Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Gerald Ullrich, Alexander Graf Lambsdorff, Renata Alt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/12845 – Kampf gegen Steuervermeidung und Korruption durch Verbot von öffentlichen Vergaben an Unternehmen, die ganz oder teilweise im Eigentum von Unternehmen in Steueroasen stehen V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Der EU Observer berichtete am 29. Juli 2019 (https://euobserver.com/opini on/145544?utm_source=euobs&utm_medium=email) über die Studie „Tenders in the EU: how much goes to tax havens?“ (https://blog.datlab.eu/eutenders -to-tax-havens/). Die Studie analysierte über 255.624 Unternehmen, die zwischen 2006 und 2017 öffentliche Aufträge (sowohl aus dem EU-Haushalt als auch aus nationalen Mitteln finanziert) in den EU-Mitgliedstaaten ausführten. Basierend darauf schätzen die Autoren, dass jährlich öffentliche Aufträge im Wert von 100 Mrd. Euro an Unternehmen in den Mitgliedstaaten gehen, die ganz oder teilweise im Eigentum von Unternehmen mit Sitz in Steueroasen stehen. Als Steueroasen betrachteten die Autoren die Drittstaaten und Gebiete, die am 25. Mai 2018 auf der „Schwarzen Liste“ (Annex I) und auf der „Grauen Liste“ (Annex II) der EU-Liste nichtkooperativer Gebiete für Steuerzwecke (https://ec.euro p a . e u / t a x a t i o n _ c u s t o m s / s i t e s / t a x a t i o n / f i l e s / e u _ l i s t _ u p date_14_06_2019_en.pdf) standen. Von den öffentlichen Aufträgen, die an Unternehmen in Deutschland vergeben werden, gehen laut dieser Studie ca. 3,5 Prozent der Auftragswerte an Unternehmen in Deutschland, die ganz oder teilweise im Eigentum von Unternehmen in den besagten Steueroasen stehen. Deutscher Bundestag Drucksache 19/13674 19. Wahlperiode 30.09.2019 Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom 26. September 2019 übermittelt. Die Drucksache enthält – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. 1. In welcher Höhe haben öffentliche Auftraggeber in Deutschland zwischen 2006 und 2017 öffentliche Aufträge an Unternehmen vergeben, die ganz oder teilweise, mittelbar oder unmittelbar, im Eigentum von Unternehmen stehen, die in Ländern oder Gebieten ansässig sind, die am 25. Mai 2018 auf der „Schwarzen Liste“ (Annex I) oder auf der „Grauen Liste“ (Annex I) der EU-Liste nichtkooperativer Gebiete für Steuerzwecke standen (https://ec.europa.eu/taxation_customs/sites/taxation/files/eu_list_up date_14_06_2019_en.pdf), bzw. an Unternehmen vergeben, die selbst an den besagten Orten ansässig sind (bitte nach Jahr und Land bzw. Gebiet aufschlüsseln und in absoluten Zahlen als auch als Anteil an der Summe der Werte aller öffentlichen Aufträge angeben)? Die Bundesregierung verfügt derzeit über keine valide Vergabestatistik. Eine umfassende und vollständige Beantwortung der Frage ist daher nicht möglich. Derzeit erstreckt sich die zentrale statistische Erfassung der öffentlichen Auftragsvergabe noch auf ein beschränktes Set an Daten. Die Daten der meldepflichtigen Stellen werden im Unterschwellenbereich (nur Bundesressorts) in aggregierter Form, im Oberschwellenbereich des Vergaberechts in Form von Einzeldatensätzen pro durchgeführtem Vergabeverfahren an das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie übermittelt. Es handelt sich bislang weder um ein elektronisches noch automatisiertes Verfahren. Daher ergeben die auf der Basis der bisherigen statistischen Pflichten erhobenen Daten ein nur sehr unvollständiges und wenig valides Bild zu den öffentlichen Aufträgen. Im Rahmen der Vergaberechtsreform von 2016 wurde mit der Vergabestatistikverordnung erstmals die Grundlage für den Aufbau einer allgemeinen bundesweiten Vergabestatistik geschaffen, in deren Rahmen eine Einzeldatensatz-Erfassung für jedes durchgeführte Vergabeverfahren vorgesehen ist. Nach Abschluss der umfangreichen und komplexen Vorbereitungsarbeiten wird die Datenerfassung auf dieser Grundlage voraussichtlich im Jahr 2020 beginnen. Allerdings wird es auch in Zukunft kaum möglich sein, in Deutschland die gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse in- und ausländischer Unternehmen einschließlich mittelbarer Beteiligungen und Sitz der direkten oder indirekten Anteilsinhaber im Rahmen von Vergabeverfahren zu dokumentieren. Daten zu gesellschaftsrechtlichen Verhältnissen in- und ausländischer Unternehmen einschließlich mittelbarer Beteiligungen und Sitz der direkten oder indirekten Anteilsinhaber von bezuschlagten Unternehmen werden nicht systematisch erfasst. Im Übrigen liegt der Bundesregierung auch keine Datengrundlage für die Landes- und kommunale Ebene vor, aus der diejenigen öffentlichen Aufträge ermittelbar sind, die an Unternehmen vergeben wurden, die ganz oder teilweise, mittelbar oder unmittelbar im Eigentum von Unternehmen stehen, die in Ländern oder Gebieten ansässig sind, die am 25. Mai 2018 auf der „Schwarzen Liste“ (Annex I) oder auf der „Grauen Liste“ (Annex II) der EU-Liste nichtkooperativer Gebiete für Steuerzwecke standen, beziehungsweise an Unternehmen vergeben wurden, die selbst an besagten Orten ansässig sind. Auf Basis einer Abfrage bei den Bundesressorts und deren Geschäftsbereichen wurden die in der folgenden Tabelle genannten Auftragsvolumina gemeldet. Die Tabelle berücksichtigt nur die Auftragsvolumina, die zusammengerechnet 25.000 Euro pro Jahr und pro Land erreichen oder übersteigen. Drucksache 19/13674 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. Auftragsvolumen in Euro pro Jahr Land/Region 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Albanien 194.100 511.395 424.384 Armenien 209.830 223.484 Belize 31.688 Bosnien-Herzegowina 367.907 397.912 754.230 Botswana 64.500 78.765 278.972 347.373 Fidschi 76.247 Hongkong 770.665 57.337 138.579 Jordanien 487.738 425.544 1.106.872 Malaysia 54.463 34.943 Marokko 436.257 1.061.875 911.766 Mauritius 1.066.245 Mongolei 1.006.353 629.439 537.996 Montenegro 402.935 459.259 283.807 Namibia 627.350 638.260 352.141 Nordmazedonien 679.645 447.476 748.798 Panama 47.394 25.251 Peru 1.486.089 2.222.408 1.675.091 Schweiz 3.726.549 44.997.761 371.816.564 167.435.792 23.775.191 55.010.333 Serbien 1.031.146 570.820 1.044.106 Seychellen 39.176 St. Vincent und die Grenadinen 25.139 Südkorea 51.915 Swasiland 432.728 Taiwan 191.861 Thailand 81.233 3.500.690 1.514.779 861.484 Tunesien 801.059 980.237 1.013.816 Uruguay 29.910 45.130 Vanuatu 31.505 Vereinigte Arabische Emirate 162.000.000 184.095 Vietnam 495.372 588.780 Gesamt 3.726.549 207.143.494 371.816.564 180.564.826 34.948.006 66.860.495 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/13674 Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. Auftragsvolumen in Euro pro Jahr Land/Region 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Albanien 887.139 858.734 864.692 1.256.815 2.742.687 4.285.986 Armenien 755.301 438.357 1.033.242 1.136.739 1.114.147 1.321.986 Bahrain 70.698 Barbados 39.779 88.220 81.391 44.197 32.041 Belize 50.994 127.214 55.004 25.321 Bosnien-Herzegowina 600.736 1.157.409 1.353.480 928.219 744.517 1.126.534 Botswana 697.654 601.258 357.285 196.870 341.865 455.095 Dominica 51.643 47.875 Fidschi 343.457 3.264.171 155.568 190.377 325.817 312.835 Grenada 82.326 85.389 153.496 30.181 Guam 54.757 Hongkong 356.300 310.118 38.510 210.548 Isle of Man 334.034 41.900 49.619 Jamaika 87.193 146.194 61.459 78.159 Jordanien 1.171.927 1.872.565 1.585.373 2.496.460 4.791.843 6.231.507 Kap Verde 87.968 169.272 Liechtenstein 41.547 Malaysia 108.651 604.293 88.706 190.220 127.878 128.955 Malediven 62.660 25.922 Marokko 3.012.492 2.779.593 3.016465 6.265.050 6.975.884 Marschallinseln 67.931 Mauritius 61.180 Mongolei 631.529 1.039.479 1.146.319 1.119.849 1.258.267 974.983 Montenegro 565.355 397.045 60.168 67.576 231.174 Namibia 5.274.565 1.442.636 1.522.517 1.391.236 1.720.682 2.446.777 Nordmazedonien 647.474 589.816 471.194 488.532 690.341 658.175 Panama 69.862 33.879 39.440 Peru 3.516.149 2.240.074 2.995.517 3.458.555 3.349.746 2.686.561 Samoa 45.659 Schweiz 36.896.593 72.844.856 55.257.226 37.0494.46 10.761.417 20.649.211 Serbien 1.188.363 1.911.167 3.887.039 1.509.123 2.203.838 3.251.680 Seychellen 63.535 25.048 St. Lucia 119.651 88.728 44.556 36.939 St. Kitts und Nevis 37.044 38.693 52.047 St. Vincent und die Grenadinen 52.082 30.653 Südkorea 153.552 27.570 Swasiland 35.831 Taiwan 112.850 62.840 47.662 45.660 30.217 Thailand 1.084.402 1.587.275 1.244.407 1.157.095 1.234.705 1.715.625 Trinidad und Tobago 116.493 511.297 78.395 Tunesien 1.583.999 2.363.456 2.230.806 3.030.410 4.389.091 6.761.412 Türkei 4.216.168 3.824.479 7.550.237 4.272.455 15.829.321 6.058.557 Uruguay 375.990 87.663 31.415 39.725 124.929 Vanuatu 40.161 274.876 83.634 26.388 Vereinigte Arabische Emirate 992.638 1.505.090 88.890 29.000 172.253 Vietnam 1.722.319 2.260.296 2.255.748 1.681.706 2.432.832 1.778.937 Gesamt 67.068.248 101.705.042 88.535.693 66.309.528 60.917.352 68.742.834 Die genannten jährlichen Auftragsvolumina, die auf die in der Frage genannten Staaten, Gebiete und Unternehmen entfallen, bewegen sich damit bei unter 0,15 Prozent des von der Europäischen Kommission für Deutschland geschätzten jährlichen Gesamtvolumens der öffentlichen Aufträge. Drucksache 19/13674 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. 2. Ist es nach Ansicht der Bundesregierung mit dem EU-Recht vereinbar, durch Gesetzgebung in Deutschland Unternehmen von von deutschen öffentlichen Auftraggebern vergebenen öffentlichen Aufträgen auszuschließen , wenn diese Unternehmen im Eigentum von Unternehmen stehen , die in Ländern oder Gebieten ansässig sind, die auf der besagten „Schwarzen in Ländern oder Gebieten ansässig sind, die auf der besagten „Schwarzen Liste“ oder „Grauen Liste“ stehen, bzw. wenn diese Unternehmen selbst an den besagten Orten ansässig sind (bitte begründen)? Nach Auffassung der Bundesregierung ist die Vereinbarkeit einer solchen generellen Ausschlussmöglichkeit mit dem europäischen Vergaberecht grundsätzlich zweifelhaft. Das europäische Vergaberecht regelt in seinem Geltungsbereich umfassend und abschließend den Ausschluss von Unternehmen vom Vergabeverfahren. Dazu enthalten die europäischen Vergaberichtlinien eine Liste von zwingenden und fakultativen Ausschlussgründen (vgl. etwa Artikel 57 der Richtlinie 2014/ 24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe), bei deren Vorliegen ein Ausschluss des betroffenen Unternehmens von der Teilnahme am Vergabeverfahren – je nach Art des Ausschlussgrundes – verpflichtend ist beziehungsweise im Ermessen des öffentlichen Auftraggebers liegt. Ein Unternehmen ist unter anderem zwingend von einem Vergabeverfahren auszuschließen, wenn durch eine rechtskräftige Gerichts- oder bestandskräftige Verwaltungsentscheidung festgestellt wurde, dass dieses seinen Verpflichtungen zur Zahlung von Steuern nicht nachgekommen ist, vgl. § 123 Absatz 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen . Im Übrigen hat die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung vom 24. Juli 2019 über Leitlinien zur Teilnahme von Bietern und Waren aus Drittländern am EU-Beschaffungsmarkt dargelegt, dass für Unternehmen mit Sitz im Nicht-EU- Ausland europarechtlich kein genereller Anspruch auf Zugang zum EU- Beschaffungsmarkt bestehe. Etwas anderes gelte lediglich im Anwendungsbereich von internationalen Vereinbarungen zwischen der Europäischen Union und Drittstaaten, die (auch) Regelungen über die wechselseitige Öffnung der Beschaffungsmärkte enthalten. 3. Falls Frage 2 bejaht wurde, plant die Bundesregierung, durch Gesetzgebung in Deutschland einen wie in Frage 2 angesprochenen Ausschluss voranzutreiben (bitte begründen)? 4. Falls Frage 3 bejaht wurde, ab welchem prozentualen Eigentumsanteil eines in einer der besagten Steueroasen ansässigen Unternehmens an dem um einen öffentlichen Auftrag bietenden Unternehmen plant die Bundesregierung einen wie in Frage 2 angesprochenen Ausschluss (bitte begründen )? 5. Falls Frage 2 bejaht wurde, plant die Bundesregierung, bei anderen EU- Mitgliedstaaten dafür zu werben, dass diese von dem in Frage 2 angesprochenen Ausschluss durch nationale Gesetzgebung Gebrauch machen (bitte begründen)? Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/13674 Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. 6. Plant die Bundesregierung, im Rat für einen EU-Rechtsakt zu werben, der den in Frage 2 angesprochenen Ausschluss EU-weit erwirkt (bitte begründen )? Die Fragen 3 bis 6 werden gemeinsam beantwortet. Der deutsche Gesetzgeber hat die europarechtlich vorgegebenen Ausschlussgründe vollständig und umfassend in nationales Recht umgesetzt. Die Bundesregierung verfolgt darüber hinaus aktuell weder auf nationaler noch auf europäischer Ebene Pläne, um den Zugang für die in Frage 2 genannten Unternehmen zum deutschen beziehungsweise europäischen Beschaffungsmarkt generell zu beschränken. Die derzeit bestehenden vergaberechtlichen Regelungen sind nach Auffassung der Bundesregierung grundsätzlich ausreichend. Neben den Ausschlussgründen enthält das Vergaberecht beispielsweise auch die Möglichkeit, das Angebot eines Unternehmens im Einzelfall abzulehnen, wenn der Preis oder die Kosten im Verhältnis zur angebotenen Leistung ungewöhnlich niedrig sind und dieser Umstand von dem betroffenen Unternehmen nicht zufriedenstellend aufgeklärt werden kann. Unter diesen Voraussetzungen ist grundsätzlich auch ein Ausschluss von nicht kostendeckenden Angeboten (sogenannte Unterkostenangebote ) möglich. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. 7. Würde nach Ansicht der Bundesregierung der in Frage 2 angesprochene Ausschluss zum Kampf gegen Steuervermeidung beitragen (bitte begründen )? 8. Würde nach Ansicht der Bundesregierung der in Frage 2 angesprochene Ausschluss zum Kampf gegen die Verschleierung von Eigentumsverhältnissen und somit zum Kampf gegen Korruption bei der Vergabe öffentlicher Aufträge beitragen (bitte begründen)? Die Fragen 7 und 8 werden gemeinsam beantwortet. Zu potenziellen Auswirkungen zusätzlicher vergaberechtlicher Regelungen, die nach derzeitiger Rechtslage voraussichtlich nicht den europarechtlichen Vorgaben entsprächen, kann die Bundesregierung keine Aussagen treffen. Drucksache 19/13674 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. 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