Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sebastian Münzenmaier, Christoph Neumann, Verena Hartmann, Dr. Axel Gehrke und der Fraktion der AfD – Drucksache 19/12463 – Barrierefreier Tourismus nach Auflösung der Nationalen Koordinationsstelle Tourismus für Alle Deutschland e. V. V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die Teilhabe aller Menschen am Tourismus zählt zu den Eckpunkten der Bundesregierung für eine nationale Tourismusstrategie (Bundestagsdrucksache 19/9810). Barrierefreiheit wird insoweit nicht nur als gesellschaftspolitisches Anliegen, sondern zugleich als Wettbewerbsfaktor für das Reiseland Deutschland angesehen. Umfassende Barrierefreiheit ist gemäß den Eckpunkten der Bundesregierung ein Komfort- und Qualitätsmerkmal, von dem nicht nur Reisende mit Behinderungen, sondern auch ältere Menschen und Familien mit Kindern profitieren. Umso betrüblicher ist es nach Ansicht der Fragesteller, dass mit der Nationalen Koordinationsstelle für Alle Deutschland e. V. (NatKo) einer der größten Zusammenschlüsse von Verbänden der Behindertenselbsthilfe wegen fehlender Fördergelder aufgelöst werden musste (www.natko.de/mitgliederversamm lung-beschliesst-aufloesung-der-natko/). Der Allgemeine Behindertenverband in Deutschland e. V. (ABiD) war Gründungsmitglied der NatKo. Der Verband weist der Bundesregierung nun Mitschuld an der Auflösung der NatKo zu (www.abid-ev.de/schwerer-verlustfuer -entwicklung-des-barrierefreien-tourismus/). Dabei hebt der ABiD hervor, dass unangemessene finanzielle Rahmenbedingungen und eine fehlende institutionelle Förderung den Verein Tourismus für Alle zur Auflösung gezwungen haben. Zwar sei der Weiterbetrieb des Systems „Reisen für Alle“ von der Auflösung der NatKo nicht betroffen (www.reisen-fuer-alle.de/reisen_fuer_alle_von_auf loesung_der_natko_nicht_betroffen_269n232.html), aber es werde aus Sicht des ABiD zukünftig schwerer werden, Tourismuspolitik, Tourismuswirtschaft und den Betroffenensachverstand an einen Tisch zu bringen, da mit der NatKo die gebündelte Stimme der Behindertenbewegung weggefallen sei (https://ko binet-nachrichten.org/2019/06/20/barrierefreier-tourismus-in-deutschlandnun -ohne-natko/). Deutscher Bundestag Drucksache 19/13258 19. Wahlperiode 17.09.2019 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom 9. September 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext.  1. Wie viele Betriebe nutzen nach Kenntnis der Bundesregierung das Kennzeichnungssystem „Reisen für Alle“ (bitte in absoluten Zahlen und relativ zur Grundmenge angeben)? In enger Abstimmung mit Behindertenverbänden, der Tourismuswirtschaft und den 16 Bundesländern wurden Standards für ein einheitliches Kennzeichnungsund Zertifizierungssystem für barrierefreie Reiseangebote entwickelt. Nach diesem Kennzeichnungssystem „Reisen für Alle“ wurden bisher 2.683 Betriebe zertifiziert. Auf der Website https://www.reisen-fuer-alle.de/ sind 1.637 Betriebe und Angebote mit einer gültigen Reisen-für-Alle-Zertifizierung dargestellt. Für eine „Reisen-für-Alle“-Zertifizierung infrage kommen grundsätzlich Einrichtungen entlang der gesamten touristischen Wertschöpfungskette – von Beherbergung und Gastronomie über Verkehr, Freizeit (einschließlich Rad- und Wanderwege) bis hin zu kulturellen und Gesundheitseinrichtungen u. a. im Beherbergungsbereich weist die amtliche Statistik 50.728 Betriebe in Deutschland aus. Nach dem Kennzeichnungssystem „Reisen für Alle“ sind 626 Beherbergungsbetriebe zertifiziert. Im Beherbergungsbereich beträgt der Anteil somit 1,23 Prozent.  2. Wie kann nach Auffassung der Bundesregierung die Beteiligung am Kennzeichnungssystem „Reisen für Alle“ bundesweit und flächendeckend attraktiver gestaltet werden? Die Bundesregierung strebt die Einführung des Kennzeichnungssystems „Reisen für Alle“ in allen Bundesländern an. Thematische Erweiterungen im Rahmen von Pilotprojekten und mehr Kommunikationsmaßnahmen können ein größeres Interesse für eine Teilnahme und Nutzung des Systems wecken. So hat die Deutsche Zentrale für Tourismus e. V. (DZT) die Datenbank „Reisen für Alle“ auf ihrer Webseite www.germany.travel in deutscher und in englischer Sprache eingestellt. Internationale Gäste, aber auch Partner der internationalen Reiseindustrie, können damit an zentraler Stelle Informationen zur Barrierefreiheit touristischer Einrichtungen und Angebote im Reiseland Deutschland abrufen .  3. Wie hoch war die Gesamtförderung des Bundes zugunsten der NatKo in den letzten zehn Jahren? Die Gesamtförderung des Bundes zugunsten des Vereins Tourismus für Alle e.V. (NatKo) betrug in den letzten 10 Jahren 901.652,97 Euro (vgl. die Antwort zu den Fragen 4 und 5).  4. Welche Projekte der NatKo sind in den letzten zehn Jahren mit Mitteln des Bundes gefördert worden?  5. In welcher Höhe sind jeweils einzelne Projekte der NatKo in den letzten zehn Jahren mit Mitteln des Bundes gefördert worden? Die Fragen 4 und 5 werden gemeinsam beantwortet. Drucksache 19/13258 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Die Bundesregierung förderte in den letzten 10 Jahren nachstehend aufgeführte Projekte des Vereins Tourismus für alle e.V. (NatKo) mit Mitteln des Bundes: – Sensibilisierung, Beratung und Information auf Messen im Bereich des barrierefreien Reisens Zeitraum: 1. Januar 2010 bis 31. Dezember 2010; Förderhöhe: 15.987,51 Euro – Reisemöglichkeiten für Menschen mit Pflegebedarf Zeitraum: 1. Januar 2011 bis 31. Dezember 2011; Förderhöhe: 87.412 Euro – Teilhabe durch Teilnahme – Informationsveranstaltung zu Präventionsmaßnahmen Zeitraum: 1. Januar 2012 bis 31. Dezember 2012; Förderhöhe: 84.123 Euro – Gesundheitspräventive Angebote für Kinder und Jugendliche Zeitraum: 1. Januar 2013 bis 31. Januar 2014; Förderhöhe: 56.911 Euro – Weiterentwicklung gesundheitspräventiver Angebote für Kinder und Jugendliche Zeitraum: 1. Februar 2014 bis 31. Dezember 2014; Förderhöhe: 58.491,05 Euro – Sportangebote für alle Zeitraum: 1. Januar 2015 bis 31. Dezember 2016; Förderhöhe: 115.138 Euro – Informationssysteme als krankheitsübergreifende Hilfestellung bei wohnortnahen und -fernen Terminen der individuellen Gesundheitsversorgung Zeitraum: 1. Oktober 2017 bis 31. Juli 2019; Förderhöhe: 137.370 Euro – Fachliche Unterstützung beim Onlineprojekt der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT) zum barrierefreien Reisen Zeitraum: 2012; Förderhöhe 2.496 Euro – Ausrichtung des Tages des Barrierefreien Tourismus auf der Internationalen Tourismusbörse Berlin Zeitraum: 2013; Förderhöhe: 40.000 Euro – Operative Unterstützung der DZT bei der Ausrichtung des Tages des Barrierefreien Tourismus auf der Internationalen Tourismusbörse Berlin Zeitraum: 2014; Förderhöhe: 23.918,39 Euro Zeitraum: 2015; Förderhöhe: 16.478,00 Euro Zeitraum: 2016; Förderhöhe: 16.478,00 Euro Zeitraum: 2017; Förderhöhe: 17.548,00 Euro Zeitraum: 2018; Förderhöhe: 18.618,00 Euro Zeitraum: 2019; Förderhöhe: 20.415,60 Euro – Flankierung der Einführung des bundeseinheitlichen Kennzeichnungssystems „Reisen für Alle“ Zeitraum: 1. Juni 2017 bis 31. Dezember 2018; Förderhöhe: 157.691,45 Euro – Projekt „Barrierefreie Naturerlebnisangebote als Impulsgeber für den ländlichen Raum“ Zeitraum: 1. Oktober 2018 bis 30. September 2021; bis zur Insolvenz der NatKo betrug die Förderhöhe 32.576,97 Euro. Die Projektabrechnung befindet sich derzeit in Bearbeitung. Es ist folglich möglich, dass sich die Förderhöhe noch reduziert. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/13258  6. Welche Projekte der NatKo erhielten in den letzten zehn Jahren keine finanzielle Förderung des Bundes? Warum wurde eine Förderung verweigert? Der Antrag der NatKo an das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) vom 13. Dezember 2010 auf Förderung des Projekts „Stärkung der deutschen Tourismuswirtschaft durch Verbesserung der Barrierefreiheit bei Sportgroßveranstaltungen“ wurde mit Bescheid vom 6. Oktober 2011 aus haushaltsrechtlichen Gründen abgelehnt. Der Verein übersandte dem BMWi im September 2018 den Entwurf eines Antrags auf Fortführen des laufenden Projektes zur Flankierung der Einführung des bundeseinheitlichen Kennzeichnungssystems „Reisen für Alle“ über den 31. Dezember 2018 hinaus. Nach Prüfung und weiteren Auskünften wurde dem Verein mitgeteilt, dass nach haushalts- und zuwendungsrechtlicher Vorprüfung der Unterlagen keine Bewilligung einer Zuwendung für die Jahre 2019 und 2020 in Aussicht gestellt werden kann. Der Antrag an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vom 1. März 2019 auf Förderung des Projekts „Mehr Teilhabe durch Barrierefreiheit beim Reisen“ aus dem Einzelplan 11, Kapitel 1105, Titel 684 04 (Nationaler Aktionsplan zur Behindertenpolitik und Teilhabebericht) wurde abgelehnt, da hierfür keine Haushaltsmittel eingeplant waren und zudem eine mehrjährige Projektförderung in der beantragten Zuwendungshöhe aus Haushaltsresten nicht möglich war. Die NatKo reichte im März 2019 an das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) den Projektförderantrag „Stärkung der gesundheitsbezogenen Behindertenselbsthilfe durch Informationen über geeignete neue elektronische Medien für die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen und Erarbeitung von Handlungsempfehlungen zu ihrer Verbesserung“ (Projektlaufzeit 1. August 2019 bis 31. Dezember 2021) ein. Da eine öffentliche Bekanntmachung „Digitalisierung in der gesundheitlichen Selbsthilfe“ vorgesehen ist, wurde die Nat- Ko mit Schreiben vom 15. April 2019 auf die Möglichkeit hingewiesen, sich nach Veröffentlichung der Bekanntmachung mit einem Projekt für eine Förderung ab 2020 zu bewerben.  7. Wann hat der NatKo die Bundesregierung erstmalig über seine schwierige finanzielle Situation informiert und vor einer drohenden Insolvenz gewarnt ? Die Bundesregierung wurde durch die NatKo am 2. Juni 2019 über die drohende Insolvenz informiert. Am 4. Juni 2019 beschloss die außerordentliche Mitgliederversammlung der NatKo, den Verein mit sofortiger Wirkung aufzulösen.  8. Welche Maßnahmen wurden von der Bundesregierung ergriffen, um eine drohende Insolvenz der NatKo und die Auflösung des Vereins abzuwenden ? Wenn keine Maßnahmen ergriffen wurden, warum nicht? Seitens der Bundesregierung wurden keine Maßnahmen ergriffen, um eine drohende Insolvenz der NatKo und die Auflösung des Vereins abzuwenden. Der Bund muss mit öffentlichen Mitteln verantwortungsvoll umgehen. Zuwendungen sollen deswegen nur solche Einrichtungen erhalten, die durch ihre Geschäfts-organisation und ihr geschäftliches Verhalten Gewähr für einen gewissenhaften Umgang mit öffentlichen Mitteln bieten. Das Haushaltsrecht des Drucksache 19/13258 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Bundes verlangt deswegen als eine wesentliche Voraussetzung für die Gewährung von Zuwendungen, dass eine ordnungsgemäße Geschäftsführung beim Zuwendungsempfänger gesichert erscheint.  9. Wäre nach Einschätzung der Bundesregierung eine institutionelle Förderung der NatKo zulässig gewesen? Wenn nein, warum nicht? Aus haushaltsrechtlichen Gründen bestanden keine Möglichkeiten einer institutionellen Förderung der NatKo. Grundsätzlich gilt, dass für eine institutionelle Förderung ebenso wie für eine Projektförderung als materielle Voraussetzung insbesondere das Vorliegen eines erheblichen Bundesinteresses notwendig ist. Nach dem so genannten Omnibusprinzip ist zudem die Aufnahme eines neuen Zuwendungsempfängers in die institutionelle Förderung durch das Ausscheiden eines anderen Zuwendungsempfängers in einem finanziell gleichwertigen Umfang auszugleichen. Derartige Ausgleichsmöglichkeiten sind in den Ressorts nicht vorhanden. 10. Welche Maßnahmen will die Bundesregierung nach der Auflösung der NatKo zukünftig ergreifen, um den barrierefreien Tourismus in Deutschland auszubauen oder diesen Ausbau zu unterstützen? Die Bundesregierung sieht als wichtigste Maßnahme die nachhaltige Einführung des Systems „Reisen für Alle“ und unterstützt und fördert diese Maßnahme . Das System „Reisen für Alle“ wurde gemeinsam von den Verbänden der Betroffenen, den deutschlandweit tätigen Tourismusorganisationen und den Landesmarketingorganisationen entwickelt. Diese breite Unterstützung und Beteiligung ist ein wichtiger Erfolg und muss dauerhaft gesichert werden. Auch nach der Auflösung der NatKo wird das System gemeinsam mit den Betroffenenorganisationen weiter verbessert. Darüber hinaus beabsichtigt die Bundesregierung auch weiterhin, Projekte von erheblichem bundesweitem Interesse zum Ausbau des barrierefreien Tourismus zu unterstützen. 11. Mit welchen Organisationen will die Bundesregierung zukünftig beim Ausbau des barrierefreien Tourismus in Deutschland zusammenarbeiten? Alle bisher für den barrierefreien Tourismus engagierten Akteure haben einen wichtigen Beitrag zur Teilhabe behinderter Menschen geleistet. Barrierefreiheit soll zu einem Markenzeichen des Tourismus in Deutschland werden. Um dieses Ziel zu erreichen, sind vielfältige Maßnahmen und Initiativen notwendig. Unerlässlich dabei ist die Einbeziehung von Betroffenen. Daher sollen beispielsweise eine Reihe von Betroffenenorganisationen, die Mitglied der NatKo waren, direkt zu einer Mit- und Zusammenarbeit im Projekt „Reisen für Alle“ eingeladen werden. Geprüft wird auch die Einbindung des Deutschen Behindertenrates . Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/13258 Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. 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