Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/12291 – Berechnungen zum Zuwanderungskorridor für das Jahr 2018 und Prognose für das Jahr 2019 V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Bei der Vorstellung der Asylzahlen für das Jahr 2018 (vgl. dpa vom 23. Januar 2019) hatte der Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat Horst Seehofer erklärt, die Asyl-Zuwanderung sei im Jahr 2018 mit netto rund 165 000 Menschen deutlich unterhalb des von der Koalition vereinbarten Korridors zwischen 180 000 und 220 000 Menschen geblieben. Bei dieser Berechnung wurde von 3 400 Aufnahmen im Rahmen des Resettlements, 38 500 nachziehenden Familienangehörigen sowie 23 500 Abschiebungen und 16 000 freiwilligen Ausreisen ausgegangen. Bei der Vorstellung der Asylzahlen für Mai 2018 hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer noch behauptet, trotz des Rückgangs der Asylzahlen sei damit zu rechnen, dass der im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vereinbarte „Korridor für die jährliche Zuwanderung nach Deutschland in Höhe von 180 000 bis 220 000 Personen [...] in diesem Jahr erreicht oder sogar überschritten werden“ könnte. Die Fraktion DIE LINKE. hatte dem widersprochen und aufgrund von damals vorliegenden Zahlen der Bundesregierung hochgerechnet, dass der Korridor am Ende des Jahres entgegen der Prognose des Bundesinnenministers bei Weitem nicht erreicht würde (vgl. Bundestagsdrucksache 19/5153 und www.taz.de/Asylzahlen-des-Bundesinnenministers/! 5518102/). Zur genauen Berechnung des vereinbarten Korridors gibt es Fragen im Detail (vgl. ebd.). Insbesondere gibt es immer noch keine statistische Erhebung zur Gesamtzahl der freiwilligen Ausreisen abgelehnter Flüchtlinge, die ebenso wie die Zahl der Abschiebungen von der Zahl eingereister Schutzsuchender abgezogen werden soll. Zudem wird eine unbekannte – nach Einschätzung der Fragestellenden aber fünfstellige – Zahl von Geflüchteten doppelt gezählt, einmal bei der Zahl Asylsuchender, das andere Mal bei den nachziehenden Familienangehörigen . Denn viele legal nachgezogene Angehörige stellen in Deutschland einen Asylantrag zur Statusklärung: Im Jahr 2018 verfügten 18 338 Asylsuchende zum Zeitpunkt der Asylantragstellung bereits über eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen (Bundestagsdrucksache 19/8701, Antwort zu Frage 2c). Und schließlich handelte es sich bei einem Fünftel aller Asylsuchenden des Jahres 2018 nicht um eingereiste Personen, sondern um Deutscher Bundestag Drucksache 19/12878 19. Wahlperiode 30.08.2019 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 28. August 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. hier geborene Kinder von Asylsuchenden oder anerkannten Flüchtlingen (Bundestagsdrucksache 19/11001, Antwort zu Frage 8). Quotenregelungen sind nach Auffassung der Fragestellenden bei der Gewährleistung von Menschenrechten und Flüchtlingsschutz grundsätzlich unzulässig . Die oben aufgezeigten Umstände zeigen nach Ansicht der Fragesteller aber, dass die Aufnahme von Geflüchteten in Deutschland infolge entsprechender Abschottungs- und Abschreckungsmaßnahmen zuletzt noch geringer war als ohnehin bereits angenommen werden musste. Inwieweit hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer bei seiner Aussage bei Vorstellung der Asylzahlen für das Jahr 2018, „Wir sollten uns ja bei unseren Entscheidungen an den Fakten orientieren, nicht an unseren Vermutungen “ (Handelsblatt vom 24. Januar 2019), im Blick, dass er selbst im Mai 2018 aufgrund von Vermutungen fälschlich prognostizierte, dass der im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vereinbarte Korridor erreicht oder auch überschritten werden würde, und inwieweit wurden im Jahr 2018 in der Migrations- und Asylpolitik politische Entscheidungen getroffen, die auf solchen (falschen) Vermutungen und nicht auf Fakten basierten , etwa im Zusammenhang des innerhalb der Bundesregierung geführten Streits um die Notwendigkeit, die rechtliche Zulässigkeit und den Umfang möglicher Zurückweisungen von Schutzsuchenden an den deutschen Grenzen (bitte ausführen)? 1. Die Bundesregierung setzt seit Beginn der Legislaturperiode ihre Anstrengungen fort, in Deutschland und der EU Migrationsbewegungen zu steuern und zu begrenzen. Die Bundesregierung ergriff eine Reihe von Maßnahmen und Initiativen , die bereits nach kurzer Zeit Wirkung zeigten. Die Zahl der Zugänge konnte insgesamt reduziert und das Asylverfahren optimiert werden. Im Übrigen trifft die Bundesregierung ihre jeweiligen Entscheidungen auf der Grundlage des aktuellen Erkenntnisstands. Nachdem die Bundesregierung der Auffassung zugestimmt hat (vgl. Antworten zu den Fragen 1 und 2 auf Bundestagsdrucksache 19/5153), dass mit der im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD verwandten Formulierung „freiwillige Ausreisen“ nicht nur finanziell durch das REAG/GARP-Programm geförderte freiwillige Ausreisen, sondern alle freiwilligen Ausreisen abgelehnter Asylsuchender gemeint sind, welche Anstrengungen hat sie unternommen, um diese Zahl genauer erfassen zu können (bitte im Detail darlegen) und welche umfassenderen Einschätzungen oder Zahlen hat sie inzwischen hierzu (bitte darlegen)? 2. Bei der Erfassung der freiwilligen Ausreisen liegen der Bundesregierung weiterhin nur im Bereich des Bund-Länder-Programms REAG/GARP belastbare Daten vor. Die Abstimmungen mit den Ländern zur Erfassung aller geförderten und auch nicht-geförderten Ausreisen dauern an. Ziel der Bundesregierung ist es dabei, vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Erfassungsmethoden der Länder die Zahlen der freiwilligen Ausreisen möglichst genau zu erfassen. Ferner wird auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 27e der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 19/8021 verwiesen. Drucksache 19/12878 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Inwieweit ist es nach Kenntnis der Bundesregierung zulässig und begründbar , die hier geborenen Kinder von Geflüchteten (etwa ein Fünftel aller Asylsuchenden, siehe Vorbemerkung der Fragesteller) bei der Berechnung des Zuwanderungskorridors, bei der es um „Zuwanderungszahlen“ gehen soll, zu berücksichtigen, obwohl diese in Deutschland geborenen Kinder offenkundig nicht „zugewandert“ sind (bitte begründen)? 3. Die im Koalitionsvertrag enthaltene Feststellung, dass die Zuwanderungszahlen die Spanne von jährlich 180.000 bis 220.000 nicht übersteigen werden, begründet das im Koalitionsvertrag beschriebene, politische Maßnahmenpaket zur Steuerung der Zuwanderung. Berechnungskriterien sind davon nicht erfasst. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat weist die Zahlen der in Deutschland Nachgeborenen unter einem Jahr im Rahmen der Berechnung der Nettozuwanderung regelmäßig gesondert aus. Inwieweit müssen bei der Berechnung des Zuwanderungskorridors von der Zahl der Asylsuchenden Familienangehörige, die im Wege des Familiennachzugs legal eingereist sind und dann zur Statusklärung einen Asylantrag gestellt haben, von der Zahl der Asylsuchenden abgezogen werden, damit sie nicht doppelt gezählt werden (als Asylsuchende und beim Familiennachzug , bitte begründen), und wie hoch schätzt die Bundesregierung diese Zahl, auch angesichts des Umstands, dass 2018 18 338 Asylsuchende zum Zeitpunkt der Asylantragstellung über eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen verfügten (Bundestagsdrucksache 19/8701, Antwort zu Frage 2c)? 4. Auf die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 19/5153 wird hingewiesen. Im Rahmen des Familiennachzugs findet eine Differenzierung nach dem Aufenthaltsstatus der Referenzperson nicht statt. Ob ein Nachzug zu Deutschen oder zu Schutzberechtigten stattfindet, wird somit nicht erfasst. Der Bundesregierung liegen keine statistischen Erhebungen über die Zahl der Asylanträge im Sinne der oben gestellten Frage vor. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Fragesteller, dass der Umfang des Familiennachzugs zu anerkannten Flüchtlingen und Asylberechtigten zurückgehen wird, da die entsprechenden Schutzgewährungen in absoluten Zahlen zuletzt zurückgegangen sind (bitte begründen)? 5. Über eine mögliche künftige Entwicklung der Zahlen zum Familiennachzug kann die Bundesregierung keine Einschätzung abgeben. Welche Einschätzung existiert beim Bundesinnenminister aktuell zur Frage , ob der im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vereinbarte Zuwanderungskorridor auf der Grundlage vorliegender Zahlen in diesem Jahr (nicht) erreicht oder überschritten werden könnte (bitte nachvollziehbar begründen)? 6. Auf die Ausführungen in der Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. Für das Jahr 2019 geht die Bundesregierung davon aus, dass die im Koalitionsvertrag festgestellte Spanne von 180.000 bis 220.000 Personen deutlich unterschritten wird. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/12878 Welche Zahlen liegen vor zur Berechnung des im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD genannten Zuwanderungskorridors für das Jahr 2018 (bitte so genau wie möglich nach den unterschiedlichen Gruppen auflisten ), und wie groß war demnach nach Auffassung der Bundesregierung im Jahr 2018 die so definierte „Netto-Zuwanderung“ (bitte neben den präzisen und differenzierten Zahlen auch die Berechnungsart darlegen)? 7. Auf die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 19/5153 wird hingewiesen. Zur Berechnung der Zuwanderungszahlen im Sinne der Fragestellung nach Deutschland für das Jahr 2018 wurden folgende Zahlen zugrunde gelegt: • die Asylerstantragszahlen, • die Zahlen für Resettlement und humanitäre Aufnahmen, • die Zahlen für den Familiennachzug nach Visaerteilung an Staatsangehörige der 7 Haupt-HKL (AFG, ERI, IRN, IRQ, SYR, SOM, YEM), darunter die Zahlen für den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten, • die Zahl der Rückführungen (inkl. Abschiebungen und Dublin-Überstellungen ), • die Zahl der Freiwilligen Rückkehr. Nach Vorlage der abschließenden Zahlen des Familiennachzugs nach Visaerteilung zu den 7 Haupt-HKL bzw. zu subsidiär Schutzberechtigten im Jahr 2018 ergibt sich, dass nur rund 33.000 Visa zu diesem Zweck im Jahr 2018 erteilt wurden. Insoweit ist die vom BMI im Januar 2019 mitgeteilte Zahl von 165.000 Zuwanderern im Jahr 2018 auf rund 159.000 zu aktualisieren. Zuwanderungsspanne für 2018 Asylerstanträge Davon waren ca. 19,9 % (32.300) in Deutschland Geborene im Alter von unter einem Jahr. rund 162.000 Humanitäre Aufnahmen und Resettlement TUR-Aufnahmen, Resettlement und Landesaufnahmeprogramme . zuzügl. rund 3.400 Familiennachzug nach Visaerteilung zu den 7 Haupt-HKL und Visaerteilung zu subsidiär Schutzberechtigten zuzügl. rund 33.000 Rückführungen (inkl. Dublin-Überstellungen) abzügl. rund 23.500 Freiwillige Rückkehr abzügl. rund 16.000 Summe rund 159.000 Drucksache 19/12878 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Welche aktuellen Zahlen und Einschätzungen liegen der Bundesregierung im Zusammenhang des im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vereinbarten Zuwanderungskorridors derzeit vor (bitte aktuelle Zahlen entsprechend der unterschiedlichen Formen der Ein- bzw. Auswanderung so präzise wie möglich auflisten), und auf welche ungefähre Zuwanderungszahl für das Jahr 2019 kommt die Bundesregierung auf der Grundlage dieser Zahlen (bitte Berechnungsweise konkret darlegen)? 8. Zuwanderungszahlen für 1. Halbjahr (Januar bis Juni 2019) Asylerstanträge Davon waren ca. 21 % (15.586) in Deutschland Geborene im Alter von unter einem Jahr. rund 73.000 Resettlement und Humanitäre Aufnahmen TUR-Aufnahmen 1. Quartal 882, 2. Quartal 560 (Summe 1.442) (Resettlement – Aufnahmen haben in diesem Jahr noch nicht stattgefunden.) zuzügl. rund 1.400 Familiennachzug nach Visaerteilung zu den 7 Haupt-HKL und Visaerteilung zu subsidiär Schutzberechtigten zuzügl. rund 14.000 Rückführungen inkl. Dublin-Überstellungen abzügl. rund 13.000 Freiwillige Rückkehr abzügl. rund 6.800 Summe rund 68.600 Für den Fall stabil bleibender Zuwanderungszahlen im zweiten Halbjahr 2019 rechnet die Bundesregierung nach jetzigem Stand mit einer Zuwanderung von 140.000 bis 150.000 im Gesamtjahr 2019. Welche quantitativen Auswirkungen hätte es nach Kenntnis der Bundesregierung , wenn umfassendere Zahlen zu freiwilligen Ausreisen vorlägen und wenn die Zahl hier geborener Kinder bzw. legal nachgezogener Angehöriger , die einen Asylantrag gestellt haben, bei der Berechnung berücksichtigt würden (bitte darstellen)? 9. Auf die Antwort zu Frage 2 wird verwiesen. Eine Änderung von Berechnungsgrundlagen verändert auch stets das Ergebnis der Berechnung. Ansonsten wird auf die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 19/5153 sowie hinsichtlich der Einbeziehung in Deutschland geborener Kinder auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen . Die Bundesregierung bemüht sich auch weiterhin um möglichst aussagekräftige Zahlenangaben und wird diese, sobald sie vorliegen, auch in ihre Berechnungen einbeziehen. 10. Inwieweit sollte nach Auffassung des Bundesinnenministers der Umstand, dass der vereinbarte Zuwanderungskorridor nach Einschätzung der Fragestellerinnen und Fragesteller auch in diesem Jahr bei weitem nicht erreicht werden wird und die Zahl der neu eingewanderten Schutzsuchenden unter Berücksichtigung der in der Vorbemerkung der Fragesteller gemachten Ausführungen noch einmal deutlich geringer ausfällt, für Lockerungen in der Asylund Migrationspolitik genutzt werden, etwa durch Wiederherstellung des subjektiven Rechts auf Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte, durch eine Erhöhung humanitärer Aufnahmekontingente oder durch eine umfassende humanitäre Bleiberechtsregelung (bitte ausführen)? Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/12878 Die Bundesregierung plant keine Abkehr von der aktuellen Asyl- und Migrationspolitik . Bei der Vereinbarung über den jährlichen Zuwanderungskorridor handelt es sich um eine Feststellung aus dem Koalitionsvertrag, die eine politische Erwartungshaltung vor allem im Hinblick auf die Höhe der künftigen Zuwanderung konkretisiert. Die entsprechende Passage im Koalitionsvertrag (Randziffer 533 f.) lautet: „Wir stellen für die Zuwanderungszahlen fest, dass sie basierend auf den Erfahrungen der letzten 20 Jahre sowie mit Blick auf die vereinbarten Maßnahmen und den unmittelbar steuerbaren Teil der Zuwanderung die Spanne von jährlich 180.000 bis 220.000 nicht übersteigen werden.“ Gleiches gilt für die Regelung über die Höhe des Familiennachzugs, die ebenfalls Teil des Koalitionsvertrages ist. Eine Unterschreitung ist deshalb kein Grund für eine Änderung der Asyl- und Migrationspolitik. Sie bestätigt eher die Wirksamkeit der aktuellen Asyl- und Migrationspolitik. Drucksache 19/12878 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333