Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft vom 26. August 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 19/12778 19. Wahlperiode 28.08.2019 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Steffi Lemke, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 19/12203 – Bedeutung der Wanderschäferei für die Biodiversität in Deutschland V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Beweidete Wiesen und Felder, die ohne den Einsatz von Pestiziden genutzt werden , die Pflege von seltenen Biotopen, naturnaher Hochwasserschutz durch Beweidung von Deichen, Erosionsschutz durch Festtreten der Grasnarbe und Offenhalten der Landschaft – Schafe, Ziegen und Rinder in der Wanderschäferei und der extensiven Beweidung leisten einen großen und kaum ersetzbaren Beitrag für Naturschutz, Landwirtschaft und Landschaftspflege in Deutschland (vgl. Bundesinformationszentrum Landwirtschaft, 2019 via www.landwir t schaft.de/landwirtschaft-verstehen/wie-arbeiten-tierhalter/unterwegs-mit-demschaefer /; BUND, 2018 via www.bund.net/themen/aktuelles/detail-aktuelles/ news/schafe-als-landschaftspfleger/). Doch die extensive Weidetierhaltung und die Schäferei sind in Deutschland akut gefährdet: Nur noch circa 1 000 Berufsschäfereien sind in Deutschland bekannt, seit 2010 haben etwa 15 Prozent der Betriebe Insolvenz angemeldet und die Zahl der in Deutschland gehaltenen Schafe ist zwischen 2005 und 2015 um 40 Prozent gesunken (vgl. ebd.). Der Grund: die existenzbedrohende wirtschaftliche Lage der Schäferei und weiterer extensiv wirtschaftenden Weidetierhalter in Deutschland. Anstatt ihre gesellschaftlichen Leistungen für Ernährung, Landschaft, Natur und Umwelt honoriert zu bekommen, fallen die Betriebe oftmals aus der Logik der klassischen Agrarförderung in Deutschland heraus, da sie kaum eigene Flächen bewirtschaften . Zusätzlich ist der Sektor zunehmend durch billige Fleischimporte aus Übersee bedroht. Die heimische Selbstversorgung lag im Jahr 2018 mit 39 Prozent (www.bmel-statistik.de/fileadmin/user_upload/monatsberichte/DFT-0200502- 0000.xls) signifikant unter dem europäischen Mittelwert von 91 Prozent (https:// ec.europa.eu/agriculture/sites/agriculture/files/dashboards/sheep-meat-dashboard_ en.pdf). Mit der Zuspitzung dieser Situation und der Aufgabe vieler Weidetierhalter wird öffentlich vermehrt die Einführung einer Weidetierprämie aus den Direktzahlungen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) diskutiert, die die ökologisch wertvolle Schaf- und Ziegenhaltung mit einer Fördersumme pro Muttertier unterstützen soll. Dafür demonstrieren Schäferinnen und Schäfer mit ihren Schafen bereits seit vielen Jahren, mehr als 150 000 Menschen unterstützen eine Online -Petition zur Einführung einer solchen Weidetierprämie in Deutschland und Drucksache 19/12778 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode auch einzelne Bundesländer wie Thüringen haben bereits eine provisorische Weidetierprämie aus Landesmitteln umgesetzt. Diese Instrumente auf Länderebene sind jedoch durch die De-Minimis-Regelung in ihrem Finanzrahmen begrenzt und deshalb hat Anfang Juli 2019 auch der Bundesrat in der Drucksache 141/19 von der Bundesregierung die Einführung einer bundesweiten Weidetierprämie für Schafe und Ziegen aus den Direktzahlungen der Gemeinsamen Agrarpolitik gefordert. Im Deutschen Bundestag wurde ein entsprechender Antrag der Bundestagsfraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE. aus dem Juni 2018 hingegen abgelehnt (Deutscher Bundestag (hib), 2018 via www.bundestag.de/presse/hib/2018_06/559868-559868). V o r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Das Halten von Schafen und Ziegen sowie die extensive Haltung auch anderer Nutztiere leisten neben der agrarischen Primärerzeugung einen wertvollen Beitrag für Naturschutz, Landschaftspflege und für die Biodiversität. Die Biodiversität umfasst neben der Vielfalt an Biotoptypen und wildlebenden Arten auch die innerartliche Diversität der Nutztierarten. Vielfach werden gefährdete Nutztierrassen eingesetzt und auf diesem Wege erhalten. Nach Auffassung der Bundesregierung stellt der Weidegang zudem eine wichtige Maßnahme zur Verbesserung des Tierwohles in der Nutztierhaltung dar. Die Bundesregierung wertschätzt aus diesen Gründen die Weidehaltung und unterstützt sie mit einem umfassenden Spektrum an Maßnahmen. 1. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Anzahl der Wanderschäferbetriebe seit dem Jahr 1990 in Deutschland entwickelt, und welche Schlussfolgerung zieht die Bundesregierung aus diesem Trend für die zukünftige Entwicklung des Berufsstandes? Eine Wanderschäferei ist anhand der agrarstatistisch verfügbaren betrieblichen Merkmale nicht eindeutig von anderen Formen der Schafhaltung abgrenzbar. Zieht man näherungsweise Angaben zur Zahl der Betriebe heran, die 300 und mehr Mutterschafe (einschließlich gedeckter Jungschafe) halten und zugleich über eine landwirtschaftlich genutzte Fläche von 50 Hektar oder weniger verfügen , so waren dies im Jahr 1999 303 Betriebe, im Jahr 2010 125 und im Jahr 2016 noch 97 Betriebe. Für die Landwirtschaftszählung 1991 war eine entsprechende Sonderauswertung nicht möglich. In den oben wiedergegebenen Ergebnissen der Agrarstrukturerhebungen bzw. Landwirtschaftszählungen wurde für die Jahre 2010 und 2016, in denen dies nach dem Datenmaterial möglich war, die Zahl der Milchschafe ausgeklammert . Die Ergebnisse für 1999 sind zudem mit denen der jüngeren Jahre wegen Änderung des Berichtsstichtages (2010 und 2016: 1. März, zuvor: 3. Mai) nur eingeschränkt vergleichbar. Da sich die Rahmenbedingungen für die Wanderschäfereien fortlaufend ändern, ist eine Prognose für die zukünftige Entwicklung nicht möglich. Die Bundesregierung ergreift jedoch Maßnahmen, um den rückläufigen Trend zu stoppen (siehe Antwort zu Frage 2). Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/12778 2. Welche Kenntnisse liegen der Bundesregierung über die Ursachen der rückläufigen Entwicklung des Berufstandes der Wanderschäferei seit 1990 vor, und welche Maßnahmen hat die Bundesregierung umgesetzt, um diesen Trend zu stoppen? Zu den Ursachen: Die Entwicklung der Landwirtschaft einschließlich der Wanderschafhaltung hat aus Sicht der Bundesregierung vielfältige gesamtwirtschaftliche und sektorale Ursachen. Bei der Entscheidung, ob Betriebe weitergeführt werden, spielen die wirtschaftliche Situation der jeweiligen Betriebe, Aspekte der Generationenfolge, allgemeine Zukunftserwartungen, außerlandwirtschaftliche Erwerbsmöglichkeiten sowie Aspekte der gesellschaftlichen Akzeptanz eine Rolle. Trotz der zuletzt wieder steigenden Eigenproduktion an Schaf- und Lammfleisch ist der inländische Bedarf mehr als doppelt so hoch wie die Produktion. Mehr als die Hälfte des in Deutschland verzehrten Schaffleisches wird importiert. EU-Lieferanten sind hauptsächlich Exporteure aus dem Vereinigten Königreich, den Niederlanden und Irland. Knapp zwei Drittel des von Deutschland importierten Schaffleisches kommen aus Neuseeland (NZL). NZL als Hauptexporteur liefert kontinuierlich und in gleichbleibender Qualität Convenience-Produkte, wie sie vor allem von den großen Lebensmittelketten nachgefragt werden. Die deutschen Erzeuger können diese nicht regelmäßig in der erforderlichen Menge bereitstellen . NZL orientiert sich bei der Preisgestaltung strikt an den vergleichbaren Marktpreisen in der EU. Bezüglich der Auswirkungen des Wolfes auf die Wanderschäferei wird auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 3 der Kleinen Anfrage der Fraktion der FDP auf Bundestagsdrucksache 19/4685 verwiesen. Zu den Maßnahmen: Alle Schafhalterinnen und -halter erhalten für ihre beihilfefähigen Flächen bundeseinheitliche , entkoppelte Direktzahlungen, die sich im Antragsjahr 2018 im Durchschnitt auf 286 Euro je Hektar beliefen. Neben den Direktzahlungen der 1. Säule steht in der 2. Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) ein breites Maßnahmenspektrum zur Verfügung. Dazu gehören zum Beispiel die Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete, das Agrarinvestitionsförderungsprogramm (AFP) sowie die Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen (AUKM). Diese können zum Teil über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) vom Bund kofinanziert werden (MSUL-Maßnahmen). Dazu beschließen Bund und Länder gemeinsam jährlich den GAK-Rahmenplan. Für die Umsetzung der 2. Säule der GAP sowie die Durchführung des GAK-Rahmenplans sind die Länder zuständig. Diese ELER- bzw. GAK-Maßnahmen umfassen beispielsweise Vertragsnaturschutz (extensive Weidenutzung, Beweidung mit Schafen/Ziegen), Erhalt und Pflege von Biotopen (Weidepflege, Entbuschung von Weideflächen etc.) oder naturschutzgerechte Hütehaltung und Beweidung mit Schafen und Ziegen. Nach Änderung des GAK-Gesetzes 2016 wurde der GAK-Rahmenplan 2018 um den Förderungsgrundsatz „Vertragsnaturschutz“ im Offenland erweitert, so dass die Länder bei Umsetzung solcher Maßnahmen über die GAK nunmehr auch die anteilige Bundesfinanzierung nutzen können. Zur möglichen Unterstützung der Weidetierhaltung in der zukünftigen GAP wird auf die Antwort zu Frage 18 verwiesen. Drucksache 19/12778 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Zahlungen, die sich an der Anzahl der Schafe ausrichten („Pro-Kopf-Prämien“), werden von der Bundesregierung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) angeboten. Das ist zum einen die Förderung von Gesundheit und Robustheit in der Tierzucht. Zum anderen wird eine Förderung von Zuchttieren gefährdeter Nutztierrassen angeboten , die insgesamt bereits zu einem Anstieg des Zuchttierbestandes gefährdeter einheimischer Schafrassen geführt hat (https://tgrdeu.genres.de/index/index). Wanderschäferinnen und Wanderschäfer, die mit ihren Herden durch Wolf- und Wolfspräventionsgebiete ziehen, können im Jahr 2019 eine Förderung für Maßnahmen zum Schutz gegen den Wolf beantragen (Bundesprogramm Wolf). Wanderschäferinnen und Wanderschäfer können für Maßnahmen zum Schutz vor dem Wolf eine einmalige Prämie in Höhe von bis zu 36 Euro pro Tier erhalten. Für das Programm stehen 1,05 Mio. Euro zur Verfügung. Im Rahmen des Bundesprogramms Ökologischer Landbau und andere Formen Nachhaltiger Landwirtschaft (BÖLN) fördert die Bundesregierung Informationsveranstaltungen zu Themen rund um die Schaf- und Ziegenhaltung. Die Vermittlung von Informationen sowohl zu produktionstechnischen Fragen als auch zu sonstigen betriebs- und unternehmensbezogenen Sachverhalten sowie der gegenseitige Austausch der Landwirte über spezifische Erfahrungen steht bei diesen Informationsveranstaltungen zum ökologischen Landbau im Mittelpunkt. Für den Wissenstransfer zwischen Forschung und Praxis im Bereich Schaf und Ziege plant die Bundesregierung zudem Veranstaltungen, auch auf internationaler Ebene. So wird insbesondere ein internationaler Kongress für die Schaf- und Ziegenzucht und -haltung im Oktober 2020 in Bonn vorbereitet. 3. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Fragestellenden, dass die Rückkehr des Wolfes nach Deutschland nicht der ausschlaggebende Faktor für die Bedrohung des genannten Berufsstandes ist, sondern die insgesamt prekäre ökonomische Situation der Wanderschäferei? Die ökonomische Situation der Wanderschäferei wird im Wesentlichen bestimmt durch die Erlöse aus dem Verkauf von Schafprodukten, öffentliche Zahlungen sowie den in der Wanderschäferei anfallenden Kosten. Bzgl. der Auswirkungen des Wolfes auf die Wanderschäferei wird auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 3 der Kleinen Anfrage der Fraktion der FDP auf Bundestagsdrucksache 19/4685 verwiesen. 4. Welche Kenntnisse liegen der Bundesregierung über die Entwicklung des extensiv bewirtschafteten Schaf-, Ziegen- und Rinderbestandes in Deutschland seit 1990 vor? Eine gebräuchliche definitorische Abgrenzung zwischen extensiv und intensiv gehaltenen Schaf-, Ziegen- und Rinderbeständen bzw. extensiver und intensiver Weidehaltung existiert nicht. Daher stehen zur Entwicklung des extensiv bewirtschafteten Schaf-, Ziegen und Rinderbestandes und der extensiven Weidehaltung in Deutschland auch keine statistischen Angaben zur Verfügung. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/12778 5. Welche Bedeutung hat nach Kenntnis der Bundesregierung der Erhalt von mit Weidetieren genutztem Grünland für die Artenvielfalt (bitte auch exemplarisch anhand von Arten aufführen)? Der Erhalt von mit Weidetieren genutztem Grünland ist von hoher Bedeutung für die Artenvielfalt. Magerrasen, die durch jahrtausende- oder jahrhundertelange Beweidung entstanden sind, gelten als die artenreichsten Lebensräume unserer Kulturlandschaft (nach BfN-Angaben etwa 500 Pflanzenarten, das entspricht etwa 15 Prozent unserer Flora). Unter den hiesigen Klimabedingungen ist der Erhalt von Grünland in der Regel nur durch eine Bewirtschaftung vorzugsweise durch Beweidung oder Mahd möglich , da nicht alle Grünlandflächen z.B. Deiche, Steilhänge, Almwiesen mähbar sind. Ohne Schnitt/Beweidung tritt durch Sukzession eine Verbuschung ein, die schließlich zur Klimaxgesellschaft Wald führt. Durch den Verbiss der Weidetiere bilden sich je nach Tierart und Umweltbedingungen unterschiedliche Biozönosen aus, deren Arten durch Beweidung selektiert und gefördert werden. Viele der heute gefährdeten Arten oder sogar Arten, für deren Vorkommen Deutschland weltweit Verantwortung trägt (sogenannte Verantwortungsarten wie Bergwohlverleih, Arnica montana), sind sogenannte Weideunkräuter. Diese umfassen z. B. dornige Arten, wie die Silber- und Golddistel, aromatische Arten, wie Oregano, und Thymian; Arten mit Bitterstoffen, wie alle Enziane oder giftige Arten , wie alle Wolfsmilch-Arten. Die vom Aussterben bedrohten Tier- und Pflanzenarten sind eher Spezialisten und keine Generalisten. Für sie sind die Biotope, die durch Weidetierhaltung auf Grünland entstehen, vor allem die Trocken- und Halbtrockenrasen als Grenzertragsstandorte, die letzten Rückzugsräume. Besonders profitieren viele Orchideen, Enziane, aber auch Heuschrecken, wie Großes Heupferd oder Warzenbeißer, Tagfalter und bodenbrütende Vogelarten von dieser Art der Flächenpflege. Oftmals erfolgte die Flächenanlage in Gunstgebieten des technischen Fortschritts oder auf weniger günstigen Grenzertragsstandorten aus wirtschaftlichen Gründen mit der Folge, dass sie sich damit insbesondere durch natürliche Sukzession grundlegend verändert haben. Die Beweidung hinterlässt auch eine vielfältige Struktur. Die kurz- und langgrasigen Anteile in der Weide dienen z. B. mit ihren dürren Halmen und Stängeln Schmetterlingsraupen als Überwinterungsmöglichkeit und Zikaden als Rückzugsort . Aufgrund der Trittbelastung durch die Tiere entstehen außerdem kleinräumige Vertiefungen, welche beispielsweise zu temporären Gewässern werden, in denen sich Amphibien, wie Unken, Kreuzkröten und Molche ansiedeln können. Außerdem bilden die Weidetierexkremente die Voraussetzung für die Ansiedlung einer speziellen „koprophagen“ Fauna. 6. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Größe der Fläche und die Flächentypen des durch extensive Weidetierhaltung erhaltenen Dauergrünlands in Deutschlands? Zur Schwierigkeit der Abgrenzung von Extensivgrünland vgl. Antwort zu Frage 4. Zum naturschutzfachlich besonders hochwertigen extensiven Dauergrünland, welches vor allem FFH-Flächen der in Frage 10 genannten Lebensraumtypen umfasst , liegen Angaben zu Größe und Verbreitung der jeweiligen Flächen in den Nationalen Berichten der Bundesregierung zur FFH-Richtlinie vor (www.bfn.de/ themen/natura-2000/berichte-monitoring/nationaler-ffh-bericht/berichtsdaten.html). Drucksache 19/12778 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 7. Wie bewertet die Bundesregierung Weidetierhaltung aus Sicht des Tierschutzes ? Nach Auffassung der Bundesregierung stellt der Weidegang eine wichtige Maßnahme zur Verbesserung des Tierschutzes in der Nutztierhaltung dar, da er insbesondere der Ausübung des artgemäßen Bewegungs- und Sozialverhaltens förderlich ist. Zudem können Außenklimareize die Gesundheit und das Wohlbefinden der Tiere verbessern. Daneben bietet die Weidehaltung die Möglichkeit der natürlichen und artgemäßen Futteraufnahme. 8. Stimmt die Bundesregierung den Fragestellenden darin zu, dass die Wanderschäferei ein besonders positives Bild der landwirtschaftlichen Tierhaltung transportiert und diese Wirtschaftsweise auch aus diesen Gründen zu fördern ist? Die Schafhaltung insgesamt erbringt wichtige Leistungen für die biologische Vielfalt, Landschaftspflege sowie für die Erhaltung unserer Kulturlandschaft und leistet einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Akzeptanz der Landwirtschaft . Dies fördert die Bundesregierung u. a. mit Mitteln der GAP. Bezüglich der Fördermaßnahmen wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. 9. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die ökologische Bedeutung der extensiven Weidetierhaltung a) zum Erhalt der biologischen Vielfalt allgemein, Zunächst wird auf die Antwort zu Frage 5 verwiesen. Grünlandflächen gelten als artenreiche Lebensräume, deren Offenhaltung entweder durch Mahd oder Beweidung erfolgt. Dabei beinhalten vor allem extensive Weidesysteme eine spezifische Flora und Fauna (siehe Artenliste der Fauna- Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft (FFH-Richtlinie 92/ 43/EWG)). Wertvolle (Über-)Lebensräume für viele vom Aussterben bedrohte Pflanzen und Tiere findet man vorwiegend auf Grenzertragsstandorten – sowohl in trockenen wie auch in feuchten Gebieten. Flächen, auf denen keine Bewirtschaftung mehr stattfindet, unterliegen der Sukzession und verbuschen. Die Folge ist ein Rückgang des Artenreichtums jener Flächen. Das gilt sowohl für die Anzahl der Arten als auch für die Anzahl der Individuen pro Art. b) für den Erhalt und Schutz von Insektenarten und der Insektenbiomasse, Die extensive Weidetierhaltung hat in Abhängigkeit von der Weidetierart (Rind, Pferd, Schaf oder Ziege) und dem Weidemanagement (u. a. Besatzstärke, Besatzdichte ) bzw. der Weideform (Standweide, Umtriebsweide, Portionsweide) direkte und indirekte Effekte auf Insektenarten. Weidetiere beeinflussen insbesondere durch Tritt, selektives Fressverhalten, Futteraufnahmespektrum und Verbiss den Lebensraum von Insekten durch Veränderung des Angebots von Nahrungspflanzen (Blühangebot) sowie Nistmöglichkeiten (Tscharntke und Greiler 1995, Rook et al. 2004). Grundsätzlich wirkt sich eine extensive Beweidung verglichen mit einer intensiven Beweidung bzw. Mahd durch die Schaffung kleinräumiger Heterogenität in der Vegetationsstruktur, so dass unterschiedliche Lebensraumansprüche erfüllt werden, positiv auf viele Insektenarten und deren Biomasse aus. So werden auf extensiv genutzten Weideflächen keine bzw. kaum Pflanzenschutzmittel oder Mi- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/12778 neraldünger eingesetzt und den Insekten stehen Weidereste von hoher Struktur, die als Schlafplatz oder zur Überwinterung genutzt werden können zur Verfügung . Die Auswahl der Weidetiere und des Managements richtet sich nach dem Ziel der Beweidung; so werden Pflanzen durch Schafe wesentlich tiefer abgefressen als von Rindern, die die Vegetation eher abreißen. Dadurch entstehen auch offene Bodenstellen, die als Lebensraum für bestimmte Insekten geeignet sind. Ziegen eignen sich hingegen besonders zum Zurückdrängen von Gehölzen, wie Schlehenhecken , da sie unempfindlichen gegenüber verholzten Pflanzenteilen sind. Durch den Dung der Tiere werden zudem dungfressende Insektenarten wie Dungkäfer und Fliegen gefördert. Jeder Dunghaufen eines Rindes kann nach Angaben in der Literatur bis zu 1 000 Insekten (Käfer, Dipteren, Hymenopteren) produzieren . Je verinselter und damit weniger vernetzt die Biotope sind, desto gravierender wird die Folge der genetischen Verarmung. Ein Genaustausch zwischen den einzelnen, isolierten Lebensräumen findet fast nur noch durch die Weidetiere, hier besonders durch die Schafe, statt. c) für den Erhalt und Schutz von Vogelpopulationen und Grundsätzlich profitieren Vogelarten, insbesondere bodenbrütende Arten, von einer extensiven Weidetierhaltung und damit einhergehender Strukturvielfalt durch die Verfügbarkeit von Nahrungsquellen (Insekten und Samen), Nistplatzangeboten , und Sicherheit vor Prädatoren (Vickery et al. 2001). Die durch Schafbeweidung erhaltenen offenen bis halboffenen Landschaften bieten einen Lebensraum für Vogelarten, wie Gartenrotschwanz, Braunkehlchen, Feldlerche, Dorngrasmücke , Goldammer, Raubwürger, Neuntöter, Wendehals, Grauschnäpper, Grünspecht , Star, Dohle, Rebhuhn, Wachtel, Steinkauz, Rotmilan. Der Tritt von Weidetieren kann direkt zu Nestzerstörungen und Brutverlusten von Wiesenbrütern führen. Dieser direkte Effekt ist jedoch abhängig von der Weidetierart (Rind, Pferd, Schaf oder Ziege) und dem Weidemanagement (Besatzstärke, Besatzdichte) bzw. der Weideform (Standweide, Umtriebsweide, Portionsweide). Die Trittwirkung ist bei Schafen geringer als bei Rindern oder Pferden, jedoch nicht, wenn eine äquivalente Besatzstärke in Großvieheinheiten verglichen wird. Extensive, strukturreiche Schafweiden bieten jedoch generell gute Bedingungen für Offenland-Vogelarten durch die Bereitstellung einer guten Struktur für die Anlage von Vogelnestern (Bodenbrüter und Heckenbrüter), das Vorhandensein von Requisiten (z. B. Singwarte, Ansitzwarte) und durch Schutz vor Prädatoren (z. B. Deckung). Zudem lässt eine Beweidung mit Schafen auch unbelebte Strukturelemente wie z. B. Steinblöcke zu, ohne die Bewirtschaftung zu behindern. Auf diese Weise entstehen Lebensräume für Vogelarten wie Steinschmätzer und Wiesenpieper. d) zum Schutz von Wasser und Böden? Extensive Weidetierhaltung ist gekennzeichnet durch ein geringeres Düngungsniveau , den weitgehenden Verzicht auf Pflanzenschutzmittel und geringen Tierbesatz . Sie fördert die Biodiversität, die Offenhaltung von Landschaften und dient auch dem Gewässerschutz. Extensive Weidewirtschaft mit angepassten Schafrassen kann eine Möglichkeit darstellen, nasse oder wiedervernässte Moorflächen zu nutzen, Austrocknungseffekten durch ggf. aufkommenden Birkenwald entgegen zu wirken und somit die Kohlenstoffverbindungen des Torfs zu erhalten und damit zum Klimaschutz beizutragen. Drucksache 19/12778 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Zwischen Weidetieren, Vegetation und Boden besteht aufgrund des selektiven Verbisses, des Transports von Samen und Kleintieren sowie infolge der Trittwirkung eine Wechselbeziehung, die zu einem großen Strukturreichtum des Bodens führt. Dieser ist Voraussetzung für die Ansiedlung vieler Pflanzen- und Tierarten und lässt sich nur begrenzt durch den Einsatz von Maschinen erreichen und ist ein wesentlicher Vorteil extensiver Weidewirtschaft. Das Bodenleben ist unmittelbar von der Oberflächennutzung abhängig. Je extensiver die Fläche genutzt wird, desto ausgeprägter ist der Wurzelhorizont und die Bodenstruktur (Kuka, 2013). Auf der extensiven Grünlandbewirtschaftung durch Weidetiere profitieren davon unzählige Bodenlebewesen der verschiedensten Artengruppen und bilden eine spezifische Flora und Fauna (siehe FFH-Artenliste). Vor allem auf Grenzertragsstandorten findet man viele vom Aussterben bedrohte Pflanzen- und Tierarten . 10. Welche FFH-Lebensraumtypen (Fauna-Flora-Habitat) sind nach Kenntnis der Bundesregierung besonders abhängig von der extensiven Beweidung, und welche Zeigerarten sind durch den Verlust der jeweiligen Lebensraumtypen in ihrer Population besonders gefährdet? In Deutschland sind folgende Lebensraumtypen aus dem Anhang I der Flora- Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) einschließlich ihrer jeweiligen Zeigerarten besonders auf die extensive Beweidung angewiesen: bestimmte Salzwiesentypen (1330), Sandheiden und offene Grasflächen auf Binnendünen (2310, 2320, 2330), trockene sowie die alpinen und borealen Heiden (4030 und 4060), Wacholderbestände auf Zwergstrauchheiden oder Kalkrasen (5130) sowie basenreiche Sandrasen, artenreiche Borstgrasrasen, Steppenrasen (6120, 6230, 6240) und kalkreiche Niedermoore (7230). Darüber hinaus ist bei weiteren Lebensraumtypen für ihre Erhaltung eine Teilbeweidung möglich. Dazu gehören zum Beispiel bestimmte Ausbildungen der mageren Flachland-Mähwiesen und der Berg-Mähwiesen (6510, 6520). Auch für die Ausbreitung und die genetische Durchmischung vieler zugehöriger Arten ist die Beweidung von hoher Bedeutung . 11. Welche Kulturlandschaftstypen ohne FFH-Schutz sind nach Kenntnis der Bundesregierung besonders abhängig von der extensiven Beweidung, und welche Zeigerarten sind durch den Verlust der jeweiligen Kulturlandschaftstypen in ihrer Population besonders gefährdet? In Deutschland sind insbesondere Magerrasen- und Heidelandschaften – zum Beispiel auf der Schwäbischen Alb und der Lüneburger Heide – sowie bestimmte Moorlandschaften – zum Beispiel im nordwestdeutschen Tiefland – für ihre Erhaltung auf eine extensive Beweidung angewiesen. Diese Kulturlandschaftstypen sind insbesondere auch durch zahlreiche FFH-Lebensraumtypen geprägt (siehe Antwort zu Frage 10). In Bezug auf die beweidungsabhängigen Moorlandschaftstypen sind beispielsweise saure Niedermoore nicht im Anhang I der FFH-Richtlinie enthalten, die jedoch dem gesetzlichen Biotopschutz gemäß § 30 des Bundesnaturschutzgesetzes unterliegen. Weitere Informationen sind u. a. in der Veröffentlichung „Naturnahe Beweidung und Natura 2000“ (Bunzel-Drüke, M. et al. 2015, Heinz Sielmann Stiftung, Duderstadt, 291 S.) im Kapitel 4. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 9 – Drucksache 19/12778 12. Welche Tier- und Pflanzenarten sowie Biotoptypen drohen nach Kenntnis der Bundesregierung bei einer Aufgabe der Schäferei verloren zu gehen? Für den Fall einer Aufgabe der Schäferei existieren bisher weder Abschätzung der Folgen für die gesamte Nahrungskette noch für komplexe Ökosysteme. Die Komplexität lässt sich nur in Einzelaspekten abbilden. Jede Nutzungsart bevorzugt und/oder benachteiligt einzelne Arten bzw. Artengruppen. Die Pflanzengesellschaften einer Weide unterscheiden sich von denen einer Mähwiese. Auch die Weidetierart beeinflusst die Vegetation. Jede Tierart hat durch die Trittwirkung, das selektive Fressverhalten, das Futteraufnahmespektrum und den Verbiss einen spezifischen Einfluss. Die Zusammensetzung von Pflanzen und Tieren einer Schafweide ist weder durch Mahd noch durch andere Weidetiere herzustellen oder zu erhalten. Eine Veränderung der Weidetierart geht mit einer Veränderung der Artzusammenstellung einher. Schafe beißen die Vegetation bis auf die Bestockungsgrenze ab. Sie führen so zu einer intensiven Bestockung des Pflanzenbestandes . Dadurch entsteht eine dichte Grasnarbe, die beispielsweise die Stabilisation von Deichen fördert. Die Fressfolgen sind die auffälligsten Zeichen bei einer Aufgabe der Schäferei. Aber auch der „goldene Tritt“ oder auch „Trippelwalze“ genannt, ist nicht imitierbar . Von alledem profitieren kleine, ausläuferbildende Untergräser und Kräuter . Man erkennt dies am ausgeprägten Blühaspekt dieser Weiden, dem daraus resultierenden Artenreichtum an Insekten und davon abhängig an der Vielzahl von Vögeln. Viele Arten bzw. Artengruppen, die auf magere Standorte angewiesen sind, werden durch Schafbeweidung besonders in Hütehaltung begünstigt. Dazu kommen noch Spezialisten wie Dungkäfer und ihre Fraßfeinde. Besonders bedroht durch den Wegfall von Schäfereien sind demnach Trocken- und Halbtrockenrasen , Heiden und Almen sowie die dort jeweils vorkommenden Tierarten, unter den Insekten insbesondere Laufkäfer, Heuschrecken und Tagfalter. Wenn mit der Aufgabe der Schäferei ein Brachfallen folgt, geht dies zudem mit einem Pflanzenartenverlust und einer Überprägung durch einzelne Pflanzenarten einher. Aus den wertvollsten Grünlandtypen entstehen Dominanzbestände, die weniger Tierarten Nahrungsgrundlage bieten. Lichtbedürftige Arten wie Orchideen , Enziane sowie Tierarten, insbesondere Schmetterlinge und Heuschrecken werden zurückgedrängt. 13. Welche Tier- und Pflanzenarten, sowie Biotoptypen könnten von einer Ausdehnung der Schäferei profitieren? Eine Ausdehnung der Schafbeweidung ermöglicht es, dem Verlust ökologisch unersetzbarer Lebensräume entgegen zu wirken, da sie hierdurch offengehalten werden können und in einem guten Erhaltungszustand bleiben. Des Weiteren dient die Schaffung von Herden-Triebwegen als genetischer Brückenschlag zwischen stark verinselten Biotopen. Die Wanderschäferei ist ein mobiler Biotopverbund, der unerlässlich für die Verbreitung zoochorer Pflanzenarten ist, aber auch zahlreichen anderen Arten geeignete Lebensräume für die Besiedlung schafft. Damit können sich durch den Biodiversitätstransfer Pflanzen und Kleintiere verbreiten. Reptilienarten wie Eidechsen, Schlingnattern und in Moorgebieten ggf. auch Kreuzottern nutzen die so licht erhaltenen Lebensräume. Zauneidechsen konnten sogar in der Wolle von Schafen nachgewiesen werden. Somit kommen Schafe sogar als „Transportmittel“ für Reptilien in Betracht. Auf diese Weise können sich auch weniger mobile Lebewesen über eine gewisse Zeit Drucksache 19/12778 – 10 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode neue Lebensräume erschließen. Durch die Einbindung von Potentialflächen als Trittsteine für die Herden auf der Wanderung vergrößert sich das Ausbreitungsgebiet bedrohter Arten, die auf genutzte Extensivstandorte angewiesen sind. Besonders nasse Standorte wie z. B. Moore profitieren von der Schafbeweidung. Hier zeigt sich die Bedeutung der standortangepassten Rassen. Die Beweidung von Deichen erfordert andere Schafrassen als die Beweidung von Mooren, Heidelandschaften , Mittel- oder Hochgebirgen. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich der Charakter der jeweiligen Rasse, der Verdauungstrakt, die Marschfähigkeit sowie weitere spezifische Eigenschaften der jeweiligen Rasse an den speziellen Lebensraumtyp angepasst. Da ökologisch wertvollen Flächen vorrangig durch „Schutz durch Nutzung“ erhalten werden können, sind diese an den Standort angepassten kleinen Wiederkäuer unersetzbar. Übergänge zwischen unterschiedlichen Lebensraumtypen, wie Waldränder, können in schonender Weise nur durch Beweidung genutzt werden. Alle unter einem Überangebot an Stickstoff leidende Pflanzen- und Tierarten und deren Konsumenten in der Nahrungskette profitieren vom Nährstoffentzug durch Schafe und Ziegen. Je besser das Weidemanagement auf die Bedürfnisse des einzelnen Biotopes und die aktuelle Wettersituation abgestimmt ist, desto besser ist der Erfolg des Hütens. 14. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über neue Herausforderungen für die extensive Weidetierhaltung im Zuge der Auswirkungen der Klimakrise (insbesondere steigende Temperaturen und anhaltende Extremwetterereignisse wie Dürren und Starkniederschläge)? 15. Wie hoch schätzt die Bundesregierung den gesamtgesellschaftlichen ökonomischen Nutzen durch die ökologischen Leistungen der extensiven Weidetierhaltung in Deutschland, und welche ökologischen Leistungen sind hierbei besonders hervorzuheben? Die Fragen 14 und 15 werden zusammengefasst beantwortet. Der Bundesregierung liegen hierzu keine Kenntnisse vor. 16. In wie vielen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung Pro-Kopf-Schafprämien bzw. an die Produktion von Schafs- und Ziegenfleisch gekoppelte Zahlungen? Wie bewertet die Bundesregierung diese Maßnahmen? Nach Angaben der Europäischen Kommission gewähren 22 Mitgliedstaaten gekoppelte Prämien für Schafe. In diesen Mitgliedstaaten unterscheidet sich das Fördersystem in der ersten Säule der GAP von dem deutschen Fördermodell. Deutschland hat bei der Umsetzung der EU-Agrarreform im Jahr 2003 konsequent auf eine vollständige Entkopplung der Direktzahlungen und damit unter anderem auf eine Besserstellung des früher benachteiligten Dauergrünlands gesetzt . Von dieser Systemumstellung haben insbesondere flächenstarke Grünlandbetriebe und damit auch die meisten Schäferinnen und Schäfer profitiert. Auch die Gruppe der flächenarmen Schäferinnen und Schäfer mit mehr als 300 Mutterschafen und maximal 50 Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche (LF) erhält unter dem heutigen System im Durchschnitt genau so hohe Direktzahlungen wie unter dem alten System mit einer gekoppelten Mutterschafprämie (vgl. Antwort zu Frage 1). Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 11 – Drucksache 19/12778 Seit dem Jahr 2019 fördert Deutschland jeden Hektar beihilfefähige Fläche mit demselben Betrag; das bedeutet, dass Ackerland und Dauergrünland dieselbe Förderung erhalten. Damit unterscheidet sich das Fördersystem in Deutschland deutlich von dem anderer Mitgliedstaaten, die die Entkopplung zunächst mit dem historischen Modell umgesetzt haben und auch heute noch im Rahmen der freiwilligen gekoppelten Stützung gekoppelte Prämien für Schafe, Ziegen und Mutterkühe sowie zumeist für eine Vielzahl weiterer Sektoren gewähren. Dementsprechend sind in diesen Mitgliedstaaten die Flächenprämien in der Regel deutlich niedriger als in Deutschland, wo das gesamte Direktzahlungsvolumen ausschließlich flächenbezogen gewährt wird. Nach Auffassung der Bundesregierung kann daher allein aus der Tatsache, dass es in Deutschland keine gekoppelten Direktzahlungen für Schafe gibt, keine Benachteiligung der deutschen Schafhalterinnen und -halter abgeleitet werden. Ein Problem der Schäferinnen und Schäfer ist, dass von ihnen beweidete extensiv genutzte Dauergrünlandflächen teilweise nicht oder nicht vollständig beihilfefähig im Sinne der Direktzahlungen der 1. Säule sind. Hiervon betroffen sind insbesondere Flächen, die viele Landschaftselemente (Büsche, Hecken, Baumreihen , etc.) aufweisen oder aufgrund von trockenen oder feuchten Bedingungen nicht überwiegend Grünfutterpflanzen, sondern z. B. Binsen aufweisen. Deshalb setzt sich die Bundesregierung im Rahmen der derzeitigen Verhandlungen zur Reform der GAP nach 2020 mit Nachdruck dafür ein, dass zukünftig nicht nur die bislang im Rahmen von Cross Compliance geschützten Landschaftselemente als Teil der beihilfefähigen Fläche betrachtet werden können, sondern dass die Mitgliedstaaten auch darüber hinaus Landschaftselemente (z. B. Bäume, Sträucher ) in die förderfähige Hektarfläche einbeziehen können. Dies hat die Bundesregierung zuletzt auf der Sitzung des Agrarrates am 15. Juli 2019 gefordert. Zur Definition von Dauergrünland ist die Meinungsbildung innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen. 17. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Entwicklung des europäischen Schäfereisektors in den letzten zehn Jahren, und ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Einführung von Pro-Kopf-Schafprämien in zahlreichen Ländern einer der Gründe für eine positive Entwicklung des Sektors war? Der Schäfereisektor wird zum einen durch die Anzahl der Betriebe und zum anderen durch die Zahl der gehaltenen Schafe charakterisiert: Die Anzahl der statistisch erfassten landwirtschaftlichen Betriebe mit Schafhaltung hat in der EU zwischen 2005 und 2016 nach den Ergebnissen der Agrarstrukturerhebungen um mehr als 41 Prozent abgenommen (Tabelle 1). Dabei ist zu berücksichtigen, dass in diesem Zeitraum in mehreren Mitgliedstaaten untere Erfassungsgrenzen angehoben wurden. Der Schafbestand in der EU hat sich seit 2010 stabilisiert, nachdem er zuvor rückläufig war. Drucksache 19/12778 – 12 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Tabelle 1: Anzahl schafhaltender Betriebe in der EU-28 (in Tsd.) Jahr Anzahl landw. Betriebe mit Schafen in der EU (in Tsd.) 2005 1.347,65 2007 1.207,17 2010 946,42 2013 858,76 2016 789,95 Quelle: eurostat Tabelle 2: Anzahl Schafe in der EU-28 (in Tsd.) Jahr Schafe in der EU (in Tsd.) 2005 2007 2010 2013 2016 105.618 103.811 95.987 97.864 96.444 Quelle: eurostat 18. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Beschlüssen des Bundesrates (Drucksachen 141/19(B) und 243/19(B)), der von der Bundesregierung die Einführung einer Weidetierprämie für Schafe und Ziegen fordert , für ihre eigene Position in der Sache? In den laufenden Verhandlungen zur GAP nach 2020 setzt sich die Bundesregierung für eine Rückführung wettbewerbsverzerrender gekoppelter Direktzahlungen , insbesondere im Ackerbau ein. Über Maßnahmen zur Förderung von Weidetieren wie Schafe und Ziegen wird in Abhängigkeit der Ergebnisse der Verhandlungen auf EU-Ebene im Rahmen der nationalen Umsetzung der zukünftigen GAP zu diskutieren sein. 19. Wie viel Prozent der landwirtschaftlichen Fläche wurden nach Kenntnis der Bundesregierung durch Berufsschäferinnen und Berufsschäfer in den Jahren seit 2014 bewirtschaftet, und wie hoch waren die Förderungen aus der ersten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik für die haupterwerbliche Schafhaltung ? Nach den Daten der Agrarstrukturerhebung von 2016 verfügten die 1 126 Betriebe mit mehr als 300 Mutterschafen, die im Wesentlichen die Gruppe der Berufsschäfer umfassen dürften, über eine landwirtschaftlich genutzte Fläche von 321 733 Hektar. Dies entspricht einer durchschnittlichen Fläche von 286 Hektar je Betrieb. Bei diesen Flächen handelt es sich grundsätzlich um im Rahmen der Direktzahlungen beihilfefähige Flächen, bei denen das in Frage 16 angesprochene Problem nicht besteht. Im Jahr 2016 betrug der nationale Durchschnitt der Direktzahlungen 289 Euro je Hektar, so dass sich für diese Gruppe insgesamt ein Förderbetrag von rund 93 Mio. Euro bzw. ein durchschnittlicher Betrag von 82 600 Euro ergibt. Pro Mutterschaf entspricht dies 137 Euro. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 13 – Drucksache 19/12778 20. Wie hoch war nach Kenntnis der Bundesregierung der durchschnittliche Förderbetrag aus der ersten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik für landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland seit dem Jahr 2014? Wie hoch waren der jeweils höchste und niedrigste Förderbetrag seit dem Jahr 2014? Welcher Betrag bildete jeweils den Median seit 2014? Die durchschnittlich je Betrieb gewährten Direktzahlungen der ersten Säule der GAP beliefen sich auf folgende Beträge: 14 822 Euro im Jahr 2014, 15 179 Euro im Jahr 2015, 15 273 Euro im Jahr 2016 und 15 314 Euro im Jahr 2017. Der niedrigste Förderbetrag entspricht jeweils dem durchschnittlichen Förderbetrag je Hektar, da für den Erhalt von Direktzahlungen mindestens ein Hektar beihilfefähiger Fläche nachgewiesen werden muss; dies entspricht einem Betrag in einer Größenordnung von ca. 300 Euro. Die Empfänger mit den höchsten Direktzahlungen können über die Transparenzdatenbank (www.agrar-fischereizahlungen .de) ermittelt werden. In den Haushaltsjahren 2017 und 2018 lag der Betrieb mit den höchsten Direktzahlungen in einer Größenordnung von rund 1,4 Mio. Euro. 21. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Ertragslage der haupterwerblichen Schafhaltung bezogen auf den Hektar? Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Kosten für die Einführung einer bundesweiten Weidetierprämie von 30 Euro pro Mutterschaf ein, und wie hoch wäre der prozentuale Anteil der Weidetierprämie an den deutschen Fördergeldern aus der GAP? Die im Testbetriebsnetz Landwirtschaft des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) vorhandenen spezialisierten Haupterwerbs-Schafbetriebe erzielten im Wirtschaftsjahr 2017/18 Umsatzerlöse von rund 500 Euro je Hektar land- und forstwirtschaftlicher Fläche. Diese Betriebe erhalten in erheblichem Umfang unternehmensbezogene Direktzahlungen sowie weitere öffentliche Zahlungen und Zuschüsse (u. a. entkoppelte Betriebsprämie, Agrardieselvergütung , Ausgleichszulage). Je Haupterwerbs-Schafbetrieb beliefen sich diese Zahlungen im Wirtschaftsjahr 2017/18 auf rd. 79 000 Euro. Im Vergleich dazu beliefen sich diese Zahlungen im Durchschnitt aller Haupterwerbsbetriebe auf 34 400 Euro je Betrieb. Die Haupterwerbs-Schafbetriebe erwirtschafteten ein durchschnittliches Jahreseinkommen (Gewinn plus Personalaufwand je Arbeitskraft) von rd. 24 900 Euro. Wie in den meisten Vorjahren lag dieses Einkommen dennoch unter dem Durchschnittsjahreseinkommen aller Haupterwerbsbetriebe, welches im gleichen Wirtschaftsjahr rund 37 600 Euro betrug. Gemäß der Agrarstrukturerhebung 2016 gab es 2016 in Deutschland 1,164 Millionen Mutterschafe (ohne Milchschafe). Bei einer Weidetierprämie von 30 Euro je Tier ergäbe sich ein Betrag von rund 35 Mio. Euro. Dies entspricht 0,74 Prozent der Obergrenze für Direktzahlungen für Deutschland für das Jahr 2019. Drucksache 19/12778 – 14 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 22. Zu welchem Ergebnis ist die Bundesregierung in Bezug auf die Forderung des Deutschen Bundestages zu prüfen, wie mit Blick auf die ökologischen Leistungen der Wanderschäferei eine bessere Unterstützung für diesen Berufsstand geleistet werden kann (Bundestagsdrucksache 19/2981), gekommen ? Im Rahmen der ersten und zweiten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik steht ein breit aufgestellter Instrumentenkasten zur Verfügung. Mit diesen Instrumenten wird ein wesentlicher Beitrag dazu geleistet, damit die Schafhalterinnen und -halter ihre wichtigen gesellschaftlichen Leistungen auch zukünftig erbringen können. Dieses Instrumentarium muss nun für die zukünftige Förderperiode zielgerichtet weiterentwickelt werden. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 18 verwiesen. 23. Wie viele Wanderschäfereibetriebe erfüllen nach Einschätzung der Bundesregierung die Voraussetzungen des vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) geplanten Bundesprogramms Wolf (siehe Pressemitteilung des BMEL vom 12. Juli 2019), um förderfähig zu sein? Zur Bewertung und Festlegung der Kriterien einer Antragsberechtigung der Wanderschafbetriebe an dem Bundesprogramm Wolf wurde eine Sondererhebung des Statistischen Bundesamtes zur Betriebsstruktur der Schafbetriebe in Deutschland herangezogen. Mit der Festlegung der Kriterien von mindestens 200 Mutterschafen sowie einer maximal 40 Hektar großen, im Eigentum befindlichen oder gepachteten beihilfefähige Grünland- oder Dauergrünlandfläche pro Betrieb werden flächenarme sowie Betriebe, die Wanderschäferei betreiben, zur Antragstellung berechtigt. Eine Einschätzung über die antragsberechtigten Betriebe liegt der Bundesregierung nicht vor. Nach Einschätzung der Bundesregierung unterfallen rund 50 000 Wanderschafe der Prämienberechtigung. 24. Wie hoch ist nach Schätzung der Bundesregierung der Gesamtkostenaufwand für die Versorgung eines Herdenschutzhundes (Futter, Schutzhütte, medizinische Versorgung etc.) pro Jahr? 25. Wie hoch sind nach Einschätzung der Bundesregierung die durchschnittlichen Investitionskosten für einen Herdenschutzhund (Anschaffung, Ausbildungsaufwand ), und wie viele Herdenschutzhunde sind nach Einschätzung der Bundesregierung nötig, um eine Herde von 200 Schafen gegen Wolfsangriffe ausreichend zu schützen? Die Fragen 24 und 25 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Nach Angaben des Kuratoriums für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft (KTBL) belaufen sich die kalkulierten jährlichen Kosten für die Versorgung eines Herdenschutzhundes im Durchschnitt auf 1 042 Euro (Hundefutter 402 Euro, Tierarzt 390 Euro, Versicherung 100 Euro, Zubehör 150 Euro) je Hund und Jahr. Die Kosten für bauliche Maßnahmen zur Unterbringung der Hunde während der Stallhaltungsperiode der Schafe belaufen sich auf 59 Euro je Hund und Jahr. Der Investitionsbedarf (Anschaffungspreis bzw. Kosten der Aufzucht für einen ausgebildeten und einsatzfähigen Herdenschutzhund) beläuft sich nach Angaben des KTBL auf durchschnittlich 3 000 Euro je Herdenschutzhund. Die jährlichen Kosten für die Bestandsergänzung durch Nachzucht oder Zukauf ausgebildeter Hunde betragen nach Angaben des KTBL durchschnittlich 375 Euro je Hund. Dieser Betrag resultiert aus einer Mischkalkulation aus zugekauften Herden- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 15 – Drucksache 19/12778 schutzhunden und auf dem eigenen Betrieb aufgezogenen und ausgebildeten Herdenschutzhunden . Die Hunde werden in den Modellkalkulationen acht Jahre im Einsatz gehalten. Je Herde sind grundsätzlich zwei Herdenschutzhunde erforderlich. Berücksichtigt wird bei der Kalkulation der Anzahl erforderlicher Hunde, die Herdenaufteilung und Schlaggröße sowohl in der Sommerweide als auch in der Winterweideperiode . Hier kann sich die Anzahl erforderlicher Hunde unterscheiden. Die maximal erforderliche Anzahl Hunde je Haltungsabschnitt (Sommer- oder Winterweideperiode ) definiert die erforderliche Anzahl der Hunde je Betrieb. Für einen Betrieb mit 200 Mutterschafen ergibt sich in Abhängigkeit von Herdenaufteilung (Anzahl und Größe der Herden) und Topografie ein Bedarf von zwei bis drei Herdenschutzhunden . Diese und weitere Informationen zum Kostenaufwand für Herdenschutzhunde wurden vom KTBL unter www.ktbl.de/fileadmin/user_upload/Artikel/Tierhaltung/ Andere_Tiere/Kosten_Herdenschutz/Herdenschutz.pdf veröffentlicht. 26. Wie hoch sind nach Einschätzung der Bundesregierung die durchschnittlichen jährlichen Gesamtkosten für Errichtung, Betrieb und Instandhaltung (inkl. Arbeitsaufwand) für wolfsabweisende Zäune für eine Herde von ca. 200 Schafen? Der Investitionsbedarf sowie die Kosten zur Errichtung und Absicherung wolfsabweisender Zäune sind von der Flächenstruktur der Betriebe sowie von der Bauart der eingesetzten Zäune abhängig. In einigen Bundesländern ist der definierte „Mindestschutz“ von Schafen und Ziegen die Voraussetzung, um im Schadensfall Anspruch auf Ausgleichszahlung zu haben. Teilweise erfüllen bereits 90 cm hohe Elektronetze die Anforderungen des Mindestschutzes. Empfohlen (und in der Regel auch gefördert) werden jedoch höhere Elektrozäune, z. B. stromführende Zäune mit einer Höhe von 120 cm, welche ausreichend unter Spannung stehen und die so bodennah abschließen, dass ein Unterkriechen verhindert wird. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333