingegen aus einer zunehmenden räumlichen Trennung von Last und Erzeugung. Dazu trägt der geografisch differenzierte Ausbau von Erneuerbaren-Energien-Anlagen bei. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333