Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 23. August 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/12711 19. Wahlperiode 27.08.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage Christine Buchholz, Andrej Hunko, Cornelia Möhring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/12156 – Situation von Dublin-Überstellten in Italien V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Das System der Dublin-III-Verordnung regelt die nationale Zuständigkeit für Asylverfahren von Schutzsuchenden, die in der EU ankommen. In der Regel ist der Ersteinreisestaat bzw. der Staat der ersten Registrierung für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Daher sind die südlichen und südöstlichen Peripheriestaaten der EU besonders häufig für die Asylverfahren dort anlandender Schutzsuchender verantwortlich. Gleichzeitig sind die Lebensbedingungen für Schutzsuchende insbesondere in Ländern wie Bulgarien, Ungarn, Griechenland und Italien nach Kenntnis und Ansicht der Fragestellerinnen und Fragesteller unerträglich. Während Griechenland nach Auffassung der Fragestellerinnen und Fragesteller vor allem aufgrund der massiven ökonomischen Probleme kaum in der Lage ist, Schutzsuchende zu versorgen, kommt bei der Rechtsregierung in Italien zur ökonomischen Problematik eine immer wieder geäußerte flüchtlingsfeindliche Haltung hinzu. Ungarn (www.welt.de/politik/ausland/video 172257749/Ungarischer-Ministerpraesident-Orban-bezeichnet-Fluechtlinge-alsmuslimische -Invasoren.html) und Bulgarien (www.rosalux.de/publikation/id/ 40498/bulgarien-fluechtlinge-zwischen-haft-und-obdachlosigkeit/) praktizieren nach Ansicht der Fragesteller ebenfalls eine dezidiert flüchtlingsfeindliche Politik . Seit Mai 2017 werden daher keine Schutzsuchenden mehr nach Ungarn überstellt und auch die Überstellungen nach Griechenland wurden zwischen 2011 und 2017 nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) ausgesetzt (www.lto.de/recht/nachrichten/n/egmr-keineabschiebung -nach-griechenland/, www.asyl.net/view/detail/News/keine-dublinueberstellungen -nach-ungarn-rueckfuehrungen-nach-italien-und-griechenlandvermehrt -beab/). Im Jahr 2014 hatten sowohl das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 17. September 2014 -2BvR1795/14-Rn. (1-16), www.bverfg.de/e/rk20140917_2bvr179514.html) als auch der EGMR (Rs. Tarakhel, 4. November 2014, https://hudoc.echr.coe. int/eng#{%22itemid%22:[%22001-148070%22]}) Dublin‑Überstellungen von Familien mit Kindern nach Italien wegen der dortigen Unterbringungssituation gestoppt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) war vom Bundesverfassungsgericht verpflichtet worden, vor der Überstellung im Einzelfall sicherzustellen , dass Kinder bis zum Alter von drei Jahren in Italien eine gesicherte Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/12711 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Unterkunft erhalten. In der Praxis führte das dazu, dass Familien mit Kleinkindern in den letzten Jahren nicht mehr nach Italien überstellt wurden (www.asyl. net/view/detail/News/bamf-fuehrt-ueberstellungen-nach-italien-wiederuneingeschraenkt -durch/). Hintergrund der zwischenzeitlichen Änderung dieser Praxis ist u. a. ein Schreiben der italienischen Regierung vom 8. Januar 2019, in dem die „allgemeine Zusicherung der adäquaten Unterbringung für alle Personen , die im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Italien überstellt werden“, getroffen wird (Bundestagsdrucksache 19/8340, S. 34). Auch Familien mit Kindern unter drei Jahren sind nach Angaben der Bundesregierung von dieser Zusicherung Italiens umfasst. Eine Recherche des Magazins „Monitor“ vom 23. Mai 2019 kam allerdings zu dem Schluss, Flüchtlingen werde in Italien „systematisch das Recht auf Unterbringung verweigert“ (http://mediathek.daserste.de/Monitor/Hilflos-obdachloschancenlos -Das-Elen/Video?bcastId=438224&documentId=63176882). Immer wieder werden Bewohnerinnen und Bewohner bereits bei einem Tag Abwesenheit aus den Unterkünften geworfen. Wer aber seine Unterkunft verliert, verliert sie für ganz Italien. Der „Verlust“ des Unterkunftsanspruchs tritt bei Dublin-Rückkehrern in der Regel dann ein, wenn sie durch ihre Ausreise in einen anderen EU-Staat ihre Unterkunft verlassen haben und anschließend nach Italien zurückkehren. Die italienische Zeitschrift „Altreconomia“ recherchierte, dass in jenen Präfekturen, die Auskunft gaben – das war etwa die Hälfte – zwischen 2016 und 2017 rund 40 000 Schutzsuchenden die Unterkunft entzogen wurde (www1.wdr.de/daserste/monitor/extras/pressemeldung-fluechtlinge-italien- 100.html). Der italienische Menschenrechtsanwalt Cosimo Alvaro spricht sogar davon, dass die Mehrheit der nach Italien Überstellten obdachlos sei und die italienischen Behörden ihnen medizinische Versorgung weitgehend verweigerten (www.youtube.com/watch?v=R1BCdvTPx04). In einer Studie legt das Dublin Returnee Monitoring Project (DRMP) dar, es sei eine Frage des Zufalls, ob nach Italien überstellte vulnerable Schutzsuchende überhaupt bei Ankunft in Italien die Möglichkeit erhalten, Unterkunft und Verpflegung zu bekommen (https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/mutual-trust.pdf). Der Europäische Gerichtshof (EuGH) stellt in seiner Entscheidung vom 19. März 2019 fest, dass eine Überstellung in einen Mitgliedstaat nicht erfolgen darf, wenn „die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre“ (http://curia.europa.eu/juris/document/ document.jsf?text=&docid=211803&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req& dir=&occ=first&part=1). Die Fragestellerinnen und Fragesteller betrachten die im EuGH-Urteil definierte Schwelle in Bezug auf die Zustände in Italien als erreicht und lehnen Überstellungen nach Italien ab. 1. Welche Kenntnisse, auch von dritter Seite, hat die Bundesregierung über die allgemeine Situation von Schutzsuchenden in Italien? Mit Gesetzesdekret Nummer 18 vom 21. Februar 2014 bzw. Gesetzesdekret Nr. 142 vom 15. September 2015 wurden nach Einschätzung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Richtlinie 2011/95/EU bzw. die Richtlinie 2013/32/EU und die Richtlinie 2013/33/EU umgesetzt und die geltenden EU- Standards in das italienische Rechtssystem aufgenommen. Die Aufnahmeeinrichtungen in Italien entsprechen nach Einschätzung des BAMF insgesamt den erforderlichen Standards. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/12711 Ein Zugang für Antragstellende zum Asylverfahren wie auch zu materieller und medizinischer Grundversorgung sowie zu juristischer Unterstützung ist grundsätzlich gewährleistet. Auch unter Berücksichtigung der jüngsten gesetzlichen Änderungen bezüglich der Aufnahmebedingungen von Asylbewerbern und Asylverfahren (Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4. Oktober 2018, in Kraft getreten am 5. Oktober 2018 und bestätigt mit Gesetz Nr. 132 vom 4. Dezember 2018) ist nach Einschätzung des BAMF weiterhin nicht von systemischen Mängeln der Aufnahmebedingungen und des Asylverfahrens in Italien auszugehen. a) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Zahl obdachloser Schutzsuchender in Italien, und was sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Ursachen dafür? Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse zur Zahl obdachloser Schutzsuchender in Italien vor. b) Hat die Bundesregierung Kenntnis von Fällen von Schutzsuchenden, die nach ihrer Dublin-Überstellung nach Italien obdachlos wurden oder sind, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus, insbesondere im Hinblick auf die Überstellung von Familien mit Kindern, die jünger als drei Jahre sind? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. c) Hält die Bundesregierung eine zeitweilige Obdachlosigkeit von aufgrund der Dublin-III-Verordnung nach Italien überstellten Schutzsuchenden für zumutbar, falls ja, für welche Zeitdauer, und auf welcher Rechtsgrundlage ? Personen, welche in den zuständigen Mitgliedstaat Italien zurückgeführt wurden, und deren Asylverfahren in Italien noch nicht abgeschlossen sind, haben im Rahmen der Fortführung ihres Asylverfahrens einen mit den Vorgaben aus Artikel 17 Absatz 1 i. V. m. Artikel 2 g der Richtlinie 2013/33/EU übereinstimmenden, durchsetzbaren Unterkunftsanspruch. Ihnen droht nach Einschätzung des BAMF mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Obdachlosigkeit, da sie auch faktisch in der Regel einen Zugang zu Wohnraum haben. Unterkünfte im (staatlichen) Unterkunftssystem stehen dem genannten Personenkreis nach der Ankunft in hinreichender Zahl zur Verfügung (hierauf Bezug nehmend VGH Baden-Württemberg , Urteil vom 29. Juli 2019, A 4 S 749/19, Rn 45). 2. Hat die Bundesregierung Kenntnisse über Fälle von aus Deutschland überstellten Schutzsuchenden, die nach italienischem Recht aufgrund des Verlassens ihrer Unterkunft zur Ausreise nach Deutschland ihr Recht auf Unterbringung in Italien verwirkt haben und daher obdachlos sind, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus diesen Fällen? Der Bundesregierung sind keine von staatlicher Seite bestätigten Einzelfälle von aus Deutschland in den zuständigen Mitgliedstaat Italien überstellten Schutzsuchenden bekannt, die nach italienischem Recht aufgrund des Verlassens ihrer Unterkunft zur Ausreise nach Deutschland ihr Recht auf Unterbringung in Italien verwirkt haben. Sofern ein Antragsteller beim vorherigen Aufenthalt in Italien die ihm zugewiesene Unterkunft nicht in Anspruch genommen oder die Unterkunft ohne Meldung verlassen hat, kann er den Anspruch auf eine Unterkunft zunächst verlieren. Die Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/12711 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Unterbringung kann jedoch erneut beantragt werden, um in das Unterbringungssystem wieder aufgenommen zu werden (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29. Juli 2019, A 4 S 749/19, Rn. 68). 3. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, dass nach Ansicht der Fragesteller viele der nach Italien Überstellten auf der Straße leben müssen, von medizinischer Versorgung ausgeschlossen sind und ihre Ernährung nicht sicher stellen können, insbesondere vor dem Hintergrund der in der vom EuGH definierten „Erheblichkeitsschwelle“ (http:// curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=211803&page Index=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1, https://reliefweb. int/sites/reliefweb.int/files/resources/mutual-trust.pdf)? Die Bundesregierung beobachtet die Situation in Italien sehr aufmerksam. Verbindungs -, Liaison- bzw. Austauschbeamte des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat, der Bundespolizei und des BAMF sind in Rom eingesetzt und stehen in engem Austausch mit den italienischen Behörden. Einer Überstellung entgegenstehende systemische, allgemeine oder bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen fallen nur unter Artikel 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh), welcher Artikel 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) entspricht und nach Artikel 52 Absatz 3 der GRCh die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, sofern sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt. Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen , wie (insbesondere) sich zu ernähren, sich zu waschen sowie eine Unterkunft zu finden und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese Schwelle ist daher selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (EuGH, Urteil in der Rechtssache C-163/17 Jawo u. a., 19. März 2019, Rn. 92-93). Eine solche Situation liegt nach Erkenntnissen der Bundesregierung in Italien nicht vor. Dennoch lässt sich nicht völlig ausschließen, dass eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, nachweisen kann, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen, die ihr eigen sind und im Fall ihrer Überstellung in den normalerweise für die Bearbeitung ihres Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaat bedeuten würden, dass sie sich, nachdem ihr internationaler Schutz gewährt worden ist, aufgrund ihrer besonderen Verletzbarkeit unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet (vgl. EuGH, Urteil in der Rechtssache C-163/17 Jawo u. a., 19.03.2019, Rn. 95). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/12711 4. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den Umgang der italienischen Behörden mit aus Deutschland überstellten, besonders vulnerablen Schutzsuchenden, und welche Bemühungen hat die Bundesregierung unternommen , um Kenntnis über deren Situation, insbesondere auch vor dem Hintergrund von Artikel 31 der Dublin-III-Verordnung, zu erlangen? Nach Kenntnis der Bundesregierung werden gemäß dem Gesetzesdekret Nummer 142/2015 Minderjährige, unbegleitete Minderjährige, Schwangere, alleinerziehende Eltern mit minderjährigen Kindern, Opfer von Menschenhandel, Behinderte , ältere Menschen, Personen mit ernsthaften psychischen und physischen Erkrankungen sowie Opfer von Folter, Vergewaltigung und sexueller, psychischer und physischer Gewalt und Genitalverstümmlung als vulnerable Personengruppen angesehen. Nach Kenntnis des BAMF greifen, sobald eine Vulnerabilität festgestellt wird, gesonderte Vorgehensweisen bei der Bearbeitung der Asylanträge . Die Asylkommission priorisiert bei der Meldung von Vulnerabilität den Asylantrag der betroffenen Person gegenüber anderen Anträgen im regulären Verfahren. Die Möglichkeit der Vulnerabilität wird dabei nicht nur von der „Questura“, sondern auch durch spezialisierte Nichtregierungsorganisationen, Aufnahmezentren und Gesundheitszentren geprüft. Bei der Unterbringung muss auf die speziellen Bedürfnisse der Vulnerablen Rücksicht genommen werden, was insbesondere durch das Gesetzesdekret Nr. 142/2015 und das Verfahrensdekret Nr. 21/2015 legislativ gefestigt wurde. Artikel 31 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 betrifft den Austausch relevanter Informationen vor der Durchführung einer Überstellung. Die Informationsübermittlung erfolgt durch den überstellenden Staat, um dem zuständigen Mitgliedstaat die für die Aufnahme des Antragstellers notwendigen Daten zur Verfügung zu stellen. Dies erfolgt auch bei Überstellungen von Deutschland nach Italien (siehe auch Antwort zu Frage 5). 5. Wie wird im Vorfeld einer Dublin-Überstellung nach Italien geprüft, ob die in Artikel 31 und Artikel 32 der Dublin-III-Verordnung beschriebenen Aufnahmebedingungen in Italien garantiert sind? Artikel 31 und Artikel 32 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 verpflichten den überstellenden Mitgliedstaat, dem zuständigen Mitgliedstaat vor der Durchführung der Überstellung insbesondere sämtliche Informationen, die wesentlich für den Schutz der Rechte und der unmittelbaren Bedürfnisse der zu überstellenden Person sind, zu übermitteln. Informationen nach Artikel 32 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 über besondere Bedürfnisse der zu überstellenden Person, insbesondere bei Behinderten, älteren Menschen, Schwangeren, Minderjährigen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, übermittelt der überstellende Mitgliedstaat nur zum Zwecke der medizinischen Versorgung oder Behandlung. Die Informationen dürfen dem zuständigen Mitgliedstaat nur mit ausdrücklicher Einwilligung des Antragstellers übermittelt werden (Artikel 32 Absatz 2 der besagten Verordnung). Diesen Verpflichtungen kommt das BAMF nach: Vor einer Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat Italien werden die italienischen Behörden in jedem Einzelfall mit ausreichender Vorlaufzeit über besondere Bedürfnisse und erforderliche Maßnahmen, welche für Unterbringung und/oder die medizinische Versorgung ergriffen werden müssen, in Kenntnis gesetzt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/12711 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Des Weiteren prüft das BAMF vor jeder Überstellung den Einzelfall insbesondere im Hinblick darauf, ob zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse sowie inlandsbezogene Vollzugshindernisse der Abschiebung entgegenstehen. Nach aktueller Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 29. Juli 2019, Az. A 4 S 749/19, Rn. 43-44, Bezug nehmend auf OVG Niedersachsen, Urteil vom 4. April 2018, Az. 10 LB 96/17, anknüpfend an das Urteil des VGH Baden- Württemberg vom 16. April 2014, Az. A 11 S 1721/13) bestehen für Personen, die in den zuständigen Mitgliedstaat Italien zurückgeführt werden und in Italien noch kein Asylverfahren abgeschlossen haben, gegenwärtig keine grundlegenden Defizite im Hinblick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien, die in ihrer Gesamtheit die Annahme rechtfertigen, dass Personen bei einer Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat Italien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i. S. v. Artikel 4 GRCh bzw. Artikel 3 EMRK droht. 6. Welche Informationen über die zu überstellenden Flüchtlinge, insbesondere zu ihrer ggfs. bestehenden besonderen Vulnerabilität, werden im Vorfeld einer Überstellung den italienischen Behörden mitgeteilt, welche Garantien werden in diesem Zusammenhang eingeholt, und wurden diese dann auch nach Kenntnis der Bundesregierung erfüllt? Das BAMF stützt sich in diesem Zusammenhang auf eine allgemeine Zusicherung vom 8. Januar 2019 seitens Italiens, wonach die Einheit der Familie und der Schutz von Minderjährigen sichergestellt sind. Des Weiteren wird auf die Antwort zu Frage 5 verwiesen. 7. Besteht nach Kenntnis der Bundesregierung ein realistisches Risiko, dass nach Italien überstellte, besonders vulnerable Dublin-Fälle ihr Recht auf Unterkunft verlieren, ohne dass die italienischen Behörden ihre besondere Vulnerabilität in ihre Entscheidung einbeziehen, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus (https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/ files/resources/mutual-trust.pdf)? Die Bundesregierung beobachtet die Situation in Italien sehr aufmerksam. Verbindungs -, Liaison- bzw. Austauschbeamte des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat, der Bundespolizei und des BAMF sind in Rom eingesetzt und stehen in engem Austausch mit den italienischen Behörden. Im Übrigen wird auf die Antworten zu den Fragen 2 und 4 verwiesen. 8. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den Zugang von nach Italien überstellten Schutzsuchenden zum italienischen Gesundheitssystem? Nach Kenntnissen der Bundesregierung haben Personen, welche in den zuständigen Mitgliedstaat Italien zurückgeführt wurden, Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem . Insbesondere ist eine kostenfreie Notversorgung gewährleistet. Nach Kenntnis des BAMF hat in Umsetzung von Artikel 19 Absatz 1 Richtlinie 2013/33/EU der genannte Personenkreis während des Asylverfahrens ebenso wie jede andere Person, die sich in Italien aufhält, nach nationalem Recht einen Anspruch auf medizinische Grund- und Notfallversorgung bei Krankheit oder Unfall sowie auf eine Präventivbehandlung zur Wahrung der individuellen und öffentlichen Gesundheit. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/12711 9. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung darüber, ob die Einheit von nach Italien überstellten Familien mit minderjährigen Kindern gewährleistet wird, und welche Bemühungen hat die Bundesregierung unternommen, um zu evaluieren, ob eine Trennung solcher Familien stattfindet? Die Bundesregierung hat keine Erkenntnisse darüber, dass die Einheit von nach Italien überstellten Familien mit minderjährigen Kindern nicht gewährleistet wird. Des Weiteren wird auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 20 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 19/10737 verwiesen . 10. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, dass in allen 13 durch das Dublin Returnee Monitoring Project (DRMP) untersuchten Fällen von nach Italien überstellten Familien mit kleinen Kindern und vulnerablen Einzelpersonen nicht eine einzige dieser Familien und vulnerablen Einzelpersonen bei ihrer Ankunft in Italien adäquat untergebracht wurden , und die meisten von ihnen nach ihrer Überstellung obdachlos waren oder sind (https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/mutual-trust. pdf)? Der Bundesregierung liegen keine eigenen Erkenntnisse zu den genannten Einzelfällen vor. 11. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Unterbringungsbedingungen von überstellten Schutzsuchenden in Italien, und welche Konsequenzen zieht sie daraus, dass diese nach Angaben des DRMP oft insbesondere für vulnerable Gruppen „inadäquat“ seien (https://reliefweb.int/sites/relief web.int/files/resources/mutual-trust.pdf)? Es wird auf die Antworten zu den Fragen 1c und 2 verwiesen. 12. Worauf ist nach Kenntnis der Bundesregierung die sinkende Schutzquote für Schutzsuchende in Italien im Jahr 2019 zurückzuführen, inwiefern sieht die Bundesregierung hier einen Zusammenhang mit politischen Vorgaben der italienischen Regierung, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus für die Beurteilung der Qualität der italienischen Asylverfahren (www.theguardian.com/world/2019/feb/14/italy-rejects-record-number-ofasylum -applications)? Der besagte Artikel berichtet ausschließlich über die gestiegene, absolute Anzahl an ablehnenden Asylentscheidungen in Italien. Über eine Schutzquote trifft er keine ausdrückliche Aussage. Angaben zur Schutzquote in Italien können den Statistiken von Eurostat entnommen werden (https://ec.europa.eu/eurostat/web/ asylum-and-managed-migration/data/database). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 19/12711 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 13. Inwiefern sieht die Bundesregierung die Bedingungen für ein faires Asylverfahren nach dem „Salvini-Dekret“ in Italien noch als gegeben an, insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Dekret verfügt, das Asylverfahren einzustellen , wenn Asylsuchende eine „soziale Gefahr darstellen oder in erster Instanz für eine Straftat verurteilt“ wurden (www.borderline-europe.de/sites/ default/files/projekte_files/2018_09_25_Italien-Salvinis%20Dekret%20der% 20Asylrechtsversch%C3%A4rfungen_JIAN_0.pdf)? Das italienische Recht sieht die Möglichkeit eines Rechtsbehelfs gegen die Ablehnung eines Asylantrags nach Kenntnis des BAMF weiterhin vor. Des Weiteren ist Italien ein Vertragsstaat der Genfer Flüchtlingskonvention und ist an diese ebenso gebunden, wie an die EMRK und die GRCh. 14. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung darüber, dass die im „Salvini-Dekret “ festgelegte Einstellung des Asylverfahrens nach Aussagen von Richterinnen und Richtern auch auf Verurteilungen im Herkunftsland fußen kann, und welche Konsequenzen zieht sie daraus (www.areadg.it/articolo/solocorpi )? 15. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den Abbruch von Asylverfahren durch die zuständigen italienischen Behörden bei aus Deutschland nach Italien überstellten Schutzsuchenden? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. 16. Inwiefern verfolgt die Bundesregierung Verlauf und Ergebnis der Asylverfahren von aus Deutschland nach Italien überstellten Schutzsuchenden, und welche Konsequenzen zieht sie daraus? Die Bundesregierung verfolgt in der Regel nicht den Verlauf einzelner Asylverfahren von aus Deutschland in den zuständigen Mitgliedstaat Italien überstellten Schutzsuchenden. 17. Trifft es weiterhin zu, dass keine Dublin-Charter-Maßnahmen nach Italien stattfinden (vgl. Antwortschreiben des Parlamentarischen Staatssekretärs Stephan Mayer vom 17. Mai 2019 auf die Beschwerde des 1. Parlamentarischen Geschäftsführers der Fraktion DIE LINKE., Jan Korte, S. 4)? Falls nein, welche Dublin-Charter-Überstellungen von Deutschland nach Italien gab es seit dem 22. November 2018 (bitte einzeln mit Datum, Abflugflughafen , Zahl und Staatsangehörigkeit der Betroffenen auflisten)? Gegenwärtig finden keine Chartermaßnahmen im Rahmen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 aus Deutschland in den zuständigen Mitgliedstaat Italien statt. 18. Gibt es mittlerweile eine abschließende Einigung zwischen der deutschen und italienischen Regierung zum weiteren Vorgehen in Bezug auf Dublin- Charter-Überstellungen (vgl. ebd., S. 5), und was beinhaltet diese ggf.? Eine entsprechende Einigung wurde noch nicht erzielt. 19. Ist der Bundesregierung bekannt, inwieweit die italienische Regierung Dublin -Charter-Überstellungen aus anderen EU-Staaten akzeptiert (bitte ausführlich darstellen)? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333