Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Marcus Faber, Alexander Graf Lambsdorff, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/12133 – Rüstungspolitische Sachstandsermittlung zum Taktischen Luftverteidigungssystem V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die Luftverteidigung Deutschlands, der EU und der NATO wird aufgrund zahlreicher technischer und politischer Entwicklungen in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen (https://dgap.org/de/think-tank/publikationen/ dgapkompakt/die-neue-qualitaet-von-luftbasierten-bedrohungen). Das mögliche Ende des INF-Vertrages sei hier exemplarisch genannt. Gerade in dem besonders kritischen Be-reich der Luftverteidigung besteht, nach Auffassung der Fragesteller, aktuell eine deutliche Fähigkeitslücke der Bundeswehr, die im Sinne des Fähigkeitsprofils der Bundeswehr dringend geschlossen werden muss. Zentral ist dabei die Modernisierung der bodengebundenen Luftverteidigung , bei der es sich aktuell um eines der größten Rüstungsprojekte der Bundeswehr handelt. Seit Beginn der Planungen für ein neues Luftverteidigungssystem, dem Taktischen Luftverteidigungssystem (TLVS), das auf den Entwicklungsergebnissen des abgebrochenen Programms Medium Extended Air Defense System (MEADS) basiert, haben sich die militärpolitischen Gegebenheiten, die Bedrohungslage und die technologischen Möglichkeiten signifikant verändert und somit auch die Anforderungen an die Luftverteidigung. Mit Vorlage eines neuen Angebots im Juni 2019 für die Modernisierung sollten zahlreiche Nachbesserungen seitens des Anbieters erfüllt werden (FAZ 25. Juni 2019, Seite 20). Anfang des Jahres 2019 bezeichneten Medienberichte das Rüstungsprojekt TLVS noch als eine teure „Reanimation“ (www.handelsblatt.com/politik/ deutschland/verteidigung-neues-luftabwehrsystem-wird-milliarden-euroteurer /23932420.html?ticket=ST-3178224-nQThxmt6PI9 d1xfcSB2b-ap2). Somit ist nach einer Wiederbelebung laut Fragesteller ein aktueller und ausführlicher Sachstand unerlässlich. Deutscher Bundestag Drucksache 19/12983 19. Wahlperiode 04.09.2019 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Verteidigung vom 2. September 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. V o r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die Bundesregierung nimmt die Vorbemerkung der Fragesteller zur Kenntnis. Sie stimmt weder den darin enthaltenen Wertungen zu noch bestätigt sie die enthaltenen Feststellungen oder dargestellten Sachverhalte. Der öffentliche Auftraggeber (öAG), vertreten durch das Bundesamt für Ausrüstung , Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr als Vergabestelle, führt derzeit das Vergabeverfahren für die Realisierung des Taktischen Luftverteidigungssystems (TLVS) durch. Aufgrund des gewählten Vergabeverfahrens (Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb gemäß § 12 Absatz 1 Nr. 1. c) Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit) hat die Bietergemeinschaft TLVS, bestehend aus den Unternehmen MBDA Deutschland GmbH und Lockheed Martin Corporation, hierfür als alleiniger Bieter am 21. Juni 2019 ihr zweites Angebot vorgelegt. Mit Blick auf die derzeit laufende, umfassende und intensive Aus- und Bewertung durch den öAG können zahlreiche der nachfolgenden Fragestellungen nur unter Vorbehalt beantwortet werden. Welche grundsätzlichen konzeptionellen Vorstellungen zur Entwicklung und Beschaffung von Flugabwehr- sowie bodengebundenen Luftverteidigungssystemen hat die Bundesregierung?  1. TLVS ist zur Fähigkeitserweiterung und als Nachfolge für das Waffensystem PATRIOT vorgesehen. Zusätzlich ist ein Aufwuchs für den Schutz von Objekten und Räumen sowie beweglich geführter Operationen der Landstreitkräfte gegen Bedrohungen aus der Luft im Nah- und Nächstbereich vorgesehen. Welche und wie viele bodengebundene Luftverteidigungssysteme von mittlerer bis großer Reichweite sind aktuell (Stand: 31. Juni 2019) im Bestand der Bundeswehr?  2. Im Bestand der Bundeswehr befinden sich zwölf operationell genutzte bodengebundene Luftverteidigungssysteme von mittlerer bis großer Reichweite des Typs Flugabwehrraketensystem PATRIOT. Welche und wie viele Flugabwehrsysteme für den Objektschutz bzw. für den Selbstschutz der Truppe sind aktuell (Stand: 31. Juni 2019) im Bestand der Bundeswehr?  3. Für den Objektschutz bzw. für den Selbstschutz der Truppe verfügt die Bundeswehr über zwei Nächstbereichsschutzsysteme MANTIS (Modular, Automatic and Network capable Targeting and Interception System) sowie über zwei Züge Leichtes Flugabwehrsystem (LeFlaSys). Wie hoch ist der zusätzliche Bedarf von Flugabwehr- und bodengebundenen Luftverteidigungssystemen von kurzer, mittlerer und großer Reichweite für die Bundeswehr (bitte nach den Kategorien kurze, mittlere und große Reichweite aufschlüsseln)?  4. Das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr sieht bis zum Jahr 2031 eine Ausstattung mit dem Taktischen Luftverteidigungssystem für mittlere bis große Reichweiten zur Fähigkeitserweiterung und Nachfolge für das Waffensystem PATRIOT sowie mit dem Luftverteidigungssystem für den Nah- und Nächstbereichs- Drucksache 19/12983 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode schutz (LVS NNbS) für kurze Reichweiten zur Fähigkeitserweiterung und Nachfolge für die Waffensysteme MANTIS und LeFlaSys vor. Welche grundsätzlichen Bedrohungsanalysen liegen der Entwicklung und eventuellen Beschaffung von TLVS zugrunde, und inwiefern und zu welchem Teil kann TLVS diese identifizierten Bedrohungen abdecken?  5. Auf die als „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestufte Anlage wird verwiesen , da die Antwort Referenzen zu als „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuften Forderungsdokumenten enthält, die den aus Bedrohungsanalysen abgeleiteten militärischen Bedarf der Bundeswehr beschreiben.* Wie soll innerhalb der Bündnis- und Landesverteidigung TLVS eingesetzt werden, und von welchen Einsatzszenarien ist dabei auszugehen?  6. TLVS ermöglicht eine flexible, einsatzorientierte und lageangepasste Zusammenstellung der Einzelkomponenten zu einem missionsspezifischen Einsatzmodul für beispielsweise Großstädte, Einsatzkontingente und Einsatzflughäfen. Wurden seit 2009 in den Auslandseinsätzen der Bundeswehr Flugabwehroder Luftverteidigungssysteme eingesetzt, und wenn ja, welche, in welchem Einsatz?  7. Die Bundeswehr hat in Auslandseinsätzen seit dem Jahr 2009 folgende bodengebundenen Flugabwehr- und Luftverteidigungssysteme eingesetzt: Die Bundeswehr setzt seit dem 24. Januar 2018 Teile des Flugabwehrwaffensystems MANTIS im Rahmen der VN-Mission MINUSMA (Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission in Mali) ein. Die Bundeswehr setzte das Flugabwehrraketensystem PATRIOT vom 15. Dezember 2012 bis zum 30. Dezember 2015 im Rahmen des NATO-Einsatzes Active Fence Turkey ein. Wie viele Systeme des TLVS sind nach Planungen der Bundesregierung von-nöten, um allen Einsatzszenarien aus der Konzeption der Bundeswehr und dem davon abgeleiteten Fähigkeitsprofil der Bundeswehr gleichzeitig und gleichrangig nachkommen zu können?  8. Aus sicherheitspolitischen Gründen wird auf die als „VS – Nur für den Dienstgebrauch “ eingestufte Anlage verwiesen. Das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr ist in seiner Gesamtheit als „VS – Vertraulich“ eingestuft. * Das Bundesministerium der Verteidigung hat die Antwort als „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft. Die Antwort ist im Parlamentssekretariat des Deutschen Bundestages hinterlegt und kann dort von Berechtigten eingesehen werden. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/12983 Welche Studien und Forschungsaufträge zur örtlichen Flugabwehr und räumlichen Luftverteidigung der Bundeswehr im Allgemeinen und zu TLVS im Besonderen wurden durch die Bundesregierung bisher vergeben bzw. sind in der Planung (bitte Jahr, Auftragsvolumen, Auftragnehmer, beteiligte Unternehmen bzw. Forschungsinstitute, Gegenstand des Studienprojektes nennen)?  9. Auf die als „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestufte Anlage wird verwiesen , da die Antwort Angaben zu Forschungsprojekten der Bundeswehr enthält , die den strategischen Ansatz und die Fähigkeitslücken der Streitkräfte preisgeben. Weiterhin kann die Kenntnis der beteiligten Firmen und Auftragsvolumina durch unbefugte Dritte für die beteiligten Firmen, deren Betriebsund Geschäftsgeheimnis die Bundesregierung zu wahren hat, nachteilig sein. Wie viele Haushaltsmittel sind bisher insgesamt und davon national für die Entwicklung von TLVS einschließlich des trinationalen Rüstungsprojektes MEADS ausgegeben worden? 10. In das Altprojekt MEADS haben die drei Partnernationen USA, Deutschland und Italien insgesamt rd. 4 Mrd. US $ investiert. Der deutsche Anteil an den internationalen Kosten betrug gemäß MEADS Design & Development Memorandum of Understanding aus dem Jahr 2005 25 Prozent. Mit weiteren nationalen Anteilen, u. a. der für die Einfuhr der an Deutschland übergebenen MEADS-Prototypen anfallenden Einfuhrumsatzsteuer, deren Lagerung, Foreign-Military-Sales-Anteile sowie dem unter TLVS/MEADS fallenden Entwicklungsanteil der bodengestützten Variante des Lenkflugkörpers IRIS-T, wurden für MEADS damit insgesamt rd. 1,3 Mrd. Euro verausgabt. Für die Vorbereitung des Vertragsschlusses der nationalen TLVS-Entwicklung fielen bisher (Stichtag 12. August 2019) Ausgaben für projektbezogene risikominimierende Maßnahmen bzw. Studien in Höhe von rd. 4,6 Mio. Euro vor der Auswahlentscheidung sowie rd. 5,5 Mio. Euro im Rahmen des Vergabeprozesses und weiterhin rd. 11,2 Mio. Euro für externe juristische, fachtechnische sowie kaufmännische Unterstützungsleistungen während des Vergabeprozesses an. Ergänzend wird auf die als „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestufte Anlage verwiesen, da es sich hierbei um durch das Vergaberecht geschützte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse handelt.* Wie hoch beziffert die Bundesregierung derzeit den Finanzbedarf für die Entwicklung und Beschaffung von TLVS (bitte nach Gesamtkosten und zusätzlich separat nach Entwicklung und Beschaffung in Jahresscheiben auf-schlüsseln)? 11. Auf die als „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuften Anlage wird verwiesen , da die Offenlegung der Finanzbedarfsplanung für TLVS die Verhandlungsposition des öAG signifikant schwächen würde.* * Das Bundesministerium der Verteidigung hat die Antwort als „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft. Die Antwort ist im Parlamentssekretariat des Deutschen Bundestages hinterlegt und kann dort von Berechtigten eingesehen werden. Drucksache 19/12983 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Inwiefern weicht diese Kostenprognose vom ermittelten Finanzbedarf ab, der zu Beginn des Projektes veranschlagt wurde bzw. der dem zweiten aktuellen Angebot (Stand: 21. Juni 2019) zugrunde liegt, und womit begründen sich die abweichenden Kosten? 12. Der Auswahlentscheidung im Juni 2015 lag eine erste, parametrische Kostenabschätzung zugrunde, die einen Finanzbedarf in Höhe von rd. 4 Mrd. Euro auswies. Die Abweichung zur aktuellen Finanzbedarfsschätzung begründet sich u. a. darin , dass der öAG – in konsequenter Anwendung der Agenda Rüstung, abweichend vom ursprünglichen Projektansatz – eine für ihn günstigere Risikoverteilung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer anstrebt. Aufgrund der Komplexität und Dauer der Entwicklung verfolgt der öAG die Absicht, ein funktionierendes Gesamtsystem zum Festpreis („werkvertraglicher Gesamterfolg “) zu beschaffen. Damit besteht bereits vor Vertragsschluss Klarheit über den Finanzbedarf für die Anteile Entwicklung und Beschaffung. Wie bewertet die Bundesregierung die Kostensteigerung in den einzelnen Schritten und insgesamt? 13. Auf die Antwort zu Frage 12 wird verwiesen. Prognostizierte Ausgabensteigerungen ergeben sich aus der Vergabe TLVS und basieren größtenteils auf Auftragnehmerangaben. Da es bisher zu keinen formalen Preisverhandlungen gekommen ist, können derzeit hierzu keine näheren Angaben gemacht werden. Wie steht die Bundesregierung zur damaligen Aussage, dass die von der Hessischen Stiftung Friedens und Konfliktforschung (HSFK) angesetzten Systemkosten von 10 bis 12 Mrd. Euro für einen „1 zu 1“-Ersatz für PAT- RIOT anzusehen seien (Bundestagsdrucksache 16/13752), im Verhältnis zu der aktuellen Kostenprognose für TLVS, die das bisherige Flugabwehrraketensystem PATRIOT ablösen soll? 14. Im Rahmen der Erstellung der Auswahlentscheidung TLVS wurden die zum damaligen Zeitpunkt bestmöglichen Ausgabenprognosen sowohl zum MEADS-basierten als auch PATRIOT-basierten Ansatz berücksichtigt. Schätzungen der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung spielten hierbei keine Rolle. Welche Systemzahlen liegen der aktuellen Kostenprognose für TLVS zugrunde , und kann damit die maximale operative Schutzleistung des abzulösenden Flugabwehrraketensystems PATRIOT bedrohungsgerecht kompensiert werden? 15. Grundlage für die derzeitige Realisierung von TLVS sind die in den Customer- Product-Management (CPM)-Dokumenten Fähigkeitslücke und Funktionale Forderung sowie Auswahlentscheidung TLVS definierten Rahmenbedingungen und Stückzahlen. Die Auswahlentscheidung für TLVS sieht u. a. eine Beschaffung von acht Multifunktionsfeuerleitradaren, drei Weitbereichssensoren, vier Mittelbereichssensoren , 15 Startgeräten für den Lenkflugkörper PAC-3 MSE sowie 17 Startgeräten für den Zweitlenkflugkörper IRIS-T SL vor. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/12983 Die technologische Leistungsfähigkeit, die der öAG für TLVS fordert, übertrifft die derzeit mit PATRIOT erzielte Schutzleistung deutlich. Wann und mit welchen Begründungen erfolgte eine Kostensteigerung bei TLVS? 16. Auf die Antworten zu den Fragen 12 und 13 wird verwiesen. Wie bewertet die Bundesregierung die „innovativen Elemente der Agenda Rüstung – wie Transparenz und dauerhaftes Risikomanagement“ bei der Planung und Umsetzung von TLVS (www.bmvg.de/de/aktuelles/ startschuss-fuer-ruestungsprojekte-meads-undmehrzweckkampfschiff -11588)? 17. Die Prinzipien der Agenda Rüstung prägen das gesamte Vergabeverfahren für TLVS. Ziel des öAG ist es, vor Vertragsschluss Klarheit zu Leistung, Zeitbedarf , Finanzbedarf und insbesondere den programmatischen und technologischen Risiken herzustellen und vertraglich eine angemessene Risikoverteilung zwischen öAG und Auftragnehmer sicherzustellen. Diese Zielsetzung mündet u. a. in die angestrebte werkvertraglich zugesicherte und mit einem Festpreis versehene Gesamtsystemleistung von TLVS. Welche Zeitplanungen verfolgt die Bundesregierung für die Entwicklungs- und Nutzungsphase von TLVS? 18. Unter dem Vorbehalt der weiteren Entwicklung des Vergabeverfahrens ist ein Nutzungsbeginn ca. ab dem Jahr 2027 zu erwarten. Für TLVS ist eine Nutzungsdauer von 30 Jahren vorgesehen. Mit welchen zeitlichen Verzögerungen im Programm rechnet die Bundesregierung ? 19. Durch die aktuellen Maßnahmen zur Nutzungsdauerverlängerung und die geplante Beschaffung des Lenkflugkörpers PAC-3 MSE für PATRIOT wird das System PATRIOT bis Anfang der 2030er-Jahre einsatzbereit sein. Durch die vorvertragliche Identifikation der Risiken, insbesondere auch für die zeitliche Vertragsdurchführung und deren Berücksichtigung im endverhandelten Vertrag, wird die Gefahr von Verzögerungen in der Vertragsdurchführung minimiert. Absicht ist es, TLVS im Einklang mit der Ablösung von PATRIOT zeitgerecht in die Truppe einzuführen. Welche Entwicklungsrisiken hat die Bundesregierung bei der Realisierung von TLVS identifiziert? 20. In der Aufforderung zum zweiten Angebot wurde die Bietergemeinschaft zu einem aktiven und transparenten Risikomanagement aufgefordert, das in der Vertragsdurchführung eine proaktive Nachsteuerung ermöglicht. Die Forderung des öAG, ein funktionierendes Gesamtsystem zu einem Festpreis zu erhalten, stellt sicher, dass diese Risiken auf Seiten der Industrie zu tragen sind. Vor der Zeichnung des endverhandelten Vertrages erwartet der öAG einen umfassenden Einblick in die industrieseitigen Risiken für die Realisierung. Drucksache 19/12983 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Die identifizierten elementaren Projektrisiken, die der Generalinspekteur der Bundeswehr bereits mit seiner Auswahlentscheidung als Abbruchkriterien festgelegt hat, wurden bereits im Vorfeld der Vertragsverhandlungen mit Studien umfangreich untersucht. Die Erkenntnisse werden in die Verhandlungen zum zweiten Angebot eingebracht. Zudem führt der öAG selbst für TLVS ein umfassendes Risikomanagement mit regelmäßigen und anlassbezogenen Elementen durch, das insbesondere die technologischen und programmatischen Risiken adressiert, die in der Verantwortung des Auftraggebers verbleiben (im Wesentlichen sind dies Risiken in Verbindung mit den Beistellungen des öAG). Wie bewertet die Bundesregierung die Qualität und Quantität des bisherigen Entwicklungsstandes von TLVS? 21. Da die Entwicklung von TLVS erst mit Vertragsschluss beginnt, ist hierzu keine Aussage möglich. Welche Meilensteine hat die Bundesregierung für die Entwicklung von TLVS gegenüber den Anbietern festgelegt? 22. Derzeit befindet sich das Projekt in der Vergabephase zum Realisierungs- und Vorserienvertrag. Bestandteil der noch durchzuführenden Verhandlungen ist auch eine solide Meilensteinplanung. Nähere Angaben sind erst mit Vorliegen eines endverhandelten Vertrags möglich. In der Aufforderung zur Abgabe eines zweiten Angebotes wurde eine detaillierte Meilensteinplanung gefordert. Zu den wesentlichen Meilensteinen zählen u. a. ein Critical Design Review, die Realisierung „Integration Zweitlenkflugkörper IRIS-T SL“, die Lieferung des Moduls „Einsatzprüfung“ sowie ein „TLVS Completion Review“. Wie bewertet die Bundesregierung diese Entwicklungsrisiken in Anbetracht möglicherweise entstehender Fähigkeitslücken in der bodengebundenen Luftverteidigung? 23. Das Risiko einer zeitlich bedingten Fähigkeitslücke soll durch die abgestimmte Ablösung von PATRIOT durch TLVS minimiert werden, das Risiko einer technischen Fähigkeitslücke durch eine vertraglich geschuldete, hohe technische Leistungsfähigkeit von TLVS. Aufgrund der Nutzungsdauerverlängerung für das derzeit verfügbare Waffensystem PATRIOT über das Jahr 2030 hinaus ist keine Fähigkeitslücke absehbar. Derzeit wird auf der Basis der Erkenntnisse aus dem zweiten Angebot davon ausgegangen, dass TLVS zeitgerecht zur Verfügung stehen wird. Wie bewertet die Bundesregierung den Zeitdruck zur Einführung eines modernen bzw. modernisierten Luftverteidigungssystem für die Landesund Bündnisverteidigung, für den Schutz unserer Soldaten beim internationalen Krisenmanagement (IKM) und für die speziell der NATO gemeldeten Fähigkeiten? 24. Auf die Antwort zu Frage 23 wird verwiesen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/12983 Die für das Waffensystem PATRIOT bereits eingeleiteten Maßnahmen zum Erhalt der Einsatzreife ermöglichen einen bruchfreien Fähigkeitserhalt der Luftverteidigungssysteme. Welche „Abbruchkriterien“ und „Zwischenziele“ sind für TLVS vereinbart worden? 25. Da die Verhandlungen zum zweiten Angebot und der Vertragsschluss noch ausstehen , wurden bislang auch noch keine Abbruchkriterien oder Zwischenziele vereinbart. Projektstörungen werden gemäß den Vorgaben für Beschaffungsvorhaben der Bundeswehr (CPM) behandelt. Unter welchen Bedingungen der technischen Machbarkeit von TLVS wäre ein Ausstieg im Sinne eines Kosten-Nutzen-Verhältnisse angebracht? 26. Die Bundesregierung ist bei jeder finanzwirksamen Maßnahme an die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gemäß § 7 der Bundeshaushaltsordnung gebunden. Damit ist ausschließlich eine wirtschaftliche Realisierung zur Schließung der Fähigkeitslücke zulässig. Die Prüfung erfolgt im Rahmen der finalen Zuschlagsentscheidung vor einer parlamentarischen Behandlung. Welche vertraglichen und finanziellen Konsequenzen hätte ein Ausstieg aus TLVS? 27. Die finanziellen Konsequenzen eines Ausstiegs aus einem laufenden Vertrag hängen von den getroffenen vertraglichen Regelungen ab. Da derzeit kein endverhandelter Vertrag vorliegt, kann hierzu derzeit noch keine Aussage getroffen werden. Unter welchen Bedingungen würde die Bundesregierung in Anbetracht dieser Konsequenzen zukünftig aus TLVS aussteigen? 28. Auf die Antwort zu Frage 27 wird verwiesen. Welche Kosten fallen für die Bundesregierung insgesamt für TLVS an, wenn der Ausstieg nun nach dem zweiten Angebot vom 21. Juni 2019 erfolgen sollte? 29. Sollte das vorliegende zweite Angebot als Ergebnis der Auswertung nicht angenommen werden, werden außer den bereits in der Antwort zu Frage 10 aufgeschlüsselten Ausgaben keine weiteren Ausgaben für die Bundesregierung erwartet . Welche Prognose liegt der Bundesregierung zu den Lebenszykluskosten vor, auf welchen Parametern gründet sich diese Prognose, und wie sind deren Risiken einzuschätzen? 30. Prognosen und Betrachtungen zu Lebenszykluskosten wurden in der Auswahlentscheidung TLVS dokumentiert. Diese Prognose der Lebenszykluskosten und der damit verbundenen Risiken kann erst auf der Basis der Auswertung des zweiten Angebotes bzw. mit Vorliegen eines endverhandelten Vertragsentwurfes aktualisiert und verdichtet werden. Drucksache 19/12983 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Ergänzend wird auf die als „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestufte Anlage wird verwiesen, da die Offenlegung entsprechender Prognosen die Verhandlungsposition des öAG schwächen würde.* Welche Effektoren sollen für TLVS, neben den in der Beschaffung befindlichen MSE-Flugkörpern, eingesetzt werden, welche Kosten entstehen durch evtl. weitere Beschaffungsmaßnahmen für Effektoren, und welche kämen dafür in Frage? 31. Neben dem Lenkflugkörper PAC-3 MSE wird als Alternative in niedrigeren Bedrohungslagen der Zweitlenkflugkörper IRIS-T SL der Firma Diehl Defence in TLVS integriert. Die offene Systemauslegung von TLVS ermöglicht grundsätzlich die Einbindung weiterer Effektoren. Dies ist jedoch derzeit nicht geplant. Was ist mit den für PATRIOT beschafften Flugkörpern geplant, die ggf. bei TLVS nicht mehr genutzt werden können? 32. Die Lenkflugkörper PAC-3 MSE des Waffensystems PATRIOT sind für TLVS grundsätzlich weiter nutzbar. Die für PATRIOT beschafften Flugkörper, die durch TLVS nicht mehr genutzt werden können und noch zum Zeitpunkt der Ausphasung des PATRIOT- Systems über eine Restnutzungszeit verfügen, können nach Zustimmung der USA an andere PATRIOT-Nutzernationen zur weiteren Verwendung veräußert werden. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die bedrohungsrelevanten Daten der operationellen Software von TLVS, die für einen wirkungsvollen Einsatz des Luftverteidigungssystems kontinuierlich überprüft und angepasst werden müssen, verifiziert sind und etwaige Softwareanpassungen stets bereitstehen? 33. Im Rahmen der Realisierung von TLVS wird eine technische und prozedurale Verfügbarkeit von Bedrohungsdaten sichergestellt, u. a. durch die Gewährleistung des hierfür erforderlichen Know-hows im Industrie- und Amtsbereich sowie der Erarbeitung von entsprechenden Verfahren. Welche Alternativen zu TLVS prüft die Bundesregierung derzeit oder welche sind in der Vergangenheit geprüft worden? 34. Am 21. Januar 2014 wurde das CPM-Dokument „Fähigkeitslücke und Funktionale Forderung für das Taktische Luftverteidigungssystem (TLVS)“ durch den Generalinspekteur der Bundeswehr gebilligt. In Vorbereitung der Auswahlentscheidung durch den Generalinspekteur der Bundeswehr wurden insgesamt fünf alternative Lösungsvorschläge (LV) betrachtet und bewertet. Die Grundlage bildeten dabei sowohl die Entwicklungsergebnisse TLVS/MEADS (LV #01, #02 und #03) als auch das in die Bundeswehr eingeführte Flugabwehrraketensystem PATRIOT bzw. dessen damals absehbare Weiterentwicklungsansätze zum „Next Generation PATRIOT-System“ (LV #04 und #05). * Das Bundesministerium der Verteidigung hat die Antwort als „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft. Die Antwort ist im Parlamentssekretariat des Deutschen Bundestages hinterlegt und kann dort von Berechtigten eingesehen werden. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 9 – Drucksache 19/12983 Mit Blick auf das laufende Vergabeverfahren ist eine Prüfung von Alternativen aus vergaberechtlichen Gründen nach Beginn des Vergabeverfahrens nicht mehr möglich, da dies den Ansatz einer unzulässigen Doppelvergabe darstellen würde. Wenn keine Alternativen geprüft werden oder wurden, inwiefern stellt die Bundesregierung sicher, dass die technische, wirtschaftliche und operationelle Bewertung von TLVS ausreichend ist (Stichwort „Vergleichbarkeit “)? 35. Auf die Antworten zu den Fragen 26 und 34 wird verwiesen. Durch Abgleich des Verhandlungsergebnisses des endverhandelten Vertrags mit der Forderungslage des CPM-Dokumentes Fähigkeitslücke und Funktionale Forderung wird die technische, wirtschaftliche und operationelle Eignung final geprüft. Wie bewertet die Bundesregierung die militärischen Anforderungen (zum Beispiel die Forderung nach hoher Mobilität, Fahrzeugschutz, 360°- Abdeckung, netzwerkbasierter Einsatz, einsatzoptimierte Zusammenstellung durch Nutzung von intelligenten Schnittstellen) für das neue PATRI- OT (Next-Generation-System) im Vergleich zu TLVS? 36. Mit der Auswahlentscheidung des Generalinspekteurs der Bundeswehr im Jahr 2015 wurde u. a. aufgrund der sich abzeichnenden Bedrohungslage, der technologischen Zukunftsfähigkeit und der nationalen Systemhoheit entschieden, das Taktische Luftverteidigungssystem auf der Basis der MEADS- Entwicklungsergebnisse (LV #01) zu realisieren und vom PATRIOT-basierten Ansatz Abstand zu nehmen (LV #04 und #05). Wie bewertet die Bundesregierung die Sicherung von Hochtechnologie- Ar-beitsplätzen in Deutschland bei einer evolutionären Kampfwertsteigerung von PATRIOT (Next Generation) im Gegensatz zu TLVS? 37. Der Ansatz eines „Next Generation PATRIOT-Systems“ ist ein Konzept, das im Vorfeld zur Auswahlentscheidung TLVS durch den Hersteller aufgeworfen wurde. Inwiefern und in welchem Umfang Hochtechnologie-Arbeitsplätze in Deutschland hierdurch hätten gesichert werden können, wäre nur mit einer konkreten Beschaffungsabsicht und Einleitung eines Vergabeverfahrens sowie dem Vorliegen eines verbindlichen Angebots belastbar abschätzbar gewesen. Bei TLVS liegt die Systemhoheit bei Deutschland mit Zulieferungen aus den USA; beim „Next Generation PATRIOT-System“ hingegen hätte sie bei den USA mit möglichen Zulieferungen aus Deutschland gelegen. Welche Priorität hat die Interoperabilität der im Einsatz bzw. in der Beschaffung befindlichen bodengebundenen Luftverteidigungssysteme von Partnern in der NATO und in der EU mit TLVS, und wird diese in allen Bereichen hinlänglich gewährleistet? 38. Es wird auf die Antwort der Bundesregierung auf die Frage 68 auf Bundestagsdrucksache 19/10535 verwiesen. Die Anforderungen an TLVS wurden von vorneherein auf ein größtmögliches Maß an Interoperabilität zu den Luftverteidigungssystemen , die im Rahmen der integrierten NATO-Luftverteidigung eingesetzt werden, ausgelegt. Aufgrund der offenen Systemarchitektur und der Drucksache 19/12983 – 10 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode „Plug and Fight“-Schnittstelle eröffnet TLVS zudem nicht nur die Möglichkeit, andere Luftverteidigungssysteme anzubinden, sondern weitere Sensoren und Effektoren in TLVS zu integrieren, was die Interoperabilität gegenüber heutigen Systemen sogar deutlich steigert. Wie bewertet die Bundesregierung die Möglichkeiten einer umfassenden Kooperation im Rahmen des Rahmennationenkonzeptes, wenn alle europäischen Staaten, die sich in letzter Zeit zur Beschaffung eines bodengebundenen Luftverteidigungssystems entschlossen haben, andere Waffensysteme angeschafft haben? 39. Es wird auf die Antwort der Bundesregierung auf die Schriftlichen Fragen 38 und 68 auf Bundestagsdrucksache 19/10535 verwiesen. Umfassende Kooperationen im Rahmennationenkonzept werden daher durch abweichende Beschaffungsentscheidung anderer Länder nicht beeinträchtigt. Welche maßgeblichen Gründe haben dazu geführt, dass TLVS gegenüber allen anderen Alternativen der Vorzug gegeben wurde? 40. Im Juni 2015 wurde u. a. aufgrund der sich abzeichnenden Bedrohungslage, der technologischen Zukunftsfähigkeit und der nationalen Systemhoheit entschieden , ein Taktisches Luftverteidigungssystem auf Basis der MEADS- Entwicklungsergebnisse zu realisieren. Die operationellen Vorteile eines modernen Sensormixes, einer 360°- Bekämpfungsfähigkeit insbesondere gegen taktische (semi-)ballistische Raketen sowie die umfassend mögliche Vernetzung der Systemkomponenten unter deutscher Systemhoheit führten zur Auswahlentscheidung für TLVS. Wie begründet die Bundesregierung die sogenannte Insellösung Deutschlands bei der Anschaffung des TLVS im Gegenzug zur Entscheidung zahlreicher europäischer Bündnispartnern, die eigenen PATRIOT- Systeme zu modernisieren (www.welt.de/wirtschaft/article174951381/ Patriot-Nachfolger-Kampf-um-Mega-Auftrag-fuer-deutsche- Raketenabwehr.html)? 41. Es wird auf die Antwort der Bundesregierung auf die Schriftlichen Fragen 38, 39 und 68 auf Bundestagsdrucksache 19/10535 verwiesen. Auch wenn TLVS derzeit rein national realisiert werden soll, bleibt es aufgrund der geforderten offenen Systemarchitektur zugänglich und interoperabel für Kooperations- bzw. Bündnispartner. Diese Interoperabilität besteht prinzipiell unabhängig davon, welche technische Lösung mögliche zukünftige Partner derzeit verfolgen. Wie bewertet die Bundesregierung die Umsetzung der nationalen Systemhoheit , da auch beim europäisch dominierten TLVS Freigaben der USA benötigt werden (https://augengeradeaus.net/2019/06/firmen-gebenangebot -fuer-taktisches-luftverteidigungssystem-ab/), und inwiefern unterscheidet sich diese Einschränkung der Systemhoheit zu PATRIOT Next Generation, bei dem möglicherweise deutsche Firmen als Partner dabei sein werden? 42. Grundsätzlich ist bei Beschaffungsvorhaben, die auf US-Rüstungsgüter zurückgreifen , eine Genehmigung der US-Regierung einzuholen. Der Aufsatz des Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 11 – Drucksache 19/12983 Vergabeverfahrens für TLVS ist, unter Berücksichtigung der MEADS-Historie, auf einen größtmöglichen Grad an nationaler Systemhoheit hin ausgelegt. Derzeit befindet sich die Bundesregierung in den Verhandlungen mit der US- Regierung zu erforderlichen Beistellungen wie z. B. dem Lenkflugkörper PAC-3 MSE. Erst mit deren Abschluss können konkrete Aussagen zum tatsächlich erreichbaren Grad der nationalen Systemhoheit getroffen werden. Das „Next Generation PATRIOT-System“ kann aufgrund des laufenden Vergabeverfahrens keiner Prüfung unterzogen werden. Daher ist der Grad der nationalen Systemhoheit für dieses System nicht abschätzbar. Aufgrund des Rückgriffs auf die Deutschland vollständig vorliegenden und transparenten MEADS-Entwicklungsergebnisse für die Realisierung von TLVS ist davon auszugehen, dass für TLVS grundsätzlich ein deutlich höherer Grad an nationaler Systemhoheit erreicht werden kann. Drucksache 19/12983 – 12 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333