Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Andrew Ullmann, Michael Theurer, Renata Alt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/12434 – Nutzung von digitalen Innovationen in der Notfallversorgung V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Als Notfallversorgung werden diejenigen medizinischen Behandlungsmaßnahmen in einer Situation verstanden, in der eine dringende Behandlungsbedürftigkeit besteht und eine ambulante oder stationäre Regelversorgung nicht rechtzeitig zur Verfügung steht. An der Notfallversorgung in Deutschland sind gleich drei Versorgungsbereiche beteiligt, für die unterschiedliche gesetzliche Rahmenbe-dingungen im Hinblick auf deren Planung, Finanzierung und Leistungserbringung gelten: Der vertragsärztliche Bereitschaftsdienst, der Rettungsdienst und die Notaufnahmen der Krankenhäuser. Die Notaufnahmen der Krankenhäuser und Rettungsdienste sehen sich seit Jahren einer wachsenden Zahl von Patientinnen gegenüber, die zu einem beträchtlichen Umfang im Rahmen der ambulanten ärztlichen Versorgung behandelt werden könnten. Dies führt zu langen Wartezeiten in den Notaufnahmen und vielfach zu einer Unzufriedenheit der Patienten sowie professionellen Helfer (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, Jahresgutachten 2014, Rn. 200; ders., Jahresgutachten 2018, Rn. 1320). Angesichts dieser Situation wird eine Neuordnung hin zu einer bedarfsgerechten , koordinierten und integrativen Notfallversorgung als notwendig angesehen . Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen schlägt u. a. eine Koordination von ärztlichem Bereitschaftsdienst und Rettungsdienst über eine Integrierte Leitstelle (ILS) vor, in der sowohl die Anrufe der Rufnummer 112 als auch der 116 117 entgegengenommen und über eine Telefontriage mittels einer standardisierten Notrufabfrage und der Nutzung von Entscheidungsalgorithmen der jeweils geeigneten Versorgungsstruktur zugeleitet werden (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, Jahresgutachten 2018, Rn. 980). Darüber hinaus könnten mehrsprachige Patienteninformationen, auch über soziale Medien und Informationsportale das gestufte System erklären und Apps die Nutzung und die Steuerung hin zu der für den Patienten optimalen Versorgung erleichtern (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen , Jahresgutachten 2018, Rn. 1324). Der Bundesminister für Gesundheit Jens Spahn hat nach Vorstellung eines „Eckpunktepapiers“ im Dezember 2018 nunmehr angekündigt, zeitnah einen Gesetzentwurf vorzulegen, um die Notfallversorgung in Deutschland effektiver und effizienter zu gestalten , sodass die Patientinnen und Patienten angemessen durch die Notfallver- Deutscher Bundestag Drucksache 19/12964 19. Wahlperiode 03.09.2019 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 30. August 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. sorgungsstrukturen gesteuert werden (Handelsblatt vom 22. Juli 2019 – So will Gesundheitsminister Spahn die überfüllten Notaufnahmen entlasten). V o r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Der Bundesminister für Gesundheit Jens Spahn hat im Dezember 2018 die Eckpunkte seiner Reformvorstellungen zur Notfallversorgung bekannt gemacht. Zur Umsetzung der Eckpunkte – die u. a. die von den Fragestellern in Bezug genommenen Empfehlungen des Sachverständigenrats aufgreifen – werden derzeit erste Regelungsentwürfe auf Fachebene zwischen dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und den Ländern, die insbesondere für die Rettungsdienste bzw. das Rettungswesen zuständig sind, diskutiert. Auf der Internetseite des BMG sind weitere aktuelle Informationen veröffentlicht. 1. Wie bewertet die Bundesregierung das Nutzenpotential von algorithmengestützten digitalen Anamnese- und Diagnose-Assistenzsystemen auf medizinische Versorgungsprozesse? 2. Wie bewertet die Bundesregierung das Nutzenpotential von algorithmengestützten digitalen Anamnese- und Diagnose-Assistenzsystemen, um Patientinnen und Patienten im jeweiligen Einzelfall den für sie bedarfsgerechten Versorgungspfad aufzuzeigen? Welches Einsparvolumen sieht die Bundesregierung im Hinblick auf den Einsatz algorithmengestützter digitaler Anamnese- und Diagnose- Assistenzsysteme in der gesetzlichen Krankenversicherung? Die Fragen 1 und 2 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die Entwicklung von Systemen zur computerbasierten Unterstützung ärztlicher Diagnosestellung ist grundsätzlich positiv zu bewerten. Die algorithmengestützten digitalen Anamnese- und Diagnose-Assistenzsysteme eröffnen neue Anwendungspotenziale, um individuelle Gesundheitsrisiken zu identifizieren und Gegenmaßnahmen frühzeitig ergreifen zu können. Das Nutzenpotential der algorithmengestützten digitalen Anamnese- und Diagnose-Assistenzsysteme muss allerdings für die jeweils indizierten medizinischen Versorgungsprozesse bewertet und zertifiziert werden. Bezogen auf die Diagnosestellung muss nicht zuletzt aufgrund der Anforderungen des § 1 des Heilpraktikergesetzes stets berücksichtigt werden, dass die ärztliche Diagnose hierdurch nicht ersetzt werden kann, sondern die Ärztinnen und Ärzte im Rahmen der Diagnostik unterstützt. Eine pauschale Bewertung ist hier weder möglich, noch zielführend. Insbesondere bezogen auf die Notfallversorgung ist eine standardisierte medizinische Ersteinschätzung aus Sicht der Bundesregierung wichtig, damit die Leistungserbringer Patientinnen und Patienten schnell in die medizinisch gebotene Versorgungsebene leiten und bedarfsgerecht versorgen (siehe hierzu auch die Antwort zu Frage 7). Dabei können neben der Fachexpertise der Mitarbeitenden , die die Ersteinschätzung vornehmen, auch algorithmengestützte, digitale Anamnese- und Diagnose-Assistenzsysteme eine wichtige Rolle spielen. Die konkreten Auswirkungen des Einsatzes entsprechender Systeme auf die Effizienz insbesondere der Notfallversorgung sind derzeit noch nicht quantifizierbar . Drucksache 19/12964 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 3. Welche algorithmengestützten digitalen Anamnese- und Diagnose- Assistenzsysteme sind der Bundesregierung bekannt (bitte nach Namen, Nutzerzahlen in Deutschland, Nutzerzahlen weltweit, Entwickler, Hauptsitz des Entwicklers, Zahl der Mitarbeiter in Deutschland aufschlüsseln)? Eine entsprechende Abgrenzung ist schwer möglich, da viele Medizinprodukte algorithmengestützte Entscheidungshilfen anbieten, zum Beispiel bei der Auswertung von Elektrokardiogrammen. Die Bundesregierung verfügt nicht über eine systematische Übersicht algorithmengestützter digitaler Anamnese- und Diagnose-Assistenzsysteme. 4. Wie wurden nach Kenntnis der Bundesregierung in Deutschland ansässige Entwickler digitaler Anamnese- und Diagnose-Assistenzsysteme unmittelbar und mittelbar durch den Bund in den letzten fünf Jahren gefördert? 5. Wie plant die Bundesregierung in Deutschland ansässige Entwickler digitaler Anamnese- und Diagnose-Assistenzsysteme zukünftig zu fördern? Die Fragen 4 und 5 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Entwickler digitaler Anamnese- und Diagnose-Assistenzsysteme wurden in den letzten fünf Jahren insbesondere über entsprechende Förderinstrumente zur Forschungs- und Wirtschaftsförderung des Bundes gefördert und können diese auch zukünftig in Anspruch nehmen. Darüber hinaus können Entwickler digitaler Anamnese- und Diagnose- Assistenzsysteme insbesondere auch über die Mittel aus der Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung gefördert werden. 6. Welche regulatorischen Hürden sieht die Bundesregierung derzeit für den Einsatz algorithmengestützter digitaler Anamnese- und Diagnose-Assistenzsysteme in Deutschland? Wie bewertet die Bundesregierung die gesetzlichen Rahmenbedingungen auf Bundes- und Länderebene im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedstaaten und im internationalen Vergleich? Algorithmengestützte digitale Anamnese- und Diagnose-Assistenzsysteme unterliegen den Bestimmungen des Medizinprodukterechts und bedürfen daher einer CE-Zertifizierung, die die Sicherheit und Leistungsfähigkeit der Produkte gewährleistet. Diese Marktzugangsvoraussetzungen sind europarechtlich geregelt und daher in allen EU-Mitgliedstaaten gleich. Algorithmengestützte digitale Anamnese- und Diagnose-Assistenzsysteme unterscheiden sich allerdings von anderen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden oder anderen Leistungsarten im Hinblick auf wesentliche Eigenschaften wie schnelle Innovations - und Entwicklungszyklen, hohe Individualisierung, digitaler Charakter, modulare Erweiterbarkeit und derzeit zumeist ein geringes Risikopotenzial. National sollen daher mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz bisher vorhandene regulatorische Hürden beim Zugang in die Erstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung abgebaut und der Zugang digitaler Anwendungen in die Gesundheitsversorgung für Anwendung niedriger Risikoklassen erleichtert werden. Sollen digitale Anamnese- und Diagnose-Assistenzsysteme in der Versorgung der GKV zum Einsatz kommen, richtet sich die Erstattung oder Vergütung nach der Art des Einsatzes. Anwendungen die primär die ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte oder im Krankenhaus tätigen Leistungserbringerinnen und Leis- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/12964 tungserbringer unterstützen, sind als Praxis- oder Klinikzubehör aus der Vergütung der Leistungserbringerinnen und Leistungserbringer zu finanzieren. Patientenzentrierte algorithmengestützte digitale Anwendungen werden derzeit etwa als Satzungsleistung, Patientenschulungsmaßnahmen im Rahmen der Primärprävention oder im Wege von Selektivverträgen von der GKV erstattet. Mit dem von der Bundesregierung am 10. Juli 2019 beschlossenen Entwurf des Digitale-Versorgung-Gesetzes soll der Zugang digitaler Anwendungen in die Regelversorgung erleichtert werden. So sollen digitale Gesundheitsanwendungen der Risikoklasse I und IIa nach Aufnahme in ein Verzeichnis digitaler Gesundheitsanwendungen , das vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geführt wird und in das Anwendungen aufgenommen werden, die maßgeblichen Anforderungen an Sicherheit, Funktionstauglichkeit, Qualität, Datenschutz bzw. -sicherheit erfüllen und die einen positiven Versorgungseffekt nachweisen können (§ 139e SGB V-E), durch die Ärztinnen bzw. Ärzte verordnet werden können. Im Übrigen wird auf die Antwort der Bundesregierung zu den Fragen 1 bis 4 der Kleinen Anfrage der Fraktion der FDP auf Bundestagsdrucksache 19/11351 verwiesen. 7. Plant die Bundesregierung, algorithmengestützte digitale Anamnese- und Diagnose-Assistenzsysteme im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens zur Notfallversorgung zu berücksichtigen? Wenn ja, wie? Wenn nein, warum nicht? Nach den aktuellen Reformvorstellungen zur Notfallversorgung sollen derartige Systeme sowohl im Rahmen einer telefonischen Steuerung in sogenannten Gemeinsamen Notfallleitstellen als auch bei persönlich vorsprechenden Hilfesuchenden in sogenannten Integrierten Notfallzentren zur Einordnung in die richtige Versorgungsebene genutzt werden. Zum Stand der Diskussion über diese Reformvorstellungen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen . Drucksache 19/12964 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333