Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katrin Helling-Plahr, Michael Theurer, Renata Alt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/12765 – Genomische Medizin in Deutschland V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Am 9. Mai 2019 hat der Deutsche Ethikrat eine Stellungnahme zu Eingriffen in die menschliche Keimbahn veröffentlicht, in der er darlegt, dass eben solche Eingriffe seiner Auffassung nach gegenwärtig zwar noch mit zu großen Risiken behaftet, sie aber zukünftig aus ethischer Perspektive nicht gänzlich auszuschließen seien. Genetische Erkrankungen könnten nach heutigem wissenschaftlichen Stand mithilfe genomischer Medizin bereits bei Neugeborenen frühzeitig identifiziert , analysiert und in der Folge zielgerichtet behandelt werden. Die genomische Medizin bietet zudem beispielsweise im Rahmen des sogenannten Whole Genome Sequencing (WGS) die Chance, den Ursprung von Krebstumoren zu entschlüsseln und in der Folge zielgenau bekämpfen zu können. Laut aktueller Medienberichterstattung (www.zeit.de/2019/21/crispr-gensche re-keimbahn-gentechnik-ethikrat-biopolitik) hat unter anderem das Vereinigte Königreich oben genannte Chancen erkannt. Seit dem Jahr 2012 existiert dort das Projekt „Genomics England“ und seit dem Jahr 2018 sind mehrere nationale Zentren für genomische Medizin eingerichtet worden. Auch die Vereinigten Staaten und Frankreich treiben mit „All of Us“ beziehungsweise „France Médecine Génomique 2025“ ähnliche Projekte zur Integration der genomischen Medizin in die Versorgung voran. Nach Ansicht der Fragesteller müssen auch Patienten in Deutschland die Möglichkeit bekommen, von möglichst personalisierten Behandlungsmethoden zu profitieren.  1. Teilt die Bundesregierung die Sicht des Deutschen Ethikrates, dass Eingriffe in die menschliche Keimbahn aus ethischer Sicht nicht gänzlich auszuschließen seien? Es wird begrüßt, dass sich der Deutsche Ethikrat eingehend mit diesem Themengebiet befasst hat. In seiner Stellungnahme kommt der Ethikrat unter anderem zu der Schlussfolgerung, dass sich aus der ethischen Analyse keine kategorische Unantastbarkeit der menschlichen Keimbahn ergibt. Gleichwohl beurteilt er Keimbahneingriffe derzeit wegen ihrer unabsehbaren Risiken als ethisch un- Deutscher Bundestag Drucksache 19/13197 19. Wahlperiode 13.09.2019 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 11. September 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. verantwortlich. Deshalb fordert er insbesondere ein internationales Moratorium für die klinische Anwendung von Keimbahneingriffen beim Menschen. Eingriffe in die menschliche Keimbahn sind in Deutschland gemäß § 5 Embryonenschutzgesetz grundsätzlich verboten. Die klinische Anwendung von Keimbahnveränderungen mittels gentechnischer Methoden beim Menschen ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt und auf absehbare Zeit schon angesichts des gegenwärtigen wissenschaftlichen Kenntnisstandes und der möglichen Risiken aus ethischer und medizinischer Sicht unverantwortlich und abzulehnen.  2. Wie viele Neugeborene kommen in Deutschland nach Kenntnis der Bundesregierung jedes Jahr mit einer genetischen Schädigung zur Welt? Die genaue Zahl von Neugeborenen, die in Deutschland mit einer genetisch bedingten Erkrankung oder Störung zur Welt kommen, ist der Bundesregierung nicht bekannt. Rund sechs % aller Neugeborenen haben eine angeborene Fehlbildung , die einerseits genetische Ursachen haben kann (z. B. Chromosomenstörungen oder Einzelgendefekte), aber beispielsweise auch auf äußeren Faktoren wie Folsäuremangel oder Alkoholkonsum während der Schwangerschaft beruhen kann. Bei einem Teil der Neugeborenen lässt sich keine Ursache für die angeborene Fehlbildung identifizieren. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen , dass sich genetisch bedingte Erkrankungen auch erst im Laufe des Lebens manifestieren können.  3. Werden nach Kenntnis der Bundesregierung in Deutschland genetische Untersuchungen bei Neugeborenen bereits regelhaft angewandt beziehungsweise finden sie bei entsprechender Indikation statt? Wenn ja, welche? Im Rahmen des erweiterten Neugeborenen-Screenings (ENS) werden u. a. genetische Untersuchungen im Sinne des Gendiagnostikgesetzes (GenDG) durchgeführt . Das ENS ist Bestandteil der Kinder-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), mit der die Gesundheitsuntersuchungen für Kinder nach § 26 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ausgestaltet werden. Das ENS dient der Früherkennung von angeborenen Stoffwechseldefekten, endokrinen Störungen und Immundefekten bei Neugeborenen, die die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder in nicht geringfügigem Maße gefährden. Durch das Screening soll eine unverzügliche Therapieeinleitung im Krankheitsfall ermöglicht werden. Folgende Zielkrankheiten, die immer oder teilweise eine identifizierbare genetische Ursache haben, sind derzeit Teil des Neugeborenen-Screenings in Deutschland: Hypothyreose, Adrenogenitales Syndrom (AGS), Biotinidasemangel, Galaktosämie, Phenylketonurie (PKU) und Hyperphenylalaninämie (HPA), Ahornsirupkrankheit (MSUD), Fettsäurestoffwechseldefekte (MCAD-Mangel, LCHAD-Mangel, VLCAD-Mangel), Carnitinzyklusdefekte , Glutaracidurie Typ I, Isovalerianacidämie, Tyrosinämie Typ I und schwere kombinierte Immundefekte. Darüber hinaus wird bei Neugeborenen im Rahmen der Kindergesundheitsuntersuchungen auch ein Screening auf Mukoviszidose durchgeführt. Neben diesen Screeninguntersuchungen können genetische Untersuchungen im Sinne des GenDG auch bei Säuglingen im Rahmen der Abklärung von Auffälligkeiten in Bezug auf über 6000 Seltene Erkrankungen, die alle Spezialgebiete der Kinderheilkunde betreffen, vorgenommen werden. Drucksache 19/13197 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode  4. Wie bewertet die Bundesregierung den aktuell für Krebspatienten bestehenden Zugang zu Verfahren der Tumor-Sequenzierung? Tumor-Genomsequenzierungen werden immer mehr Teil der Versorgung. Dazu sind aber hochspezialisierte Geräte notwendig und entsprechende Expertise, die erhobenen Daten auszuwerten. Diese Methode steht daher derzeit nur an spezialisierten Zentren und nicht flächendeckend für die klinische Routine zur Verfügung . Für die Tumor-Genomsequenzierung werden die Gewebeproben teilweise dezentral entnommen – beispielsweise direkt am behandelnden Zentrum in Wohnortnähe – und zur Sequenzierung eingeschickt. Nutzen und Möglichkeiten der Tumor-Genomsequenzierung werden derzeit in verschiedenen Studien und Forschungs-Programmen untersucht. Patientinnen und Patienten in Deutschland haben auch über die Teilnahme an entsprechenden Studien beziehungsweise Forschungs-Programmen Zugang zu Tumor-Genomsequenzierungen.  5. Kann das sogenannte Whole Genome Sequencing nach Kenntnis der Bundesregierung in Deutschland auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung durchgeführt werden? a) Wenn ja, bei welchen Indikationen ist dies der Fall? b) Wenn nein, ist eine Durchführung in Deutschland auf Selbstzahlerbasis möglich, und welche Kosten haben Betroffene zu tragen? Nach Kenntnis der Bundesregierung kann ein Whole Genome Sequencing in der vertragsärztlichen Versorgung im Grundsatz unter die Gebührenordnungspositionen 11514 und 19425 des einheitlichen Bewertungsmaßstabes für ärztliche Leistungen subsumiert werden. Die Abrechnung dieser Leistungen unterliegt einem Genehmigungsvorbehalt von Seiten der jeweiligen Krankenkasse und erfordert ein schriftliches wissenschaftlich begründetes ärztliches Gutachten u. a. mit der Angabe der rechtfertigenden Indikation sowie einer Beschreibung des konkreten Untersuchungsumfangs durch eine Auflistung der Gennamen , der Gennummern sowie Nachweise zu den Untersuchungsumfang begründenden Studien. Soweit Leistungen im stationären Bereich noch nicht sachgerecht im Fallpauschalensystem abgebildet sind, haben Krankenhäuser die Möglichkeit für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden krankenhausindividuelle Entgelte zu verhandeln und sich im Rahmen des jährlich durchgeführten Vorschlagsverfahrens zur Weiterentwicklung des DRG-Systems mit Vorschlägen einzubringen .  6. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass die Integration der genomischen Medizin in die Versorgung sinnvoll ist, und welche Rolle spielt dabei die vom Bundesministerium für Gesundheit und Bundesministerium für Bildung und Forschung ausgerufene Nationale Dekade gegen Krebs (bitte begründen)? Aktuell wird einer medizinischen Genomsequenzierung das Potenzial zugeschrieben , die künftige Gesundheitsversorgung der Bevölkerung nachhaltig zu verändern und somit einen direkten Einfluss auf das alltägliche Leben der Bürgerinnen und Bürger zu haben. Bereits jetzt ermöglichen Kombinationen von genomischen und klinischen Patientendaten erfolgreiche innovative Behandlungskonzepte für verschiedene Krankheitsbilder und werden in naher Zukunft eine wertvolle und unverzichtbare Grundlage für die medizinische Versorgung Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/13197 und Forschung darstellen. Sequenzen aus dem Genom können insbesondere für eine schnellere und präzisere Diagnosestellung oder für die Festlegung einer personalisierten, bestgeeigneten Therapie herangezogen werden. Daher ist die Integration der genomischen Medizin in der Versorgung sinnvoll. Ziel der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, dem Bundesministerium für Gesundheit und weiteren Partnern gestarteten „Nationalen Dekade gegen Krebs“ ist es, die Krebsforschung weiter zu stärken und Ergebnisse der Forschung rasch zu den Menschen zu bringen. Wichtig ist dabei eine bessere Vernetzung regionaler und überregionaler Versorgungs- und Forschungseinrichtungen , damit innovative Verfahren und Strukturen wie die genomische Medizin, dort, wo sie nutzbringend sind, schneller und gezielter in der breiten Versorgung ankommen.  7. Existieren nach Kenntnis der Bundesregierung gegenwärtig Zentren für genomische Medizin in Deutschland? Wenn ja, wie viele, welche, und worauf sind diese im Einzelnen spezialisiert ? Es existiert in Deutschland keine offizielle Bezeichnung „Zentrum für genomische Medizin“, und es gibt auch keine Kriterien, die erfüllt sein müssten, um diese Bezeichnung zu führen. Unabhängig davon stellt das Fachgebiet der Humangenetik jedoch einen unverzichtbaren Bestandteil in der deutschen Versorgungslandschaft dar, der oftmals entscheidend für die Diagnosestellung ist. Angesichts von sich weiter entwickelnden molekulargenetischen Untersuchungsmethoden muss immer wieder überprüft werden, wie diese in die Regelversorgung eingebettet werden können.  8. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass Deutschland auf dem Gebiet der genomischen Medizin den Anschluss an internationale Entwicklungen verliert (bitte begründen)? Nein. In Deutschland wird auf den Gebiet der genomischen Medizin hervorragende und international anerkannte Arbeit geleistet. Die Bundesregierung unterstützt die aktuellen Entwicklungen auf nationaler und internationaler Ebene aktiv und konstruktiv.  9. Sind nach Kenntnis der Bundesregierung analog zum Netzwerk Genomische Medizin (NGM) Lungenkrebs weitere Netzwerke für genomische Medizin in Deutschland in Planung? Weitere in Planung befindliche Netzwerke für genomische Medizin analog dem Netzwerk Genomische Medizin (NGM) Lungenkrebs sind der Bundesregierung derzeit nicht bekannt (siehe Antwort zu Frage 11). Drucksache 19/13197 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode 10. Wird die Integration der genomischen Medizin in die Versorgung nach Kenntnis der Bundesregierung gegenwärtig durch Bund oder Länder gefördert ? Wenn ja, welche Projekte werden gefördert, und in welchem Umfang? Zur Weiterentwicklung der GKV-Versorgung hat der Gesetzgeber den Innovationsfonds beim G-BA geschaffen, aus dem Vorhaben der Versorgungsforschung und neue Versorgungsformen, die über die Regelversorgung hinausgehen , gefördert werden. Ziel ist die Gewinnung von Erkenntnissen, die für die qualitative Weiterentwicklung der Versorgung genutzt werden können. Projekte , die sich mit Ansätzen zur Integration der genomischen Medizin in die Versorgung beschäftigen, können grundsätzlich gefördert werden, sofern zu stellende Anträge den Schwerpunkten und Kriterien der jeweils vom Innovationsausschuss veröffentlichten Förderbekanntmachungen entsprechen. Nähere Informationen zu den durch den Innovationsfonds geförderten Projekten sind auf der Internetseite des Innovationsausschusses veröffentlicht (http://innovations fonds.g-ba.de). Auch auf Länderebene bestehen Initiativen zur Integration der genomischen Medizin in die Versorgung. Beispielhaft seien hier die Zentren für personalisierte Medizin in Baden-Württemberg, das Netzwerk Genomische Medizin (NGM) Lungenkrebs in Nordrhein-Westfalen und das Programm „1000 klinische Genome in Bayern“ im Rahmen der Zukunftsinitiative Digitale Medizin des Masterplans BAYERN DIGITAL II genannt. Der Umfang der Länderförderungen ist der Bunderegierung nicht bekannt. 11. Plant die Bundesregierung konkrete Schritte, um Zentren für genomische Medizin in Deutschland zu etablieren? a) Wenn ja, welche Schritte sind genau geplant? b) Wenn nein, warum nicht? Derzeit wird eine Recherche in Auftrag gegeben, um bestehende nationale Initiativen zu identifizieren und im Ergebnis die nächsten Schritte festzulegen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/13197 Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333