Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Martin Neumann, Michael Theurer, Renata Alt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/12423 – Extremwetterlagen und ihre Auswirkungen auf die Energieversorgung in Deutschland und der EU V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die in den vergangenen Jahren häufiger auftretenden extremen Wetterlagen lösen nicht nur bei vielen Personen Reaktionen aus, sondern beeinflussen nach Ansicht der Fragesteller zunehmend auch die Sicherheit des Energieversorgungssystems . Neben Versorgungssicherheit spielen hierbei ebenfalls wettbewerbsfähige Energiepreise eine tragende Rolle. Dies gilt auch unter Beachtung des europäischen Energieversorgungssystems. So wurde in dieser Woche im Hörfunk berichtet, dass ein Großteil der Kernkraftwerke in Frankreich ihre Leistungen reduzieren könnten, weil das zur Verfügung stehende Kühlwasser die vorgegebene Höchsttemperatur zu überschreiten droht („Dürre in Frankreich : Bauern und Atomkraftwerke lechzen nach Wasser“, Deutschlandfunk, Informationen am Morgen, Sendung vom 17. Juli 2019, abrufbar unter www.deutschlandfunk.de/informationen-am-morgen.1764.de.html). Auch vereinzelte Abschaltungen sind demnach im Gespräch. Ähnlich stellte sich die Situation im Vorjahr auch in Kraftwerken in Deutschland dar. Experten zufolge ist die Versorgungssicherheit nicht gefährdet, da ersatzweise Gaskraftwerke zur Verfügung stehen. Gleichwohl sind diese teurer im Betrieb – mit den entsprechenden Folgen für die Stromkosten. Volatile Energieträgersysteme (Windkraftanlagen und Solarsysteme) sind in ihrer Leistung eingeschränkt (www.solaranlage.eu/photovoltaik/technik-kom ponenten/solarmodule/leistungsabfall-hitze). Als Extremwetterlagen werden aus Sicht der Fragesteller Temperaturen unter –10 Grad Celsius sowie über 30 Grad Celsius, Hitzeperioden, Trockenperioden, Niederschlagsepisoden, Starkniederschlagsereignisse sowie Sturmereignisse gemäß Deutschem Wetterdienst (DWD) definiert. • • • • • • Deutscher Bundestag Drucksache 19/13107 19. Wahlperiode 10.09.2019 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom 4. September 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext.  1. Welche Auswirkungen auf die Energieversorgung in Deutschland und Europa hatten wetterbedingte Reduktionen von Kraftwerksleistungen (sofern vorhanden, bitte konkrete Fälle auflisten)? In den vergangenen fünf Jahren fand die längste Hitzeperiode im Sommer 2018 statt. Die weitreichendste Niedrigwasserphase war hieran anschließend im Herbst/Winter 2018/2019 festzustellen. Weitere relevante Niedrigwasserphasen in geringerem Umfang als 2018/2019 sind im Herbst/Winter 2015/2016 sowie 2016/2017 aufgetreten. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf diese Ereignisse. Die anhaltende Hitzeperiode im Sommer 2018 (insbesondere 23. Juli bis 12. August) hatte dazu geführt, dass sich die Temperaturen von Rhein und Neckar der Grenze von 28 Grad genähert haben, die aus Gründen des Gewässerschutzes ohne eine entsprechende Ausnahmegenehmigung für den Kraftwerksbetrieb nicht überschritten werden darf. Zudem führten die Flüsse aufgrund der anhaltenden Trockenheit Niedrigwasser, was beispielsweise im Neckar bei Unterschreiten definierter Abflussmengen ebenfalls zu Limitierungen bei der Kühlwasserentnahme durch Kraftwerke führen kann. Das Szenario einer langandauernden Hitzewelle ist regelmäßig Bestandteil der Prognosen der Übertragungsnetzbetreiber. So sieht auch die im „Summer Outlook 2019“ von European Transmission System Operators for Electricity (ENTSO-E) enthaltene Einschätzung der Übertragungsnetzbetreiber für längere und heiße Perioden trotz der Leistungseinschränkung von Kraftwerken aufgrund reduzierter Kühlwasserverfügbarkeit oder Transportproblemen von Brennstoffen wegen niedriger Wasserstände keine kritischen Phasen für die Versorgungssicherheit. Durch die Etablierung eines Wasserwärmemodells in Baden-Württemberg als Folge der Erfahrungen aus dem heißen Sommer 2003 wurde unter Einbeziehung verschiedener Institutionen und Unternehmen ein funktionierendes Modell zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit während trockener und heißer Witterungsphasen geschaffen. Dieses Modell hatte sich auch während der Hitzeperiode 2018 durch ein umfangreiches Temperatur-Monitoring und -Vorhersagesystem über die Entwicklung der Temperaturen und der Abflussmengen in Rhein und Neckar bewährt. Dies ermöglicht ein rechtzeitiges Handeln der Kraftwerksbetreiber durch proaktive Leistungseinsenkungen zur Gewässerschonung. Durch die reduzierte Verfügbarkeit einiger Kraftwerke aufgrund der Hitzewelle hatten sich jedoch keine Einschränkungen bei der Versorgungssicherheit ergeben . Insgesamt gab es während der Hitzeperiode 2018 im Marktgebiet Deutschland- Österreich eine installierte Erzeugungskapazität von rund 232 GW inklusive Windenergie- und Photovoltaik-Anlagen, beziehungsweise rund 132 GW ohne Wind und Photovoltaik. Nach Berechnungen der Bundesnetzagentur standen über den gesamten Sommer hinweg jederzeit noch ausreichende Erzeugungskapazitäten zur Verfügung. Die Summe der Nicht-Verfügbarkeiten von Kraftwerkserzeugungskapazitäten mit einer Kapazität größer als 100 MW lag in den Monaten Juni und Juli bei durchschnittlich rund 18,6 GW (beispielsweise aufgrund von Revisionen oder ungeplanten Ausfällen). Mit durchschnittlich 19,9 GW nichtverfügbarer Erzeugungskapazität lag dieser Wert während der Hitzeperiode des Sommers 2018 (23. Juli bis 12. August) nur geringfügig darüber. Ein Kapazitätsengpass konnte nicht festgestellt werden. In den Stunden mit den höchsten Großhandelspreisen konnte vielmehr ein relativ hoher Stromimport aus unseren Nachbarländern festgestellt werden. Diese Importe kamen auf- Drucksache 19/13107 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode grund der niedrigeren Strom-Großhandelspreise im benachbarten Ausland zustande und haben im Ergebnis dazu geführt, dass die Preise in Deutschland nicht stärker gestiegen sind.  2. Welche wetterbezogenen Faktoren haben Einfluss auf die Leistungsfähigkeit von Photovoltaikanlagen? Die Nennleistung von PV-Anlagen wird nur unter Bedingungen erreicht, bei denen niedrige Modultemperaturen und senkrechte Maximal-Einstrahlung kombiniert werden (Normbedingungen). In der Realität liegt die Leistung auch bei günstigen Bedingungen deutlich niedriger. Unter anderem die folgenden wetterbedingten Faktoren reduzieren die PV-Leistung weiter: • Wolken • Nebel • Schneefall • Verschmutzung durch Laub, Pollenflug, Staub • Hohe Temperaturen Die meisten Reduktionen der Leistung lassen sich kurzfristig (zwei Stunden Vorlauf) gut vorhersagen. Im Kollektiv ist die Stromproduktion von PV- Anlagen kurzfristig zuverlässiger vorherzusagen als die von konventionellen Kraftwerken.  3. Wie hat sich die Leistungsbilanz der in Deutschland installierten Photovoltaikanlagen im Zeitraum 2016 bis zum ersten Halbjahr 2019 bei den eingangs definierten Extremwetterlagen entwickelt? Im Zeitraum von 2016 bis zum ersten Halbjahr 2019 wurden die europäischen Hitzewellen in den Jahren 2017 bis 2019 betrachtet1 und mittels der auf SMARD2 verfügbaren Daten analysiert. Es handelt sich um folgende Hitzewellen : • Hitzewelle (H) 2017: 1. August bis 12. August 2017 • Hitzewelle (H) 2018: 29. Juli bis 6. August 2018 • Hitzewellen 2019: 6. Juni bis 9. Juni 2019 (H1), 11. Juni bis 13. Juni 2019 (H2), 25. Juni bis 27. Juni 2019 (H3), 23. Juli bis 26. Juli 2019 Realisierte Erzeugung Photovoltaik, Tagesmittelwerte in MWh Zeitraum 2017 2017/H 2018 2018/H Tagesmittelwert 98.051 135.625 112.962 201.439 Abweichung in Prozent 38,32 78,33 In der durch Photovoltaikanlagen generierten Stromerzeugung lagen die Tagesmittelwerte in den Hitzewellen 2017 und 2018 im Mittel 58,3 Prozent über dem Tagesmittelwert des betrachteten Zeitraums 2017 bis 2018. 1 Heat Waves over Europe 1950 bis 2019, DWD, Stand 14. 8. 2019, www.dwd.de/DE/leistungen/rcccm/int/ rcccm_int_hwkltr.html?nn=16102 2 www.smard.de Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/13107 Realisierte Erzeugung Photovoltaik, Tagesmittelwerte in MWh Zeitraum 20193 2019/H1 2019/H2 2019/H3 2019/H4 Tagesmittelwert 133.517 196.857 177.264 243.866 237.214 Abweichung in Prozent 47,44 32,76 82,65 77,67 In der durch Photovoltaikanlagen generierten Stromerzeugung lagen die Tagesmittelwerte in den Hitzewellen 1 bis 4 im Mittel 60,1 Prozent über dem Tagesmittelwert des betrachteten Zeitraums im Jahr 2019. Weitere Extremwetterlagen können unter www.smard.de in der Rubrik „Markdaten visualisieren“ ausgewertet werden.  4. Mittels welcher Energieträger sind die daraus resultierenden Energiemengen reguliert worden? Eingriffe der Netzbetreiber in die aus dem Marktergebnis resultierende Fahrweise von Erzeugungsanlagen, einschließlich PV-Anlagen, ergeben sich in der Regel im Fall von Netzengpässen oder Leistungsbilanzungleichgewichten. Im ersten Fall werden Engpässe im Rahmen des Redispatch und des Einspeisemanagement , also des Abregelns von EE-Anlagen, behoben. Der Anteil der Abregelung von PV-Anlagen lag im Jahr 2018 bei rund 0,3 Prozent der eingespeisten PV-Leistung und ist damit sehr gering. Da der bilanzielle Ausgleich für das Einspeisemanagement bislang über den Anlagenbetreiber/Direktvermarkter selbst vorgenommen wurde, liegen keine Informationen über die Energieträger vor, die für den Ausgleich dieser Maßnahmen herangezogen wurden. Wurden Einspeisemanagement-Maßnahmen nicht bilanziell ausgeglichen so sind diese Mengen in die Ausgleichsenergie gelaufen (und damit in die Leistungsbilanz ). Welche konkreten Kraftwerke für den Ausgleich von Leistungsbilanzungleichgewichten im Rahmen des Regelenergieabrufs gelaufen sind, lässt sich auf Grund der Portfoliobildung am Regelenergiemarkt nicht sagen. Präqualifiziert sind aber größtenteils konventionelle Kraftwerke sowie Wasserkraftwerke .4  5. Welche Auswirkungen auf die Produktionskosten für Strom und die Strompreise hatten etwaige Ersatzzuschaltungen, etwa von Gaskraftwerken ? Wenn Kraftwerke wetterbedingt aus dem Markt gehen, kommen die nächst günstigsten Kraftwerke zum Zuge, die ansonsten nicht bezuschlagt worden wären. Dies entspricht dem üblichen Geschehen an den Strombörsen und wird als Merit Order bezeichnet. Die zusätzlichen Produktionskosten von etwaigen wetterbedingten Ausfällen bestimmen sich aus der Differenz der Kosten der zusätzlich bezuschlagten Kraftwerksleistung und der wetterbedingt ausgefallenen Kraftwerksleistung. Im europäisch gekoppelten Strommarkt, in dem Angebot und Nachfrage unter Berücksichtigung der Grenzkuppelkapazitäten europaweit gedeckt werden, lassen sich extremwetterbedingt entstehende zusätzliche Stromkosten und Strompreise nicht ermitteln, da die notwendigen stundenscharfen Daten nicht vorliegen. 3 4 Im Zeitraum: 1. 1. bis 31. 7. 2019 Siehe Auflistung der präqualifizierten Leistung auf regelleistung.net: www.regelleistung.net/ext/download/pq_capacity Drucksache 19/13107 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode  6. Welchen Einfluss auf die Leistungsbilanzen von Windenergieanlagen (WEA) haben Extremwetterlagen gemäß der in der Vorbemerkung der Fragesteller genannten Definition nach Kenntnis der Bundesregierung? Extreme Kälte und oder Hitze sind im Allgemeinen kein genereller Hinderungsgrund für den Betrieb von Windenergieanlagen. Der Betrieb und damit die Einspeiseleistung von Windenergieanlagen ist in erster Linie abhängig von den Windverhältnissen und nicht von anderen Wetterphänomenen – lediglich auftretende Vereisungen können darüber hinaus den Betrieb von Windenergieanlagen negativ beeinflussen. Windenergieanlagen stellen erst ab einer gewissen Mindestwindgeschwindigkeit – abhängig technischen Auslegungsparametern – Strom zur Verfügung. Bei sehr hohen Windgeschwindigkeiten werden Anlagen abgeschaltet, um sie vor Schäden zu schützen. Windenergie ist eine fluktuierende Form der Stromerzeugung. „Gute“ Windjahre können zu einer um 20 Prozent höheren Stromausbeute führen als „schlechte“ Windjahre. Auf Phasen mit anhaltend starkem Wind können Zeiträume mit sehr geringen Windverhältnissen folgen. Solche Wechsel sind dynamisch und regional unterschiedlich verteilt. Sie lassen sich zwischenzeitlich sehr gut vorhersagen und entsprechend bereiten sich die Märkte auf die fluktuierenden erneuerbaren Energien vor. Diese Wechsel aus geringen und hohen Windgeschwindigkeiten wird durch den Verlauf der Stromerzeugung nachgezeichnet , der sich auf der Strommarktseite der Bundesnetzagentur (SMARD; www.smard.de) nachvollziehen lässt.  7. Wie stellten sich die Leistungsbilanzen von in Deutschland installierten WEA bei seit dem Jahr 2016 aufgetretenen Extremwetterlagen dar? Für die Fragestellung wurden seit dem Jahr 2016 fünf Sturmtiefsituationen betrachtet und mittels der auf SMARD5 verfügbaren Daten analysiert. Es handelt sich um folgende Sturmtiefsituationen: 1. Sturmtief (ST) Sebastian: 13. September 20176 2. Sturmtief (ST) Friederike: 18. Januar20187 3. Sturmtief (ST) Fabienne: 23. September 20188 4. Sturmtief (ST) Bennet: 4. März 20199 5. Sturmtief (ST) Eberhard: 10. März 201910 5 www.smard.de 6 www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2018/9/22.html 7 www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2018/9/22.html 8 www.dwd.de/DE/leistungen/besondereereignisse/stuerme/20180923_sturm_fabienne.pdf?__blob=publicationFile&v=4; 9 www.dwd.de/DE/leistungen/besondereereignisse/stuerme/20190320_sturmtiefs_europa.pdf?__blob=publicationFile&v=1 10 www.dwd.de/DE/leistungen/besondereereignisse/stuerme/20190320_sturmtiefs_europa.pdf?__blob=publicationFile&v=1 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/13107 Realisierte Erzeugung Wind On- & Offshore , Tagesmittelwerte in MWh Zeitraum 2017 2018 201911 Tagesmittelwert pro Jahr 281.820 297.402 339.814 ST Sebastian 750.644 ST Friederike 699.098 ST Fabienne 354.918 ST Bennet 942.592 ST Eberhard 542.162 In der durch Windenergieanlagen (Onshore und Offshore) generierten Stromerzeugung lagen die Tageserzeugungswerte in den 5 Sturmtiefs im Mittel 114,75 Prozent über dem Tagesmittelwert des betrachteten Zeitraums 2017 bis 2019. Weitere Extremwetterlagen können unter www.smard.de in der Rubrik „Marktdaten visualisieren“ ausgewertet werden.  8. Welchen Einfluss hatten Extremwetterlagen gemäß der in der Vorbemerkung der Fragesteller genannten Definition auf die Leistungsbilanzen der in Deutschland arbeitenden Kohlekraftwerke (bitte nach Braun- und Steinkohle differenzieren)? Der Brennstoff der Braunkohlekraftwerke wird in nahegelegenen Tagebauen abgebaut. Daher kommt es nicht zu Lieferengpässen wie beispielsweise bei Steinkohlekraftwerken in Süddeutschland während langanhaltender Niedrigwasserphasen (siehe die Antwort zu Frage 1). Braunkohlekraftwerke werden mit Grubenwasser gekühlt. Dieses unterliegt keinen Temperaturstandards aus Gründen des Gewässerschutzes. Die Auswirkungen auf die Leistungsbilanz von Steinkohlekraftwerken aus Gründen des Gewässerschutzes sind unter der Antwort zu Frage 1 ausgeführt. Ungeachtet dessen, kann der Betrieb insbesondere von großen, zentralen Anlagen durch Störungen, wie sie durch Extremwetterereignisse auftreten können, beeinflusst werden.  9. In welchem Umfang haben die Kernkraftwerke in Deutschland in den Jahren 2016 bis 2018 sowie in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres Strom produziert? Jahr 2016 2017 2018 201912 Realisierte Erzeugung Kernenergie, TWh 80,25 72,21 71,83 34,61 11 Im Zeitraum: 1. Januar bis 31. Juli 2019 12 Im Zeitraum: 1. Januar 2019 bis 30. Juni 2019. Drucksache 19/13107 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 10. Wie häufig musste die Leistung von in Deutschland arbeitenden Kernkraftwerken seit dem Jahr 2016 wetterbedingt reguliert werden? Diesbezüglich liegen der Bundesnetzagentur keine Daten vor. Unter www.eex-transparency.com/power/de/production/availability kann die Nichtverfügbarkeit von Kraftwerkskapazitäten eingesehen werden. Es wird aber nicht dargestellt, ob die Nichtverfügbarkeit wetterbedingt verursacht wurde. 11. Welchen Umfang, bezogen auf Dauer und Leistung, hatten die jeweiligen Eingriffe (bitte kraftwerksscharf darstellen)? Diesbezüglich liegen der Bundesregierung keine Daten vor (siehe Antwort zu 10.). 12. Welche Temperaturstandards bezogen auf die Nutzung öffentlicher Gewässer für Kühlwasser gelten für die einzelnen Kernkraftwerke in Deutschland, und wie oft wurden diese seit dem Jahr 2016 überschritten? Diesbezüglich liegen der Bundesregierung keine Daten vor. 13. Welche Informationen über die Häufigkeit von durch Extremwetterlagen bedingte Leistungsregulationen in Kraftwerken im EU-Ausland liegen der Bundesregierung vor (bitte länderscharf auflisten)? Diesbezüglich liegen der Bundesregierung keine Daten vor. Unter https://trans parency.entsoe.eu/outage-domain/r2/unavailabilityOfProductionAndGeneration Units/show kann die Nichtverfügbarkeit von Kraftwerkskapazitäten eingesehen werden. Es wird aber nicht dargestellt, ob die Nichtverfügbarkeit wetterbedingt verursacht wurde. 14. Welchen Umfang hatten entsprechende Eingriffe in die Energiesysteme im EU-Ausland? Diesbezüglich liegen der Bundesregierung keine Daten vor. 15. Welche Auswirkungen hatten die entsprechenden Eingriffe auf a) die Stabilität der Energieversorgung in Deutschland und der EU und Bezüglich der Stabilität der Energieversorgung in Deutschland siehe Antwort zu Frage 1. b) die Kosten für Stromkunden in Deutschland? Das Preisniveau auf dem Strom-Großhandelsmarkt hat sich insgesamt seit dem Jahr 2005 und insbesondere seit dem Jahr 2009 in Deutschland deutlich verringert . Extrem hohe Preise von teilweise über 200 Euro/MWh wie sie in der Vergangenheit des Öfteren zu beobachten waren traten in den letzten Jahren nicht mehr auf. Diese Entwicklung ist nicht zuletzt auf den starken Ausbau der erneuerbaren Energien zurückzuführen, die zu sehr niedrigen Gestehungskosten Strom erzeugen, damit teure Kraftwerke aus dem Markt drängen und dadurch den Großhandelspreis senken. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/13107 Auch das Preisniveau, das sich während der Hitzeperiode 2018 einstellte, lag deutlich unterhalb des Niveaus, das in der Vergangenheit bereits beobachtet werden konnte. Im März 2018 wurde Strom zu Großhandelspreisen in gleicher Höhe, teilweise auch höheren Preisen gehandelt. Im Jahr 2017 wurde an der Strombörse EPEX Spot in 125 Stunden Strom zu Preisen gehandelt, die oberhalb des Spitzenpreises der Hitzeperiode 2018 lagen. Teilweise kam es dabei auch zu deutlich höheren Preisen. Allein in 2017 gab es 61 Stunden mit Strom- Großhandelspreisen von über 100 Euro/MWh. Die auf dem Großhandelsmarkt im Sommer 2018 beobachteten Höchstpreise sind auch im langfristigen Vergleich keine ungewöhnlich hohen Preise. Tatsächlich bestimmt sich der Strom-Großhandelspreis weder anhand der Braunkohlekraftwerke noch anhand der erneuerbaren Energien. Vielmehr setzt das letzte Kraftwerk im In- oder Ausland, das noch zur Deckung der Stromnachfrage an der Börse notwendig ist, den Preis. An manchen Tagen sind das Steinkohlekraftwerke , an anderen Tagen sind es Gaskraftwerke und bei viel erneuerbarer Erzeugung werden überhaupt keine konventionellen Kraftwerke mehr benötigt . In diesen Tagen führen mitunter die konventionellen Anlagen, die nicht flexibel genug für eine Abschaltung sind, zu negativen Preisen. Jahr # Stunden > 100 €/MWh # Stunden >200 [€/MWh] Höchster Preis [€/MWh] Mittelwert [€/MWh] 75 % der Preise liegen unter X [€/ MWh] 90 % der Preise liegen unter X [€/ MWh] 99 % der Preise liegen unter X [€/ MWh] 2005 240 45 500,04 45,98 53,23 69,06 153,76 2006 266 43 2.436,63 50,79 63,34 81,15 134,90 2007 307 35 821,90 37,99 44,76 64,98 142,79 2008 888 12 494,26 65,76 80,39 100,02 149,92 2009 45 0 182,05 38,86 46,42 59,97 90,06 2010 7 0 131,79 44,49 52,06 60,98 79,43 2011 11 0 117,49 51,13 60,63 66,99 77,06 2012 60 1 210,00 42,60 52,88 60,73 87,85 2013 17 0 130,27 37,78 47,63 59,54 79,78 2014 0 0 87,97 32,76 40,00 48,93 65,02 2015 0 0 99,77 31,68 39,91 47,44 61,65 2016 1 0 104,96 29,01 34,97 42,91 65,09 2017 61 0 163,52 34,46 40,64 49,97 90,00 2018 0 0 98,19 39,53 49,50 57,65 70,34 Tabelle 1: Verteilung der Strom-Großhandelspreise (Day-Ahead) [Quelle: EEX] Drucksache 19/13107 – 8 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Ein grundsätzlicher Zusammenhang zwischen der Temperatur und dem Strom- Großhandelspreis lässt sich nicht erkennen. Die Temperatur kann demnach nicht als erklärende Variable herangezogen werden. Abbildung 1: Korrelation Temperatur und Strom-Großhandelspreise (Day-Ahead) Januar 2015 bis August 2018 [Quelle: DWD, EEX] Vielmehr lassen sich die Strom-Großhandelspreise in Deutschland relativ gut durch die Residuallast (= Verbrauch abzüglich Wind- und PV-Stromerzeugung) erklären. Auch die einzelnen Stunden mit erhöhten Preisen während der Hitzeperiode liegen in einem zwar relativ hohen, jedoch nicht außergewöhnlich hohen Bereich. Abbildung 2: Korrelation Residuallast und Großhandelsstrompreis (Day-Ahead) Januar 2015 bis August 2018 [Quelle: SMARD, EEX] Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 9 – Drucksache 19/13107 Eine Erklärung für jene Stunden mit relativ hohen Preisen, (03.08. 19:00; 06.08. 19:00; 07.08.19:00) liefert die ungewöhnlich niedrige Windenergieeinspeisung . In diesen Stunden war die durchschnittliche Stromeinspeisung aus Windenergie im Vergleich zu den durchschnittlichen Windenergieeinspeisungen der beiden Vormonate weniger als halb so hoch. Abbildung 3: Erzeugung [Wind/PV], Großhandelsstrompreis (Day-Ahead) und kommerzieller Außenhandel 27. 7. 18 bis 9. 8. 18 [Quelle: SMARD] Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass es aufgrund der Hitzewelle 2018 im Hinblick auf die Versorgungssicherheit aus Netz- und Leistungsbilanzsicht zu keinem Zeitpunkt Anlass zu Besorgnis gab. Die Leistungsreduzierungen von einigen konventionellen Kraftwerken hatten keinen Einfluss auf die Versorgungssicherheit . 16. Ausgehend von der Erkenntnis, dass sowohl konventionelle und, nach Ansicht der Fragesteller ungleich stärker, auch volatile Energieträger von Extremwetterlagen beeinflusst werden und Letztgenannte damit einen merklichen Einfluss auf die Versorgungssicherheit und Energiepreise haben, wie gedenkt die Bundesregierung, künftig wetterunabhängig eine sichere und bezahlbare Energieversorgung sicherzustellen? Marktmechanismen des Strommarkt 2.0 setzen technologieneutrale Anreize für Flexibilität, Nutzungen von Importmöglichkeiten und Zubau von marktlich notwendigen Kapazitäten. Sie leisten hierdurch einen Beitrag für eine sichere, innovative und bezahlbare Energieversorgung. Das oben erwähnte Versorgungssicherheitsmonitoring des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) zeigt in einer breit angelegten Untersuchung, dass in der Perspektive bis 2030 – auch mit dem Ausstieg aus der Kernkraft und Kohleverstromung – die Nachfrage in allen Fällen – auch Extremwetterereignissen – gedeckt werden kann. Auf europäischer Ebene werden zukünftig einheitlich für jedes Mitgliedsland Berechnungen zur Versorgungssicherheit angestellt. Dies ist durch die neue EU-Gesetzgebung vorgegeben. Diese schreibt gleichzeitig vor, dass staatliche Eingriffe in die Marktmechanismen nur zulässig sind, wenn nachgewiesen wird, dass ansonsten die Versorgungssicherheit gefährdet wäre. Drucksache 19/13107 – 10 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Für ganz unerwartete Fälle wurde kürzlich in Deutschland ein kleines Reserveinstrument geschaffen. Die sogenannte Kapazitätsreserve ist neben einer Verbesserung der Kurzfrist- und Regelenergiemärkte einer der Maßnahmen aus dem Weißbuch des BMWi „Ein Strommarkt für die Energiewende“ (2015), mit der auch während der Energiewende die Versorgungssicherheit gewährleistet bleiben soll. Die Kapazitätsreserve soll in Zeiten, in denen trotz freier Preisbildung an den Strombörsen auf dem Großhandelsmarkt kein ausreichendes Angebot zur Deckung der gesamten Nachfrage zur Verfügung steht, zusätzliche Leistung bereitstellen. Dazu werden bestehende Erzeugungsanlagen, Speicher oder Lasten außerhalb des Strommarktes vorgehalten und bei Bedarf auf Anweisung der Übertragungsnetzbetreiber nach Ausschöpfung der marktlichen Alternativen eingesetzt. Wettbewerbsverzerrungen auf dem Markt werden damit vermieden. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 11 – Drucksache 19/13107 Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333