Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Christian Dürr, Dr. Florian Toncar, Frank Schäffler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/12844 – Folgen des Verfassungsgerichtsurteils zur Bankenunion V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Mit Urteil vom 30. Juli 2019 hat das Bundesverfassungsgericht Klagen gegen die Europäische Bankenunion zurückgewiesen (BVerfG, Az.: 2 BvR 1685/14, 2 BvR 2631/14). Das Bundesverfassungsgericht stellt fest, dass die Europäische Union durch die Regelungen zur Europäischen Bankenunion, namentlich zum Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism , SSM) und zum Einheitlichen Abwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism, SRM), bei strikter Auslegung ihre durch die Verträge zugewiesenen Kompetenzen nicht überschritten hat. Bei einzelnen Vorgaben bzw. Hinweisen des Gerichts könnte sich nach Ansicht der Fragensteller ein Klärungsbedarf zur sachgerechten Beachtung des Urteils bei künftigen Verhandlungen zur Bankenunion ergeben. 1. In welcher Weise wird die Bundesregierung das oben genannte Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf dessen Auswirkungen auf mögliche künftige Veränderungen der Europäischen Bankenunion auswerten ? 2. Wird die Bundesregierung den Deutschen Bundestag hierüber unterrichten ? Die Fragen 1 und 2 werden zusammen beantwortet. Mögliche künftige Veränderungen sind im Einzelnen nicht absehbar. Im Übrigen hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts das geltende Recht bestätigt. Deutscher Bundestag Drucksache 19/13215 19. Wahlperiode 13.09.2019 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 12. September 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. 3. Wie lässt sich aus Sicht der Bundesregierung am besten sicherstellen, dass entsprechend der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, „im Ergebnis (…) ein gewichtiger Teil der Aufgaben und Befugnisse im Bereich der Bankenaufsicht (bei) den nationalen Aufsichtsbehörden (verbleibt)“ (BVerfG, a. a. O., Rz. 171, 183 ff.)? a) Wie ist insofern die Aussage des Präsidenten der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), „Rolle der BaFin innerhalb der Bankenunion“ sei durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bestätigt worden, zu verstehen (vgl. Gabor Steingart, Podcast vom 1. August 2019, Interview mit Felix Hufeld, w w w . g a b o r s t e i n gart.com/der-podcast/)? b) Wie ist insofern die Aussage des BaFin-Präsidenten, dass „wesentliche Teile der Aufsicht über die mittleren und kleineren Banken in Deutschland als eine originäre und nicht nur eine abgeleitete Kompetenz der nationalen Aufsichtsbehörde (…) verbleibt“, zu verstehen (vgl. Gabor Steingart, Podcast, a. a. O.)? Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil festgestellt, dass mit „der SSM-Verordnung … der EZB die Aufsicht über Kreditinstitute in der Eurozone nicht vollständig übertragen worden“ ist (BVerfG, Az.: 2 BvR 1685/14, 2 BvR 2631/14, Rz. 172). Ferner stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass den nationalen Aufsichtsbehörden auch in Ansehung der SSM-VO wichtige Aufgaben und Befugnisse im Bereich der Bankenaufsicht verbleiben, die diese aufgrund originärer mitgliedstaatlicher Zuständigkeitsregelungen ausüben (BVerfG a. a. O., Rz. 183). Die Bundesregierung sieht durch diese Klarstellung auch die Rolle der BaFin und der Bundesbank in der Bankenaufsicht bestätigt und wird weiter darauf achten, dass ein wesentlicher Teil der Aufgaben und Befugnisse im Bereich der Bankenaufsicht bei den nationalen Aufsichtsbehörden verbleibt. Das Bundesverfassungsgericht führt dazu in seinem Urteil näher aus, dass der EZB nach der SSM-VO besondere Aufsichtsaufgaben zukommen, „die für eine kohärente und wirksame Politik der Union hinsichtlich der Beaufsichtigung von Kreditinstituten entscheidend sind“ (a. a. O., Rz. 172), „während die nationalen Aufsichtsbehörden regelmäßig für weniger bedeutende Kreditinstitute nach Maßgabe der von der EZB erlassenen Verordnungen, Leitlinien und allgemeinen Weisungen zuständig bleiben“ (a. a. O.) und es „in allen nicht von der SSM-VO erfassten Bereichen der Bankenaufsicht bei der Zuständigkeit der nationalen Aufsichtsbehörden“ (a. a. O.) verbleibt. Gemessen an der Anzahl von Instituten machen die weniger bedeutenden Kreditinstitute den größeren Anteil an den beaufsichtigten Instituten aus. Hierunter fallen insbesondere die zahlreichen Sparkassen und Volksbanken sowie weitere Kreditinstitute mit vorwiegend nationaler Geschäftsausrichtung. In nationaler Zuständigkeit verbleiben auch die vielfältigen nicht von der SSM-VO erfassten Bereiche der Bankenaufsicht (u. a. Entgegennahme von Mitteilungen der Kreditinstitute im Zusammenhang mit Niederlassungsrecht und Dienstleistungsfreiheit , Aufsicht über Institute, die allein nach nationalem Recht als Kreditinstitute beaufsichtigt werden, Aufsicht über Kreditinstitute aus Drittstaaten , die in der Europäischen Union eine Zweigstelle errichten oder grenzüberschreitend Dienstleistungen erbringen, die Überwachung aller Institute nach dem Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz, die laufende Überwachung von Kreditinstituten, die Kontrolle der Märkte für Finanzinstrumente, Verbraucherschutz , Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, die Aufsicht nach dem BauSparkG, PfandbriefG). Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil festgestellt, dass die SSM- VO „keine Zuständigkeiten der nationalen Aufsichtsbehörden begründet. Sie setzt diese vielmehr voraus und beschränkt sie in dem von Artikel 4 und Arti- Drucksache 19/13215 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode kel 6 SSM-VO geregelten Umfang.“ (a. a. O., Rz. 191). Auf diese Aspekte beziehen sich die Aussagen des Präsidenten der Bundesanstalt der Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in Bezug darauf, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Rolle der BaFin in der Bankenunion bestätigt habe und die Aufsicht über weniger bedeutende Institute auch in Deutschland eine originäre Kompetenz der nationalen Aufsichtsbehörde ist. 4. Lässt sich aus Sicht der Bundesregierung nach heutigem Stand (weitgehend ) identifizieren, welche nationalen Aufgaben und Befugnissen diesen „gewichtigen Teil“ bilden bzw. darstellen? Wenn ja, welche Aufgaben und Befugnisse wären dies? Zu den wesentlichen in nationaler Zuständigkeit verbleibenden Aufgaben und Befugnissen zählen insbesondere die in der Antwort zu Frage 3 angesprochenen Bereiche der Bankenaufsicht, welche in Deutschland von der BaFin wahrgenommen werden. Bei der Frage, ob gewichtige Teile der Aufsicht in der Zuständigkeit der nationalen Aufsichtsbehörden verbleiben, ist auf die Gesamtheit der dort verbliebenen aufsichtlichen Aufgaben abzustellen. 5. Leitet die Bundesregierung aus den Rz. 171, 183 ff. des in der Vorbemerkung der Fragesteller genannten Urteils des Bundesverfassungsgerichts einen bestimmten Rahmen für künftige Verhandlungen zur Bankenunion auf europäischer Ebene ab? Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich in den in Bezug genommenen Randnummern mit der Rechtsgrundlage des Artikel 127 Absatz 6 AEUV, welcher die Möglichkeit der Übertragung „besondere(r) Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute“ auf die Europäische Zentralbank vorsieht. Das Urteil bestätigt die Rechtsauffassung der Bundesregierung in den Verhandlungen zur SSM-Verordnung, wonach die Rechtsgrundlage eine vollständige Übertragung der Bankenaufsicht auf die EZB nicht ermögliche. Auch im Rahmen etwaiger künftiger Verhandlungen scheidet eine vollständige Übertragung der Bankenaufsicht auf die EZB ohne Änderung der EU-Verträge aus. Die Bundesregierung wird weiter darauf achten, dass ein wesentlicher Teil der Aufgaben und Befugnisse im Bereich der Bankenaufsicht bei den nationalen Behörden verbleibt. 6. Welche Folgen zieht die Bundesregierung aus der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts , wonach die Errichtung einer mit Vollzugskompetenzen ausgestatteten Agentur auf der Grundlage von Artikel 114 Absatz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) auf die Vermeidung und Beseitigung ansonsten unvermeidlicher Divergenzen im Verwaltungsvollzug beschränkt sein müsse, die aufgrund der Besonderheiten der Materie nicht hinnehmbar seien (BVerfG, a. a. O., Rz. 246)? Welche Divergenzen im Verwaltungsvollzug wären aus Sicht der Bundesregierung „nicht hinnehmbar“? Eine allgemeingültige Beantwortung der Frage, welche Divergenzen im Verwaltungsvollzug nicht mehr hinnehmbar wären, ist nicht möglich. Wie auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil (Rz. 246) ausführt, kann dies nur in Abhängigkeit von den „Besonderheiten der Materie“ entschieden werden, die im konkreten Fall zu beurteilen sind. Auf die Einhaltung der im jeweiligen Einzelfall maßgeblichen rechtlichen Anforderungen wird die Bundesregierung achten. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/13215 7. Leitet die Bundesregierung aus der Aussage des Bundesverfassungsgerichts , wonach die Erhebung der Bankenabgabe und ihre Übertragung auf den Fonds nicht auf der SRM-Verordnung, sondern auf Entscheidungen des Bundestages beruhten, sich eine Berührung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Bundestages jedoch nicht feststellen lasse, bestimmte Folgen für eine etwaige europäische Einlagensicherung ab? Nach der ressortabgestimmten Position der Bundesregierung können politische Verhandlungen über eine gemeinsame europäische Einlagensicherung (EDIS) erst nach einer substantiellen, weitergehenden Reduktion der bestehenden Risiken und Fehlanreize beginnen, unter Beibehaltung aller Elemente des Fahrplans des Rates zur Vollendung der Bankenunion von Juni 2016 (ECOFIN-Roadmap) in der richtigen Reihenfolge. Diese Voraussetzungen sind derzeit nicht erfüllt, es bedarf weiterer Risikoreduktion. Das Bundesverfassungsgericht hat die Erhebung von Beiträgen auf der Basis nationalen Rechts und deren Übertragung auf eine europäische Institution auf Grundlage eines zwischenstaatlichen Übereinkommens (IGA) im Fall der Bankenabgabe nicht beanstandet. Die Bundesregierung hat konsistent die Position vertreten, dass aus Gründen der Rechtssicherheit für eine etwaige europäische Einlagensicherung – wie schon für den Einheitlichen Abwicklungsmechanismus – ein zwischenstaatliches Übereinkommen (Intergovernmental Agreement, IGA) vorzusehen wäre. In der ECOFIN-Roadmap ist die Absicht der Mitgliedstaaten festgehalten, auf ein IGA zurückzugreifen, wenn politische Verhandlungen über EDIS aufgenommen werden sollten. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Erhebung und Übertragung der Bankenabgabe stützen in der Sache die Position der Bundesregierung, dass erhebliche Bedenken gegen Artikel 114 AEUV als Rechtsgrundlage bestehen. Drucksache 19/13215 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. 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