Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Daniel Föst, Katja Suding, Renata Alt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/12506 – Dynamisierung der Wohnkostenpauschale beim Selbstbehalt von unterhaltspflichtigen Eltern V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die Bundesregierung hat am 8. Mai 2019 eine Erhöhung des Wohngeldes beschlossen . Mit dem Beschluss einher geht eine Dynamisierung der Leistungen alle zwei Jahre, die sich an den Miet- und Einkommensentwicklungen orientieren soll. Außerdem sollen Arbeitsanreize für Wohngeldempfänger verbessert werden (www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/wohngeld reform-1608058). Zusätzliches Einkommen soll das Wohngeld künftig weniger reduzieren, die Arbeitsleistung soll sich also mehr lohnen. Das Jobcenter wiederum billigt Hartz-IV-Empfängern in einem Single- Haushalt 50 m2 Wohnfläche zu. Liegt eine Bedarfsgemeinschaft vor, so hat jede weitere Person zusätzlich Anspruch auf weitere 15 m2, so dass eine Bedarfsgemeinschaft mit zwei Personen Anspruch auf 65 m2 Wohnfläche hat. Bei einem Single-Haushalt in Stuttgart übernimmt das Jobcenter aktuell eine Kaltmiete von 486 Euro, in München von 640 Euro und in Berlin von 450 Euro (www.hartziv.org/unterkunft-und-heizung.html). Das Jobcenter übernimmt ebenso die Heiz- und Betriebskosten für die Wohnung. Unterhaltspflichtigen berufstätigen Vätern und Müttern wird laut Düsseldorfer Tabelle ein notwendiger Eigenbedarf (Selbstbehalt) von 1 080 Euro zugebilligt . Dieser Eigenbedarf wurde seit 2015 nicht mehr angepasst. In diesem Eigenbedarf von 1 080 Euro sind 380 Euro für Kosten für die Warmmiete vorgesehen (www.olg-duesseldorf.nrw.de/infos/Duesseldorfer_Tabelle/Tabelle- 2019/Duesseldorfer-Tabelle-2019.pdf). Entsprechend dem Selbstbehalt hat sich seit 2015 an diesem Betrag ebenfalls nichts geändert. Bei wesentlich höheren Wohnkosten ist eine Erhöhung des Selbstbehaltes möglich. Der Unterhaltspflichtige kann aber auch verpflichtet werden, sich um eine preisgünstigere Wohnung zu bemühen und dann gegebenenfalls Wohngeld zu beantragen. Deutscher Bundestag Drucksache 19/12993 19. Wahlperiode 04.09.2019 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 3. September 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. V o r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Dem Unterhaltsschuldner muss auch im Fall der gesteigerten Unterhaltspflicht, die ihn gegenüber seinen minderjährigen Kindern trifft, der Betrag verbleiben, der seinen eigenen Lebensbedarf nach sozialhilferechtlichen Grundsätzen sicherstellt ; er darf infolge seiner Unterhaltspflicht schon aus Verfassungsgründen nicht selbst sozialhilfebedürftig werden. Gesetzlich definiert ist dieser Betrag nicht. Die Praxis behilft sich damit, dass sie § 1603 Absatz 2 Satz 1 BGB verfassungskonform auslegt und dem Schuldner stets den sogenannten notwendigen Selbstbehalt zugesteht. Zu den Bestandteilen und der Höhe dieses Selbstbehalts finden sich im Gesetz ebenfalls keine Regelungen. Sie werden durch die Rechtsprechung konkretisiert und in deren Leitlinien, insbesondere der Düsseldorfer Tabelle, regelmäßig fortgeschrieben. Diese hat zur Bestimmung der Höhe des notwendigen eigenen Unterhalts des Pflichtigen klare Kriterien entwickelt, die in der Düsseldorfer Tabelle unter dem Stichwort „notwendiger Selbstbehalt“ niedergelegt sind (vgl. Düsseldorfer Tabelle, Stand Januar 2019, Anmerkung A.5). Derzeit setzt sich der in der Düsseldorfer Tabelle festgeschriebene notwendige Selbstbehalt aus den folgenden Komponenten zusammen: nicht erwerbstätig erwerbstätig Regelbedarf 424 Euro zuzüglich Aufschlag von 10 % (Stand 1. Januar 2019) 467 Euro 467 Euro Angemessene Versicherungen 30 Euro 30 Euro Zusatzaufwand von Erwerbstätigen – Euro 200 Euro Wohnkosten (warm) 380 Euro 380 Euro Summe 877 Euro 1.077 Euro Notwendiger Selbstbehalt (mit „Puffer“ in Höhe von gegenwärtig 3 Euro) 880 Euro 1.080 Euro Eine Bindung der Gerichte an die Festlegungen der Düsseldorfer Tabelle besteht jedoch nicht. Soweit ein individuell höherer Eigenbedarf besteht, ist es möglich, diesen im familiengerichtlichen Verfahren konkret darzulegen und nachzuweisen. Dies ist denkbar, wenn dem Unterhaltspflichtigen besondere Kosten entstehen, oder aber seine Wohnkosten aus berücksichtigungsfähigen Gründen über den im Selbstbehalt nach der Düsseldorfer Tabelle bereits berücksichtigten Satz hinausgehen. Die Bundesregierung prüft bereits seit geraumer Zeit die Möglichkeit der Änderung des Kindesunterhaltsrechts. Hierzu hat zunächst ein verbandsoffenes Symposium stattgefunden. Zwischen Anfang 2016 und Anfang 2017 wurden die Beratungen in einer internen Arbeitsgruppe fortgesetzt. Ein Aspekt der Beratungen war auch die Frage der Regelung des Selbstbehalts. Bei wie vielen unterhaltspflichtigen Müttern und Vätern in Deutschland kommt der Selbstbehalt zum Tragen (bitte nach Geschlecht, Bundesländern und Jahren – 2010, 2015, 2018 – aufschlüsseln)?  1. Hierzu liegen der Bundesregierung leider keine auswertbaren statistischen Daten vor; Angaben zu der Anzahl der unterhaltspflichtigen Mütter und Väter in Deutschland, denen infolge ihres eigenen Selbstbehaltes die Erfüllung ihrer Unterhaltspflicht nicht bzw. nicht vollständig möglich ist, sind daher nicht möglich. Drucksache 19/12993 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Wie häufig gibt es eine Ausweitung des Selbstbehaltes aufgrund der Wohnungskosten (bitte nach Geschlecht, Bundesländern und Jahren – 2010, 2015, 2018 – aufschlüsseln)  2. Auch zu der Anzahl der Fälle, in denen aufgrund der Höhe der Wohnkosten ein erhöhter Selbstbehalt zugrunde gelegt wird, liegen der Bundesregierung leider keine Zahlen vor. Wie schätzt die Bundesregierung im Kontext dieser Kleinen Anfrage die aktuelle Warmmietenpauschale von 380 Euro für unterhaltspflichtige Mütter und Väter gegenüber den Transferleistungen Wohngeld und Hartz IV ein? Ist der Betrag nach Ansicht der Bundesregierung ein realistischer Betrag? Falls ja, warum? Falls nein, warum nicht? Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung wann zu ergreifen? Sieht die Bundesregierung hier eine Ungerechtigkeit gegenüber Transferleistungsempfängern ? Wenn ja, inwiefern, und sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf? Wenn nein, warum nicht?  3.  4. a) b)  5. a) b) Die Fragen 3 bis 5 sind zusammen zu beantworten. Im Bürgerlichen Gesetzbuch sind nur allgemeine Regelungen zur Unterhaltspflicht von Eltern gegenüber ihren Kindern enthalten. Die Auslegung des Rechts und die konkrete Anwendung im Einzelfall ist Sache der hierzu berufenen Rechtsprechung. Diese ist um eine möglichst gleichmäßige Bewertung gleichgelagerter Lebenssachverhalte bemüht. Deshalb bedient sie sich anlässlich der Feststellung des im Einzelfall geschuldeten Kindesunterhalts der sogenannten Düsseldorfer Tabelle. In diesem von Vertreterinnen und Vertretern aller Oberlandesgerichte erarbeiteten Tabellenwerk ist der notwendige Selbstbehalt betragsmäßig definiert. Die Festlegung der Beträge beruht dabei auf verschiedenen Komponenten, u. a. dem Betrag von 380 € zur Abbildung der Wohnkosten (warm). Die Wohnkosten in der Bundesrepublik Deutschland sind von verschiedenen Faktoren abhängig. Sie unterscheiden sich u. a. nach der regionalen Einordnung , der Bevölkerungsstruktur, der Bevölkerungsdichte oder der Attraktivität des jeweiligen Standorts. Die für die Anmietung einer Wohnung aufzuwendenden Kosten sind etwa in einer unterdurchschnittlich entwickelten Gegend oder im ländlich geprägten Umfeld geringer anzusetzen als in Ballungszentren. Mitunter können sich erhebliche Unterschiede ergeben. Zum Zwecke der Abbildung eines Durchschnittswertes hält die Bundesregierung die im Jahre 2015 letztmalig erfolgte Anpassung der im unterhaltsrechtlichen Selbstbehalt nach der Düsseldorfer Tabelle enthaltenen Wohnkosten für insgesamt noch ausreichend bemessen: Verglichen mit den Ergebnissen des Berichts über das steuerfrei zu stellende Existenzminimum von Erwachsenen und Kindern für das Jahr 2016 lag die Warmmiete knapp ein Viertel über den entsprechend steuerlich freizustellenden Beträgen für das Jahr 2015, d. h. einer Bruttokaltmiete in Höhe von 249 Euro und Heizkosten von 58 Euro (vgl. 10. Existenzminimumbericht, Bundestagsdrucksache 18/3893, S. 5). Der sich danach rechnerisch ergebende Puffer wird auch nach dem zuletzt veröffentlich- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/12993 ten 12. Existenzminimumbericht im Jahr 2020 noch fortbestehen (vgl. Bundestagsdrucksache 19/5400). Ein Durchschnittswert kann nicht allen Fällen gleichermaßen zugrunde gelegt werden. Deshalb besteht auch keine Bindung der Gerichte an diesen Wert oder den notwendigen Selbstbehalt. Aus der Düsseldorfer Tabelle ergeben sich vielmehr nur Richtwerte, die im Einzelfall je nach Bedarf angepasst werden können . Die gesetzlichen Regeln zu den genannten Transferleistungen auf der einen Seite und der Selbstbehalt aus der Düsseldorfer Tabelle mit der darin enthaltenen Wohnkostenpauschale auf der anderen Seite verfolgen unterschiedliche Zielrichtungen. Bei den Leistungen des Staates nach dem Wohngeldgesetz oder den Regelungen nach dem SGB II handelt es sich um solche der Daseinsfürsorge . Im Unterschied dazu stellt die Unterhaltsverpflichtung nach § 1601 BGB eine privatrechtliche Verpflichtung aufgrund der Verantwortung von Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern dar. Der Selbstbehalt hat seine systematische Stellung innerhalb des Tatbestandsmerkmals der Leistungsfähigkeit. Die Obliegenheit des Unterhaltsverpflichteten, alle verfügbaren Mittel zu seinem und der minderjährigen Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden, folgt aus § 1603 Absatz 2 Satz 1 BGB. Bei der Frage, in welcher Höhe dem Unterhaltsverpflichteten ein Selbstbehalt zu belassen ist, geht es nicht nur um die Interessen des bedürftigen Transferleistungsempfängers. Es sind vielmehr die grundrechtlich geschützten Positionen des unterhaltspflichtigen Elternteils mit denen des von ihm abhängigen Kindes in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um eventuelle Benachteiligungen von berufstätigen unterhaltspflichtigen Vätern und Müttern gegenüber Transferleistungsempfängern abzubauen? Wäre eine Dynamisierung des Selbstbehaltes nach Ansicht der Bundesregierung ähnlich wie beim Wohngeld ein denkbares Mittel, um die Warmmietenpauschale beim Selbstbehalt festzusetzen? Falls ja, warum (bitte begründen)? Falls nein, warum nicht (bitte begründen)?  6.  7. a) b) Die Fragen 6 und 7 werden aufgrund des engen Sachzusammenhangs zusammen beantwortet. Im Trennungsfall wollen mittlerweile häufig beide Elternteile gleichermaßen für die Betreuung und Erziehung ihres Kindes und die wirtschaftliche Grundlage ihrer Familie sorgen. Die Bundesregierung will dies bei Umgang und Unterhalt stärker berücksichtigen. Inwieweit Unterhaltsbedarf und Selbstbehalt verbindlich geregelt werden können, wird deshalb geprüft. Das BMJV hat in einer internen Arbeitsgruppe die unterhaltsrechtlichen Problemstellungen diskutiert . Hierzu gehört auch die Frage, ob es ein Bedürfnis für eine gesetzliche Regelung des Selbstbehalts gibt, die eine Dynamisierung der Wohnkosten einschließt. Auf der Basis der gewonnenen Erkenntnisse wird zurzeit ein Referentenentwurf erarbeitet. Eine Abstimmung innerhalb der Bundesregierung hat noch nicht stattgefunden. Drucksache 19/12993 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Ist der Bundesregierung bekannt, dass der Deutsche Familiengerichtstag den Gesetzgeber schon mehrfach aufgefordert hat, die Höhe des notwendigen Eigenbedarfs insgesamt auf dem Verordnungswege regelmäßig anzupassen und festzulegen (www.dfgt.de/resources/SN-Uko_ Empfehlung_Selbstbehalt_%202015.pdf)?  8. Ja. Findet es die Bundesregierung sinnvoll und angemessen, dass im Einzelfall ein Gericht über eine Anpassung und die Höhe der Anpassung des Selbstbehaltes entscheidet? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht? Warum regelt die Bundesregierung diese sozialpolitische Entscheidung nicht selbst?  9. a) b) 10. Die Fragen 9 und 10 werden aufgrund des engen Sachzusammenhangs zusammen beantwortet. Die Bemessung des Unterhalts und in diesem Rahmen auch des Selbstbehalts ist nach den familienrechtlichen Vorschriften auf jeden Einzelfall zugeschnitten und unter Ausgleich der berechtigten Interessen aller Beteiligten, insbesondere unter Achtung des Kindeswohls, vorzunehmen. Im Streitfall sind hierzu die Gerichte berufen. Die Gerichte bringen unter Ausfüllung auch unbestimmter Rechtsbegriffe die besonderen Umstände des Einzelfalls und die individuellen Interessen der Beteiligten zu einem sachgerechten Ausgleich. Auch im Falle einer gesetzlichen Definition des Selbstbehaltes und einer Dynamisierung, die die unterschiedliche Verteilung des Wohnaufwandes im Bundesgebiet berücksichtigte , müsste die Möglichkeit verbleiben, in jedem individuellen Einzelfall besondere Umstände bei der Bemessung des Selbstbehaltes in die gerichtliche Entscheidungsfindung einfließen zu lassen. Die in der Düsseldorfer Tabelle festgelegten und der laufenden Anpassung unterliegenden Beträge sowie die Möglichkeit der Gerichte, abhängig von den individuellen Besonderheiten des jeweiligen Falles hiervon abzuweichen, stellt grundsätzlich eine angemessene Grundlage bezüglich des Ausgleichs der berechtigten Interessen von unterhaltsverpflichtetem Elternteil und unterhaltsberechtigtem Kind dar. Inwieweit ein Bedürfnis für eine gesetzliche Regelung des Selbstbehaltes besteht, wird von Seiten der Bundesregierung im Rahmen der oben (Antwort zu den Fragen 6 und 7) dargestellten Reformüberlegungen geprüft . Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/12993 Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333