Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Thomas Seitz, Corinna Miazga, Martin Reichardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD – Drucksache 19/12885 – Verfassungskonforme Demografie- und Sozialpolitik V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Unter dem Gesichtspunkt bestandserhaltender Bevölkerungspolitik in Deutschland, ausgehend von einer Zahl von 2,1 lebendgeborenen Kindern pro Frau, stellt die sog. kompensatorische Zuwanderung keine Problemlösung dar, da auch die zugewanderte Bevölkerung das für den Bestandserhalt nötige Niveau nicht erreichen wird (Birg, Herwig: „Die Gretchenfrage der deutschen Demographiepolitik: Erneuerung der Gesellschaft durch Geburten im Inland oder durch Zuwanderungen aus dem Ausland?“ Erschienen in: ZSE. Zeitschrift für Staats-und Europawissenschaften, 3/2016, S. 351 bis 377). Zu diesem Befund kommt nach Ansicht der Fragesteller die Nachhaltigkeitslücke bei der intergenerativen Lastenverteilung durch den Anstieg der zunehmend geringer qualifizierten Bevölkerungszusammensetzung in Deutschland (Abwanderung Hochqualifizierter, sinkende Qualität der Leistungen von Schulabgängern – vor allem in den sog. MINT-Fächern (MINT = Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) –, Zuzug gering qualifizierter Migranten). Aus dem Bundeshaushalt wurden im Jahr 2017 mehr als 21 Mrd. Euro für asylbedingte Kosten ausgegeben (www.bpb.de/gesellschaft/migration/ flucht/265776/kosten-und-ausgaben), während sie nach Ansicht der Fragesteller die Problematik der Abwanderung hochqualifizierter deutscher Staatsbürger vernachlässigt (www.nzz.ch/meinung/deutschlands-doppeltes-migrati onsproblem-zu-und-abwanderung-ld.1464988). Ebenfalls wird nach Ansicht der Fragesteller die Umsetzung der Forderung des Bundesverfassungsgerichts bei der Lastenverteilung dieser demografischen Fehlentwicklungen durch die Berücksichtigung der Erziehungsleistungen bei der Beitragsbemessung umlagefinanzierter Sozialversicherungssysteme (BVerfG, Urteil vom 3. April 2001, Az: 1 BvR 1629/94, in BVerfGE 103, 242 ff.) vernachlässigt. Aus dem Tenor des Urteils des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich die Forderung, bis spätestens zum 31. Dezember 2004 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen unter Berücksichtigung des Prüfgebots auch für andere Zweige der Sozialversicherung. Die Bundesregierung hat dies nach Ansicht der Fragesteller in ungenügender Weise dergestalt umgesetzt, indem nicht etwa Eltern eine Beitragsermäßigung erhalten, sondern indem Kinderlose einen Beitragszu- Deutscher Bundestag Drucksache 19/13267 19. Wahlperiode 17.09.2019 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 13. September 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. schlag zur sozialen Pflegeversicherung zahlen müssen (www.transparent-bera ten.de/private-pflegeversicherung/kinderlose/). Ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 30. September 2015, Az: B 12 KR 15/12 R, in: BSGE 120, 23 f.) hat zwar die Verfassungsgemäßheit der bisher bestehenden gesetzlichen Regelungen in der Sozialversicherung erkannt, zugleich aber auch darauf hingewiesen, dass es Sache des Gesetzgebers sei, einen allgemeinen umfassenden Ausgleich der finanziellen Belastungen durch die Kinderbetreuung und Kindererziehung im Beitragsrecht der Sozialversicherung herbeizuführen. Das Urteil ist nach Ansicht der Fragesteller zweifelhaft in dem Sinne, als dass es die Tatsache ignoriert, dass „kinderlose Menschen die gleichen Vorteile genießen wie die Menschen mit Kindern“ (zitiert nach: Birg, Herwig: Die Gretchenfrage. S. 365, www.her wig-birg.de/downloads/dokumente/Birg-Gretchenfrage-ZSE-2016.pdf). V o r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die Demografiepolitik der Bundesregierung hat das Ziel, bestmögliche Rahmenbedingungen zu schaffen, um das wirtschaftliche Wachstumspotenzial zu stärken, den erreichten Wohlstand fortzuentwickeln und an künftige Generationen weiterzugeben. Entscheidend ist dabei neben materiellen Aspekten, den gesellschaftlichen Zusammenhalt der Menschen in unserem Land zu stärken und zu fördern und auch zu berücksichtigen, dass hierzu die verschiedensten Aspekte und Lebensbereiche ineinandergreifen.  1. Wie bewertet die Bundesregierung in demografischer Hinsicht die Äußerung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel in ihrer Neujahrsansprache 2015: „Zuwanderung ist ein Gewinn für uns alle“? Deutschland ist wie andere europäische Länder vom demografischen Wandel und einer damit einhergehenden Fachkräfteknappheit betroffen. Zur Sicherung des Wohlstandes, solider Finanzen und der Verlässlichkeit der sozialen Sicherungssysteme gilt es daher alle in Deutschland vorhandenen Potenziale besser zu integrieren und auch Fachkräfte aus dem Ausland hinzuzugewinnen .  2. Wie viele Deutsche wandern nach Kenntnis der Bundesregierung jedes Jahr in das Ausland ab, um dort zu leben und einer Erwerbstätigkeit nachzugehen (bitte nach beruflicher Qualifikation der Auswanderer und sofern bekannt, den Gründen für die Auswanderung aufschlüsseln)? Die Zahl deutscher Staatsangehöriger, die ins Ausland abwandern, um dort einer Erwerbtätigkeit nachzugehen, ist nicht bekannt. Die Wanderungsstatistik enthält lediglich Angaben zur Zahl der deutschen Staatsangehörigen, die sich ins Ausland abgemeldet haben, und deren demografische Merkmale. Die jeweilige Zahl ergibt sich aus der nachstehenden Tabelle. Angaben zum Motiv der Abwanderung sowie zur Qualifikation der Abgewanderten liegen nicht vor. Drucksache 19/13267 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Wanderungen von deutschen Staatsangehörigen aus dem Ausland nach Deutschland und in das Ausland in den Jahren 2015 bis 2018 Berichtsjahr Zuzüge von deutschen Staatsangehörigen aus dem Ausland (ohne Zuzüge von unbekannt) Fortzüge von deutschen Staatsangehörigen in das Ausland (ohne Fortzüge nach unbekannt) 2015 120 528 138 099 2016 115 458 130 732 2017 115 193 117 636 2018 113 568 125 684  3. Was tut die Bundesregierung dafür, um hochqualifizierten Arbeitskräften (Absolventen der sog. MINT-Fächer) zu helfen, ihr erworbenes Wissen in den deutschen Arbeitsmarkt einzubringen? Absolventen der sog. MINT-Fächer haben derzeit auf dem Arbeitsmarkt beste Chancen, einen Arbeitsplatz zu finden und ihr Wissen einzubringen. Insgesamt ist eine steigende Nachfrage nach MINT-Arbeitskräften festzustellen. Sowohl die Anzahl der Stellen für akademisches MINT-Fachpersonal als auch für Expertentätigkeiten sind im Jahr 2018 gestiegen. Arbeitsuchende oder arbeitslose Menschen haben das Recht auf Beratung und Vermittlung durch die Agentur für Arbeit. Art und Umfang der Beratung richten sich dabei nach dem Beratungsbedarf des Ratsuchenden. Die Vermittlung von arbeitsuchenden und arbeitslosen Menschen sowie die Besetzung von offenen Stellen erfolgt nach dem Prinzip des „Best Match“. Ziel ist es, ausgehend von den Kenntnissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten der Bewerberin/des Bewerbers und den Anforderungen des Arbeitgebers, die passende Arbeitskraft mit dem passenden Arbeitgeber zusammenzubringen. Auf diesem Weg gelingt es, dass Menschen ihr Wissen in den Arbeitsmarkt einbringen können. Die Arbeitslosigkeit in den MINT-Berufen ist 2018 noch einmal deutlich gesunken (–10,7 Prozent). Bezogen auf alle Erwerbstätigen in MINT-Berufen lag die rechnerische Arbeitslosenquote 2018 bei 2,6 Prozent. Bei den Akademikern ist die Arbeitslosenquote noch geringer (2,2 Prozent). In der Regel gelingt es insbesondere akademischen Fachkräften nach kurzer Zeit, ihre Arbeitslosigkeit wieder zu beenden (vgl. Bundesagentur für Arbeit, Blickpunkt Arbeitsmarkt, MINT-Berufe, August 2019).  4. Wie viele Deutsche sind nach Kenntnis der Bundesregierung wieder nach Deutschland zurückgekehrt, weil sie lieber wieder in Deutschland leben und arbeiten wollen? Die Zahl der zurückgekehrten deutschen Staatsangehörigen, die lieber in Deutschland leben und arbeiten wollen, ist nicht bekannt. Die Wanderungsstatistik enthält lediglich Angaben zur Zahl der deutschen Staatsangehörigen, die sich aus dem Ausland kommend angemeldet haben. Auf die Tabelle in der Antwort zu Frage 2 wird verwiesen. Die Motive des Zuzugs sind nicht bekannt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/13267  5. Wird die Bundesregierung auf die Forderung des Bundesverfassungsgerichts zur Einführung einer verfassungskonformen Regelung – wie im in der Vorbemerkung der Fragesteller genannten. Urteil des BVerfG vom 3. April 2001, 1 BvR 1629/94 verlangt –, unter Berücksichtigung der Darstellung der Fragesteller in der Vorbemerkung reagieren und einen neuen Gesetzentwurf einreichen?  6. Wird die Bundesregierung auf die Forderung aus dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 30. September 2015 reagieren und einen Gesetzentwurf für einen allgemeinen umfassenden Ausgleich der finanziellen Belastungen durch die Kinderbetreuung und Kindererziehung im Beitragsrecht der Sozialversicherung vorlegen?  7. Wird die Bundesregierung den sozialpolitischen Gestaltungsspielraum, den sie aus Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit Artikel 3 GG zur Verfügung stehen hat, nutzen, um Beitragserleichterungen für Familien mit Kindern einzuführen? Die Fragen 5 bis 7 werden aufgrund des Sachzusammenhangs zusammen beantwortet . In einem seiner Urteile vom 3. April 2001 (1 BvR 1629/94) hat es das Bundesverfassungsgericht als verfassungsrechtlich geboten angesehen, dass ein Beitragsabstand zwischen Beitragszahlern mit und ohne Kinder zur sozialen Pflegeversicherung eingeführt wird. Dies wurde mit dem Kinderberücksichtigungsgesetz zum 1. Januar 2005 umgesetzt. Darüber hinaus hat die Bundesregierung den Prüfauftrag des Bundesverfassungsgerichts in diesem Urteil zur Berücksichtigung von Kindern in anderen Sozialversicherungszweigen erfüllt, siehe den Bericht der Bundesregierung zur Bedeutung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur sozialen Pflegeversicherung vom 3. April 2001 für andere Zweige der Sozialversicherung (Bundestagsdrucksache 15/4375). Entgegen der Annahme der Fragesteller hat das Bundessozialgericht in dem angesprochenen Urteil vom 30. September 2015 keine Forderung an den Gesetzgeber gerichtet. Vielmehr hat das Bundessozialgericht den dem Gesetzgeber bei der staatlichen Familienförderung verfassungsrechtlich zustehenden Gestaltungsspielraum betont. Im Übrigen hat der Gesetzgeber – über das verfassungsrechtlich Gebotene hinaus – einen sozial- und familienpolitischen Gestaltungsspielraum, den er auch gerade in den letzten Jahren im Interesse von Familien mit Kindern genutzt hat. Derzeit sind beim Bundesverfassungsgericht eine Vorlage des Sozialgerichts Freiburg (Aktenzeichen 1 BvL 3/18) und eine Verfassungsbeschwerde (Aktenzeichen 1 BvR 717/16) zur Berücksichtigung von Kindern im Rahmen der Beitragsbemessung in der Pflegeversicherung anhängig. Das Bundesverfassungsgericht hat noch nicht über die Verfassungsbeschwerde entschieden. Im Auftrag der Bundesregierung hat Frau Prof. Dr. Astrid Wallrabenstein dazu eine Stellungnahme an das Bundesverfassungsgericht abgegeben und die derzeitige Rechtslage für verfassungskonform erachtet. In der Stellungnahme der Bundesregierung werden auch die seit dem Jahr 2001 umgesetzten familienpolitischen Verbesserungen hervorgehoben. In einer weiteren Stellungnahme hat die Bundesregierung zu einer beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfassungsbeschwerde (Aktenzeichen 1 BvR 2824/17) betreffend das Beitragsrecht für Versicherte mit Kindern in der gesetzlichen Rentenversicherung ausgeführt, dass die Kindererziehung durch Drucksache 19/13267 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Versicherte auf der Leistungsseite der gesetzlichen Rentenversicherung vielfältig berücksichtigt wird. Gesetzgeberische Maßnahmen zur weiteren Berücksichtigung von Kindern und zur finanziellen Entlastung von Familien bei den Beiträgen zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sind derzeit nicht vorgesehen. Die Bundesregierung nimmt die Beiträge zur Diskussion, wie sie derzeit insbesondere auch in zahlreichen Stellungnahmen zu dem Verfahren zur Pflegeversicherung vor dem Bundesverfassungsgericht zum Ausdruck kommen, jedoch aufmerksam zur Kenntnis. Im Übrigen wird auf die Ausführungen in der Antwort der Bundesregierung zu den Fragen 19 bis 19b der Kleinen Anfrage der Fraktion der AfD auf Bundestagsdrucksache 19/10809 verwiesen.  8. Inwieweit wird die Bundesregierung ihre tatsächliche Migrationspolitik der Jahre 2015 bis 2018, welche die Fragesteller für mindestens rechts-, wenn nicht gar verfassungswidrig halten (vgl. auch https://jungefrei heit.de/politik/deutschland/2019/rupert-scholz-wirft-regierung-andauern den-verfassungsbruch-vor/), konkret fortsetzen bzw. abändern, insbesondere unter Berücksichtigung der juristischen Fundamente dieser Migrationspolitik (bitte erläutern bzw. begründen)? Die Migrationspolitik der Bundesregierung ist dadurch geprägt, dass über die Begrenzung und Steuerung von Zuwanderung ein Ausgleich zwischen wirtschaftlichen , humanitären und Ordnungsgesichtspunkten geschaffen wird, der auf eine Steuerung des Migrationsgeschehens zielt, rechtsstaatlichen Anforderungen genügt und damit eine Sicherstellung der Einhaltung der Rechtsordnung anstrebt. Durch die Verabschiedung zahlreicher von der Bundesregierung initiierter Gesetze im Bereich der Migration hat auch der Deutsche Bundestag diese Zielsetzung der Bundesregierung mitgetragen. Auch im Zusammenhang mit der angestrebten Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und der Stärkung des Außengrenzschutzes der Europäischen Union setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass ein solcher Ausgleich auch in der Politik der Europäischen Union optimiert wird. Die Bundesregierung teilt die rechtliche Einschätzung nicht, die in der Fragestellung und im verlinkten Artikel geäußert wird.  9. Für wie hoch hält die Bundesregierung den Netto-Effekt der kompensatorischen Einwanderung (Netto-Zuwanderung von Wirtschaftsmigranten minus Abwanderung von Deutschen) in Euro pro Jahr seit 2015? Statistische Auswertungen im Sinne der Fragestellung liegen der Bundesregierung nicht vor. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/13267 10. Welcher Anteil des Gesamtetats des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in den Jahren 2015 bis 2018 kommt tatsächlich Familien zugute? Der Gesamtetat des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist öffentlich einsehbar (Einzelplan 17) und informiert über die in bestimmten Bereichen eingesetzten Mittel. Daraus geht hervor, dass das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit einer Vielzahl von Angeboten Familien direkt oder indirekt unterstützt. Dazu zählen unter anderem Geldleistungen, wie beispielsweise Elterngeld, Kinderzuschlag und Unterhaltsvorschuss , Infrastrukturangebote wie der Ausbau der Kinderbetreuungsangebote , aber auch Informations- und Beratungsangebote. Drucksache 19/13267 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. 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