Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Christian Dürr, Dr. Florian Toncar, Frank Schäffler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/12484 – Kritik des Europäischen Rechnungshofs an EU-weiten Bankenstresstests V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Am 10. Juli 2019 veröffentlichte der Europäische Rechnungshof (ERH) den Sonderbericht Nr. 10/2019, der sich mit der Durchführung des EU-weiten Bankenstresstests im Rahmen des der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) erteilten Mandats befasst. Laut des Berichts spiegele das gewählte, makroökonomische Stressszenario sich verschlechternde wirtschaftliche Bedingungen gegenüber dem Basisszenario wider, doch fiele der Schock weniger schwerwiegend aus als ursprünglich angekündigt. Die negativen Auswirkungen des Schocks waren auf mehrere große Volkswirtschaften konzentriert, von denen die meisten in der letzten Rezession gut abschnitten, anstatt auf Länder, die von dieser Krise am stärksten betroffen waren. Darüber hinaus waren die Banken im Szenario keinen schweren finanziellen Schocks ausgesetzt, und einige relevante Systemrisiken waren unzureichend berücksichtigt worden. Aufgrund mangelnder Ressourcen und ihrer derzeitigen Governance- Regelungen sei die EBA nicht in der Lage, „die Vergleichbarkeit und Zuverlässigkeit der Methoden, Praktiken und Ergebnisse“ sicherzustellen, wie dies in der Verordnung vorgesehen ist. Stattdessen sei sie gezwungen, sich in erster Linie auf die nationalen Aufsichtsbehörden zu verlassen. Wie beurteilt die Bundesregierung, dass beim EBA-Stresstest Banken vor dem Hintergrund eines Konjunkturabschwungs und weniger eines Schocks, der primär vom Finanzsektor ausgeht, getestet wurden, obwohl diese Art von Schock der Hauptauslöser bei der letzten großen Rezession war? 1. Die Bundesregierung erachtet das Vorgehen des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (European Systemic Risk Board, ESRB) beim EBA (EU- Bankenaufsichtsbehörde)-Stresstest als sinnvoll, im Vorfeld des EU-weiten Bankenstresstests die Risikobereiche zu identifizieren, die aktuell für den Finanzsektor wesentlich erscheinen. Grundsätzlich können sich Risiken für den Finanzsektor aus verschiedenen Einflussfaktoren und über unterschiedliche Wirkmechanismen ergeben. Der Verwaltungsrat des ESRB identifizierte als Basis für die Kalibrierung des adversen Stresstestszenarios im Rahmen des EU-weiten Bankenstresstests 2018 Deutscher Bundestag Drucksache 19/12991 19. Wahlperiode 04.09.2019 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 2. September 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. vier Hauptrisiken, die sowohl real- als auch finanzwirtschaftliche Aspekte beinhalten : • abrupte und umfangreiche Neubewertung der Risikoprämien an den Finanzmärkten , • negative Rückkopplungseffekte zwischen schwacher Rentabilität der Banken und niedrigem nominalen Wachstum angesichts der strukturellen Herausforderungen im EU-Bankensektor, • Zweifel an der Nachhaltigkeit der öffentlichen und privaten Schulden bei einer möglichen Neubewertung der Risikoprämien und zunehmender politischer Fragmentierung und • Liquiditätsrisiken im Nichtbanken-Finanzsektor mit potenziellen Auswirkungen auf das breitere Finanzsystem. Insoweit umfasste das Szenario „Schocks sowohl aus der Realwirtschaft als auch aus dem Finanzsektor“ (vgl. Antworten der EBA im Anhang des ERH- Sonderberichts10/2019, Rz. 36). Wie beurteilt die Bundesregierung, dass der Schweregrad des EBA- Stresstests nach Ansicht des ERH für eine Reihe von Variablen und eine Reihe von Mitgliedstaaten deutlich geringer als während der Finanzkrise war? Wie beurteilt die Bundesregierung, dass auch die zuständige Arbeitsgruppe des ESRB dieser Auffassung war? 2. Die Bundesregierung begrüßt, dass sich der Europäische Rechnungshof (ERH) mit der Frage der Risikoadäquanz des EU-weiten Bankenstresstests auseinandersetzt . Es ist eine wichtige Lehre aus der Finanzkrise, dass weder die Akteure des Finanzmarkts noch die Aufsicht systemische Risiken ignorieren dürfen. Ein Stresstest sollte nach Ansicht der Bundesregierung die aktuellen Risiken umfassen, diese müssen nicht die gleichen sein wie bei der letzten Finanzkrise. Der ESRB schätzte auch für den EU-weiten Bankenstresstest 2018 die zum Zeitpunkt der Fertigstellung des adversen Szenarios aktuelle Risikolage ein und identifizierte die in der Antwort zu Frage 1 genannten vier Hauptrisikofelder. Darauf aufbauend wurde das adverse Szenario erstellt. Der Bundesregierung ist nicht bekannt, dass es einen Dissens gab zwischen der ESRB-Arbeitsgruppe und den ESRB-Entscheidungsgremien. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Feststellung des ERH, nationale Zentralbanken und Aufsichtsbehörden würden zu starken Einfluss auf die Ausgestaltung des Stressszenarios nehmen und damit die Aussagekraft des Stresstests beeinträchtigen? 3. Die Bundesregierung hat keine Anhaltspunkte dafür, dass einzelne Mitgliedstaaten zu starken Einfluss auf die Ausgestaltung des Stresstestszenarios nehmen . In Bezug auf die Rolle der nationalen Behörden in den Beschlussorganen der EBA sind zunächst die Europäische Zentralbank/EZB und die EBA als die beiden für die Umsetzung des Regelwerks verantwortlichen Institutionen gefragt. Die Europäische Kommission wird die Tätigkeit der EBA inklusive ihrer Verwaltung bis 2022 erneut überprüfen und entscheiden, ob eine Verbesserung der Verwaltung und des Regelwerks angezeigt ist. Drucksache 19/12991 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Hat sich Deutschland in der Arbeitsgruppe des ESRB für einen höheren oder für einen niedrigeren Schweregrad ausgesprochen? Wie haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung andere Mitgliedstaaten positioniert? 4. Der Bundesregierung sind die Positionierungen der deutschen Mitglieder im Verwaltungsrat des ESRB im Einzelnen nicht bekannt, da für die Verwaltungsratsmitglieder die Geheimhaltungsvorschriften nach Artikel 8 der ESRB-Verordnung gelten. Ungeachtet dessen ist festzuhalten: Umfassende Stresstests sind ein wichtiges Mittel der Bankenaufsicht, um die Widerstandsfähigkeit des Bankensystems in Bezug auf hypothetische Stressszenarien zu prüfen. Die Mitglieder des ESRB sollen unparteiisch und im Interesse der Europäischen Union als Ganzes agieren . Die Bundesregierung begrüßt den Vorschlag des ERH, das Verfahren zur Risikoermittlung und -aggregation verstärkt auf die Entwicklungen innerhalb der EU auszurichten. Die Auswahl der relevantesten Risiken hat die EBA in Absprache mit dem ESRB zu treffen. Im Übrigen wird auf die Antwort zu den Fragen 5 und 6 verwiesen. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung dem Umstand bei, dass der EBA-Stresstest nach Erhebung des ERH für fünf von 28 Mitgliedstaaten strenger, für 23 Mitgliedstaaten jedoch weniger stark als bei der Finanzkrise war? Wie bewertet die Bundesregierung, dass für fünf Mitgliedstaaten das EBA- Stressszenario um 10 Prozent bis 25 Prozent weniger streng ausgefallen ist? Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus, dass die EBA der Feststellung des ERH zustimmt (vgl. Antworten der EBA auf den Sonderbericht des ERH zum unionsweiten Stresstest vom 27. Mai 2019, Rz. 109), dass es ihr mit der derzeitigen Personalausstattung nicht möglich sei, die entsprechenden Überprüfungen und Kontrollen selbst vorzunehmen? 5. 6. Die Fragen 5 und 6 werden zusammen beantwortet. Die Risikolage des Finanzsektors verändert sich im Zeitablauf. Nach Einschätzung des ESRB waren zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Stresstestszenarios für 2018 andere Faktoren maßgeblich als während Finanzkrise. Insofern unterscheiden sich das Szenario und damit auch die Betroffenheit von einzelnen Ländern und den dort ansässigen Instituten im Vergleich zu den spezifischen Entwicklungen während der Finanzkrise. Die EBA weist in ihren Antworten auf den Sonderbericht darauf hin, „dass die länderübergreifende Variation der Schocks im Einklang mit der Stresstestdarstellung steht“ (vgl. Antworten der EBA im Anhang des ERH-SonderberichtsERH 10/2019, Rz. 45). Nach Ansicht der Bundesregierung sollte die EBA prüfen, inwieweit eine Verstärkung der Kontrolle über das Stresstestverfahren für eine Verbesserung der Gleichbehandlung unterschiedlicher Länder im Stresstest angemessen wäre. Dabei wäre im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Abwägung darauf zu achten, dass keine Doppelstrukturen in Bezug auf die im Rahmen der Qualitätssicherung von den zuständigen Aufsichtsbehörden (bspw. Einheitlicher Bankenaufsichtsmechanismus /SSM) geleisteten Arbeiten installiert werden. Die Frage wird darüberhinaus so verstanden, dass auch nach dem Schweregrad der Szenarien in Bezug auf die Belastung einzelner Institute gefragt wird. Der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/12991 EU-weite Bankenstresstest soll auch dazu dienen, neben systemischen auch institutsindividuelle Risiken aufzudecken. Im Ergebnis fließen die Erkenntnisse des Stresstests unter anderem in den insitutsindividuellen aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozess (Supervisory Review and Evaluation Process, SREP) ein. Hierbei ist zu beachten, dass der Schweregrad der Betroffenheit einzelner Institute nicht allein von den länderspezifischen Szenarioannahmen abhängt, in denen das jeweilige Institut seinen Hauptsitz hat. Inwieweit einzelne Institute von den länderspezifischen Annahmen betroffen sind, hängt insbesondere von dem institutsspezifischen Portfolio und den Aktivitäten der Institute in den verschiedenen vom Szenario erfassten Ländern ab. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus, dass die EBA der Feststellung des ERH zustimmt, dass das derzeitige Bottom-up-Verfahren um Top-down-Elemente ergänzt werden solle, es jedoch hierfür an finanziellen Ressourcen mangele? Welche Auswirkungen hat dies nach Ansicht der Bundesregierung auf die Aussagekraft des derzeitigen EBA-Stresstests? 7. Die Bundesregierung begrüßt eine risikoadäquate Ausgestaltung des Qualitätssicherungsprozesses. Die EBA sollte prüfen, inwieweit auf Basis der Erfahrungen aus den vergangenen Stresstestübungen die Ergänzung des bisherigen Bottom-up-Ansatzes durch Top-down-Elemente im Sinne aufsichtseigener Prognosemodelle auf Basis der Institutsdaten für einzelne Teilbereiche des Stresstests zu einem besseren Kosten-Nutzen-Verhältnis beitragen könnte. Die Frage, inwiefern die Methodik für künftige Stresstests um Top-down-Elemente erweitert werden könnte, wird nach Kenntnis des Bundesministeriums der Finanzen /BMF aktuell in den verantwortlichen Gremien der EBA diskutiert. Nach Verständnis der Bundesregierung stehen dabei zunächst die Klärung methodischer und konzeptioneller Fragen im Vordergrund, nicht aber in erster Linie die zur Verfügung stehenden Finanzmittel. Welche deutschen Finanzinstitute wären nach Kenntnis der Bundesregierung bei der Auswahl der Banken gemäß der Höhe der Aktiva ursprünglich noch Gegenstand des EBA-Stresstests gewesen, waren es nach Ansicht des ERH infolge eines Ad-hoc-Ausschlusses sodann nicht mehr (ERH- Sonderbericht, Rz. 110)? Welche anderen europäischen Finanzinstitute wären nach Kenntnis der Bundesregierung bei der Auswahl der Banken gemäß der Höhe der Aktiva ursprünglich noch Gegenstand des EBA-Stresstests gewesen, waren es nach Ansicht des ERH infolge eines Ad-hoc-Ausschlusses sodann nicht mehr (ERH-Sonderbericht, Rz. 110)? 8. 9. Die Fragen 8 und 9 werden zusammen beantwortet. In Bezug auf die konkrete Institutsauswahl sind die am EU-weiten Bankenstresstest oder am EZB-internen Stresstest teilnehmenden Banken und Bankengruppen seitens der EBA oder der EZB im Rahmen eines unabhängigen Entscheidungsprozesses festzulegen. Banken und Bankengruppen, die am EUweiten Bankenstresstest 2018 teilgenommen haben, werden im Vorfeld jeweils in der Methodologie-Unterlage der EBA aufgeführt (vgl. 2018 EU-Wide Stress Test Methodological Note, S. 129 f.). Grundsätzlich sollten bedeutende Banken und Bankengruppen innerhalb des SSM, die im Jahre 2018 nicht Teil des EUweiten Bankenstresstests der EBA waren, an dem auf der EBA-Methodik basierenden SSM-internen Stresstest der EZB teilgenommen haben. Drucksache 19/12991 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Seit November 2014 hat die EZB die Aufsicht über bedeutende Banken und Bankengruppen innerhalb des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism, SSM) übernommen. Zu den Einzelheiten bezüglich der Auswahl der teilnehmenden Institute aus dem Kreis der bedeutenden Banken und Bankengruppen wäre daher die EZB als zuständige Aufsichtsbehörde auskunftsberechtigt . Abgeordnete des Deutschen Bundestageskönnen auf Basis des durch Artikel 21 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 (SSM-VO) eingerichteten Verfahrens Fragen zur Bankenaufsicht in Bezug auf bedeutende Banken und Bankengruppen direkt an die EZB richten. Der ERH empfiehlt im Kontext der in den Fragen 8 und 9 zitierten Randziffer 110 seines Sonderberichts 10/2019, dass die am EU-weiten Bankenstresstest teilnehmenden Institute „auf der Grundlage des Risikos statt allein nach der Größe ausgewählt werden“ sollten. Insoweit wird die Frage so verstanden, dass hier nach der Adäquanz des Auswahlprozesses bezüglich des Teilnehmerkreises am EU-weiten Bankenstresstest der EBA gefragt wird. Grundsätzlich spricht aus Sicht der Bundesregierung nichts gegen eine ergänzende Risikofokussierung im Auswahlprozess der teilnehmenden Institute. Dabei ist zu beachten, dass die Auswahl der Banken nicht allein auf Risikoindikatoren beruhen darf, die sich auf historische Daten stützen, um nicht ausschließlich bereits „auffällige“ Banken auf den Prüfstand zu stellen. Hinzu kommt, dass parallele Prüfungen durch verschiedene Aufsichtsbehörden vermieden werden sollten. In der Eurozone führt die EZB beispielsweise parallel zum EBA-Stresstest einen Bankenstresstest auf Basis der EBA-Methodik für nahezu alle direkt von ihr beaufsichtigten bedeutenden Institute durch, die nicht bereits vom EBA-Stresstest erfasst sind. Für weniger bedeutende Institute führen die zuständigen nationalen Aufsichtsbehörden eigene Stresstests durch – in Deutschland bspw. im Rahmen der sogenannten Niedrigzinsumfrage. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/12991 Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. 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