Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Andrew Ullmann, Michael Theurer, Renata Alt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/12424 – Vorbereitung der Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen auf Hitzewellen V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Klimamodelle sagen voraus, dass die extremsten Hitzesommer in Zukunft häufiger werden. Auf die Folgen des Temperaturanstiegs und damit verbunden intensiveren Hitzewellen für die Gesundheit der Menschen macht eine Studie in der Fachzeitschrift Lancet aus dem Jahr 2018 aufmerksam. Die Ergebnisse zeigen, dass der Klimawandel schon heute die Gesundheit von Millionen Menschen gefährde (Watts, Nick et al. (2018): The 2018 report of the Lancet Countdown on health and climate change: shaping the health of nations for centuries to come, Lancet). Danach waren 2017 18 Millionen mehr gefährdete Personen Hitzewellen ausgesetzt als 2016. Im Vergleich zum Jahr 2000 waren es 157 Millionen mehr. Als hitzegefährdert gelten Menschen, die an Diabetes, einer Herz-Kreislauf-Erkrankung oder chronischen Atemwegsproblemen leiden oder über 65 Jahre alt sind, vor allem wenn sie in Städten leben. Dort steigen die Temperaturen verhältnismäßig stark. Zwischen 1986 und 2017 betrug der Unterschied in dichtbesiedelten Gebieten 0,8 Grad Celsius. Im gleichen Zeitraum stieg die weltweite Durchschnittstemperatur nur um 0,3 Grad Celsius . Allein in Berlin sind im vergangenen Sommer knapp 500 Menschen an den Folgen der Hitze gestorben, berichtet das Robert Koch-Institut. Wissenschaftler bestätigen, dass die Sterbequote an heißen Tagen mit mehr als 30 Grad Celsius um etwa ein Zehntel und die Krankenhauseinlieferungen um ein Zwanzigstel steigen (Karlsson, Martin & Ziebarth, Nicolas (2018): Population health effects and health-related costs of extreme temperatures: Comprehensive evidence from Germany, Journal of Environmental Economics and Management). Krankenhäuser sehen sich jedoch mit der erhöhten Belastung im Zusammenspiel mit den steigenden Temperaturen überlastet. Nur in wenigen Pflegeeinrichtungen kann ein hinreichender Patientenschutz durch eine umfangreiche Ausstattung mit klimatechnischen Regulierungseinrichtungen wie Klimaanlagen gewährleistet werden. Dies führt dazu, dass Patienten unter erheblichen Kreislaufproblemen, Dehydrierung sowie Schwächeanfällen leiden und einer teils lebensbedrohlichen Situation ausgesetzt werden (Müller, Andreas (2017): Auch Kliniken kämpfen mit der Hitze, Stuttgarter Zeitung). Angesichts der riesigen Finanzlücken für Bau und Erhalt der Häuser seien zusätzliche Millionenausgaben für die Kühlung der Zimmer aber derzeit undenkbar (Schraa, Rolf (2018): Kein Geld für Klimaanlagen – Hitzestress im Kran- Deutscher Bundestag Drucksache 19/12899 19. Wahlperiode 02.09.2019 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 29. August 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. kenzimmer, WAZ). Bisher gibt es keine Regeln, wie warm es in Pflegeeinrichtungen sein darf. V o r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die in den letzten Jahren zu beobachtenden Hitzewellen wirken sich unterschiedlich auf das Wohlbefinden und die Gesundheit von Menschen aus. Besonders betroffen sind ältere Menschen, Säuglinge und Kleinkinder sowie Menschen mit Vorerkrankungen. Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen sind grundsätzlich auf spezielle Situationen wie z. B. extreme Hitzeepisoden vorbereitet und bieten auch bei deren Eintreten eine hochwertige medizinische und pflegerische Versorgung für Patientinnen und Patienten sowie Bewohnerinnen und Bewohner. 1. Sind nach Auffassung der Bundesregierung Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen ausreichend auf die Zunahme von Hitzewellen vorbereitet? Es obliegt den Pflegeeinrichtungen, mit den Leistungen der körperbezogenen Pflegemaßnahmen und pflegerischen Betreuung darauf abzuzielen, die pflegebedürftigen Menschen direkt oder indirekt darin zu unterstützen, die Auswirkungen gesundheitlicher Probleme in verschiedenen Lebensbereichen zu bewältigen und dabei fachlich kompetent den allgemein anerkannten Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse zu berücksichtigen. Um die Einrichtungen hierbei zu unterstützen, hat die Robert Bosch Gesellschaft für medizinische Forschung mbH, Stuttgart, mit Förderung durch das Bundesministerium für Gesundheit das Projekt „Prävention hitzebedingter Risiken bei älteren Menschen “ (1. 2. 2017 bis 31. 1. 2019) durchgeführt. Ziel des Projektes war es, eine Grundlage für erweiterte und passgenaue Handlungsempfehlungen mit konkreten Handlungswegen hinsichtlich der Auswirkungen von Hitzesituationen bzw. -wellen für ältere Menschen in unterschiedlichen Umgebungen zu erarbeiten. Im Zusammenhang mit dem Projekt liegen wissenschaftliche Publikationen vor, in denen auch konkrete Hinweise auf gute Praxis bei großer Hitze gegeben werden (Clemens Becker et al., Neue Wege zur Prävention gesundheitlicher Risiken und der Übersterblichkeit von älteren Menschen bei extremer Hitze, Bundesgesundheitsblatt 2019, S. 565–570, https://doi.org/10.1007/s00103-019- 02927-9; online publiziert: 18. März 2019). Diese sind der Fachwelt zugänglich . Auch eine Broschüre zu dem Thema „Alter und Hitze – Tipps zur Vermeidung von gesundheitlichen Schäden“ ist bereits verfügbar. Schulungsmaterial zum Thema für unterschiedliche Lebenswelten ist auf den Bildungsmodulen der LMU München zugänglich (www. klinikum.uni- muenchen .de/ Bildungsmodule- Aerzte/ de/ bildungsmodule- mfa/ Materialien- Hitze- Gesundheit/index.html). Die Krankenhäuser sind auf eine ausreichende Versorgung von Patientinnen und Patienten auch während Hitzeperioden eingestellt, ebenso wie z. B. bei einer verstärkten Ausbreitung von Infektionskrankheiten (z. B. Grippewelle). Im Übrigen wird auf die Antworten auf die Fragen 4 und 5 verwiesen. 2. Wie bewertet die Bundesregierung das Ausmaß von Hitze für die öffentliche Gesundheit in Deutschland? Hitzeepisoden, insbesondere über einen längeren Zeitraum, können die Gesundheit auf unterschiedliche Weise beeinflussen. Die physiologischen Mechanismen der gesundheitsschädlichen Wirkungen von Hitzebelastung sind gut bekannt und dokumentiert. Dehydrierung und reduzierte Blutviskosität aufgrund des höheren Flüssigkeitsverlusts erhöhen das Risiko für Thrombosen und an- Drucksache 19/12899 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode dere Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Auch generell belastet die Hitze das Herz- Kreislauf-System, und der Körper ist einem höheren Stress ausgesetzt, um die Körperkerntemperatur konstant zu halten. Dieser zusätzliche Stress kann zahlreiche bestehende Beschwerden verstärken, weswegen auch für andere Erkrankungen , wie etwa Erkrankungen der Atemwege, ein deutlicher Einfluss der Hitze nachgewiesen ist. Ist die Thermoregulation eingeschränkt, können Entgleisungen des Wasser- und Elektrolythaushalts auftreten, die zu lebensbedrohlichen Beeinträchtigungen des Herz-Kreislauf-Systems führen können. Ferner erhöht sich – durch die bei Hitze in der Regel hohe Sonnen-UV- Strahlung – das Risiko für Hautkrebs, wovon besonders Kinder betroffen sind. Darüber hinaus können sich längere Hitzephasen beispielsweise potenziell auf das Vorkommen von Krankheitsvektoren (vor allem Stechmücken und Zecken) und deren Rolle als Überträger von Arboviren (z. B. Chikungunya- und Denguevirus) auf den Menschen auswirken. Eine zunehmende Erwärmung könnte potenziell auch das Auftreten anderer Infektionskrankheiten begünstigen , da höhere Temperaturen das bakterielle Wachstum im Allgemeinen fördern . Ebenso können sich Einflüsse auf die Allergenexposition z. B. durch Verlängerung der Pollensaison und stärkere Expositionen ergeben, womit die Gefahr einer Sensibilisierung sowie die Belastung von Menschen, die bereits an einer entsprechenden Inhalationsallergie leiden, steigen. Epidemiologische Untersuchungen zeigen, dass starke und/oder längere Hitzewellen mit einer erhöhten Mortalität verbunden sind, besonders in den höheren Altersgruppen. So wurden die hitzebedingten Todesfälle im Sommer 2003 in Deutschland auf 7.600 Fälle geschätzt; auch für die Sommer der Jahre 2006, 2010, 2013 und 2015 wurde eine signifikante Anzahl hitzebedingter Todesfälle ermittelt (vgl. Mathias an der Heiden et al, Schätzung hitzebedingter Todesfälle in Deutschland 2001 und 2015; Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung- Gesundheitsschutz 5, 2019). Das Robert Koch-Institut schätzt auf Grundlage eines zeitnahen Monitorings der Daten zur Sterblichkeit der Länder Berlin und Hessen, dass im Sommer 2018 in Berlin etwa 490 Menschen und in Hessen etwa 740 Menschen aufgrund der Hitzeeinwirkung starben. Die Anzahl der hitzebedingt verstorbenen Personen wurde mit Hilfe eines generalisierten additiven Modells, das den systematischen Zusammenhang zwischen dem Mortalitätsverlauf und der Wochenmitteltemperatur quantifiziert, berechnet. Die Datenübermittlung für ein zeitnahes Mortalitätsmonitoring durch die Länder ist freiwillig. Auf Bundesebene werden die Zahlen zur hitzebedingten Mortalität für den Sommer 2018, die auf Grundlage der erhobenen Daten zur Todesursache durch die Standesämter berechnet werden, voraussichtlich Ende 2020 vorliegen. 3. Wie groß waren nach Kenntnissen der Bundesregierung die gesundheitlichen Folgen und damit verbunden die gesamtwirtschaftlichen Kosten der Hitzewelle des Jahres 2018 in Deutschland? Über die in Antwort zu Frage 2 genannten Schätzungen hitzebedingter Todesfälle hinaus liegen der Bundesregierung keine Daten zur hitzebedingten Morbidität sowie zu den gesamtwirtschaftlichen Kosten vor. 4. Wie vielen Allgemeinkrankenhäusern in Deutschland mangelt es nach Kenntnissen der Bundesregierung an einer hinreichenden Klimatechnik zur Raumluftregulierung? Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/12899 5. Wie hoch schätzt die Bundesregierung den Investitionsbedarf für die Implementierung klima- und insbesondere CO2-neutraler Raumluftregulierungsanlagen in den Allgemeinkrankenhäusern? Aufgrund des Sachzusammenhangs werden die Fragen 4 und 5 gemeinsam beantwortet . Für die Vorhaltung klimatechnischer Anlagen in Krankenhäusern sind die Länder im Rahmen ihrer Zuständigkeit für die stationäre Investitionskostenfinanzierung verantwortlich. Ihnen obliegt insofern die Ermittlung etwaigen Investitionsbedarfs . 6. Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung angesichts des hohen Anteils von Pflegeeinrichtungen, deren Patientenzimmer nicht mit Klimaanlagen oder sonstigen Vorrichtungen ausgestattet sind? 7. Wie hoch schätzt die Bundesregierung den Investitionsbedarf, um die notwendige Ausstattung der Pflegeinrichtungen zu gewährleisten? Aufgrund des Sachzusammenhanges werden die Fragen 6 und 7 gemeinsam beantwortet. Regelungen zur baulichen Beschaffenheit und zur Ausstattung von Pflegeeinrichtungen fallen als Teil der heimrechtlichen Vorgaben in die Zuständigkeit der Länder. Die Verordnung über bauliche Mindestanforderungen für Altenheime , Altenwohnheime und Pflegeheime für Volljährige (Heimmindestbauverordnung – HeimMindBauV), die die baulichen Mindestanforderungen für Heime im Sinne des Heimgesetzes festlegt, gilt seit der Föderalismusreform nur noch in den Ländern, die die Verordnung ausdrücklich weiter für anwendbar erklärt haben. Nach den Vorschriften des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) sind die Länder zudem verantwortlich für die Vorhaltung einer pflegerischen Infrastruktur . Zur finanziellen Förderung der Investitionskosten der ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen sollen von den Ländern nach § 9 SGB XI Einsparungen eingesetzt werden, die den Trägern der Sozialhilfe durch die Einführung der Pflegeversicherung entstehen. Das Nähere zur Förderung der Pflegeeinrichtungen ist durch Landesrecht zu bestimmen. 8. Wie wird nach Kenntnis der Bundesregierung bei der Beschaffung von Raumluftregulierungsanlagen der Aspekt der Klima- insbesondere CO2- Neutralität, insbesondere bei der öffentlichen Auftragsvergabe, berücksichtigt ? Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse zur Vergabepraxis in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen in Bezug auf Raumregulierungsanlagen vor. Im Übrigen wird auf die Antwort zu den Fragen 4 bis 7 hingewiesen. 9. Welche Informationen liegen der Bundesregierung vor, die die Auswirkungen von Hitze auf die Behandlungsdauer sowie die Behandlungskosten der Patienten belegen? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. Drucksache 19/12899 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333